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hochparterre 08|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 08|2010
zur Zeitschrift: hochparterre

Eine Strasse bekennt Farbe

Knapkiewicz & Fickert machen mit zwei malerischen Wohnhäusern einen Verkehrskanal zum städtischen Raum. Und beenden so eine endlose Zürcher Planungsgeschichte.

23. August 2010 - Axel Simon
«Erdbeer-Vanille», so werden die beiden neuen Häuser im Quartier, meist liebevoll, genannt. Unten ein kühles Rot, darüber ein grünliches Beige. Schauen wir uns die Fassade genauer an, entdecken wir die Feinheiten, wird aus der Eiscreme Architektur: Die Fenster der beiden unteren, roten Wohngeschosse sind breiter und unregelmässiger gesetzt als die der beiden hellen Etagen darüber.

Die untere Hälfte betont die Horizontale, die obere die Vertikale; unten Strasse, oben Himmel. Zwischen den beiden Farben liegt nicht nur die vom Maler gezogene Grenze, sondern ein beträchtlich breiterer Fenstersturz — unauffällige Zeichen hoher Könnerschaft.

Zwei schöne Häuser sind heutzutage schon selten. An einer solch schwierigen Lage sind sie ein grosser Wurf. Ihre Fassaden richten sich auf eine der Hauptausfallstrassen Zürichs, der Universitäts/ Winterthurerstrasse, die zwei Tramlinien und eine Buslinie mit sich entlang des Zürichbergs führt. Die beiden voneinander getrennten Grundstücke sind im Besitz der Stadt, die sie im Baurecht an die Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Zürich abgetreten hat. Lange schirmte man sich gegenüber solchen Strassen mit ihren Blechströmen einfach nur ab, errichtete Bollwerke, innen Nebenräume, aussen Schallschutzwände.

So auch beim Rigiplatz nebenan, der sich mit niedriger Wand, Gestrüpp und unbenutzten Bänken von der Strasse abwendet. Auf seiner nackten Fläche werden mal Velos, mal Weihnachtsbäume verkauft, ansonsten werfen die Designerleuchten lange Schatten.

Den Tischgruppen des «Alten Löwen» fehlt trotz des alten Kastaniendaches das Flair eines Biergartens. Das rund 200 Jahre alte Haus spielt in dieser Geschichte eine zentrale Rolle. Die beiden neuen Häuser auf seiner anderen Seite wenden sich der Strasse nicht ab. Sie nehmen sie als Stadtraum ernst, zeigen stolz ihre städtischen Fassaden und verbreitern mit Arkaden das Trottoir. Das eigentliche Zentrum von Zürich-Oberstrass, das namenlose Plätzchen vor Migros, Seilbahn Rigiblick und Apotheke, setzt sich nun jenseits von Strasse und Tramhaltestelle fort, auch in den neuen Läden des Erdgeschosses.

Gesicht zur Strasse

Das Innere der 19 Wohnungen und 4 Ateliers trägt dieser urbanen Haltung Rechnung: Wohnräume und Küchen blicken über raumhohe, vierfach verglaste Fenster lautlos auf die Strasse, die anderen Räume öffnen sich über spezielle Lüftungserker immer auch über die Kopfseiten der Häuser. Deren öffentliches Gesicht richtet sich zur Strasse, das genossenschaftliche Herz der Wohnungen aber schlägt auf der Rückseite. Dort löst sich die städtische Strenge auf, wird zum luftig sonnigen Wohnidyll mit atemberaubender Aussicht über Zürich.

Die offenen Treppenhäuser gehen in die Wohnungszugänge über, die gleichzeitig private Aussenräume mit Gartentor sind — urbane Anonymität ist da nicht gefragt, es sind Familienwohnungen, die mit den zuschaltbaren Ateliers im grossen Haus auch moderne Lebensentwürfe ermöglichen —nicht wunderlich, wohnen da viele Architekten.

«Erdbeer-Vanille» — noch vor zwölf Jahren gab man der geplanten Überbauung ganz andere Namen: «Plattenbau», «Schuhschachteln», «Dorferneuerungspolitik à la Ceausescu». Als 1998 die Architekten Kaschka Knapkiewicz und Axel Fickert den Wettbewerb am Rigiplatz gewannen, nahm eine bisher unerreichte Schmähkampagne ihren Anfang, mit dem Stadtzürcher Heimatschutz als Drahtzieher siehe «Unendliches Planen am Rigiplatz», Seite 40.

