Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 08|2009
Die Neunziger
db deutsche bauzeitung 08|2009

Fassaden - Patchwork

Quartier Schützenstrasse in Berlin

Was ist - nicht nur in Berlin - über das Schützenstraßenquartier und die Begleitumstände seiner Entstehung Mitte der neunziger Jahre nicht geredet, gerätselt und diskutiert worden?! Aus heutiger Sicht kommt einem das kaum noch nachvollziehbar, ja seltsam surreal vor. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang mühsam an ein paar Stichworte: »kritische Rekonstruktion« zum Beispiel, »Block und Parzelle« oder »Europäische Stadt« - und ermessen sogleich, wie sehr das alles schon Geschichte ist: vorbei, verweht, vergessen. Ganz entspannt lässt sich das Quartier heute betrachten.

5. August 2009 - Mathias Remmele
Zugegeben, Gebäude, die ein Alter von zehn bis 25 Jahren erreicht haben, haben es grundsätzlich schwer. Ihr Neuigkeitswert ist längst aufgebraucht und für eine Wiederentdeckung - unter welchem Vorzeichen auch immer - ist es entschieden zu früh. Im besten Fall betrachtet man sie wie gute alte Bekannte, für gewöhnlich aber würdigt man sie nach einer Weile nicht einmal mehr eines Blickes. Das ist der Lauf der Dinge und eigentlich nicht weiter zu beklagen - jedenfalls solange diese menschliche Ignoranz nicht zu vorschnellen, irreparablen Abrissentscheidungen führt. Es gibt freilich Beispiele, bei denen zwischen anfänglicher Beachtung und dem späteren In-Vergessenheit-Geraten ein solches Missverhältnis besteht, dass man es schon fast tragisch nennen möchte. Zu diesen Bauten zählt Aldo Rossis Quartier Schützenstraße in Berlin.

Aldo Rossi, der in den achtziger Jahren den europäischen Diskurs über Architektur und Städtebau durch seine Bauten und vielleicht noch mehr durch seine Lehre und seine Schriften, beeinflusst hat wie kaum ein anderer, war ein Advokat der vormodernen Stadt und deren gewachsener Strukturen. Im (West-)Berlin der IBA-Zeit fielen seine Ideen auf besonders fruchtbaren Boden. Sein Plädoyer für eine Rückkehr zu Block und Parzelle, für ein Bauen, dass die Geschichte des Ortes reflektiert, hatte hier eine unbestreitbar nachhaltige Wirkung. So zeitgemäß und zukunftsweisend das einmal gewesen sein mochte, so rückwärtsgewandt und kleinmütig erschienen diese Ideen in der dogmatischen Verengung, die sie im wiedervereinigten Berlin erfuhren - auch wenn man Rossi dafür nicht verantwortlich machen möchte. Das Quartier Schützenstraße fand in den neunziger Jahren deshalb so großes Interesse, weil der Meister hier beispielhaft vorführen konnte, wie es seiner Meinung nach aussehen sollte in der neuen alten Mitte Berlins.

Das Areal, ein Stück Mauerstreifen-Niemandsland mit kümmerlichen Resten gründerzeitlicher Bebauung, aber immerhin ein kompletter Block zwischen Schützen-, Charlotten-, Markgrafen- und Zimmerstraße, schien wie geschaffen für ein programmatisches Projekt. Hinzu kam, dass der vorwiegend aus Bürohäusern bestehende Neubau über Nacht quasi zu Rossis Berliner Vermächtnis wurde. Denn noch ehe der Komplex ganz vollendet war, starb Rossi an den Folgen eines Autounfalls und die beiden anderen Großprojekte, die er ebenfalls mit den aus München stammenden Immobilien-Entwicklern Peter und Isolde Kottmair noch hatte realisieren wollen - ein Bürokomplex an der Landsberger Allee und die Neubebauung des Wertheim-Areals am Leipziger Platz - zerschlugen sich. Ebenso überraschend wie die Kottmairs nach der Wende in Berlin aufgetaucht waren, ebenso schnell und spurlos waren sie auch wieder verschwunden. Von den Aufsehen erregenden Rossi-Plänen blieb nicht mehr als eine halbfertige Investitionsruine an der Landsberger Allee.

Typisch berlinisch?

