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TEC21 2009|16
Im Takt
TEC21 2009|16
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Rhythmische Fügung

Die im September 2008 eingeweihte Schule der Zürcher Architekten von Ballmoos Krucker im Meilener Ortsteil Obermeilen (ZH) überzeugt durch unaufgeregte Monumentalität. Die Anlage aus Neu- und Bestandsbauten ist in logistischer sowie in ästhetisch-konstruktiver Hinsicht sorgfältig durchkomponiert: Die Bauarbeiten wurden phasenweise bei laufendem Schulbetrieb ausgeführt, die Proportionierung der Fassade erinnert durch Dimension und Art der Fügung der vorfabrizierten Waschbetonplatten an urtümliche Mauern und verleiht dem Ensemble ein zusammenhängendes Erscheinungsbild.

17. April 2009 - Tina Cieslik
Die Primarschule Obermeilen ist ein Konglomerat aus fünf Gebäuden, die ältesten Trakte gehen auf 1936 zurück. Die Anlage war sanierungsbedürftig, und als 2002 neue Richtlinien für den Schulbau mit höheren Anforderungen an das Raumprogramm in Kraft traten, bestand Handlungsbedarf. Aus dem von der Schule Meilen ausgeschriebenen Studienauftrag mit Präqualifi kation ging 2002 der Entwurf der Architekten von Ballmoos Krucker siegreich hervor. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die sukzessive Realisierbarkeit des Um- und Neubaus bei laufendem Schulbetrieb. Im vorgeschlagenen Projekt sollten drei der bestehenden Bauten bzw. Trakte behutsam saniert, zwei abgerissen und durch drei Neubauten ersetzt werden (Abb. 5)

Bauen in Etappen

Der Entwurf baut auf einer durchgehenden Erschliessungsachse auf. Entlang dieses Ganges reihen sich, ausgehend von der gedeckten Eingangshalle an der Ecke Seidengasse / Bergstrasse, die einzelnen Gebäude Schulhaus A und B (mit Turnhallen), die Aula, der Kindergarten und das Schulhaus C. Obwohl die Eingangshalle die Haupterschliessung darstellt, ist der Zugang problemlos auch auf den anderen Seiten möglich. Um den durchgängigen Schulbetrieb während der Arbeiten gewährleisten zu können, war der Bauablauf in Etappen aufgeteilt. Die Neubauten sind leicht versetzt zum Bestand platziert, dadurch konnte der Unterricht während des Baus von Schulhaus A im danebenliegenden Altbau abgehalten werden. Nach der Inbetriebnahme des Neubaus wurde der Abbruch des bestehenden Gebäudes in Angriff genommen. Gleichzeitig starteten der Neubau von Schulhaus B und Aula und der Umbau des bestehenden Schulhauses zum Kindergarten.

Trakt A beherbergt neben zwölf Klassenzimmern mit dazugehörigem Gruppenraum auch das Lehrerzimmer und das Büro der Schulleitung sowie einen Raum für den Abwart. Schulhaus B ist komplexer. Neue und bestehende Bauten fügen sich zu einem vielschichtigen Gebilde zusammen, das ein heterogenes Raumprogramm beherbergt. Im Inneren reihen sich Bibliothek, Mittagstisch, ein Multifunktionsraum, eine Cateringküche, die Hausabwartswohnung, Klassenzimmer und Gruppenräume aneinander. Eine neue Doppelturnhalle deckt zusammen mit einer bestehenden Halle den Bedarf für Schul- und Vereinssport ab. Auf Kellerniveau gibt es eine Verbindung zur öffentlich zugänglichen Aula, ebenfalls einem Neubau. Trakt C und der Kindergarten wurden nur behutsam saniert. Letzterer erhielt Böden aus Eichenholz, es wurde eine Verbindung zwischen den Stockwerken geschaffen und eine Veranda zum Garten vor das Haus gesetzt.

