Zeitschrift

TEC21 2010|08
Munkegårdsskolen
TEC21 2010|08
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Jacobsen «untergraben»

Arne Jacobsens (1902–1971) Munkegårdsskolen in Gentofte bei Kopenhagen (1952–1956) revolutionierte den Schulhausbau: Mit seinem Rastermodell, zweifellos die originellste Entwurfsidee, übersetzte er die pädagogischen Reformgedanken in gebaute Architektur. Und obwohl er Nachahmer fand, wurde es nirgends konsequenter umgesetzt als in der Gentofter Munkegårds-Schule. Die dänische Architektin Dorte Mandrup «huldigt» dem Zeitzeugen mit einer kongenialen, im Herbst 2009 eröffneten Erweiterung.

19. Februar 2010 - Klaus Englert
Gentofte liegt nur wenige Kilometer nördlich von Kopenhagen. Es ist ein beschauliches und wohlhabendes Städtchen, mit ausgeprägtem Trend zum Eigenheim-Idyll. Gentofte ist weder eine gewöhnliche Schlafstadt noch eine der typischen Suburbs, weshalb es die Einheimischen nach getaner Arbeit in Kopenhagen weiterhin vorziehen, ins beschauliche Heim vor den Toren der Hauptstadt zurückzukehren.

Ausgerechnet das kleinstädtische Gentofte war in den 1950er-Jahren Schauplatz einer kleinen architektonischen Revolution. Es war die Zeit, als viele westeuropäische Kommunen aufgrund der Kriegszerstörungen erheblichen Bedarf an neuen, richtungweisenden Schulbauten hatten. Und es war die Zeit, als viele Architekten neue Schultypologien ausprobierten und kindergerechtere Klassenräume bauten (vgl. nebenstehenden Kasten). Die Nouvelle vague neuer Schulen begann allerdings im nördlichen Gentofte, als 1949 ein Wettbewerb für die Munkegårdsskolen ausgelobt wurde, den der damals 47-jährige Arne Jacobsen mit einer ungewöhnlichen Gebäudetypologie gewann. Zunächst widmete sich die Zeitschrift «Arkitekten» dem Thema «eingeschossiger Schulbau» und publizierte den siegreichen Entwurf, schliesslich zog nach Fertigstellung des Projekts die internationale Fachpresse nach, die allseits lobte, durch Jacobsens Munkegårdsskolen seien neue Massstäbe im Schulbau erreicht worden. Anerkennung fand besonders der intime Massstab der Schule, die immerhin 850 Kinder aller Altersgruppen aufnehmen sollte.

Mehrgliedriges Ensemble statt monolithischem Baukörper

Jacobsen war bestrebt, den traditionellen monolithischen, mehrgeschossigen Baukörper zugunsten eines mehrgliedrigen, eingeschossigen Ensembles aufzulösen, und reagierte damit auf die allen voran von Rudolf Steiner propagierte Reformpädagogik, die nicht nur einen mehr auf die kindlichen Bedürfnisse ausgerichteten Unterricht forderte, sondern auch Schulgebäude, die den neuen pädagogischen Erfordernissen besser entsprechen. Diese Reformgedanken machte sich 1933 der Architekt Edvard Thomsen (1884–1980) zu eigen, als er in «Arkitekten» forderte, man solle in Dänemark von der «munteren Renaissance» der Pavillonschule in Deutschland und England lernen. Dabei lobte er die einhüftigen Korridore, da sie im Gegensatz zu den üblichen Mittelkorridoren mehr Tageslicht hereinlassen.

Jacobsens Entwurf zielte darauf ab, den geschlossenen Baukörper zugunsten einer modularen «open-end»-Struktur, einer seriellen Addition von eingeschossigen Klassentrakten aufzulösen, deren Grundriss einem Teppichmuster gleicht (Abb. 1). Die Klassen, die quer zum Festsaal in Bändern angeordnet sind, werden von parallelen Verbindungsgängen durchschnitten, während die verbliebenen Zwischenräume als frei zugängliche Innenhöfe gestaltet wurden. Jacobsen wollte damit erreichen, dass die Kinder während des Unterrichts auf den grünen Patio hinausschauen und sich ablenken können. Entstanden ist dabei ein repetitives Muster aus linearen, rechtwinkligen Modulen. Prima vista hat die Munkegårds- Schule tatsächlich eine offene Struktur. Genaugenommen gehorcht sie aber klaren Ordnungsprinzipien und einer durchaus hierarchischen Ausrichtung: Das schulische Ensemble wird nämlich durch einen mittig angeordneten Festsaal strukturiert, während der zweigeschossige Riegel, der die Fachklassen und die Lehrerbibliothek aufnimmt, den Komplex im Norden abschliesst. Zudem setzt sich diese Begrenzung im südlichen Bereich fort, insofern die Frontgebäude, die überdachten Fahrradschuppen und die beiden Flügel der Sporthallen die Klassentrakte sowie den lang gestreckten Schulhof sehr markant einfassen.

