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TEC21 2009|09
Futterneid
TEC21 2009|09
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Was man verlangt, sollte man vergüten»

Drei Gesprächsteilnehmer diskutieren die heutige Situation im Ingenieurwesen. Im Vordergrund stehen die Frage nach den Gründen für den herrschenden Futterneid und Punkte wie Marktsituation, Image, Submissionswesen, Urheberrecht und Missgunst. Konkrete Lösungsansätze kommen nicht zum Vorschein – dafür die Erkenntnis, dass diese vor allem aus den eigenen Reihen kommen müssten.

Walter Kaufmann: Wir haben heute die paradoxe Situation, dass Bauingenieure eigentlich zu viel Arbeit haben und trotzdem über schlechte Honorare klagen. Das führt dazu, dass viele permanent überlastet sind und dass im Vergleich zu anderen Branchen weniger attraktive Löhne bezahlt werden können. Wir bewegen uns im marktwirtschaftlichen Umfeld und brauchen die Konkurrenz, um gute Leistungen zu bringen. Niemand verlangt Fantasiehonorare: Es ist mir bewusst, dass wir – gerade bei der öffentlichen Hand – mit Steuergeldern arbeiten und dass diese wirtschaftlich angelegt werden müssen – inklusive unseres Honorars.

Heinz Dudli: In der Schweiz gibt es zu viele Anbieter. Die Mehrzahl der Ingenieurbüros hat weniger als zehn Mitarbeitende. Eine solche Struktur ist weltweit selten. Dieser Konkurrenzkampf – nicht unbedingt «Futterneid» – führt dazu, dass Leistungen zu Preisen angeboten werden, die in keinem Verhältnis zur Komplexität der Aufgabe, unserem Aufwand und unserer Verantwortung stehen. Wir Ingenieure haben es in den letzten Jahren zugelassen, dass unserer hochqualifizierten Arbeit in der Gesellschaft und in der Politik wenig Wertschätzung entgegengebracht wird. Unser Ansehen hat stark gelitten, und unsere Ingenieurleistung, die man früher anerkannt und respektiert hat, ist zur Selbstverständlichkeit geworden.

Kaufmann: Darum werden wir vermehrt Probleme mit dem Berufsnachwuchs bekommen.

Hans Rudolf Spiess: Tiefe Honorare, nicht angemessene Löhne und das daraus resultierende schlechte Image machen den Ingenieurberuf immer weniger attraktiv. Es ist eine sich nach unten drehende Spirale. Die Frage ist, woran es liegt? Ein wichtiger Punkt ist, dass sich Bauingenieure heute in der Öffentlichkeit miserabel verkaufen. Bekannte Architekten schaffen es, sich periodisch öffentlich in Szene zu setzen, ihre Projekte werden in den Medien diskutiert. Vor allem wenn man an private Bauherren denkt, fällt das ins Gewicht: Grosse Privatfirmen wollen Namen. Dazu müssen sich Architekten her vorragend verkaufen. Das fehlt vielen Ingenieuren. Sie könnten sich ruhig mehr in Szene setzen. Dieser Mangel an Öffentlichkeitsarbeit liegt nicht zuletzt daran, dass es Ingenieure viel weniger gewohnt sind, in einem Wettbewerb zu arbeiten – höchstens in einem Brückenwettbewerb – und dass sich Ingenieure aus der Politik verabschiedet haben.

Dudli: Das erlebe ich in der Politik. Wo sind die Ingenieure? Wo ist deren Einsatz? Wenn man nicht weiss, wie eine Vernehmlassung abläuft, wie soll man dann Einfluss nehmen? Kaufmann: Architekten haben deutlich mehr Medienpräsenz – im Positiven wie im Negativen. Es hat Seltenheitswert, wenn etwas über Bauingenieure erscheint. Wenn sich die wenigen einem breiteren Publikum bekannten Berufskollegen, die ab und zu die Gelegenheit erhalten, ihre Meinung kundzutun, dann auch noch negativ über unseren Beruf äussern, schadet das unserem Ansehen massiv.