Räumliches Puzzle

Die Fassaden der Neubauten wurden mit grosszügig dimensionierten vorfabrizierten Waschbetonplatten realisiert. Die Massivität der scheinbar gestapelten Elemente lässt diese wie eine fest gefügte, solide Mauer wirken. Die ursprüngliche Konstruktion war auch tatsächlich so geplant, doch finanzielle Aspekte sowie die Auflagen für die Erdbebensicherheit (vgl. TEC21 19 / 2008) sprachen dagegen. Nun steht nur die unterste Reihe der Elemente auf den Fundamentriegeln, darüber sind die Platten wie bei einer herkömmlichen Fassadenverkleidung aufgehängt (Abb. 14). Ausgehend von den verschiedenen Funktionen der Platten wurden drei Elementtypen entwickelt: die selbsttragenden aufgehängten und abgestellten Platten mit je einer Dicke von 14 cm sowie die tragenden Elemente mit einer Dicke von 20 cm. Die Befestigung der aufgehängten Platten erfolgte über Hängezuganker, die in die innere tragende Betonwand eingebohrt wurden (Abb. 10). Im Element sind die Anschlussteile des Ankers eingelegt, ebenso das Gegenstück für die Distanzhalter. Bei den abgestellten Platten wird die Lastabtragung in das Fundament mit zurückversetztem Mörtelbett über einen Dorn gewährleistet. Die tragenden Stützen des Verbindungsgangs mit einer Dicke von 20 cm wurden beidseitig in Waschbeton ausgeführt und mussten daher in der Vorfabrikation stehend betoniert werden. Insgesamt wurden 522 vorfabrizierte Elemente eingebaut. Bei den Neubauten kam eine Mischbauweise zur Anwendung: Das Tragwerk aus Stahlbeton wurde vor Ort gegossen, nach dem Aufbringen der Dämmung wurden die vorfabrizierten Waschbetonelemente montiert. Von den Dimensionen der Verkleidung abgesehen, entspricht der Aufbau damit dem einer konventionellen hinterlüfteten Fassade.

Die Architekten entschieden sich aus verschiedenen Gründen für eine Hülle aus vorfabrizierten Elementen. Ein Anliegen war, die tragenden Stützen des Verbindungsganges und die Fassaden der Neubauten mit einer einheitlichen Oberfläche zu realisieren, tragende und vorgehängte Teile also aus demselben Material zu fertigen. Auf diese Weise liess sich neben der erschliessungstechnischen auch eine formale Verbindung zwischen Neubauten und Bestand herstellen. Der gedeckte Gang reicht bis an die Bestandsbauten, die tragenden Stützen aus Waschbeton stehen ohne falsche Ehrfurcht direkt vor den verputzten Fassaden. Die Verwendung von vorfabrizierten Elementen ist – entsprechende Planung vorausgesetzt – vor allem hinsichtlich der Berechen- und der Überprüfbarkeit von Vorteil. Zudem ist das Ergebnis reproduzierbar. Das gilt zum einen für die Präzision in den Dimensionen, zum anderen für die Oberfläche der Elemente. Bis die richtige Mischung von Zement und Zuschlagstoffen für die Fassadenelemente gefunden war, mussten mehrere Testreihen hergestellt werden. Zur Anwendung kam schliesslich ein gelblicher Weisszement mit einer Kiesmischung aus Jurakalksplittern, die Auswaschungstiefe beträgt 4 mm. Die Armierung erfolgte zweilagig mit Stahlnetzen bei einer Überdeckung von 30 mm. Das Aussehen der Oberfläche ist bei der Vorfabrikation trotz allfälligen Schwankungen in der Zusammensetzung der Zuschlagstoffe weit kalkulierbarer als bei der Herstellung von Bauteilen in situ, vor allem im Vergleich zu Sichtbeton.

Der hohe Präzisionsgrad in der Dimensionierung stellte dagegen auch ein Problem dar: Die Toleranzen des Rohbaus bewegten sich im Zentimeter-, die der vorfabrizierten Elemente im Millimeterbereich. Problematisch war besonders der Verbindungsgang, wo sich tragende Stützen, Attika- und Fassadenelemente treffen. Für die Montage musste daher ein detaillierter Ablauf entwickelt werden, der es erlaubte, vorfabrizierte Elemente an wichtigen Schlüsselstellen auszulassen. Nach der Montage der übrigen Platten wurden die fehlenden Puzzleteile vor Ort neu ausgemessen, mit den passenden Dimensionen hergestellt und eingesetzt. Ein weiteres Risiko bestand in der Beschädigung der vorfabrizierten Teile während der Montage. Die Reparatur auf der Baustelle ist, falls überhaupt möglich, aufwendiger als bei vor Ort angefertigten Teilen. Die ursprünglich industrielle Vorfabrikation wird damit zu einer Art wenn nicht Handwerk, so doch immerhin manufaktorischen Herstellung. Dennoch sind die vorgefertigten Elemente in der Herstellung eine kostengünstige Variante – bei gleichem Anspruch an die Oberfläche vor allem im Vergleich zu Sichtbeton und nur, wenn der Planungsaufwand nicht einberechnet wird. Um einwandfreie Optik und Präzision zu gewährleisten, wurde in Obermeilen darauf geachtet, den Elementbauer gemeinsam mit dem Baumeister auszuschreiben. Damit hatten von Ballmoos Krucker in der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen gemacht.

