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db deutsche bauzeitung 12|2009
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db deutsche bauzeitung 12|2009

Ein Museum als Dorf

Museum Kunst der Westküste in Alkersum auf Föhr

Um dem Dorf Alkersum auf Föhr sein historisches Zentrum zurück zu geben, entschlossen sich die Architekten, das Museum Kunst der Westküste nicht als Einzelbau, sondern als kleinteiliges Ensemble mit Dorfgasthof zu realisieren. Die unprätentiösen Bauten nehmen dabei den dörflichen Maßstab auf und orientieren sich auch stilistisch unterschiedlich stark an ortstypischen Vorbildern. Entstanden ist eine überraschende, für den Ort und das Sujet der Sammlung aber angemessene und sinnfällige Einhausung.

9. Dezember 2009 - Ulrike Kunkel
Alkersum, ein kleines Dorf auf der Nordseeinsel Föhr. Die gesamte Insel ist gerade einmal 12 x 6,8 km groß und zählt knapp 8 650 Einwohner, wovon auf Alkersum lediglich gut 400 entfallen. Hier, am Geburtsort des Vaters des Bauherrn und Sammlers Frederik Paulsen, sollte ein neues Museum entstehen. – Doch wie baut man in einem friesischen Inseldorf zwischen reetgedeckten Backstein-Wohnbauten? Wie könnte ein zeitgemäßes »Museum Kunst der Westküste«, das Meeres- und Strandansichten von skandinavischen, niederländischen und deutschen Künstlern zeigt – darunter eher regionale Größen, aber auch Werke von Max Beckmann, Edvard Munch, Max Liebermann, und Emil Nolde – überhaupt aussehen? Erschwerend kam hinzu, dass der Bauherr recht genaue, aber nicht eben leicht miteinander in Einklang zu bringende Vorstellungen formuliert hatte: Er wollte ein Ensemble, das sich baulich und sozial in den dörflichen Kontext einfügt; ein Museum, das auf dem Stand internationaler Museen ist und einen Begegnungsort und Treffpunkt für die Dorfbewohner. Was fast nach der Quadratur des Kreises klingt, sollte im Ergebnis eine architektonische Gratwanderung zwischen »schöpferischer« Rekonstruktion und moderner Architektursprache werden.

Die Ortsanalyse führte zum Ziel

Ihrer Entwurfsarbeit stellten der Architekt Gregor Sunder-Plassmann und die Kunsthistorikerin Brigitte Sunder-Plassmann eine besonders akribische Ortsanalyse voran. Bei diversen Inselrundfahrten sammelten sie umfangreiche Eindrücke und Erkenntnisse über die Struktur der Dörfer, über Baumaterialien, Gebäudetypen und -volumen. – Beobachtungen, die sie in ihre Architektur in Form von Zitaten oder Interpretationen einfließen ließen.

Entstanden ist ein in positivem Sinne heterogenes Ensemble aus sieben Gebäuden, das die z. T. brach liegende Ortsmitte Alkersums wieder besetzt bzw. wieder herstellt. Wesentlicher Bestandteil ist dabei auch der rekonstruierte Gasthaus-Garten mit Rasenfläche, Blumengarten und fünf alten Linden, den die Gebäude umschließen. Was das Gesamtbild derzeit leider noch etwas stört, ist ein in das Ensemble und den Garten hineinragendes bebautes Grundstück; eine Arrondierung wäre hier auf jeden Fall wünschenswert.

Tradition und Moderne im Einklang

Direkt an der Hauptstraße liegen die beiden »Eingangsbauten«: Ein Gasthof, der auf den Grundmauern eines ehemaligen, leer stehenden Gasthauses errichtet wurde – um 1900 Künstlertreff und Zentrum des gesellschaftlichen Insellebens. Das Gebäude ist von Weitem nicht sofort als Neubau zu erkennen. Mit seiner Fassade aus weiß geschlemmtem, massivem Ziegelmauerwerk, gegliedert durch Gesimsbänder und Kastenfenster mit schmalen Sprossen, besitzt es eindeutig historisierende Elemente. Die Aufteilung im Innern des zweigeschossigen Baus mit einer Galerie für Wechselausstellungen folgt der Struktur inseltypischer Gasthöfe des 19. Jahrhunderts. Mit seinen schön, wenn auch eher bodenständig modern gestalteten Gasträumen wird er auch von den Dorfbewohnern angenommen und für Feste und Veranstaltungen genutzt.