Spiess: Auch Projekte von namhaften Architekten werden in die Pfanne gehauen. Ein Unterschied zwischen Ingenieuren und Architekten ist jedoch, dass Architekten ein interessantes standespolitisches System haben: die grosse Masse, die SIA-Architekten, und den exklusiven Kreis der BSA-Architekten. Eventuell müssten sich die Bauingenieure überlegen, ob sie nicht auch einen exklusiven Zirkel wollen, um den Level zu heben.

Kaufmann: Solange Ingenieure Mühe haben anzuerkennen, dass ein anderer Ingenieur etwas besser abdecken kann, wird das Ansehen nicht besser. Die Situation führt dazu, dass alle Büros vermeintlich alles können und überall offerieren, auch wenn es nicht ihre Kernkompetenzen betrifft. Wenn die Referenzen oder das Know-how fehlen, versucht man dies mit einem tiefen Preis wettzumachen. Beispiele für die fehlende Anerkennung gibt es viele: Wenn ein Büro bei einem Architekturwettbewerb «mitgenommen» wird und ein anständiges Honorar erhält, dann wird seine Leistung nicht anerkannt, sondern es wird bei Berufskollegen oder beim Auftraggeber quasi als «teurer Krämer» angeschwärzt.
Wenn man einen Brückenwettbewerb gewinnt, gibt es Berufskollegen, die gratulieren. Aber oft wird das Siegerprojekt hintenrum schlechtgemacht – aus Enttäuschung und wegen der leider weitgehend fehlenden konstruktiven Diskussionskultur in unserem Beruf.

Dudli: Wenn ich mich an einem Wettbewerb beteilige, muss ich den Juryentscheid anerkennen. Es gibt immer eine andere Sicht. Das sind teilweise sehr subjektive Einschätzungen. Wichtig ist, dass die Jury darauf achtet, dass die Randbedingungen eingehalten werden.

Spiess: Was die Situation noch unbefriedigender macht, ist die Tatsache, dass die intellektuelle Leistung des Ingenieurs unterbewertet wird. Bei Architekturwettbewerben werden heute von Anfang an Bauingenieure, Haustechniker usw. involviert. Ingenieure werden aber bei Siegerprojekten selten genannt. Sie sind im Zuschlag nicht dabei, und häufig wird ihre Leistung noch einmal ausgeschrieben. Sie müssen gar froh sein, wenn sie mitofferieren dürfen, da sie – juristisch streng genommen – vorbefasst sind. Die intellektuellen Dienstleistungen sind schwierig zu fassen, aber wenn man primär eben diese statt das Honorar ausschreiben würde, könnte sich die Situation ändern. Das hat mit der Gewichtung der Kriterien zu tun. Kaufmann: Man kann durchaus auch heute den Preis weniger gewichten und den weichen Faktoren mehr Gewicht geben. Bei vielen Submissionen wirkt sich dies faktisch aber nicht auf das Resultat aus. Den Bauherren oder Vergabestellen fehlt der Mut, Anbieter selektiv zu bewerten – sie vergeben annähernd gleich viele Punkte, da sie nicht diskutieren möchten. Das führt dazu, dass letztlich doch der Preis allein entscheidend ist.

Dudli: Mit Softkriterien hat die Vergabestelle andererseits einen riesigen Spielraum, um den zu beauftragen, den sie gerne will. Damit wird immer noch sehr stark gespielt. Kaufmann: Heute kommt es oft vor, dass ein Anbieter, der nur 5 bis 10 % billiger ist, den Zuschlag erhält, obwohl er bei den Qualitätskriterien deutlich schlechter abschneidet. Wie gesagt würde das Submissionsgesetz durchaus die Möglichkeiten bieten, anders zu gewichten. Und es gibt zum Glück Bauherren, die den Mut haben, sich zu exponieren und die weichen Kriterien zu bewerten. Das hängt nicht allein von der Vergabestelle ab – sie muss Rückendeckung von den Amtsvorstehern, von der Politik und von uns Ingenieuren haben. Wenn wir als Ingenieure Rekurs einlegen, wenn einmal nicht der Billigste den Zuschlag bekommt, dann untergraben wir jeden Versuch, die Qualität zu honorieren. Mit der Folge, dass dieser Bauherr es in den nächsten zehn Jahren nicht mehr wagen wird, nicht den Billigsten zu berücksichtigen.

