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db deutsche bauzeitung 11|2009
Hochhäuser
db deutsche bauzeitung 11|2009

Vielfalt unter einem Label

Verlagsgebäude in München

Noch heute blicken manche Mitarbeiter des Süddeutschen Verlags wehmütig aus dem neuen Verlagsturm am östlichen Stadtrand auf die Münchner Innenstadt. Natürlich ist das städtebauliche Umfeld heute nicht annähernd so reizvoll wie vor dem Umzug aus der Sendlinger Straße. Dafür arbeiten die Redakteure des Konzerns nun in einem konsequent durchdachten Gebäude – einem Lebensraum, der auch hinsichtlich seiner Ökobilanz Maßstäbe setzt.

3. November 2009 - Roland Pawlitschko
In der ersten Zeit nach Gründung der Süddeutschen Zeitung (SZ) im Oktober 1945 arbeiteten die Redakteure noch im Heizungskeller des Verlagsgebäudes, während in den Nachbarräumen Bleizeilen gegossen, zu Seiten zusammengepuzzelt und zu Papier gebracht wurden. In nur wenigen Jahren etablierte sich das Münchner Blatt zu einer der wichtigsten Tageszeitungen Deutschlands und der aus ihr hervorgegangene Süddeutsche Verlag (SV) expandierte auf dem Markt ebenso schnell wie auf dem Areal in der Nähe des Marienplatzes. Die Grenzen des baulichen Wachstums an diesem inzwischen zu einem veritablen Labyrinth aus Alt- und Neubauten mutierten Standort waren spätestens Mitte der 80er Jahre erreicht, als die Druckerei – im Zuge der Umstellung auf die digitale Zeitungsproduktion – in ein neues Druckzentrum an den östlichen Stadtrand verlagert wurde. Mit vorausschauendem Weitblick hielt der Verlag schon damals zusätzliche Grundstücksflächen vor, um Redaktion und Produktion eines Tages wieder zusammenführen zu können.

Auferstanden aus der Asche

Dass diese Option mit dem nun Ende 2008 bezogenen Verlagshochhaus erst gut 20 Jahre später realisiert wurde, lag zunächst sicherlich daran, dass sich die SZ (als unbestrittenes Flaggschiff des SV) bis zum Schluss gegen einen Umzug in die Peripherie sträubte, weil sie sich in unmittelbarer Nähe zu ihren Lesern und zur Münchner Altstadt fest verankert sah. Auf der anderen Seite standen freilich die Verlagseigentümer, die eine anstehende Sanierung der Altbausubstanz als zu langwierig und betriebswirtschaftlich unsinnig betrachteten und 2001 schließlich einen Wettbewerb für ein neues Verlagsgebäude auslobten. Zielvorgabe war ein Hochhaus für die SZ und sämtliche SV-Tochterunternehmen, welches das »wirtschaftliche und kulturelle Profil des Verlags mit zeitgemäßer Architektur« widerspiegeln sollte. Kaum hatte der 145 m hohe Hochhausentwurf des Berliner Büros GKK+Architekten jedoch die Überarbeitungsphase siegreich verlassen, bahnte sich eine groteske öffentliche Hochhausdebatte an, die Ende 2004 in einem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen alle Münchner Neubauten mündete, die die 99-Meter-Marke der Zwiebelturmspitzen der Frauenkirche überragen. Einen Weg zurück gab es nicht mehr: Das Innenstadtareal war ein halbes Jahr zuvor an einen Investor verkauft worden, der dort ein neues Quartier für Einkaufen, Arbeiten, Wohnen und Freizeit errichten will. Zwischen Bürgerentscheid und Umzug blieben noch knapp vier Jahre Zeit – so lange durfte der SV das alte Areal als Mieter weiternutzen.

Dass die Bauherren angesichts dieses Scherbenhaufens nicht in Panik gerieten, ist maßgeblich den Architekten zu verdanken. Sie hatten die Zeit der planerischen Ungewissheit auch ohne Planungsauftrag genutzt, um den ursprünglichen Entwurf zu adaptieren und auszuarbeiten. Rückblickend hat sich die verlängerte Entwurfsphase durchaus gelohnt. Zum einen ist es durch eine kompaktere Bauweise gelungen, die oberirdische BGF unter Beibehaltung des Flächenprogramms um ca. 10 000 m² auf heute rund 51 000 m² zu reduzieren. Zum anderen haben Hochhaus wie auch angegliederter Flachbau an architektonischer und städtebaulicher Schärfe gewonnen. Beispielsweise durch eine einfache orthogonale Grundstruktur aus Flachbau, Hochhaus und dazwischen liegender Eingangshalle. Oder die wesentlich präzisere Verknüpfung der nunmehr im 25-Meter-Raster mäandrierenden Gesamtfigur mit dem benachbarten, vielfach preisgekrönten SZ-Druckzentrum der Architekten von Seidlein, Winkler und Effinger. Davon abgesehen fungiert auch das um 45 m gekappte und verschlankte Hochhaus in Stahlbetonskelettbauweise als exzellente Landmarke, die nicht nur dem Süddeutschen Verlag, sondern dem ganzen Areal zwischen Brachflächen, Bahngleisen, Autobahn, Kleintierzüchtervereinen und blutleeren Gewerbebauten erstmals ein ansehnliches Gesicht gibt – gleichsam als Initialzündung der geplanten Stadtentwicklungsachse zwischen Innenstadt und Messe.

