Zeitschrift

TEC21 2010|01-02
Stadtlicht
TEC21 2010|01-02
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schattentheater

Städtisches Licht erfüllt neben rein funktionalen Aufgaben heute vor allem auch ästhetische Zwecke. Für diesen Anwendungsbereich entwickelte das Zürcher Gestalterbüro huber & steiger im Rahmen eines KTI-Projektes eine Technologie, die die Vorteile der herkömmlichen Flutlicht- und Mehrleuchtenverfahren kombiniert. Das neue Verfahren erlaubt eine homogene – und darüber hinaus: präzise – Ausleuchtung der Fassaden ohne unerwünschte Lichtemission an den Gebäudekanten und ohne Blendung im Inneren.

4. Januar 2010 - Tina Cieslik
Am Anfang stand die Sicherheit: Wer in der Schweiz in vorindustrieller Zeit nachts die Strasse betrat, musste eine Laterne tragen, um als ehrlicher Fussgänger identifiziert zu werden – ansonsten bestand der Verdacht krimineller Absichten, und es drohte Bestrafung. Eine über Steuern finanzierte Strassenbeleuchtung kam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf, Mitte des 19. Jahrhunderts folgte die systematische Gasbeleuchtung mit Bogenlampen. Die Einführung von Strassenlicht war jedoch umstritten: Konservative Gruppen sahen im künstlichen Licht eine Störung der göttlichen Ordnung.[1]

Neben diesen Beleuchtungen, die der Orientierung bei Dunkelheit und der Sicherheit, später auch der Verkehrssicherheit, dienten, kam mit dem Aufkommen der Neonreklamen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein weiterer Aspekt hinzu: Licht diente fortan auch der städtischen Selbstdarstellung und der Werbung.

Von allem das Beste

An diesem Aufgabenspektrum hat sich seither kaum etwas geändert, die nächtliche Identität einer Stadt wird bis heute durch Licht verkörpert. Zur szenischen Beleuchtung des öffentlichen Raums kommen momentan zwei Technologien zum Einsatz: Bei der Beleuchtung mit Flutlicht werden die Objekte aus grosser Entfernung mit starken Scheinwerfern angestrahlt. Die Fassade wird gleichmässig hell, wirkt aber oftmals auch flach. Die ungerichtete Anstrahlung weist zudem hinsichtlich der Präzision der Bestrahlung Defizite auf, ein Grossteil des Lichtes strahlt über die Gebäudekanten hinaus in die Umgebung ab, was neben unerwünschten Lichtemissionen auch zu Blendungen führt.

Im Gegensatz dazu werden bei einer Akzentbeleuchtung mit sehr nahe am Gebäude platzierten Strahlern einzelne Fassadenelemente betont. Durch die Anstrahlung – in der Regel von unten nach oben – entsteht aber eine dramatische Beleuchtung mit hohen Kontrasten: sehr hell am Montagepunkt, zunehmend dunkler im Verlauf des Lichtstrahls. Zusätzlich zu dieser ästhetischen Besonderheit sind Anlagen mit Akzentstrahlern neben einem hohen Energiebedarf auch aufgrund der vielen einzelnen Beleuchtungskörper kostenund wartungsintensiv. Eine gleichmässig ausgeleuchtete Fassade ohne unerwünschte Lichtemissionen ist mit der bestehenden Technologie nicht zu realisieren.

In diese Bresche sprangen vor sechs Jahren die Zürcher Gestalter Luzius Huber und Florian Steiger. Innerhalb eines KTI-Projektes[2] entwickelten sie gemeinsam mit der Zürcher Hochschule der Künste und der Fachhochschule Nordwestschweiz eine Technologie auf der Basis des bis anhin hauptsächlich im szenografischen Bereich angewendeten Projektionsverfahrens. Im Zentrum ihrer Überlegungen standen dabei die Vermeidung von unerwünschtem Licht über die Gebäudekanten hinaus, die Reduzierung der Blendung innerhalb der Gebäude und die präzise Modulation des Stadtbildes – alles bei einem möglichst minimalen Verbrauch von Energie.

