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TEC21 2009|20
Im besten Alter
TEC21 2009|20
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Frisch wie einst

Das Schulhaus Chriesiweg in Zürich, ein bedeutender Schulhausbau aus den 1950er-Jahren, musste umfassend saniert werden. Vonseiten der Denkmalpflege wurde zu Recht ein weitgehender Erhalt der hochstehenden architektonischen Qualitäten gefordert. Zeitgemässe Ansprüche bezüglich Nutzung und Unterhalt stellen die Architekten bei der dezenten Instandsetzung des Baudenkmals vor grosse Herausforderungen.

15. Mai 2009 - Michael Hanak
Das 1955–1957 erbaute Primarschulhaus Chriesiweg in Zürich Altstetten gehört zu den gelungensten Schulhäusern der Nachkriegsmoderne in der Schweiz. Entworfen wurde die eindrückliche Anlage von der Architektengemeinschaft Werner Jaray, Fred Cramer und Claude Paillard, die noch am Anfang ihrer namhaften Karriere stand.1 Die drei jungen Architekten liessen sich für ihr erstes Schulhausprojekt durch amerikanische und skandinavische Vorbilder inspirieren.

Respekt vor dem originalen Denkmal

Eingeschossige Kindergarten- und Schulpavillons und die dazugehörigen Nebengebäude sind um einen mittigen Pausenplatz gruppiert. Hohe architektonische Qualitäten liegen in der gestaffelten Verteilung der freistehenden Baukörper sowie ihren prägnanten geometrischen Formen mit den versetzten Dachneigungen. Zeittypisch war die Verwendung von sichtbar belassenen Materialien: vor allem roter Sichtbackstein und Sichtbeton, aber auch dünne Stahlstützen und die Aluminiumbedachung (inneres Titelbild).

Als im August 1953 die Stadt Zürich zwölf Architekturbüros aus der Schweiz zu einer honorierten Projektierung eines neuen Schulhauses im Quartier Altstetten aufforderte, war soeben die Ausstellung «Das neue Schulhaus» im Kunstgewerbemuseum Zürich eröffnet worden. Da die Idee zu einem neuzeitlichen Musterschulhaus im Rahmen dieser Ausstellung nicht umgesetzt werden konnte, räumten die Bauverantwortlichen der Stadt nun für das Schulhaus Chriesiweg «eine Reihe willkommener Freiheiten»[2] ein. Die Ausstellung war nicht nur Auslöser, sondern auch Inspirationsquelle für das Projekt. Gezeigt wurden vorbildliche Beispiele aus dem In- und Ausland.

Besonders am Wettbewerb war, dass von den eingeladenen Teilnehmern «freie Anregungen »[3] bei der Gestaltung des Schulhauses eingefordert wurden. Das Stadtbauamt erwartete von den Architekten neue Ideen zum Schulhausbau und für einen zeitgemässen Schulunterricht. Cramer, Jaray und Paillard fanden in ihrem Projekt für das Schulhaus Chriesiweg zu einer raffinierten Lösung zwischen konventionellem Einraumklassenzimmer und damals propagiertem Gruppenunterrichtsraum: Ein Vorraum wird durch einen niedrigen Pflanztrog und einen verglasten Sturz vom Schulzimmer abgetrennt. Mit einer verschiebbaren Wandtafel kann dieser Annexraum vollends abgesondert werden. Von der räumlichen Separierung kleinerer Schülergruppen versprachen sich die Pädagogen vielfältige Verwendungsmöglichkeiten bei der Unterrichtsgestaltung. Ausserdem war jeder Klasseneinheit ein innen liegender Gartenhof zugeordnet (Abb. 4).

Das Projekt fand sofort Beachtung und wurde als vorbildliches Beispiel einer Pavillonschule publiziert.[4] Von der Stadt Zürich erhielt das ausgeführte Bauwerk die «Auszeichnung für gute Bauten».[5] Kontrovers diskutiert wurde einzig, ob der Schulbau zur Auflockerung im Sinne der erdgeschossigen Anlage oder zu einer mehrgeschossigen Konzentration der Baumassen tendieren sollte.[6] Die Schulanlage von Cramer, Jaray und Paillard stellt einen progressiven Zeugen des damaligen Aufbruchs im Schulhausbau dar. Bei bisherigen Teilsanierungen wurde dem hohen architektonischen und architekturgeschichtlichen Wert stets Respekt gezollt.

