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TEC21 2010|39
Tapetenwechsel
TEC21 2010|39
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Für eine neue Generation

Das Haus Balmermatte in Bürglen UR stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert. Die Architektur mit den grossen hohen Räumen erfüllt auch heutige Wohnansprüche. Die Altdorfer Architektin Margrit Baumann baute das denkmalgeschützte Bürger-Bauernhaus 2007 zum modernen Zweifamilienhaus um.

24. September 2010 - Tina Cieslik
Der Bau liegt am westlichen Ortsrand von Bürglen im Kanton Uri, am Eingang zum Schächental. Dendrochronologische Analysen ergaben, dass das Bauholz 1608 geschlagen wurde; einen weiteren Hinweis auf die Entstehungszeit liefern die Jahreszahlen 1634,1636 und 1638, die in die Bemalungen der Innenräume integriert sind. Bei dem Strickbau mit Steinsockel handelt es sich um ein sogenanntes Bürger-Bauernhaus, das sich durch die höhere Geschosszahl, reich verzierte Prunkräume und das steile Dach von den einfachen Bauernhäusern der Umgebung unterscheidet. Die Entstehung der Bürger-Bauernhäuser ist eng mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Innerschweiz verknüpft: Im 16. Jahrhundert florierte der Handel über die Pässe, wovon auch die Urner Bevölkerung profitierte. Gleichzeitig blieben auch die wohlhabenderen Bauern Bürger unter Bürgern; ihre Häuser blieben im Grossen und Ganzen den ortsüblichen Formen verhaftet.1 Bauherr des Hauses Balmermatte war der Urner Landammann Johann Peter von Roll, einer der reichsten und einflussreichsten Männer der Eidgenossenschaft. Bis zum Bau der Klausenstrasse waren Hof und Grundstück inklusive des Hausgartens und eines kleinen Wäldchens von einer Mauer umschlossen. Der Stall lag ausserhalb dieses abgegrenzten Gebiets.2

Umdenken bei der Denkmalpflege

Während in den ersten Jahrhunderten die Eigentümer des Hofes mehrfach wechselten, sind Haus und Grundstück seit 1882 im Besitz derselben Familie. Ausser kleineren Eingriffen in den 1980er-Jahren wie einem Anbau an der Westseite für die Sanitärräume befand sich das Haus bis zum Umbau 2007 weitgehend im Originalzustand – mit allen Konsequenzen: Die Kinder des Eigentümers verbanden mit dem Haus primär die niedrige Raumtemperatur, im Winter durchschnittlich etwa 15 ˚C. Bereits der Vater wollte das Haus umbauen, scheiterte mit seinen Vorstellungen aber an den Vorgaben der Denkmalpflege. Er realisierte daraufhin nebenan ein Einfamilienhaus nach seinen Vorstellungen, der Sohn übernahm Haus und Betrieb. Den Anstoss für den aktuellen Umbau gab dessen älterer Bruder, der als Polier von der historischen Bausubstanz fasziniert war und dann auch die Baumeisterarbeiten leitete.

Die Talente der einzelnen Familienmitglieder in den Bauprozess einzubinden hat sich gemäss Architektin beim Umgang mit Bauernhäusern schon mehrfach bewährt. Der Bau aus dem frühen 17. Jahrhundert sollte in eine neue Generation übergeführt werden und Raum für zwei unabhängige Wohneinheiten bieten. Platz dafür gab es auf den fünf Geschossen mit seinen immerhin 25 Nutz- und Wohnräumen genug. Durch die beiden Zugänge – einer für repräsentative Zwecke an der Ostseite der Fassade sowie der Ausgang zum Stall Richtung Westen – waren für die Erschliessung auch keine Eingriffe in die Fassade nötig.

Umbau in Etappen

Der Umbau fand in zwei Etappen und bei laufendem Betrieb statt: Zunächst wurde die Stöckli-Wohnung gebaut, anschliessend folgte die Restaurierung der als Lagerraum genutzten Trinkstube im Tiefparterre. Die Herausforderung: Gebäudestruktur und Räume sollten integral erhalten werden – bei gleichzeitiger Erfüllung der Anforderungen an Schallschutz, Feuersicherheit und vor allem an das heutige Komfortbedürfnis. Für die neue Wohnung wurden ausschliesslich Kalträume im 2. Obergeschoss und im Dachgeschoss genutzt, die bisher teilweise als Estrich, teilweise als Trockenräume für Obst dienten. Erschlossen wird das Stöckli durch den Eingang an der Ostfassade, von hier führt eine Treppe direkt in das erste Wohngeschoss im 1. OG. Um Platz für die Treppe zu schaffen, musste ein Teil der bemalten Decke im Erdgeschoss herausgesägt werden – ein Entgegenkommen der Denkmalpflege, das so vor einigen Jahren noch nicht möglich gewesen wäre. Die Wohnung erstreckt sich über vier Geschosse: Im 1. Obergeschoss befindet sich die neu eingebaute Küche sowie die sogenannte «Apotheke». Dieser Raum ist komplett mit bedrucktem Täfer ausgekleidet (Abb. 10), auch das eingebaute Buffet weist ornamentale Verzierungen auf. Nach einer vorsichtigen Reinigung des Holzes wird der Raum heute als Wohnzimmer genutzt.