Aus einem Guss

Beim Gang über den leicht erhöht liegenden und durch den Freibereich der Cafeteria belebten Vorplatz beginnt sich der noch aus der Ferne gewon- nene erste Eindruck eines nüchtern rationalistischen Hochhauses mit gestapelten Geschossen und Ganzglasfassade zu relativieren. Zwar besteht die Außenhülle aus einer Vielzahl identischer, 7 x 5,40 m großer Alu-Fassadenelemente, wie die Seiten einer Pyramide sind die vier jeweils in ihnen zusammengefassten Glasfelder aber gegeneinander versetzt, so dass eine weitläufige Wellenbewegung entsteht – ein lustvolles Spiel aus Reflexionen, welches sich je nach Blickwinkel, Tageszeit oder Wetter immer wieder anders präsentiert. »Jeder kann etwas anderes darin entdecken – wie in der Zeitung«, erläutert Architekt Oliver Kühn und verweist auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten und vielfältigen Meinungen, die die SZ als Autorenzeitung ausmachen. Als Referenzobjekt diente die Zeitung auch, als es um die Definition des Farbkonzepts ging. So wurden die außen wie innen sämtliche Oberflächen bestimmenden Nichtfarben Graphit, Silber und Weiß unmittelbar abgeleitet von Druckerschwärze, Druckmaschinen und Papier. Resultat ist ein neutraler, bisweilen vielleicht etwas unterkühlter Hintergrund für den aber ohnehin eher bunten Arbeitsalltag der Redakteure. Ein regelrechtes Farbfeuerwerk dagegen liefern die vom Künstler Tobias Rehberger als Hort der Kreativität gestaltete Cafeteria und Kantine im EG bzw. 1. OG des Flachbaus. Hier finden sich neben der auf den Vorplatz ausstrahlenden Leuchtwand aus bunten Acrylglasscheiben auch versetzt hängende Leuchten, unregelmäßig gefügte Deckenverkleidungen, neonfarbene Graffiti und aus unterschiedlichen Hölzern zusammengesetzte Fußböden. Diese überaus gelungene Art, bei den Mitarbeitern für Abwechslung vom Arbeitsplatz zu sorgen, interpretieren die Architekten als weiteres Zeichen für die Vielfalt der nun unter einem Dach sitzenden Verlagszweige.

Egal, ob Metaphern wie diese wahrgenommen werden oder nicht. Sie sind stets Bestandteil einer funktionalen Logik und ohne verwässernde Ausnahmen umgesetzt – die wogenden Fassadenfelder etwa finden sich in Form von geneigten Fluchttüren oder Anlieferungstoren bzw. als Stahlroste auch auf dem Dach des Flachbaus wieder. Außerdem zeugt diese Bildersprache von einer konzeptionellen Stringenz, die ein Bauwerk wie aus einem Guss entstehen lässt, bei dem es kein Detail zu geben scheint, für das es nicht irgendeinen nachvollziehbaren Grund gibt.

Nachhaltige Gebäudeautomation

Die Architekten verstehen die Gebäudehülle durchaus als sinnlich anregendes Ornament. Gleichzeitig ist sie aber auch integraler Baustein eines überaus energieeffizienten Gebäudes. Die Doppelfassade mit äußerer Festverglasung und inneren Öffnungsflügeln fungiert dabei als Wärmepuffer, aus dem durch einfaches Fensteröffnen – zur Unterstützung der energieintensiven mechanischen Belüftung – vortemperierte Außenluft entnommen werden kann. Besonders gut funktioniert diese »Hybridlüftung« in den Übergangsjahreszeiten, wo die Temperaturschwankungen zwischen kalt und heiß am größten sind. Die Grundkonditionierung des ganzen Gebäudes hinsichtlich Wärme und Kälte erfolgt über bauteilaktivierte Betondecken, in denen Wasser zirkuliert, das zuvor an den Bohrpfählen jahreszeitenabhängig entweder gekühlt oder erwärmt wurde.

Im Zusammenhang mit den in dieser Branche üblicherweise sehr unregelmäßigen Arbeitszeiten spielt die individuelle und dezentrale Steuerung des Raumklimas jedes einzelnen Büros eine wichtige Rolle – anstelle von offenen Bürolandschaften wurden auf Wunsch der Redakteure überwiegend intimere Standard-Einzelbüros realisiert. Jeder Nutzer verfügt über einen Transponder, eine Art digitalen Schlüssel, mit dem sich neben der Zutrittskontrolle zur Tiefgarage oder dem Büro auch die Raumtemperatur, Beleuchtung oder Belüftung voreinstellen und verändern lässt. Darüber hinaus wird die Beleuchtung je nach Tageslichtsituation automatisch gedimmt, während Präsenzmelder unnütze Raumkonditionierungen verhindern.

Eine Folge dieser computergesteuerten und energiesparenden Automatisierungen sind Jalousien, die sich im Sinne eines optimalen Wärmehaushaltes scheinbar willkürlich auf und ab bewegen. Oder intelligente Aufzüge, die die Warte- bzw. Fahrtzeiten jedes einzelnen Fahrgasts optimal verkürzen und damit Zeit und Strom sparen helfen – Voraussetzung hierfür ist die Vorauswahl des Zielstockwerks bereits am Einsteigeort und die Zuweisung eines bestimmten Aufzugs, der sich in der Kabine dann nicht mehr steuern lässt. Was wahlweise ein Gefühl der Entmündigung oder Belustigung hervorruft, soll zusammen mit vielen anderen Einzelmaßnahmen allerdings zu Energieeinsparungen von bis zu 80 % führen. Klarheit über die Gesamtökobilanz des SV-Hochhauses wird die in Kürze abgeschlossene LEED-Zertifizierung schaffen. Die Architekten erwarten eine Auszeichnung in Gold, möglicherweise sogar in Platin. Egal, wie das Ergebnis ausfällt: Die Zeiten, in denen man sich noch in den Heizungskeller setzen musste, um es warm zu haben, sind jedenfalls vorbei.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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