Der Entwurf für die Munkegårds-Schule entbehrt also nicht eines gewissen Paradoxons: Einerseits zeichnet er sich durch eine nicht hierarchisch aufgebaute Systemstruktur aus, die sich am Grundriss des Gitters orientiert. Andererseits ist eine starke Begrenzung und Zentrierung des Ensembles unverkennbar. Jacobsen berücksichtigte zwar auch Elemente, die den seriellen Charakter der Anlage mildern – etwa die nach Norden ausgerichteten Pultdächer der beiden Sporthallen und die nach Süden orientierten Sheddächer der Klassenzimmer –, aber insgesamt ordnen sich diese Elemente dem Gesamtcharakter unter. Das Rastermodell bleibt die originellste Entwurfsidee, und trotz dem Zeittrend wurde es nirgends konsequenter umgesetzt als in der Munkegårds-Schule. Angesichts der internationalen Diskussion um eine Neuausrichtung der Schularchitektur dauerte es nicht lange, bis einige westliche Architekten die Rasterstruktur konsequenter ausbauten (vgl. Kasten S. 16).

Restaurierung und Erweiterung durch Dorte Mandrup

Ähnlich wie in den 1950er-Jahren zeigt sich das Kopenhagener Baudezernat heutzutage offen für neue Entwürfe in der Schularchitektur. Das zeigt sich nicht nur an dem grossartigen, 2007 fertig gestellten Örestad-Gymnasium des dänischen Büros 3XN, das die Schule ausgehend von einem einzigen kontinuierlichen Raumkörper entwickelte und dabei konsequent auf die geometrischen Formen Arne Jacobsens zurückgriff, sondern auch an Erweiterungsbauten für Schulen, die unter Denkmalschutz stehen. Hierzu gehört auch die Gentofter Munkegårdsskolen, die dringend einen Anbau benötigte. Das Baudezernat richtete deswegen einen begrenzten Wettbewerb aus. Die eingereichten Entwürfe kollidierten aber mit den rigiden dänischen Denkmalschutzbestimmungen. Daraufhin, im Februar 2005, beauftragten die Gemeinde Gentofte und die Denkmalschutzbehörde Dorte Mandrup Arkitekter, einen eigenen Entwurf zu erarbeiten, der auf Zustimmung stiess.

Dorte Mandrup, die im trendigen Viertel Nørrebro in Kopenhagen zusammen mit Vandkunsten und dem Senkrechtstarter BIG ein Atelierhaus bezogen hat, musste im Rahmen eines eng begrenzten Etats zwei Aufgaben in Angriff nehmen. Zunächst ging es darum, den Altbau der Munkegårds-Schule zu renovieren, deren Bausubstanz in viel schlechterem Zustand war als zunächst angenommen (vgl. S. 22ff.). Mauerwerk sowie Dachränder und Dacheindeckungen der Flach- und Pultdächer mussten saniert sowie die Bodenbelägeersetzt werden. In den Klassenräumen wurden Verbindungstüren eingebaut, um eine Adhoc- Vergrösserung der Räume zu ermöglichen. Im renovierten Gymnastiksaal wurde die Trennung zwischen Knaben und Mädchen aufgehoben.

Um das Innenraumklima zu verbessern, wurden sowohl die Oberlichter als auch die Jalousien mit einer automatischen Steuerung ausgerüstet. Denn es galt, den teilweise extremen Lichteinfall in die Klassenzimmer zu filtern. Um auch in den sonnenarmen Wintermonaten möglichst viel natürliches Licht in die Räume zu bringen, hatte Jacobsen sie nämlich nach Süden ausgerichtet.

An dem von Jacobsen liebevoll mit eigenen Designentwürfen gestalteten Festsaal nahm Dorte Mandrup den optisch prägnantesten, materiell aber durchaus respektvollen Eingriff am Bestehenden vor. Trotz der Umwandlung in ein «pädagogisches Entwicklungszentrum» mit dem reversiblen Einbau einer Treppenlandschaft mit integrierter Bibliothek bleibt genug Raum, um den Saal nach wie vor als Theater zu nutzen – inklusive originalem Bühnenvorhang (Abb. 4 und 19–22).