Bei der Küche bestand der Wunsch nach einem hellen Raum. Das Originaltäfer wurde daher ausgebaut und durch Fermacellplatten ersetzt. Da das Täfer aber weiterhin im Gebäude gelagert wird, also jederzeit wieder einbaubar ist, gab die Denkmalpflege ihre Zustimmung zu diesem Vorgehen. Diese Grundhaltung bestimmte den Umgang mit der historischen Bausubstanz: «Temporäre«, also konstruktiv nicht notwendige Elemente wie das Gäste-WC im Obergeschoss sind so eingebaut, dass sie bei Bedarf auch wieder entfernt werden können. Konstruktive Teile wie die beiden neuen Treppen sind dagegen fest mit der Bausubstanz verbunden.

Vom 1. Obergeschoss gelangt man über die Treppe in den grosszügigen zweigeschossigen Korridor im 2. Obergeschoss, der durch zwei Lukarnen erhellt wird (Abb. 3). Die obere Lukarne entstand im Zuge der Umbauarbeiten, es gab aber Hinweise darauf, dass an dieser Stelle schon früher eine Öffnung existierte. Der Korridor wirkt als Verteiler für Bad, Arbeits- und Schlafzimmer. Eine weitere Treppe führt in ein zweites Wohnzimmer direkt unter dem Dach. Diese Stube wird durch eine fast raumlange Verglasung im Dach erhellt, die analog zu den Sparrenabständen eingepasst ist und neben Licht und Luft auch Aussicht auf die spektakuläre Bergwelt bietet. Die Ausbauarbeiten umfassten neben Restauration und Reinigung der Holzoberflächen auch bauphysikalische Massnahmen: Alle Räume der Stöckli-Wohnung erhielten hinter der Täferung eine Innenisolation aus feuchtigkeitsabsorbierender Schafwolle.

Restauration der Trinkstube

Nach Fertigstellung der Wohnung konzentrierten sich die Arbeiten auf die Wiederherstellung der Trinkstube im Tiefparterre in der Südostecke des Hauses. Dieser ursprünglich reich verzierte Raum diente in den letzten Jahrzehnten als Abstellraum und war in entsprechendem Zustand. Zunächst wurde daher der Kalkboden ersetzt, der neben den Beschädigungen auch einen Niveauunterschied von bis zu 12 cm aufwies. Neben einer Isolierung aus Glassplittern konnten so auch die neuen Elektroleitungen sowie eine Bodenheizung eingebracht werden. Anschliessend folgte die Reinigung und Fixierung der dekorativen Kalkseccomalerei an Decke und Wänden. Während der weisse Untergrund der Holzkassettendecke mit Schablonenmalerei in Blau und Rot verziert ist, schmücken das Familienwappen der von Roll, verschiedene Tier- und Pflanzenmotive sowie eine Säulenanlage, die sich interessanterweise nicht an den Proportionen der Decke orientiert, die weiss gekalkten Wände.

Eine Besonderheit sind die beiden Tiermotive an Ost- und Westwand: Sie zeigen zwei springende Steinhirsche (Abb. 11). Im Kopfbereich waren beide Malereien so stark beschädigt, dass sich Architektin und Denkmalpflege für einen abstrahierten, dreidimensionalen Ersatz aus Holz entschieden. Da diese Art heute in der Gegend ausgestorben ist, wurden entsprechende Geweihe aus dem Muotathal beschafft. Neben diesen neuen Elementen wurden die bestehenden Fenster mit einfachen Isolierglasfenstern ohne Dichtungen ersetzt, Letzteres, damit sich darin kein Kondenswasser bilden kann. Heute ist die Trinkstube öffentlich zugänglich und kann für Anlässe gemietet werden. Die Eigentümer, die auch das Brennrecht besitzen, präsentieren hier ihre Produkte und führen so die Tradition der Trinkstube weiter.

Wohnen im Baudenkmal

Rund 400 Jahre steht das Haus Balmermatte bereits. Durch die Eingriffe konnte die Bausubstanz nicht nur erhalten werden, der Ausbau zum Zweifamilienhaus führte sogar zu einer Wertsteigerung, auch wenn das Haus hinsichtlich der Erwartungen an Schalldämmung, Innenraumklima oder Türhöhen manchmal auch ein Entgegenkommen der Bewohner verlangt. Dass zeitgenössisches Wohnen aber trotz Denkmalschutz möglich ist, zeigt dieses Beispiel exemplarisch. Zu Recht wurde der Bau daher 2009 mit dem Schweizer Denkmalpreis ausgezeichnet.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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