Dosierte Helligkeit

Das Verfahren funktioniert wie ein Schattenspiel: Verzugskorrigierte Bildvorlagen des Gebäudes werden von Projektoren an die Fassade projiziert. Das Hell-dunkel-Muster der Maske wird dabei entweder per Laser auf eine chrombeschichtete Glasplatte aufgebracht, oder es wird aufgeätzt (Abb. 8). Diese sogenannten GOBO (graphical optical blackout) werden dann in die Projektoren eingesetzt, die an bestehende Masten angehängt oder an Fassaden der gegenüberliegenden Gebäude montiert werden können. Schwarze Flächen auf der Vorlage verhindern den Lichtaustritt, weisse Bereiche lassen das Licht passieren. Mithilfe verschiedener Graustufen auf den Vorlagen können die jeweiligen Bauten gestalterisch interpretiert werden (Abb. 12 und 13). Auf diese Weise entsteht eine homogene Beleuchtung, die Oberfläche des Gebäudes wird zum Träger des Lichts, es gibt keine unerwünschten Spitzen. Im Gegensatz zu Beamern, deren Projektionsleistung auf dem gleichen Verfahren basiert, sind die grafischen Effekte allerdings eingeschränkt, gut lesbare Textprojektionen sind zum Beispiel nicht möglich – und auch nicht gewollt.

Kirche, Hotel, Schloss

Von 2007 bis 2008 wurde die Technologie in sechs Musteranlagen getestet. Um ein möglichst breites Anwendungsspektrum zu erhalten, wurden verschiedene städtische Situationen und unterschiedliche Gebäudetypologien untersucht, darunter eine Kirche in ländlicher (dunkler) Umgebung, ein gotisches Zunfthaus in der (engen) Altstadt von Basel und ein Hotel am Hauptbahnhof Zürich in einem sehr hellen, heterogenen Umfeld. Auf diese Weise konnte das notwendige Verfahrenswissen erworben werden, was etwa die jeweilige Anzahl und die Ausrichtung der Projektoren betrifft. Erstere hängt dabei von der gewünschten Intensität der Beleuchtung ab, aber auch vom Umgebungslicht und von der Distanz der Projektoren zum Gebäude. Auch der Lichteinfallwinkel sowie Materialität und Reflexionsgrad der Fassade sind zu berücksichtigen.

Bei der Wahl des Leuchtmittels stand daher neben den energetischen Überlegungen die Leistung im Vordergrund. Bei abbildenden Systemen wie Projektoren wird hierfür der Wirkungsgrad des Lichtstroms auf der angestrahlten Fläche bemessen.[3] Um eine optimale Nutzung des Lichtes zu erreichen, wurde ein Wirkungsgrad von 40–50 % angestrebt. Ausserdem waren eine gute Farbwiedergabe und eine hohe Lebensdauer gefragt. Die Entscheidung fiel auf Halogen-Metalldampflampen, wie sie auch für Aussenbeleuchtung, in Stadien oder zur Theaterbeleuchtung verwendet werden. Im Gegensatz zu anderen Hochdruck-Gasentladungslampen zeichnen sich diese durch einen Farbwiedergabeindex von 89 aus.[4] LED, die ebenfalls zur Diskussion standen, erreichen zwar mittlerweile hinsichtlich Energieeffizienz und Farbwiedergabeindex nahezu vergleichbare Werte, sind aber in Bezug auf die Leistung noch nicht konkurrenzfähig. Durch die optimierte Optik innerhalb des Projektors konnte die Lichtausbeute bis auf 45 % gesteigert werden. Das bedeutet, dass von 23 000 lm, die in der Lampe erzeugt werden, bis zu 9900 lm auf die Fassade projiziert werden.