Dudli: Zu der ungenügenden Gewichtung der weichen Faktoren kommt hinzu, dass der Auftrag und die geforderte Leistung meist nicht exakt beschrieben werden. Das führt zu Spekula tion. Das Claimmanagement hält in unsere Branche Einzug – und zwar massiv. Kaufmann: Das Grundübel sollte aber keinesfalls darin gesehen werden, dass die Bauherren die Leistungen, die sie verlangen, nicht detailliert ausschreiben. Bei einer intellektuellen Dienstleistung ist das Resultat im Voraus nicht genau definiert, und auch nicht der Weg und die Leistungen, die zu erbringen sind. Ansonsten würde das einer Bestelldienstleistung gleichkommen. Dass wir es bis heute nicht geschafft haben, dass unsere intellektuelle Leistung politisch anerkannt wird, und dass Ingenieurdienstleistungen noch wie Bestellungen von Büromaterial ausgeschrieben werden, das ist unverständlich!

Dudli: Wie soll man diese intellektuelle Dienstleistung ausschreiben? Wir sind 20 Jahre nicht vom Fleck gekommen. Solange wir so ausschreiben, wie wir es jetzt tun, bauen wir wirtschaftlich schlechter als früher. Wir wählen eine Lösung, die technisch gut ist, doch für eine Optimierung fehlt die vergütete Zeit. Wenn in der Ausschreibung deutlicher würde, welche qualitative Leistung in einer gewissen Phase mit welcher Zielsetzung verlangt wird, dann erreichte man einen faireren Wettbewerb, mit mehr Kostentransparenz und für den Bauherrn besseren Entscheidungsgrundlagen für die Bewertung der intellektuellen Dienstleistung. Dies erhebt hohe Ansprüche an den Auslober. Leider sind Personen in den entsprechenden Positionen rar geworden. Das erforderliche Wissen, die Ideen und die Kreativität fehlen. Stattdessen wird heute oft versucht, die Verantwortung sowie die Projekt- und Kostenrisiken auf die Planer abzuschieben, indem man grosszügige Projektabgrenzungen vornimmt, darin enthaltene Leistungen allgemein beschreibt, in grosse Auftragspakete zusammenfasst und als Pauschale offerieren lässt. Diese für unsere Schweizer Strukturen zu grossen Auftragspakete benötigen für die termingerechte Leistungserbringung grosse Konsortien mit entsprechenden Ressourcen. Für den Zuschlag wird der Preis meist massgebend.

Kaufmann: Bei solchen grossen Ausschreibungen ist selbst das Unvorhergesehene zu offerieren, weil der Bauherr keine Nachträge riskieren will. Die Ingenieurbüros müssen dieses Risiko übernehmen und machen es auch.

Spiess: Es reicht schon, wenn sich nur ein Büro darauf einlässt.

Dudli: Gute Ideen und konzentriertes Wissen werden vom Auftraggeber aufgenommen und weitergegeben – aber nicht honoriert.

Kaufmann: Für die Bauherrschaft ist es, kurzfristig gedacht, bequem und günstig, statt eines Gesamtplanerwettbewerbs einen Architekturwettbewerb zu machen. Sie weiss, dass ein Architekturbüro, das eine anspruchsvolle Tragstruktur wählt, ohnehin einen Ingenieur hinzuzieht. Die Bauherren bekommen die intellektuelle Leistung des Ingenieurs quasi gratis. Anschliessend können sie die Ingenieurleistungen offen ausschreiben und einen billigen Anbieter finden, der das Ganze produziert.

