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hochparterre 06-07|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 06-07|2009
zur Zeitschrift: hochparterre

Weisse Bauten in Rotkreuz

Im Stillen, aber mit lauter Architektur baut Roche Diagnostics ihre Fabriken zum Forschungs- und Dienstleistungzentrum aus. Markiert ist der Standpunkt und Standort mit einem Turm.

17. Juni 2009 - Rahel Marti
In Basel liefern sich die Pharmakonzerne Novartis und Roche einen Architekturwettbewerb. Sie engagieren berühmte Büros, die Medien kommentieren jede Etappe. Fast unbemerkt geht dagegen der Ausbau des Roche Diagnostics-Werks in Rotkreuz voran. Dabei erweitert der Konzern seine Fabriken zu einem internationalen Forschungs- und Kundenzentrum.

Seit 2007 entstanden im Gebiet Forren auffallende Bauten und ehrgeizige Projekte. Die Luzerner Architekten Scheitlin-Syfrig   Partner entwarfen das Kundenzentrum und ein Personalrestaurant. Die Aussenräume des neuen Firmenquartiers gestaltet der Landschaftsarchitekt Günther Vogt. Als vorläufigen Höhepunkt planen Burckhardt Partner Architekten einen 67 Meter hohen Büroturm. Damit errichtet Roche ihr erstes Hochhaus in Rotkreuz und nicht in Basel, wo sie das 163 Meter hohe Prestige-Projekt von Herzog & de Meuron stoppte.

Fahren wir also nach Rotkreuz. Vom Bahnhof führt die Industriestrasse Richtung Forren, gesäumt von Gewerbegeblöckle. Nach zehn Minuten enden die Gebäude, genauer gesagt, es beginnen die Baugruben der kommenden. Über Abschrankungen hinweg leuchten der Besucherin zwei schneeweisse Neubauten entgegen, beide überzieht ein wirres Fassadennetz. Sofort ist klar: Da spielt eine höhere Architekturliga.

Die Firma

Der Roche-Konzern ist in zwei Unternehmen oder Divisionen gegliedert: Pharma und Diagnostics. Kurz gesagt: Die Division Diagnostics entwickelt Verfahren und Apparate für den Nachweis von Krankheiten, für deren Behandlung die Division Pharma Medikamente herstellt. Roches Geschichte in Rotkreuz begann 1971, als sie die Pharmafirma Tegimenta kaufte. Diese produzierte unter ihrem Namen weiter im Spickel zwischen den Autobahnen A4 und A14, im Gebiet Forren.

Dort konnte Roche 2006 Grundstücke hinzukaufen und entschied, das Werk für Diagnostics auszubauen. Bald sollen alle Arbeiten an deren Produkten hier stattfinden: Forschung, Produktion, Vermarktung, Schulung, Service. Rotkreuz ist also kein Ableger von Basel, sondern als Zentrum der Division Diagnostics eigenständig und weltweit vernetzt. 1400 Angestellte beschäftigt Roche Diagnostics und ist damit die drittgrösste Arbeitgeberin im Kanton Zug. Die Hälfte kommt aus der Schweiz, dreissig Prozent aus Deutschland, die übrigen aus 36 weiteren Ländern.

Der Masterplan

Für das Roche-Werk heisst das: Zu den Mechanikern stossen Marketingspezialisten, zu den Laboranten stossen Forscherinnen, zu den Magazinern Rechtsanwälte. Höher Gestellte stellen höhere Ansprüche: an den Arbeitsort, an den Arbeitsplatz. Darum hiess Andi Scheitlins und Marc Syfrigs Ziel: «Zwischen zwei Autobahnen in der Industriezone einen Ort schaffen, an den man gern arbeiten geht.» Die Luzerner Architekten hatten für Roche das viel beachtete Tagungszentrum auf der Halbinsel Buonas gebaut siehe HP 6-7 / 02, 12 / 2002. Nun kam der Auftrag, zusammen mit Günther Vogt, das Forrenareal vom Fabrik- in ein weltgewandtes Dienstleistungs- und Arbeitsquartier zu verwandeln.

Dazu setzten sie ein neues Gebäudeensemble vor das alte, vor die Fabriken. Es wird ein Vierklang aus Platz, zwei Quadern und Turm. Der Platz, steinern und 4000 Quadratmeter weit, bringt Luft und, eben, Platz. Ihn frieden die weissen Neubauten ein: das Personalrestaurant und das Kundenzentrum für Schulungen und Büros. Aus dem Platz aufragen wird der 67 Meter hohe Büroturm für 650 Arbeitsplätze der Verwaltung. Zurzeit verschafft er sich anhand seines gigantischen Baugespanns Präsenz.