Da bei einer Projektionsbeleuchtung das Licht zudem nahezu horizontal auf die Fläche fällt, kann es eine optimale Wirkung entfalten – im Gegensatz zu einer Beleuchtung mit Akzentstrahlern, bei der die Fassaden vertikal von unten nach oben angestrahlt werden. Es wird kegelförmig mit einem Radius von 40 ° projiziert, bei einer horizontalen Beleuchtung beträgt die Beleuchtungsstärke bei einer Distanz von 20 m etwa 50 Lux, bei 60 m noch etwa 7 Lux. Schwierig wird es bei sehr flachen Projektionswinkeln: An den Rändern eines Lichtkegels nimmt die Beleuchtungsstärke jeweils ab. Um hier eine gleichmässige Lichtverteilung zu gewährleisten, wird bei Winkeln unter 30 ° eine gegengleiche symmetrische Anordnung der Projektoren empfohlen.

Architektonische Verfremdungen

Neben der Technologie liegt eine Schlüsselfunktion des Verfahrens im gestalterischen Verständnis der Planenden. Bei der Herstellung der Bildvorlage müssen sich die jeweiligen Lichtplaner zum einen mit den Besonderheiten der Fassade, zum anderen mit dem umgebenden Stadtraum auseinandersetzen – und zwar auf lange Sicht: Die Lebensdauer einer öffentlichen Beleuchtungsanlage beträgt in der Schweiz in der Regel mehrere Jahrzehnte. Hier wird entschieden, wie ein Gebäude gestalterisch behandelt wird, wo die Akzentuierungen liegen, wie sich die Grundhelligkeit ausnimmt, welche Bereiche im Schatten bleiben.

Um dieses Verfahrenswissen zu generieren, wurde gemeinsam mit Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste innerhalb des Forschungsprojekts auch mit architektonischen Verfremdungen experimentiert. Sie dienten gleichsam als Labor für die letztlich eingesetzten subtilen Modulierungen mittels unterschiedlicher Grauschattierungen. Die Ergebnisse sind verblüffend: Ganze Baukörper können simuliert, Oberflächen mit neuen Materialien belegt und dreidimensionale Elemente angefügt werden (Abb. 2 – 6) Diese expressive Art der Anstrahlung zeigt, was möglich, aber wohl nicht unbedingt wünschenswert ist. Immerhin erlaubt der einfache Wechsel der Bildvorlagen Variationen im Motiv, was das Verfahren auch für temporäre Beleuchtungsaufgaben attraktiv macht. Weniger Licht:

Utoquai und Schauspielhaus

In der Schweiz sind in den letzten drei Jahren 14 Anlagen entstanden, sechs weitere befinden sich in der konkreten Vorbereitung (vgl. Kasten S. 40). Das grösste realisierte Objekt befindet sich am Utoquai in Zürich. Während der Fussball- Europameisterschaft im Juni 2008 wurde hier im Rahmen des Zürcher Plan Lumière ein 600 m langer Strassenzug entlang des unteren rechten Seeufers angestrahlt. 25 Projektoren à 250 W beleuchteten fünf Fassaden, darunter Wohn- und Bürohäuser und ein Hotel (Abb. 9). Bis zu fünf Geräte konnten dazu an bestehenden Masten montiert werden. Die Aktion diente als Testlauf für eine fix installierte Anlage, die kommenden Februar ihren Betrieb aufnehmen wird (Abb. 10). Einen Ausblick auf mögliche kombinierte Verfahren zeigt die Beleuchtung der Westfassade des Zürcher Schauspielhauses. Ab dem Frühjahr 2010 ist eine Kombination aus Lichtprojektion und LED geplant, die die bestehende Beleuchtung mit ausschliesslich LED ablösen wird. Neben den ästhetischen Überlegungen spielte dabei auch der energetische Aspekt eine Rolle: Das Schauspielhaus wird über eine Länge von 40 m beleuchtet, die momentan installierte Beleuchtung mit LED benötigt dazu 5.0 KW. Dazu kommt die Werbebeleuchtung über dem Eingang. Die alternative Methode mittels Lichtprojektion lässt sich mit drei Projektoren mit einer Bestückung von je 150 W realisieren, was einem Verbrauch von 0.48 kW entspricht. Bei einer jährlichen Betriebsdauer von 2000 Stunden können damit 8400 kWh eingespart werden. Auf der gestalterischen Seite sprechen die Vorteile beider Methoden für eine Kombination: Mittels Projektion kann die Fassade vollflächig gleichmässig beleuchtet werden, während die an der Fassade angebrachten LED für die gewünschten Akzente sorgen (Abb. 15).

