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hochparterre 09|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 09|2009
zur Zeitschrift: hochparterre

Das Krisenorakel

Jacques Herzog über die Wirtschaftskrise, die noch keine ist. Dazu ein Blick auf die Lage im Baugewerbe und eine Notiz in eigener Sache.

8. September 2009 - Rahel Marti
Jacques Herzog, Sie bauen rund um die Welt und sind den Schwankungen der globalen Wirtschaft ausgesetzt. Bedroht die Krise das Unternehmen Herzog & de Meuron?
Die Situation ist sehr widersprüchlich. Spanien zum Beispiel trifft die Krise hart, aber kürzlich haben wir ausgerechnet dort den Vertrag für den grössten Auftrag unterschrieben, den wir je erhalten haben: den Bau des neuen Hauptquartiers der Bank BBVA in Madrid. Gestoppt wurden nur wenige Projekte. In den USA ist das private Fundraising eingebrochen, was unser Projekt für das Miami Art Museum in Frage zu stellen schien. Jetzt sieht es aber gut aus für den Bau. Der Staat hat soeben den Baukredit bewilligt.

Ihre Mitarbeiterzahl liegt seit einiger Zeit bei 330. Worauf führen Sie die Stabilität zurück?
Seit Jahren sind wir zurückhaltend beim Annehmen von Aufträgen und haben viel mehr ab- als zugesagt, in den letzten Jahren auch einige Anfragen aus Russland. Wir könnten heute 600 Mitarbeitende haben — aber genau diese 300 zusätzlichen Arbeitsplätze wären nun in Gefahr. Wir prüfen jede Anfrage und recherchieren, wie seriös und nachhaltig die Angebote sind. Nur wenn ein Projekt auch finanziell solid und die Bauherrschaft gut aufgestellt ist, sagen wir zu.

Was lernen Sie aus der Krisenstimmung?
Wenn es etwas zu lernen gibt, dann die Idee der Zurückhaltung, der Beschränkung und des Verzichts auf das «immer mehr». Das tönt zwar moralisch. Aber es ist die Wahrheit.

Schwächt die Lage Ihre Position als Architekten?
Die Vertragsverhandlungen werden härter und aufwändiger. Die Juristen sind lange vor Beginn eines Projekts aktiv, denn die Bauherren wollen sich gegen alles und jeden absichern: Design to Cost, Design to Permit. Wir kriegen nur Geld, wenn unsere Entwürfe machbar, zahlbar und rechtsgültig sind.

Hilft der Name Herzog & de Meuron?
Bei der Auftragserteilung ist unsere Reputation gewichtig, aber bei den Vertragsverhandlungen hilft das wenig. Die Randbedingungen sind zu schwierig geworden.

Warum sind Architekten bezwingbar in Verhandlungen, warum erobern sie keine stärkere Position?
Weil wir Architekten an das Gute glauben — wir sind Weltverbesserer. Es ist zugleich Stärke wie Schwäche des Architekten, so lange zu arbeiten, bis er glaubt, zumindest gemäss eigener Wahrnehmung, das sei nun die optimale Lösung für die gestellte Bauaufgabe. Das ist Autorenarbeit. Sie ist aber in Gefahr. Uns umgeben immer mächtigere Strukturen, die das nicht interessiert. Investoren legen ihr Vermögen in Gebäuden an, damit das Vermögen wächst wie eine Pflanze.

Wie wird die Wirtschaftskrise die Architektur verändern?
Sie führt nicht automatisch zu einer besseren und nachhaltigeren Architektur — aber es werden einfachere und schnörkellosere Konzepte in den Vordergrund treten. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Architekt; das ist unabhängig vom Boom oder der Krise. Architekten, die sich in einem Boom zu viel aufladen, sind nicht seriös — ihnen wird die Krise helfen zu verstehen, dass es sich lohnt, sich auf jede Aufgabe zu konzentrieren.

Aus Büros, die vorwiegend in der Schweiz bauen, hört man noch kaum von Sorgen. Findet die Schweizer Architektur einen Weg um die Krise herum?
Ein bisschen Krise hier wäre gar nicht schlecht — weil wir in der Schweiz dahin tendieren zu glauben, wir seien wegen unserer Tüchtigkeit stets von Krisen verschont. Die Geschichte der Architektur und der Städte ist aber geprägt von Krisen, Zerstörungen und Wandel. Wir können nicht erwarten, dass hier alles stets in geordneten Bahnen verläuft.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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