Dudli: Bei einer anspruchsvollen Ingenieursubmission ist der Aufwand für die intellektuelle Arbeit horrend, insbesondere dann, wenn Teilleistungen des Vorprojekts erbracht werden müssen. Bei einem Preiswettbewerb ist nur noch die preiseffiziente Umsetzung gefragt. Das sind falsche Anreize. Die Kreativität, das Know-how und die Leistungsfähigkeit sollten zum Auftrag führen. Was man verlangt – hier die intellektuelle Dienstleistung in der Submissionsphase – sollte man entsprechend vergüten.

Spiess: Der nachträgliche Preiswettbewerb funktioniert, weil sich im Nachhinein kaum beweisen lässt, dass der Bau günstiger gekommen wäre, wenn ein anderer Ingenieur die Arbeit übernommen hätte. Vermutlich ist es aber so, dass ein besserer Ingenieur, der 10 % teurer angeboten hat, dafür 10 % der Baukosten eingespart hätte. Ein Ansatz wäre, dass auch bei den Ingenieuren die kreative Idee in die Submission eingebracht und gewichtet wird. Das führt zu einem weiteren kritischen Punkt: dem Urheberrecht. Der Ingenieur, der seine Idee einbringt, kann heute kaum verhindern, dass nach Ermittlung des Siegerprojekts ein anderer zu 80 % seines Honorars die Idee weiterverfolgt. Ein Ingenieur, der an einem Architekturwett bewerb teilnimmt, müsste seine Leistung besser schützen können. Hier besteht Handlungsbedarf.

Kaufmann: Das Problem ist nicht auf Wettbewerbe beschränkt. Wenn ich den Auftrag für eine frühe Projektphase, zum Beispiel für eine Studie, will, dann muss ich oft einen Vertrag unterschreiben, in dem steht, dass ich auf das Urheberrecht verzichte. Spiess: Die öffentliche Hand hat eine Nachfragemacht – sie nimmt die grosse Verantwortung hier zum Teil nicht wahr. In Deutschland gibt es das AGB-Gesetz mit «ungültigen Bauvertragsklauseln ». Was in der Schweiz von der öffentlichen Hand vertraglich gefordert wird, würde in Deutschland oft durch das Gesetz fallen.

Dudli: Warum lässt man das zu? Das Urheberrecht von intellektuellen Dienstleistungen in den Submissionsverordnungen zu verankern, wäre ein kreativer Ansatz. Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kreativität, das Know-how und die Leistungsfähigkeit zum Auftrag führen, dafür müssen wir Ingenieure mit den Verbänden einstehen und kämpfen. Kaufmann: Wir dürfen nicht darauf vertrauen, dass uns jemand da herausholt, sondern wir müssen selber den Hebel ansetzen. Wir können es allenfalls nicht alleine, aber wir müssen von uns aus diesen ersten Schritt machen.


[Heinz Dudli: dipl. Bauingenieur ETH/SIA; CEO der Edy Toscano AG, Zürich; Präsident der SIA Berufsgruppe Ingenieurbau; Grossrat des Kantons Graubünden
Walter Kaufmann: Dr. sc. techn., dipl. Bauingenieur ETH/SIA; Teilhaber und Vorsitzender der Geschäftsleitung der dsp Ingenieure & Planer AG, Greifensee; Delegierter der Schweizer Gruppe der fib; Mitglied der Arbeitsgruppe Brückenforschung
Hans Rudolf Spiess: dipl. Bauingenieur ETH und lic. iur., SPIESS + PARTNER Büro für Baurecht, Zürich; Geschäft sleiter der Sektion Zürich des SIA; Präsident der SIA-Kommission 118 für Allgemeine
Vertragsbedingungen bei Bauarbeiten; Mitglied des Kantonsrates des Kantons St. Gallen]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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