Als »Hommage an die typische Berliner Architektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts« hat Rossi selbst sein Projekt Quartier Schützenstraße beschrieben. Seine Behauptung, hier besonders »berlinerisch« zu bauen, überzeugte freilich allenfalls in städtebaulicher Hinsicht. Die Anleihen an die dichte Blockbebauung der Mietskasernenstadt mit ihren zu klein geratenen Hinterhöfen sind genau so offensichtlich, wie die Tatsache, dass er damit vor allem den Verwertungsinteressen des Investors entgegenkam. Ansonsten präsentiert sich der Bau, der selbst die Anhänger von Rossis Architektur nicht zur Begeisterung hinriss, als eine merkwürdige Collage aus (mehr oder minder) archetypischen Hausformen und Architekturelementen, aus Materialien und Farben, die viel über Rossis ästhetische Vorstellungen aussagen, mit Berlin aber herzlich wenig zu tun haben. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn das Ergebnis der Collage in sich stimmig wäre. Doch der Bau offenbart ein Problem, das sich an vielen Projekten Rossis ablesen lässt: Was auf seinen schönen Architekturzeichnungen immer so pittoresk und lebendig aussieht, wirkt gebaut seltsam steril, akademisch, ungelenk und leblos. So kam es, dass Rossis Quartier Schützenstraße lange Zeit als ein etwas grillenhafter Fremdling wahrgenommen wurde, der mehr Fragen aufwarf als er beantwortete. Was sollte das Bemühen um formale Vielfalt zur Untermauerung der in mehreren Fällen vorgetäuschten Parzellenstruktur, wenn doch die Handschrift des Entwerfers jeweils überdeutlich zu Tage tritt (die zwei Fassaden, die aus dem Rahmen fallen, sind nicht von Rossi)? Welchen Sinn macht die aufwendige 1:1 Kopie der Hoffassade des Palazzo Farnese in der Schützenstraße?

Und schließlich: Warum hat man hier so viel gestalterische Energie auf die Fassaden und so wenig Esprit auf die dahinter liegenden Räume verwendet? Uns bleibt das nach all den Jahren, die der Komplex nun dasteht, so rätselhaft wie eh und je.

Büros, Einzelhandel, Gastronomie und ein Hotel

Das Quartier Schützenstraße gehört zu jenen Projekten, die ohne den euphorisch-spekulativen Nachwende-Bauboom nicht entstanden wären. Pech für den Bau, dass er dann ausgerechnet zu jener Zeit fertiggestellt wurde, als die Berliner Blütenträume vom schnellen Wachstum geplatzt waren und viele Bürobauten außerhalb der Spitzenlagen sich kaum mehr vermieten ließen.

Der Rossi-Block hatte - seiner prominenten Architektur zum Trotz - lange unter chronischem Leerstand zu leiden. Viele Jahre fuhr man dort an leeren Ladenfronten und an den blinden Fenstern der Büroetagen vorbei. Mit dem GSW-Hochhaus von Sauerbruch Huttton (in dessen Schatten der Rossi-Bau buchstäblich steht) und vor allem mit den Büroneubauten auf dem nahe gelegenen Springer-Areal kam dann nach der Jahrtausendwende allmählich Leben in das Viertel. Auch das Quartier Schützenstraße hat davon profitiert. Heute sind die Büroflächen mehrheitlich vermietet. Manche Etagen aber befinden sich noch immer im Rohbauzustand. Die Läden sind belegt mit Einzelhandel und Gastronomie. Man lebt in erster Linie von den Bedürfnissen der Büromenschen, denn von den Touristenströmen am Checkpoint Charlie, der nur einen Block entfernt liegt, kann man allenfalls am Rande profitieren und am Abend sind die Bürgersteige hier schon früh hochgeklappt. Der wichtigste Nutzer ist das zur Accor-Gruppe gehörende Hotel Mercure. 2001 eröffnet, verzeichnet es mit seinen 135 Zimmern (20 davon sind als Dauerappartements ausgelegt) trotz wachsender Konkurrenz im unmittelbaren Umfeld, steigende Auslastungszahlen. Vor allem Geschäftsreisende schätzen das Haus wegen seiner zentralen aber ruhigen Lage und weil die Zimmer mit dreißig bis fünfzig Quadratmetern Grundfläche außergewöhnlich groß geraten sind. Das Hotel liegt an einem der beiden großen Höfe, die den Block im Innern strukturieren. Der öffentlich zugängliche Garten, mittlerweile gut eingewachsen, ist, ganz wie es Rossi imaginiert haben mag, eine grüne Oase geworden und trägt zum Reiz des Hauses nicht wenig bei.

Was die Bausubstanz angeht, gab es bisher keine Probleme, die aus dem Rahmen des Üblichen fallen. Die Fassaden, die regelmäßig gereinigt werden, sehen knapp eineinhalb Jahrzehnte nach ihrer Fertigstellung noch ordentlich aus. Bisweilen sind die Farben etwas verblasst. Besonders deutlich ist das an den grünen und roten Aluminiumpaneelen in der Zimmerstraße zu sehen, die der Mittagssonne ausgesetzt sind. Dass sie ohne Pflege in Würde altern würden, stand nicht zu erwarten.

Wer heute am Quartier vorbeikommt, wird feststellen, dass aus dem Fremdling von einst, am Ende doch ein fast normales Stück Stadt geworden ist. Ein wenig anders als die anderen mutet der scheinbar kleinteilig strukturierte, durch seine leuchtenden Fassadenfarben auffällige Block zwar an, doch im mittlerweile kompakt bebauten Viertel nördlich der Kochstraße, fällt das weniger ins Gewicht als in den ersten Jahren nach der Fertigstellung. Für die Einen ist der Bau eine nicht unwillkommene Abwechslung inmitten größtenteils völlig charakterloser Investorenarchitektur, für die Anderen immer noch ein eher missglückter Versuch origineller Fassadengestaltung. Aufregen aber kann das heute keinen mehr. Womöglich wäre es Rossi gerade recht so.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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