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hochparterre 05|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 05|2010
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Gleiten zum Brausen

Das Schloss Laufen, der Rheinfall und ein Lift: Ein sonderliches Trio in der Wunderlandschaft.

10. Mai 2010 - Axel Simon
Schokolade, Kühe, Taschenmesser — im Souvenirshop wird schnell klar, dass man sich an einem der Hot-Spots des Schweizer Tourismus befindet: Schloss Laufen am Rheinfall. Das neue Besucherzentrum, in dem sich der Shop befindet, bemüht sich auch aussen eifrig um Swissness: Leicht verfremdete Schweizerkreuze perforieren seine rostige Schale, machen aus dem Haus mit altem Ziegeldach eine zeitgenössische «Box». Sie zeugt vom letzten Akt einer langen Geschichte. Schon im 16. Jahrhundert zog es die ersten Reisenden an den Rheinfall. Mitte des 19. Jahrhunderts kaufte ein Landschaftsmaler das Schloss, zu dessen Füssen die Wassermassen brausen. Er machte das Naturschauspiel fürs zahlende Publikum zugänglich und begründete damit den Massentourismus. Seitdem hat sich wenig verändert: Anreise per Reisebus, Hinabstiefeln in die Gischt, wieder hinauf, Souvenir, Reisebus, Tschüss.

Erster Wettbewerb

Der Hot-Spot kühlte in den letzten Jahren etwas ab. Die Besucherzahl schwand von rund 700 000 im Jahr 1966 auf unter 450 000. Und diejenigen, die kamen, liessen sich kaum mehr dazu bewegen, im Schloss zu speisen. Woher also sollte der Kanton Zürich, seit 1941 wieder Besitzer des Bauwerks, das Geld nehmen, um die dringenden Erneuerungen an Wegen und Bauten zu finanzieren? Der Ort musste attraktiver werden, sollte wieder mehr Menschen anlocken und sie vor allem dort länger verweilen lassen. Einen ersten Wettbewerb gewannen 2005 die Zürcher Architekten Leuppi  &  Schafroth: Die Erweiterung eines kleinen Personalhauses von 1960 zum Besucherzentrum mit Kasse, Imbiss, Shop, Toiletten und einem Saal.

Die Architekten verlängerten wie im Wettbewerb vorgeschlagen das Volumen des biederen Altbaus und umhüllten Alt wie Neu mit rostiger Stahlhaut. Vordächer am Kopf und zum seitlichen Vorplatz erscheinen wie hochgeklappt, lediglich ahnen lässt sich, was hinter den perforierten Blechen im Obergeschoss liegt: die aufgefrischte Fassade des Altbaus mit Lochfenstern und Klappläden sowie das verglaste Gesicht des «Rheinfallsaales». Der öffnet sich, schön und licht, bis unters Dach und wird von einem Strahlenkranz aus Schweizerkreuzen belichtet. Darüber raunt ein Filzbaldachin noch einmal: Swissness.

Zweiter Wettbewerb

Etwas mehr als ein Jahr nach dem ersten Studienauftrag folgte ein zweiter. Diesmal lud die kantonale Baudirektion vier Büros aus dem Bereich Ausstellung, Messedesign und Event ein, um ein «touristisches Inszenierungskonzept» für das Umfeld des Schlosses vorzuschlagen: Die Innen- und Aussenräume galt es zu bespielen, die Besucherströme zu lenken. Bellprat Associates gewannen mit farbig-lustvollen Bildern eines Abenteuerwegs vom Parkplatz zum Rheinfall: Vorbei am vor Ideen sprühenden Spielplatz «Sinnesgarten» und über den «Jahreszeitengarten» im Burggraben hinweg in den Schlosshof, durch ein neues Museum im Nordtrakt, über altem Weg und neuem Steg übers grausam wogende Wasser, wieder hinauf durch einen «Sinneswald» und durch einen Rolltreppentunnel zurück zum Schlosshof. Die Jury lobte die Dramaturgie dieser «Erweiterung des Live-Erlebnisses des Rheinfalls», räumte jedoch ein, das phantasievolle Konzept sei «vielerorts noch überinstrumentiert».