Eine subtile Landschaftsarchitektur wird das Gelände rahmen. Das Büro Vogt recherchierte: Das Forren, eine leichte Senke, war ursprünglich ein Feuchtigkeitsgebiet und mit dem Zugersee verbunden. Die Landschaftsarchitekten fanden Spuren von Arten aus dieser Zeit, die heute exotisch und üppig anmuten. Diese Baum- und Straucharten sollen auf dem Platz und der Industriestrasse entlang die städtische Atmosphäre kontrastieren. Weil sich das Areal weiter wandeln wird, wollen Vogt Landschaftsarchitekten zudem dessen Ränder mit Baumgruppen betonen.

Noch ist das Forren eine Grossbaustelle. Aber von den Neubauten geht eine offene Stimmung aus. Weiss sind sie aus Roche-Tradition. Otto Rudolf Salvisberg, in den Dreissigerjahren Firmenarchitekt, erfand das Weiss in Basel und setzte es fort in der Welt. Roche rüttelt nicht daran. Sauberkeit, klinische, und Funktionalität verbinden sich damit. Weiss war also Vorgabe, das Spiel damit aber erwünscht.

Produktprinzip in den Fassaden

Die Komplexität der Roche-Produkte, wurde den Architekten gesagt, gründe auf der Wiederholung einfacher Elemente. Dasselbe Prinzip präge ihre Bauten, erklären nun sie. Im Kundenzentrum ist das Bürorastermass von 1,65 Metern dieser wiederholte Keim. Es rhythmisiert Schulungsräume, Multispacebüros und es diktiert die Fassade: Fensterhöhen und -breiten entsprechen Bruchteilen von 1,65 Metern. Die Architekten reihten drei solcher Fensterformate aneinander und stapelten diese Felder.

Das Personalrestaurant ist geprägt durch sein inneres Betonfachwerk, eine schräge und geknickte statische Struktur. Deren Formen ergaben sich pragmatisch: Die maximalen Schrägen sind begrenzt durch die vertikalen Markisen, die jedes Fenster verdecken, aber nicht überlappen. Das Fachwerk trägt die markante Auskragung des Gebäudes ab. Die «formale Schein-Komplexität», so die Architekten, habe sich also aus der technischen Umsetzung der über dem Eingang gewünschten Auskragung ergeben. Wer genau hinschaut, entdeckt auch hier regelmässige, sich wiederholende Felder — das Wirre hat einen Schlüssel, gehorcht einer Ordnung.
Was irritiert: Beide Fassaden sind geschosslos, kantig, wild und weiss — aber nicht ähnlich, ihre Muster haben nichts gemein. Doch wäre es ein spannendes Spiel gewesen, das eine aus dem anderen zu entwickeln. Nun wirken die Bauten verwandt, ohne es zu sein, wie ein nicht eingelöstes Versprechen. Vielleicht war dafür zuwenig Zeit. Das enorme Bautempo forderte die Architekten. Für das Personalzentrum lagen nur drei Monate Planung und zwölf Monate Bauzeit drin. Das Kundenzentrum wuchs bei rollender Planung von 12 auf gut 50 Millionen Franken Bausumme, was das zusammengesetzt wirkende Volumen erklärt.

Die Wirkung

Warum die Netzfassaden? Aussicht lohne sich wenig im Industriegebiet, entschieden Scheitlin-Syfrig, es brauche spannende Innenräume. Tatsächlich sind die Netze von innen noch präsenter. In den Grossraumbüros des Kundenzentrums sind die einzelnen Fenster zwar gewöhnlich gross, erzeugen über die Raumlänge aber eine kleinteilige Ansicht. Im Personalzentrum wirken die aufgelösten Wände und Decken unruhig, da und dort aber auch gitterhaft. In beiden Gebäuden zeigt sich: Die Wirkung des Wirren ist schwierig zu kontrollieren und nicht überall gelungen. Vielleicht aber regen die Schrägen die Köche, die im Personalzentrum ebenfalls hinter Netz arbeiten, zu Abenteuern an — ein Vorteil für Roche Diagnostics, denn am Ende zählt nur das Essen für die Mitarbeitenden, sagt man der Besucherin. Doch sind diese offenbar zufrieden in den Neubauten und die Verantwortlichen davon begeistert.

