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TEC21 2009|26
Innere Werte
TEC21 2009|26
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Gastronomische Zitate

1935 realisierte der damalige Zürcher Stadtbaumeister Hermann Herter (1919–1942) ein «Dienstgebäude mit Bedürfnisanstalt» an städtebaulich exponierter Lage am Zusammenfluss von Schanzengraben und Sihl. In den letzten Jahren fristete der Bau ein Dornröschendasein als Anlaufstelle für Alkoholiker. Seit Anfang Junflstrahlt er in neuem Glanz: Das Imbisslokal «Rio Bar Express Buffet» wurde eröffnet – und wirkt, als hätte es schon immer hier gestanden.

26. Juni 2009 - Tina Cieslik
Im Rahmen eines Aufwertungsprogramms für das Sihlufer, das unter anderem auch dessen Nutzung über die Sihlstufen umfasst, wurde 2007 die Gessnerbrücke erneuert. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, das ehemalige Werkgebäude, das neben seiner Funktion als Treffpunkt für Alkoholabhängige auch als Transformatorenhäuschen der EWZ diente, entsprechend seiner städtebaulichen Lage aufzuwerten. 2006 führte das Amt für Hochbauten daher ein Planerwahlverfahren unter drei Architekturbüros durch, das die Zürcher Architekten Stucky Schneebeli für sich entschieden.

Fester Sockel und schwebendes Dach

Den Architekten war es wichtig, die beiden Charakteristika des Gebäudes – das expressive Dach und die Massigkeit des Betonvolumens – zu erhalten und zu stärken. Die trutzige Brückenstützmauer verbindet sich fugenlos mit der Gebäudewand, deren Oberfläche aus gestocktem Beton eine expressive Rillenstruktur aufweist. Die Intervention von Stucky Schneebeli besteht daher im Wesentlichen darin, den Bau auf Strassenniveau zu öffnen: Eine an den Ecken gerundete Glasfassade mit Fensterrahmen aus bronzefarbenem, eloxiertem und geschliffenem Aluminium schmiegt sich raumhoch an drei Seiten um das Gebäude. Zur Sihl hin präsentiert sich eine fest verglaste Fensterfront, der Haupteingang befindet sich an der Südseite. Die östliche Fassade öffnet sich zu einem gekiesten Platz, der als Aussenwirtschaft genutzt wird. Die Fenster als durchgehendes Band, das sich weich um die Gebäudeecken legt, sorgen nicht nur für eine formale Fassung des Baus. Durch die Verlagerung der Verglasung vor die Aussenwand wirkt auch der Innenraum von nur 45 m² wesentlich grosszügiger. Hinter der Glasfassade bleibt der bestehende Beton sichtbar, er ist hier schwarz gestrichen und bildet den Hintergrund für die Beschriftung im Retrostil (Abb. 01). Neben der massiven Brückenstützmauer ist das auskragende Flachdach – ein Markenzeichen Herters, der auch die Tramhaltestellen am Bellevue und am Paradeplatz realisierte – charakteristisch für den Bau. Hier wurden die Dachhaut erneuert sowie die erforderlichen Lüftungskanäle und der Kamin eingebaut. Abends wird das Dach durch eine indirekte Beleuchtung von unten subtil in Szene gesetzt.

