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TEC21 2010|05-06
Bauen im Permafrost
TEC21 2010|05-06
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Fehlstellung ausgleichen

Ein Gebäude, das im Permafrost errichtet wird, ist gezwungen, die Bewegungen des Untergrunds mitzumachen. Grosse Verformungen sind die Folge. Am Pardatschgrat im österreichischen Ischgl wurden zwei zu starre Vorgängerbauten abgebrochen, bevor mit einer Dreipunktlagerung eine dauerhaft zufriedenstellende Lösung für das Bergrestaurant gefunden wurde.

29. Januar 2010 - Günther Gürtler
Das Bergrestaurant am Pardatschgrat in Ischgl steht auf 2620 m ü. M. im Permafrost. Der Pardatschgrat wird durch mehrere Bergblöcke gebildet. In Kluftgassen zwischen diesen Bergblöcken kommt es zu Frost-Tau-Wechseln und damit zu Hebungen bzw. Senkungen der Bergoberfläche, die bis zu 4 cm pro Jahr betragen können.

Starre Vorgängerbauten

Das 1972 errichtete Bergrestaurant wurde infolge von Setzungsrissen 1985 durch ein neues ersetzt. Für dieses zweite Gebäude wurde anstelle der Streifenfundamente eine steifere Unterkonstruktion gewählt: Das Kellergeschoss wurde als Kasten in Stahlbeton mit massiver Bodenplatte und Stahlbetonwänden ausgeführt. Die oberirdische Tragkonstruktion bestand aus Fertigteilstützen, -unterzügen und Elementdecken. Die Setzungen des Untergrundes führten jedoch weiterhin zu Zwängungskräften im Gebäude. Risse und Verformungen waren die Folge, was die Gebrauchstauglichkeit einschränkte. Die Tragsicherheitsanforderungen konnten zwar durch Sanierungsmassnahmen kurzfristig erreicht werden, ein grösserer Bauaufschub war aus Sicherheitsgründen aber nicht mehr vertretbar.

Aus geologischer Sicht ist der Standort nicht zum Bauen in konventioneller Bauweise geeignet. Ein Neubau an einem anderen Standort kam nicht in Frage, deshalb musste eine Lösung gefunden werden, die Gebäudeschäden aus Fundamentsetzungen verhindert.

Zwei Baukörper im Permafrost

Auf der Grundlage jahrelanger geometrischer Vermessungen entschied man sich für zwei getrennte Baukörper: ein Restaurant und ein kleineres Nebengebäude. Die architektonischen Vorgaben an das Restaurant waren ein um 14° geneigter Hauptträger, eine um 6° nach aussen geneigte Fassade und ein um 6° geneigtes Dach über einem konischen Grundriss (Abb. 5). Das dreigeschossige Restaurantgebäude ist ca. 60 m lang, 16 bis 25 m breit und die Fassade auf drei Seiten verglast. Die Stahlkonstruktion mit 4.60 m Rastermass wurde als geschraubte Konstruktion ausgebildet, die Decken mit Trapezblech und Überbeton errichtet und die Dachplatte mit 14 cm dicken Brettschichtholzplatten ausgeführt. Im Nebengebäude aus Stahlbeton befinden sich vor allem Infrastrukturanlagen und Personalunterkünfte. Es ist auf drei Stahlbetonsäulen gelagert, die auf drei Einzelfundamenten gegründet sind (Abb. 6). Bei den Stahlbetonsäulen wurden Nischen für die Justiervorgänge ausgebildet. Die Dachplatte wurde ebenfalls mit Brettschichtholz ausgeführt. Die beiden Gebäude sind durch eine 30 cm dicke Dilatationsfuge vollständig voneinander getrennt. Das grosse Mass wurde durch die zu erwartenden starken Setzungen des Untergrunds notwendig (Abb. 4). Gebäudeübergänge wie Korridore oder die Dachhaut sind mit einer einfachen Riffelblechkonstruktion überbrückt.

Justierbare Dreipunktlagerung als Lösung

Von Mai bis November 2004 wurden die Gebäude errichtet. Setzungen der Fundamente sind aufgrund der geologischen Situation nicht zu verhindern. Daher wurden beide Gebäude auf je drei Einzelfundamenten gelagert. Die Dreipunktlagerung lässt Fundamentsetzungen zu, ohne das darüberliegende Bauwerk durch Zwängungskräfte zu belastenund zu verformen. Die drei Stahlbetonfundamente des Restaurants wurden mit 7.5 m Seitenlänge konstruiert und die Lager, auf denen die Tragkonstruktion punktförmig aufliegt, als Stahl-Kalottenlager gelenkig ausgeführt (Abb. 5). Die Tragkonstruktion senkt sich analog der Fundamentsetzung, bleibt aber in sich ebenflächig und bewirkt weder eine Verdrehung in der Ebene noch eine Verwindung der Struktur. Das Tragwerk kann mit hydraulischen Pressen angehoben und das erforderliche Niveau der Strukturebene wiederhergestellt werden. Ein erprobtes Verfahren, wie es zum Beispiel im Brückenbau angewendet wird.

Das Setzungsmass wird durch Unterlegen von Stahlplatten ausgeglichen. Als Voraussetzung für die erforderliche Nachstellbarkeit wurden gut zugängliche Untergeschosse angeordnet, die zur Verminderung des Wärmeeintrags in den Untergrund nicht beheizbar sind und direkte Verbindung zur Aussenluft erhalten.

Bereits während der Bauphase wurde das verglaste Restaurant erstmals angehoben, da eines der drei Fundamente nach fünf Monaten Bauzeit schon 5 cm abgesunken war. Der eigentliche Hebevorgang dauert eine Stunde, und die Anhebelast wird durch eine Ölhydraulikpresse erzeugt.

Sechs Jahre schadenfrei in Bewegung

Sechs Jahre nach der Fertigstellung zeigt sich, dass das Tragwerkskonzept eine erfolgreiche Lösung ist und sämtliche Erwartungen bzw. Anforderungen erfüllt. Die aufgetretenen Hangbewegungen konnten bisher durch die Tragkonstruktion schadenfrei aufgenommen werden. Die unterschiedlichen Setzungen der Fundamente bewirken entsprechende Senkungen der Geschossdecken, die Solllage der Geschosse konnte aber durch hydraulisches Anheben ausgeglichen werden (Abb. 2, 3 und 4). Ein Fundament setzte sich 30 cm in sechs Jahren, die anderen in der Grössenordnung von 3 bis 10 cm. Trotzdem ist das Objekt in seiner Gebrauchstauglichkeit durch jährliche Justiervorgänge in plangemässer Niveaulage. In den Spritzbeton- und Winkelstützmauerwänden der Kellergeschosse sind zwar Rissbildungen wahrscheinlich. Die Gründungsmassnahmen und die Nachstellbarkeit der Fundamente lassen jedoch erwarten, dass dieser Neubau wenigstens einige Jahrzehnte schadenfrei funktionstüchtig bleibt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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