Das zweite Gebäude zur Hauptstraße hin ist ein scheunenartiger Ausstellungsbau. Er steht ungefähr an der Stelle der bis 1968 vorhandenen Scheune und zitiert diese bzw. friesische Scheunenbauten im Allgemeinen mit seinem kalkgeschlemmten Mauerwerk, den angedeuteten Gesimsen und seinem herabgezogenen Reetdach. Die raumhohen Fenster, bei denen sich der seitliche Lichteinfall in den Ausstellungsraum durch innen angebrachte Faltelemente aus Eichenholz individuell, je nach Sonneneinstrahlung regeln lässt, sprechen hingegen eine eindeutige, wenn auch zurückhaltend moderne Sprache. Der Umgang mit diesen, derzeit auch an einem trüben Oktobertag geschlossenen Holzläden, muss sich allerdings erst noch einspielen.

Beide Gebäude liegen mit ihren Fundamenten unter dem Grundwasserspiegel. Da sich in den Kellern die Museumsdepots befinden, war eine aufwendige Abdichtung (schwarze Wanne) erforderlich.

Der eigentliche Eingang zum Museum befindet sich etwas versteckt zwischen dem Gasthof und dem großen Ausstellungsbau. »Schlüsselloch« nennen ihn die Architekten daher auch. Der Besucher betritt ein kleines aber großzügig wirkendes Foyer, das sich mit einer Fensterfront zum Garten öffnet. Eine weitere Verbindung zwischen innen und außen wird über den Boden hergestellt: Er ist z. T. auch innen in einer Kieselsteinpflasterung ausgeführt, die sich im Garten und vor den Gebäuden wiederfindet. Vom Foyer gelangt man sowohl ins Gasthaus als auch in den scheunenartigen Ausstellungssaal. Hier fällt nicht nur die in modernen Museen eher ungewöhnliche »Salonhängung«, sondern auch die überraschende, aber gelungene Belichtung über den »aufgeschlitzten« Dachfirst auf. Entlang des Firsts sind zudem Strahler angebracht, so dass sich Tages- und Kunstlicht mischen und es in diesem wie auch in den beiden anschließenden Ausstellungssälen jeweils nur eine Quelle gibt, aus der das Licht kommt. Dem Rundgang folgend, gelangt man über eine Verbindungsschleuse, die an ihren verglasten, mit textilem Blendschutz versehenen Schmalseiten Garten und Nachbargebäude schemenhaft erkennen lässt, erst in den einen, dann in den zweiten schlichten Ausstellungssaal. Auch diese sind als Tageslichtsäle konzipiert: Das flache Glasdach mit regulierbarem Sonnenschutz ist mit einer Kunstlichtdecke kombiniert. Alle drei Gebäude sind als zweischalige Ziegelbauten mit Kerndämmung konstruiert. Der gesamte Trakt spricht eine eindeutig moderne Architektursprache. Die Kombination von hellgrau-weiß geschlemmtem Ziegelmauerwerk mit Eichenholz und Glas schafft eine überaus angenehme Raumstimmung.

Ein zur Gartenseite hin verglaster Verbindungsgang führt den Besucher zu einem weiteren Ausstellungsgebäude, dem Umbau eines unspektakulären Backsteinhauses aus den 80er Jahren, das im 1. OG sogar nach wie vor bewohnt wird. Daran schließt ein flacher Bau für die Museumspädagogik an, der gleichzeitig die Verbindung zum zweiten Bestandsgebäude – dem letzten Bau des Ensembles – herstellt. In diesem befindet sich neben einer museumspädagogischen Werkstatt noch eine Wohnung und ein Bäckerladen aus der Zeit vor dem Museumsbau. Die Integration der bestehenden Nutzungen in das Museumskonzept war zwar relativ schwierig, spiegelt aber das Anliegen des Bauherrn, das Museum baulich wie sozial im Dorf zu verankern, gut wider. Im Gegensatz zum Verbindungsgang, der sich mit seiner Glasfront zum Garten hin öffnet, wendet sich der Flachbau für die Museumspädagogik mit einer großen Glasscheibe zur Straße, während seine Gartenseite mit sägerauen Eichendielen beplankt ist.

Am Ende des »Rundgangs« hat der Besucher ein Museum durchlaufen, das sowohl über seine Sammlung als auch über seine Architektur im Dialog mit der ländlichen Umgebung steht. Keine elitäre Einhausung für die Kunst, sondern ein Dorf im Zentrum des Dorfes Alkersum. – Und so kommt man zu dem erstaunlichen Schluss, dass im dörflichen Zusammenhang sogar eine z. T. historisierende Architektursprache die angemessene sein kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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