Ursprüngliches instand setzen

Nach mehr als 50 Jahren Gebrauch bestand für die Schulanlage Chriesiweg ein genereller Erneuerungsbedarf. Seit der Erstellung wurden abgesehen von den notwendigsten Unterhaltsarbeiten keine grösseren Veränderungen vorgenommen. Das Sichtmauerwerk war stark verschmutzt, die Aluminiumdächer waren verbeult und teilweise undicht. Bauliche Mängel mussten behoben und die gesamte Schulanlage heutigen energetischen, gebäudetechnischen und feuerpolizeilichen Anforderungen gemäss instand gesetzt werden. Zudem sollten die Gebäude behindertengerecht erschlossen werden. Da sich das Schulhaus mitsamt der Gartenanlage im kommunalen Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte befindet, musste die Sanierung in Abstimmung mit der Denkmalpflege erfolgen.

Aus dem vom Amt für Hochbauten der Stadt Zürich ausgeschriebenen Planerwahlverfahren im Jahr 2005 erhielt die Planergemeinschaft Twerenbold Nägele Twerenbold aus Zürich den Auftrag. Diese hatten zuvor unter anderem das Schulhaus Neubühl in Zürich Wollishofen saniert. Die Instandsetzung am Chriesiweg realisieren die Architekten in zwei Bauetappen zwischen Juni 2007 und Oktober 2009 (Abb. 2). Die erste Etappe, die zwei der insgesamt drei Schulpavillons und den Turnhallentrakt umfasst, ist bereits abgeschlossen. Die Arbeiten der zweiten Etappe sind derzeit noch im Gang. Für den Schulbetrieb steht während der gesamten Bauzeit ein zweigeschossiges Provisorium zur Verfügung.

Die Sanierung eines solch wertvollen wie intensiv genutzten Baudenkmals stellt eine besondere Herausforderung dar. Von der Bauherrschaft kommen Ansprüche nach einer zeitgemässen Funktionstüchtigkeit, gerade was den Nutzungskomfort betrifft. Ausserdem sind neben den Forderungen der Denkmalpflege – je länger, je mehr – die der Energiebilanz und der Erdbebensicherheit zu erfüllen. Ziel der Architekten ist, den architektonischen Ausdruck zu erhalten. «Für uns ist es wichtig, die ursprüngliche Stimmung zu bewahren und die neuen Eingriffe so wenig als möglich sichtbar zu machen», fasst Thomas Twerenbold die Aufgabenstellung im Gespräch zusammen.

Berechnungen haben gezeigt, dass die Erdbebensicherheit aufgrund der geringen Gebäudehöhen und der zahlreichen aussteifenden Wände erreicht wird (Kasten S. 28, «Tragkonstruktion »). Verbesserungspotenzial bezüglich des Energieverbrauchs bieten vorderhand die Dachflächen sowie die grossflächigen Verglasungen (Kasten S. 28, «Bauphysik»). Die in Ortbeton ausgeführten Pultdächer werden neu gedeckt, wodurch eine den aktuellen Anforderungen entsprechende stärkere Wärmedämmung eingebracht werden kann. Die Denkmalpfleger entschlossen sich zusammen mit den Architekten, das für die Bauzeit typische Aluminiumdach der Marke Fural nachbauen zu lassen (Abb. 6 und 7). Dabei handelt es sich um ein Patent aus dem Jahre 1949 des Schweizers Josef Furrer aus Altdorf. Seine Erfindung zielte darauf ab, die erhebliche Ausdehnung des Leichtmetalls bei Erwärmung mit einer Profilierung der Blechbahnen aufzunehmen. Ein spezielles Aufstecksystem sorgt für eine einfache und verletzungsfreie Montage und Demontage. Da bei der gleichzeitigen Sanierung des Schulhauses Untermoos, das ebenfalls in Zürich Altstetten liegt, die gleiche Dachhaut ersetzt werden sollte, fanden die Architekten eine Spenglerfirma, die eine originalgetreue Wiedereinführung des Furaldachs an die Hand nahm.

Die bestehenden Holzfenster müssen von den asbesthaltigen Fugen befreit werden. Dazu werden sie auseinandergeschraubt und wieder zusammengesetzt. Die äussere Scheibe bleibt erhalten, innen wird jedoch ein höher isolierendes Glas montiert. Auch die davor liegenden Lamellenstoren werden durch neue ersetzt. Unberührt belassen bleiben hingegen die Fenster zu den Innenhöfen. Die als Oberlicht konzipierten Metallkastenfenster in den Klassenzimmern werden saniert: Anstelle der integrierten Lüftungsklappen werden isolierte Schalldämmlüfter mit Motorbetrieb eingebaut. Am Turnhallen- und am Singsaaltrakt entschied man sich für den kompletten Ersatz der meisten Fenster durch solche gleicher Aufteilung und mit gleichen Profilbreiten. Ansonsten hat sich an der äusserlichen Erscheinung der Bauten kaum etwas verändert – nur der gestrichene Sichtbeton sowie das Sichtmauerwerk wurden stellenweise ausgebessert.