Der Grund: Ein drittes Gebäude der Architekten sollte den räudigen «Alten Löwen» ersetzen, durch den sich seit einigen Jahrzehnten das Trottoir bohrt und der so Gesicht und Adresse verlor. Die Neubaugegner erreichten, dass das alte Haus stehen blieb, zwei Biedermeierhäuser mussten jedoch weichen. Obwohl die beiden neuen Baukörper in ihren Grundzügen dem Wettbewerbsentwurf entsprechen, änderte sich in der Überarbeitung viel: Aus Bandfenstern wurden Lochfenster, aus rechtwinkligen Kuben wurden «weichere» Baukörper, die sich trotz ihrer Grösse an die kleinmassstäblichen Häuser nebenan schmiegen. Dafür sorgen vor allem eigenwillig geformte Anbauten, die sich dem Vorhandenen entgegenstrecken und sich über eine leichte Treppe sogar mit dem «Löwen» verbinden, um einer seiner Wohnungen als Terrasse zu dienen.

Mit sprechenden Details und Materialideen haben die Architekten ihre Häuser in die Umgebung «hineingemalt»: Die leicht geneigten und begrünten Satteldächer enden in Regenrinnen, die verzinkten Stäbe der Loggiengeländer «tanzen», und Sparrenköpfe tragen die Dachüberstände der kupfergedeckten Anbauten, auch wenn diese gar kein Sparrendach haben. «Unsere Häuser wachsen aus dem Milieu heraus», sagen die Architekten. Und: «Am Ende war uns der willkommen.»

Farbig und lustvoll

Die Architektur von Knapkiewicz & Fickert wird zusehends malerischer, das zeigen nicht nur ihre Häuser am Rigiplatz, sondern auch andere Projekte wie die Wohnüberbauung «Lokomotive» in Winterthur siehe HP 12 / 06. Ihre typologische Sicherheit beim Wohnungsbau paart sich mit einem immer breiter werdenden Spektrum stilistischer Möglichkeiten — Berührungsängste kennen sie kaum. Dass es dem Architektenpaar darum geht, ihre Bauten einzupassen, nicht jedoch zu verniedlichen, das zeigt die mächtige Betonstütze an der Rückseite des grossen Hauses: Sie steht frei vor den Loggien und macht die dortige Höhe von sieben Geschossen körperlich spürbar. Unmittelbar daneben malte der Künstler Franz Wanner ein Fresko, das die Baustelle des Hauses als eine Art Gründungsmythos zeigt. Kleine Landschaften schmücken die farbkräftigen Treppenhäuser. Die Irritation, die diese Kunstwerke auslösen, setzt sich im Innern der Wohnungen auf andere Art fort.

Lustvoll und augenzwinkernd kombinierten die Architekten da Materialien, um Allerweltslösungen zu vermeiden — das Budget war eng, und genossenschaftliche Bauherren sind nicht immer geschmackssicher. So schmücken honigfarbige Glasmosaike die Bäder und Tropenholzimitat die Küchenschranktüren — manche potenzielle Mieter konnten da gar nicht drüber lachen und sprangen ab, so hört man. Die Liste der Interessenten war trotzdem lang, denn neben Lage und Aussicht ist auch die räumliche Qualität hoch: Jeder der nur 2,40 Meter niedrigen Räume hat mindestens zwei Türen, auch die Bäder. So werden in der Wohnung viele Wege möglich, und eine relativ kleine Wohnung wirkt grösser.

Im Quartier sind die Schmährufe rar geworden. Vielleicht liegt es an der Bewohnerstruktur, die sich in den letzten Jahren aufgefrischt hat. Vielleicht liegt es am neuen Quartierladen, der Produkte aus der Region verkauft. Vielleicht liegt es aber auch an der Erscheinung der beiden Neubauten und daran, dass sie aus dem Hindernis und der Lärmquelle Strasse wieder einen Stadtraum gemacht haben. Heute hört man Sätze wie: «Die Häuser sind so schön, dass man zu Architekten wieder Vertrauen gewinnt.»

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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