Gleichermassen respektvoll wie mutig

Die eigentliche Herausforderung bestand aber darin, für den Gebäudeannex eine einfache, intelligente und die historische Bausubstanz respektierende Lösung zu finden. Dorte Mandrup überzeugte die Denkmalschutzbehörde mit ihrem Vorschlag, den Anbau im südlichen Bereich des Schulkomplexes, unterhalb des vorgelagerten Hofs, anzugliedern. Es handelt sich um einen unsichtbaren, 100 m langen Riegel, der durch die Pavillontrakte erschlossen wird. Auf dem Schulhof ist die Erweiterung einzig durch vier gläserne Atrien wahrnehmbar, die den Innenraum des Riegels mit Tageslicht versorgen. Markant sind die schräg gestellten Stahlstützen und Profile, die entlang dieser Glasprismen die Lasten abtragen.

Design im Geiste Jacobsens

Dorte Mandrup gelang eine einfache räumliche Segmentierung, indem sie den schlauchförmigen Raum in Haupt- und Seitentrakt unterteilte. Der lang gestreckte Riegel wird ausserdem durch die vier begehbaren Atrien unterteilt – eine Replik auf Jacobsens Patios (Abb. 5 und 15–18). Deren Fussböden weisen jeweils unterschiedliche Motive auf: Kreise, Zahlen und Buchstaben, stilisierte Blüten sowie Kristalle. Es sind bildhafte Übersetzungen der in den angelagerten Räumen unterrichteten Fächer Ernährung und Gesundheit, Körper und Bewegung, Natur und Technik sowie Physik und Chemie.

«Natur» hat Dorte Mandrup in den Toilettenbereich gezaubert, der wegen seiner grellen Farbigkeit ins Auge springt. Um das Unfallrisiko zu begrenzen – erläutert die Architektin während eines Rundgangs –, habe sie den Durchgangsraum zu den einzelnen Toiletten nahtlos mit dem Flur verbunden. Dieser offene Bereich ist eine Augenweide: Auf grün schimmerndem Epoxidharz wurden quer über Fussboden, Wände und Toilettentüren Motive von Zweigen, Blättern und Knospen angebracht. Als Vorlage diente ein von Arne Jacobsen entworfenes Motiv für eine Tapete, das in der Danish Art Library aufbewahrt wird. Das Motiv wurde vergrössert und mit einem grünen Grund hinterlegt (siehe inneres Titelbild). Ausserdem wählte sie für Wände und Mobiliar abwechselnde und lichte Farben – für die kreisrunden Tische und die ebenfalls kreisrunde Sitzgarnitur vornehmlich Rot, Grün und Orange. Das ist eine Reverenz an Arne Jacobsen, der im Altbau zur gleichen Farbpalette griff. Besondere Aufmerksamkeit verwendete Mandrup für das kindergerechte Sitzmöbel, denn immerhin hatte Jacobsen für die Munkegårdsskolen neben dem Design der Schreibpulte, der Wanduhren, der Türklinken, der runden Deckenleuchten und des Bühnenvorhangs im Festsaal auch vier unterschiedliche, farbige Stuhltypen entworfen.

Dorte Mandrup, die in Kopenhagen zuvor die viel beachtete Sporthalle «Prisma» in Amager (2006) und die Kindertagesstätte «Krausesvej» im gleichnamigen Quartier (2005) baute, gelang eine sinnvolle Unterteilung des angegliederten Riegels. Entlang der lichtspendenden Atrien gestaltete sie den Haupttrakt als «Mehrzweckraum» für die nachschulischen Aktivitäten der Kinder. Der Trakt endet mit einer hellgrün gestalteten Küche. Hier soll das gemeinsame Kochen als Teil des Unterrichtsprogramms gelernt werden. Kochen steht tatsächlich hoch im Kurs der Munkegårdsskolen: Dorte Mandrup richtete nämlich im Seitentrakt zusätzlich eine kleinere Küche ein, in der exotische Gerichte aus fernen Ländern ausprobiert werden sollen. Aber natürlich ist auch an die Naturwissenschaften gedacht, und so grenzen an die Experimentalküche die nüchterneren Physik- und Chemielabore an. Bereits «Prisma» und «Krausesvej» beweisen, dass die beste Architektur für die spielerischen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen selbst spielerisch sein sollte. Für den Annex der Munkegårdsskolen ist der Architektin Dorte Mandrup dieser Coup ein weiteres Mal gelungen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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