Fuge und Fügung

Mit der Wahl einer Fassade aus vorfabrizierten Waschbetonelementen beschreiten von Ballmoos Krucker in gestalterischer Hinsicht einen auf den ersten Blick ungewohnten Weg. In der Schweiz erlebte diese Art der Konstruktion im Bauboom der 1960er-Jahre ihre Blütezeit, war aber – neben den offensichtlichen produktionstechnischen Vorteilen – in ästhetischer Hinsicht lange als seelenlos und banal stigmatisiert. Dennoch gab es Architekten wie die Franzosen Paul Bossard oder Emile Aillaud, die sich über die rein konstruktiven Fragen hinaus auch mit dem Gestaltungspotenzial dieser Baumethode auseinandersetzten. 1 Hier knüpfen die Arbeiten von von Ballmoos Krucker an. Auch ihnen gelingt es, durch die Beschaffenheit des Materials ebenso wie durch die Art der Fügung ästhetische Qualität zu schaffen. Bei der Schule Obermeilen lehnten die Architekten eine Putzfassade mit dem Hinweis auf die Funktion des Ensembles ab. Der öffentliche Charakter der Anlage sollte auch durch die Oberfläche transportiert werden.

Die Wirkung der Fassade wird primär durch das expressive Fugenbild erzeugt: Wie ein Netz überzieht es den Gebäudekomplex. Die Überhöhung der Nahtstelle durch den V-förmigen Anschnitt der offenen Fugen verweist auf die Dicke der Elemente und sorgt darüber hinaus für ein Gestaltungsmoment. Am oberen und am unteren Gebäudeabschluss wird die Abschrägung aufgehoben, die Fuge zu einem Schlitz verengt. Der Kontrast zwischen dem glatten Beton der offenen Naht und der strukturierten Oberfläche der Kalksplitter verstärkt diese Wirkung (Abb. 18). Die Fügung der Fassadenelemente entspricht Techniken aus dem Holzbau und verweist damit einmal mehr auf die handwerkliche Komponente des Verfahrens. Durch die komplexe Einarbeitung der nötigen Technik wie beispielsweise des Sonnenschutzes wird die Verbindungsstelle zu einem vielschichtigen räumlichen Knoten, einem überdimensionierten Tetrisspiel in 3-D.

Dauerhafte Ordnung

Die Schule Obermeilen entwickelt eine für eine Schule ungewöhnliche Präsenz, die sich auf der Grenze zum Monumentalen bewegt, aber nie erdrückend wirkt. Die feine Detaillierung der Nahtstellen und die kontinuierliche Erinnerung an den menschlichen Massstab – z.B. durch den respektvollen, aber unsentimentalen Umgang mit dem Bestand – verhindern ein Kippen ins Pathetische. In der Gestaltung der Fassade ist es den Architekten gelungen, industrielle Fertigung und sinnliche Wirkung zu verknüpfen. Dass sich der starke äussere Eindruck im Inneren fortsetzt, ist ein positiver Aspekt. Einem auf den ersten Blick unstrukturiert wirkenden Ensemble wurde durch gestalterische Massnahmen ein zusammenhängendes Gesicht verliehen. Das lose Konglomerat der Gebäude, das durch den Verbindungsgang funktional und formal zusammengehalten wird, lässt sich problemlos durch weitere Teile ergänzen. Architektur wird als Prozess mit offenem Ausgang begriffen. Weiterbauen ist erwünscht.

Anmerkung: [01] In der Siedlung Créteil in Paris (1959–1962) arbeitete Paul Bossard mit kalkulierten Imperfektionen der Oberflächen und offenen Fugen. Emile Aillaud plante in Grigny (1967–1971) mit nur drei verschiedenen Elementtypen, variierte aber die Anordnung der Öffnungen innerhalb der Platten. Vgl.: Bruno Krucker, «Zum entwerferischen Potenzial der Vorfabrikation», in: Uta Hassler, Hartwig Schmid (Hrsg.): Häuser aus Beton. Wasmuth, Tübingen 2004, S. 203 ff.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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