Die ausgeführte Schnittmenge

Dreieinhalb Jahr später lässt sich nun begutachten, was vom Konzept übrig blieb: Das «Historama» im Nordtrakt des Schlosses erzählt Geschichte und Geschichten: Wie in einer grossen Spieluhr erfährt der Besucher hier beispielsweise etwas zum Streit zwischen Industrievertretern, die den Rheinfall beseitigen wollten, und Naturbewunderern. Neu gesicherte Wege führen hinunter zu den traditionellen Aussichtspunkten «Belvedere» und «Känzeli». Über einen Holzsteg, der sich zackig um den Burgfelsen legt, gelangt man schliesslich zu einem frei stehenden Liftturm, schon im Wettbewerb als Alternative zu den Rolltreppen vorgeschlagen, der mit spektakulärer Aussicht zum Burghof hochsaust. Der Weg zum Rheinfall wurde so behindertengängig und zu einem Rundgang geschlossen.

Von einer grossartigen Inszenierung des «Live-Erlebnisses» ist heute — glücklicherweise — wenig zu spüren. Die Mittel sind klassischer, also räumlicher Art: Geht man entlang des geflickten Bruchsteinwegs, steuert der neu gepflanzte Hangbewuchs die Wahrnehmung des wogenden Naturschauspiels. Geäst legt sich dem Blick in den Weg oder gibt ihn an ausgewählten Punkten frei — ein vertikaler Landschaftsgarten, dessen Qualitäten nun wieder erkennbar sind.

Eichengeländer und Maschendraht geben neuen Halt auf diesem Gang in die brodelnde Tiefe. Tafeln mit Infos und alten Veduten begleiten ihn und lediglich ein paar Stahlgeräte, angetreten, «die Hörgewohnheiten zu verfremden», wirken reichlich hilflos gegenüber den brüllenden Wassermassen ein paar Meter tiefer. Die Exponate zeugen vom szenografischen Anspruch, der dem Naturschutz, vor allem aber dem knappen Budget zum Opfer gefallen ist — unerwartet teuer war die Sicherung des Felsens.

Die Reise in der dreiseitig verglasten Liftkabine macht aus der letzten Etappe des Wegs ein Erlebnis — sofern man auf der dem Rhein zugewandten Seite fährt und nicht mit Blick auf den Hang. Kein stolzes Ingenieurbauwerk haben sich die Gestalter vorgestellt, was auch die Denkmalpflege nicht erfreut hätte. An der Aussenseite eines massiven, aber zurückhaltenden Turms gleiten die beiden gläsernen Kabinen auf und ab — ein schmaler Betonsporn, der mit seiner graubraunen Schichtung das benachbarte Bruchsteinmauerwerk nachahmt. Auch ihn werden schon bald Moose und Flechten überwachsen.

Fragliche Zusammenhänge

Die Neuerungen rund um das Schloss Laufen rücken den Rheinfall wieder glücklich in den Fokus. Den Betrachter beschleicht jedoch ein mulmiges Gefühl. Was hat der Vorbereich des Besucherzentrums mit dem schön-schlichten Spielplatz am Schlossgraben zu tun? Was die Terrasse der neuen Erlebnisgastronomie mit dem sorgfältig rekonstruierten Schlosshof? Das «touristische Gesamtkonzept», wie der Kanton die zusammengewürfelten Ergebnisse beider Wettbewerbe nennt, verteilte die Zuständigkeiten: Die Architekten bauten das Besucherzentrum und fügten im Nordtrakt ein weiteres Treppenhaus ein, um ihn als «Historama» nutzbar zu machen.
Die Arbeit der Szenografen beschränkte sich nicht nur auf die Einrichtung des «Historamas», auf Exponate und Signaletik am Weg.

Sie entwarfen auch Lift und Steg und erneuerten die Wege. Für den abgespeckten Spielplatz, den Burghof und die Bepflanzung des Nordhangs zogen sie den Landschaftsarchitekten André Schmid bei.

Warum war ein solcher Spezialist bei den Wettbewerben nicht vorgeschrieben, obwohl der Ort ein Naturdenkmal von nationaler Bedeutung ist? Der Kanton begründet dies mit der intensiven Begleitung durch Denkmalpflege und Eidgenössischer Natur- und Heimatschutzkommission nach dem Wettbewerb. Fazit: Viele Hände waren hier am Werk. Eine gestalterisch steuernde Hand fehlte.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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