Der Vergleich

Roche Diagnostics investiert über 200 Millionen Franken in den Ausbau von Rotkreuz. Der Vergleich mit dem Novartis Campus in Basel drängt sich auf. Doch er lässt Jürg Erismann, den Site Manager, kalt: «Mit rund 1400 Beschäftigten ist der Standort wesentlich kleiner und hat auch andere Funktionen zu erfüllen als der Novartis Campus.» Roches architektonischer Anspruch sei hoch, ziele aber auf andere Werte. «Die Architektur steht nicht im Vordergrund, sondern ist ein Mittel zum Zweck. Die Bauten müssen funktional und hochwertig sein, aber nicht zu jedem Preis.» Roche wolle keine Exklusivstimmung, den Mitarbeitern solle bewusst sein, woran sie arbeiteten — an Produkten und Dienstleistungen für die Gesundheit. Die Roche-Unternehmenskultur ist bodenständiger als jene der Novartis. Interessant auch: Novartis spricht nicht über Baukosten, Roche dagegen gab sie zu jedem Bau bekannt.

Das Hochhaus

Zum Abschluss steht die Besucherin an der Baustelle des Turms. In die Höhe baut Roche, weil der Platz im Forren sonst zu knapp wäre. Fünf renommierte Büros erhielten einen Studienauftrag: Miller Maranta, Bétrix Consolascio, Daniele Marques, Scheitlin-Syfrig und Burckhardt   Partner. Hier war nun nichts Auffälliges erwünscht, denn das Hochhaus würde sich der Bauform wegen markant genug zeigen. Den Zuschlag erhielt das wenig überraschende Projekt von Burckhardt   Partner, weil es in die zurückhaltende Roche-Architekturtradition passe.

Während Scheitlin-Syfrig Aussichtsfenster vermeiden, planen Burckhard  Partner ein Glashaus. Aus den oberen Stockwerken werde man den Zugersee sehen. Auch soll das Haus Transparenz vermitteln. Sie tüfteln an einer ausgeklügelten, energetisch sparsamen Haustechnik und einem neuen Fassadensystem. Aber das Bild täuscht: Bei Sonne wird stets ein Teil der Fassaden mit Lamellen geschlossen sein. Auch wenn diese fein und perforiert sind, die Stimmung auf dem Platz könnte dies stören.

Der Cluster

Wieder zurück im Industriegebiet. Roche Diagnostics öffnet sich der internationalen Forschungswelt und wendet viel Geld auf für einen guten Arbeitsort. Aber das Areal ist eine Enklave in Rotkreuz, eine seltsame Situation. Warum den guten Anfang nicht zum Cluster ausbauen? Die entsprechenden Unternehmen wären in der Region. Als ihr Cluster könnte sich der Gewerbebandwurm zu einem ansprechenden und besonderen Arbeitsgebiet mausern.


Kommentar: Hochäuser om Zugerland

2002 kam die Studie «Hochhäuser im Kanton Zug — ein Grundsatzpapier» zum Schluss: Häuser über 25 Meter sind in zwei Gebieten landschafts- und siedlungsverträglich. An der Baarer- /Zugerstrasse im Zuger Zentrum und im Autobahndreieck von Rotkreuz. Dieses Gebiet liege attraktiv an der Autobahn und in einer spannenden Landschaftskulisse. Als städtebauliche Aufwertung des Industriegebiets sei ein Hochhaus mit Platz denkbar. Der Roche-Turm entspricht dem weitgehend.

Die Studie floss 2002 in die Richtplanrevision ein. Dort stand auch: Hochhäuser bedingen einen Bebauungsplan und Varianten aus Konkurrenzverfahren. Das Parlament aber zerzauste die Vorlage. Statt Konkurrenzverfahren steht im 2004 genehmigten Richtplan nur «Varianten» — diese können vom selben Architekten stammen. Und statt der zwei Gebiete dehnte das Parlament die Hochhauszone auf den «Teilraum 1» aus, der Oberwil, Zug, Baar, Steinhausen, Cham, Hünenberg und Rotkreuz zu weiten Teilen umfasst. Für diese Ausdehnung stark gemacht hatte sich auch die Architekten-Lobby. Hochhäuser in Gruppen sind sinnvoller als Einzeltürme – raum- und verkehrsplanerisch, für das Siedlungs- und das Landschaftsbild. Doch der Kanton verpasste es, die Entwicklung zu lenken. Weil im Niedrigsteuergebiet der Boden knapp wird, klopfen immer mehr Investoren mit Hochhausprojekten an. Die Folge werden über den Teilraum 1 verstreute Einzeltürme sein. Die planerische Vorarbeit war für die Katz. Von wenig Charakter zeugt, dass Architekten gegen die Beschränkung waren. Aber der Traum lockt halt, einmal den eigenen Turm bauen zu können. Und raumplanerisch falsch stehen ja immer nur die anderen.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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