Rotbraun, Messing, Beton

Die starke, auch konstruktive Verbindung von Gebäude und städtebaulicher Situierung legte es nahe, den Bau ohne Bezug zum zeitgenössischen Kontext zu planen: Die Bar sollte wirken, als existierte sie schon seit Längerem. Für den unwissenden Flaneur entsteht daher – zumindest auf den ersten Blick – eine vage nostalgische Aura von Italianità der 1950er- Jahre, ein Eindruck, der durch Materialwahl und Schriftzug transportiert wird. Aber auch das Farbkonzept der neuen Fassade lässt diese Assoziation entstehen. Die Farbreihe Rotbraun, Bronze und Messing harmoniert bestens mit den Zuschlagstoffen des Betons, dessen Oberfläche im Kontext dieses Farbklangs weich und warm wirkt. Die Tonalität wird im Innenraum fortgeführt: Ein rotbrauner Terrazzoboden mit Messingfilet läuft durch das gesamte Gebäude und transportiert das Thema «Beton» nach innen. Die Wände sind mitgrau gestrichenem Stramin bespannt, durch die indirekte Beleuchtung wirkt das Gewebe wie weichgezeichnet. Im hinteren Bereich des Baus befinden sich ein rollstuhlgängiges und öffentlich zugängliches «Züri-WC» sowie – an der Nahtstelle zwischen dem 1948 angebauten Trans formatorenhäuschen und dem ursprünglichen Werkgebäude – die Treppe ins Untergeschoss mit dem Originalgeländer. Hier sind Lager, Technikräume und die Gäste-WC untergebracht. Die gestockte Betonwand beim Treppenabgang (Bestand) wird im neu gestalteten Untergeschoss aufgegriffen und in den WC als geschliffene Wand variiert. Aufgrund der Hochwassergefahr mussten hier an der Sihlseite wasserdichte Fenster eingebaut werden. In Dimension und Anordnung entsprechen sie den Fenstern des Bestands.

Versatzstücke der Cafékultur

Der Innenausbau und die Möblierung wurden durch die Pächterschaft in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Büro Kistler Spehar realisiert. Auch die innere Raumhülle sollte als etwas bereits Dagewesenes, aus der Geschichte Gewachsenes empfunden werden. Die Architekten überführten das Farbkonzept der Fassade in den Innenraum, der mit Reminiszenzen an die italienische und die wienerische Cafékultur bestückt ist. Die Front der Theke aus in Eichenrahmen gefasstem, anthrazit gebeiztem Wiener Geflecht erinnert nicht zufällig an den Kaffeehausstuhl von Michael Thonet. Auch die Möblierung greift das Thema auf: Bei Hockern und Barhockern kommen Stahlblechmöbel aus den 1930er-Jahren zum Einsatz, die Stühle sind ebenfalls gebraucht und wurden lediglich etwas «aufgefrischt». Um den Raum optimal nutzen zu können, sind alle tragenden Wandteile mit Stehtischen ausgestattet. Bedingt durch die geringe Raumhöhe von nur knapp 2.40 m und die Anforderungen an die Raumakustik wurde eine FL-Beleuchtung aus offen montierten TL-5-Ringleuchten gewählt, deren Vorschaltgeräte in die flachen, mit Stramin bespannten Deckenfelder integriert wurden. Die ursprünglich von Stucky Schneebeli zentral geplante Bar wurde auf die Fensterseite zur Sihl gelegt, damit sich der Gästebereich Richtung Vorplatz öffnen kann. Die Aussenwirtschaft mit etwa 60 Sitzplätzen ist integraler Teil der Anlage und wertet den kleinen Park mit den zwei markanten Platanen auf. Eine neue Kiesfläche verbindet die beiden Platzebenen im Abgang zu den Sihlstufen. Die formale Grenze zum Schanzen graben markiert ein ebenfalls von Stucky Schneebeli realisierter überdachter Unterstand, der Abfallcontainer und Nebenfunktionen beherbergt und baulich in die Stützmauer am Schanzengraben integriert wurde.

Heitere Selbstverständlichkeit

Das Ziel, den Ort mit einem Bau von Zeitlosigkeit aufzuwerten, ist erreicht. Ein Sammelsurium von Bezügen – chronologisch und geografisch – lässt die Bar authentisch wirken. Eben so, als existiere sie schon lange an diesem Brückenkopf und als hätten die Pächter alle paar Jahre ein paar Einrichtungsgegenstände ausgetauscht und erneuert. Dass dennoch keine heterogene Beliebigkeit entsteht, ist dem prägnanten Fassadeneingriff zu verdanken, dem konsequenten Farbkonzept und der subtilen Stärkung der Qualitäten des Gebäudes: dem Gegensatz von Transparenz und Massivität und dem Zusammenspiel von Innen- und Aussenraum.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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