Zeitschrift

Steeldoc 02/09
Pavillons - klein und fein
Steeldoc 02/09
zur Zeitschrift: Steeldoc
Herausgeber:in: Stahlbau Zentrum Schweiz

Haute Couture

Volière Bois de la Bâtie, Genf

In einem kleinen Waldstück mitten in der Stadt Genf steht diese federleichte Voliere, die sich in ihrer Struktur ganz den umstehenden Bäumen angleicht. Die aus Stahlrohr verschweissten Baumstützen folgen nur scheinbar einem natürlichen Wuchs – dahinter steckt ein raffiniertes Modell für die Optimierung des Tragsystems.

Das kleine Waldstück «Bois de la Bâtie» liegt auf einem Hügel der Stadt Genf. 1874 als öffentlicher Park mit einem Teich und einer künstlich angelegten Insel eröffnet, wurden nun unter einem Dach zwei neue Vo lieren errichtet, um im Falle einer drohenden Vogelgrippe den über hundert Vögeln des Parks Schutz zu bieten. Auf verschlungenen Wegen nähern sich die Besucher dem leichten, netzumspannten Raum, der mit dem umgebenden Wald zu einer Einheit verschmolzen scheint. Dieser behutsame, fast unsichtbare Eingriff in die Natur, die Klarheit der Struktur sowie die materialoptimierte konstruktive Umsetzung würdigte die Jury des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 mit einer Anerkennung.

Formfindung im Raumgitter

Das Dach entwickelt sich in freier Form und wird von Baumstützen getragen. Die Kontur dieses Daches folgt der Begrenzung durch die umstehenden Bäume und formt damit ebenfalls eine Art Baumkrone. Die insgesamt 16 Baumstützen scheinen natürlich gewachsen zu sein, gleicht doch kein «Baum» dem anderen. Sie sind jedoch durch ein streng modulares System definiert, welches den Aufwand für Fertigung und Montage reduziert. So folgt jeder «Baum» dem Rastermass des Raumgitters in Form eines stehenden Quaders mit einer Grundlänge von drei mal drei und einer Höhe von neun Metern. Dieses Raumgitter liefert die notwendigen Bezugspunkte für die Planung, Herstellung und Montage vor Ort.

Die Baumstützen wurden mit Rundrohren in verschiedenen Wandstärken ausgeführt – abhängig von den jeweils aufzunehmenden Kräften. Der gleichbleibende Durchmesser führt zu geometrisch bestimmten Verbindungen ohne hierarchische Ordnung und vermeidet dadurch komplexe Verschneidungen, so dass die konstruktive Umsetzung zügig und schlüssig möglich ist. Auch die Anschlusspunkte für Dach und Bodenplatte folgen diesem Raumgitter. So sind zwölf verschiedene Punkte für das Dach und vier für die Lastabtragung im Fundament möglich. Die Lage der Astgabeln, welche zugleich die unterschiedlichen Typen der «Bäume» bestimmen, folgt ebenfalls dem Raumgitter. Die horizontale Aussteifung des gesamten Gebäudes wird durch vier Baumstützen in V-Form gewährleistet, die systematisch verteilt zwischen den anderen zwölf angeordnet sind.

Das optimierte Stützenmodell

Die natürliche Schlichtheit dieser Baumstützen ist das Ergebnis eines ausgefeilten Entwicklungsprozesses: In Anlehnung an die Erkenntnisse von Antonio Gaudí diente in einer ersten Phase ein Modell mit hängenden Ketten zur Überprüfung des Systems. Ausgehend von einem realen Versuchsmodell wurde anschliessend mit Hilfe eines virtuellen Modells die Geometrie der baumartigen Stützen überprüft. Das virtuelle Modell wurde auch für die Untersuchung von Beanspruchungen herangezogen, welche auf die Tragstruktur einwirken können, wie Schnee, Wind oder Erdbeben.

Der digitale Prozess des Entwerfens lieferte die Grundlage für die dreidimensionalen Werkzeichnungen und für die Bearbeitung der Rohre mittels computergesteuerter Maschinen. Bei der Montage der Elemente in der Werkhalle und vor Ort kam das Raumgitter als Schablone erneut zum Einsatz. Handarbeit erforderte lediglich das Vernähen der Netzbahnen aus Edelstahl, welche als Hülle zwischen Dach und Bodenplatte gespannt wurden. Diese filigrane, fast unsichtbare Membran hüllt die in Grünund Weisstönen gestrichene Baumstruktur in eine Art Spinnengewebe, das wiederum den Bezug zur umgebenden Natur unterstützt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch

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