Zeitschrift

Steeldoc 02/10
Innovative Bürobauten
Steeldoc 02/10
zur Zeitschrift: Steeldoc
Herausgeber:in: Stahlbau Zentrum Schweiz

Ein Spiegel der Natur

Firmensitz Richemont International, Genf

Der neue Firmensitz von Richemont schreibt sich in den umgebenden Garten ein, als sei das Gebäude Teil eines Ganzen. Farbe, Licht, Spiegelung, Transparenz und Schattenspiel – Natur und Raum sind zu einem facettenreichen Ensemble gefügt, das die Grenzen dazwischen verschwimmen lässt.

Tatami ist das japanische Einheitsmass, das dem einer Schlafmatte entspricht. Aus dem Vielfachen dieses Moduls ist das japanische Haus zusammengesetzt. Es spiegelt damit die Natur – denn auch die Natur ist eingeschrieben in die Gesetze des Kosmos: das Kleine ist das Grosse. Ob der Architekt Jean Nouvel diesem Prinzip zu entsprechen versuchte, ist Spekulation. Der Architekt gibt zu, vom Ort mit den Jahrhunderte alten Zedern und den leichtblättrigen Laubbäumen in den Bann gezogen worden zu sein: die Stille, das Zeitlose, das leicht abfallende grüne Terrain, im Blick der Genfersee und zwischen dem alten Baumbestand die historischen Holzhäuser, denen der Neubau Nachbar werden soll. Wie bauen, um diesem magischen Ort die Seele nicht zu rauben?

Der weltweit tätige Konzern Richemont investiert vor allem in Luxusgüter sowie in Gold- und Diamantenminen. Für seinen europäischem Standort im Nobelvorort Bellevue bei Genf erwarb das Unternehmen einen privaten Park mit insgesamt acht denkmalgeschützten Holzhäusern aus dem Jahr 1869. Diese Häuser sollten mit diversen Nutzungen ausgestattet werden, wobei für den eigentlichen Hauptsitz ein Neubau im Park vorgesehen war. Entstanden ist eine leichte, hochtransparente und vielschichtige Architektur, die sich ihrer Umgebung vollständig hingibt. Die Entmaterialisierung wird durch das Spiel von Reflektion, halbtransparenten und mit Pflanzen und Schattenmotiven bedruckten Gläsern, Durch- und Einblicken zelebriert. Es entsteht ein Gefl echt aus Raum, Ausblicken und Naturschauspiel. Die Räume werden je nach Funktion mit Gläsern unterschiedlicher Durchsichtigkeit und Beschaffenheit begrenzt.

Modulares Stahlgitter

Insgesamt wurden drei Neubauten aus Stahl realisiert – zwei kubische Volumen sowie ein langgestreckter, abgestufter Baukörper. Das Längsgebäude setzt sich aus zwei parallelen Raumschichten zusammen, die durch eine mittlere Schicht aus Licht- und Grünräumen verbunden sind. Dem abfallenden Terrain folgt die Geometrie der Bauvolumen durch die Abstufung einzelner Geschosshöhen, so dass sich drei Teilvolumen abzeichnen.

Das feingliedrige Stahlgitter folgt einem streng modularen Raster. Ein Betonkern für die Treppenanlagen steift das Stahlskelett aus, so dass keine Windverbände notwendig sind. Um den kleinstmöglichen Querschnitt der Stützen im Fassadenbereich zu erreichen, wurde ein Vollstahlprofi l gewählt. Damit haben die tragenden Vertikalstützen dieselbe Abmessung wie die Fassadenrahmen, nämlich acht Zentimeter. Die Stützen sind mit einer Thermobeschichtung behandelt und brandsicher dimensioniert.

Die Geschossdecken bestehen aus Walzprofilen mit breitem Flansch und einer Verbunddecke aus Holoribblech mit Betonüberguss von 16 Zentimetern. Der Deckenverbund zwischen Blech und Beton wird entweder durch runde Kopfbolzen oder durch Warzenblech geschaffen.

Die Dachstruktur über dem langgestreckten Innenhof des Hauptgebäudes ist aus geschweissten Rechteck-Hohlprofilen gefertigt, um die Verbindungen der Konstruktion möglichst unsichtbar zu halten. Während die Vollstahlstützen ohne Behandlung einen Feuerwiderstand von 30 Minuten aufweisen, mussten die Deckenträger mit einem dämmschichtbildenden Brandschutzanstrich versehen werden.

Brückenlabyrinth

In der Zwischenzone des Gebäudes verbindet ein Brückensystem die beiden Raumschichten auf zwei Ebenen. Die Passerellen sind aus Stahlblech gefertigt, das mit Längs- und Querrippen versteift ist. Je nach Nutzung sind die Passerellen zwischen 90 und 130 Zentimeter breit und haben bis zu 5,60 Meter Spannweite. Die Plattformen bestehen aus zwei übereinanderliegenden orthotropen Platten, die verschraubt sind. Die Geländer bestehen nur aus einer fugenlosen Glasscheibe. Sämtliche Brückenteile sind mit einer Brandschutzbeschichtung für 30 Minuten Widerstand geschützt.

Die beiden kubischen Neubauten, welche sich im nördlichen Teil des Parks befi nden, nehmen den Dialog mit dem Hauptgebäude auf und sind im selben Prinzip gebaut. Die bestehenden Holzhäuser dienten den Architekten als Anschauungsmaterial und Inspiration für die Materialwahl und Detailgestaltung. Im Untergrund verbinden eine Parkgarage und diverse Zugänge die Gebäude untereinander.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch

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