Ausblick: Kombinierte Verfahren

Mitte 2006 wurde eine Testanlage am EWZ in Zürich in Betrieb genommen. Sie zeigt sich erstaunlich robust, bisher wurden damit über drei Betriebsjahre ohne nennenswerte Störungen simuliert. Auch die seit etwa zwei Jahren laufenden Pilotanlagen weisen noch keine Ermüdungserscheinungen auf. Aus dem KTI-Projekt ist unterdessen mit «opticalight» eine Firma hervorgegangen, die sich aussschliesslich der Planung und Realisierung von Beleuchtungsanlagen mittels Lichtprojektion widmet. Für den internationalen Markt besteht eine Partnerschaft mit der deutschen siteco.

Das Verfahren bietet vor allem die Möglichkeit, einzelne Gebäude als Ensemble im städtebaulichen Kontext zusammenzufassen. Das Ergebnis ist so subtil, dass die Bauherrschaft bei Bemusterungen oft fragte, wann es denn endlich losginge – und erst beim Abschalten der Anlage bemerkte, dass bereits die ganze Zeit beleuchtet wurde. Kurz: Der Effekt ist unaufdringlich, aber spürbar – es entsteht kein weiterer Lichtreiz im Stadtbild. Gemeinsam mit den Vorteilen wie der reduzierten Blendung im Innenraum und der Vermeidung unerwünschter Lichtemissionen ist damit eine Anwendung entstanden, die sowohl funktional als auch ästhetisch überzeugt.

Natürlich gibt es dabei Grenzen: Für Glasfassaden ist das Verfahren nicht geeignet, transparente Oberflächen reflektieren kein Licht. Auch eine Bemusterung des Hospiz am Grimselpass erwies sich als wenig erfolgreich: Vor dem sehr dunklen Hintergrund der unbeleuchteten Bergwelt wirkte das Gebäude schlicht zu hell. Ein Zuviel an Licht ist auch der Grund, warum eine Akzentbeleuchtung einzelner kleiner Bauteile mittels Lichtprojektion wenig Sinn ergibt. Da die Technologie mit Lichtreduktion arbeitet, würde bei einer lediglich punktueller Anstrahlung zu viel Licht ungenutzt bleiben. Als Ergänzung zum Sortiment ist daher für 2011 ein kleiner Projektor geplant, der mit weniger leistungsfähigen Lampen arbeitet und auf kürzere Distanzen ausgelegt ist.


Anmerkungen:
[01] So z. B. in Winterthur, von wo ein zweijähriger «Lampenstreit» übermittelt ist. Am Ostermontag 1821 wurde mit 19 Laternen schliesslich die erste systematische Beleuchtung der Stadt in Betrieb genommen. Vgl. Meinrad Suter: Winterthur 1798–1831. Von der Revolution zur Regeneration. Stadbibliothek Winterthur, 1992, S. 275–277
[02] KTI ist die Förderagentur für Innovation des Bundes
[03] Gemessen wird dieser Wert bspw. in ANSI Lumen: Lumen = Lux·m² (ANSI = American National Standards Institute)
[04] Unter Farbwiedergabeindex versteht man einen fotometrischen Wert (Ra), der die Qualität der Farbwiedergabe von Lichtquellen beschreibt. Er zeigt, wie stark sich die Farbe eines Objektes bei der Beleuchtung mit zwei verschiedenen Lampen ändert. Sehr gute Farbwiedergabeeigenschaften besitzen Lampen mit einem Ra von 100, z. B. Glühlampen

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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