Wiederherstellen von Funktione und Ästhetik

Die Struktur der Schulzimmertrakte mit den Innenhöfen und den gedeckten Gängen bleibt, wie sie ist: Auf eine neue Klimagrenze im Aussenkorridor wird verzichtet. Verglaster Sturz, Schiebewandtafel und raumtrennender Korpus werden wiederhergestellt; das Raumkontinuum zwischen Vorraum und Hauptraum besteht weiter (Abb. 9). Auf die verschiedenen Aussenbezüge und die abwechslungsreiche Lichtführung in den Klasseneinheiten legen die Architekten ebenfalls Wert. An den Decken sorgen neuzeitliche Beleuchtungskörper für das heute geforderte Kunstlicht. Um das Auf und Ab des Deckenverlaufs weiterhin spürbar zu lassen, treten die Leuchten nicht als zusätzliche Höhenebene in Erscheinung, sondern folgen in ihrer Anordnung den Schrägen der Pultdächer, wie dies bisher im niedrigeren Bereich vor den Fenstern und in den Vorräumen der Fall war. Akustikplatten bedecken die Untersichten der ursprünglich sichtbaren Betondächer. Neu sind auch die Türen, die die Klassenzimmer miteinander verbinden. Damit ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten der Nutzung.

Gewandelte Bedürfnisse verlangten weitere Umbaumassnahmen: Die an den Singsaal anschliessende Hauswartswohnung wird ausgehöhlt, und darin werden eine Schülerbibliothek sowie Räume der Schulleitung eingerichtet. Vollkommen neu sind auch der Treppenlift zum Singsaal sowie der Lift im Turnhallengebäude. Überall wurden zeitgemässe Elektround Sanitärinstallationen eingebaut.

Auch die Erneuerung der Umgebung folgt der Maxime der möglichst originalgetreuen Wiederherstellung. Das Schulhausgrundstück figuriert im Verzeichnis der schützenswerten Gärten und Anlagen. Weite, modellierte Rasenflächen und akkurat neben die Gebäude gesetzte Baumgruppen erzeugen einen parkähnlichen Charakter (Abb. 1 und 11). Wie bei den damals viel beachteten Schulen in Skandinavien bestimmen Föhren und Birken das Bild der Bepflanzung. Bollensteine und Findlinge bilden weitere Gestaltungselemente. Lampen, Papierkörbe und Bänke haben Cramer, Jaray und Paillard eigens für diesen Ort entworfen. Sowohl die Bepflanzung als auch die Aussenraummöblierung werden im Sinne der ursprünglichen Intention wiederhergestellt. Ergänzt werden Spielgeräte, die bisher fehlten.

Das Fortbestehen sichern

Mit viel Sorgfalt und Einfühlungsvermögen haben die Architekten Twerenbold Nägele Twe ren - bold divergierende Forderungen der Bauherrschaft, der Nutzerschaft und der Denkmalpfl ege unter einen Hut gebracht. Mit neuer Haustechnik und erneuerten Installationen machen sie die Gebäude fit für das weitere Bestehen. Sinnvolle Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu reduzieren, boten – einmal mehr – die Dachflächen und Fensterfronten, ohne dass sich ihre Erscheinung wesentlich änderte. Entscheidend ist, dass bei der gesamthaften Instandsetzung und dem teilweisen Umbau die ausgewogene Architektur des – mit 50 Jahren relativ jungen – Baudenkmals nicht durch vermeidbare Eingriffe verunklärt oder gar entstellt, sondern dezent ergänzt wird.

Übrigens: Auch eines der seinerzeitigen grossen Vorbilder, die 1952–1956 von Arne Jacobsen erbaute Munkegård-Schule in Kopenhagen, wird gegenwärtig renoviert und erweitert. Gute Architektur muss weiterleben!


Anmerkungen:
[01] Vgl. Hannes Ineichen (Hrsg.): Claude Paillard. Bauten und Projekte 1946–1997. (Monografien Schweizer Architekten und Architektinnen Bd. 5), Blauen 2002
[02] Werk, Nr. 3, 1955, S. 77
[03] Schweizerische Bauzeitung, 26.6.1954, Nr. 26, S. 377
[04] Vgl. Alfred Altherr (Hrsg.): Neue Schweizer Architektur/New Swiss Architecture. Teufen 1965, S. 150–151
[05] Vgl. Christof Kübler: 50 Jahre Auszeichnungen für gute Bauten in der Stadt Zürich. Zürich 1995, S. 92–93
[06] Vgl. Alfred Roth in Werk, Nr. 3, 1955, S. 77–79, und Claude Paillard in Werk, Nr. 5, 1958, S. 160–168

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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