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Herausgeber:in: Architekturzentrum Wien

Cross-Border-Leasing

Robin Hood und Wikipedia

21. Oktober 2010 - Peter Krobath
Was verbindet Gehsteige und Waldwege, Datenbanken und Parkbänke, genetische Codes und Wasserleitungen? Sie alle zählen zu den Commons, können von uns gemeinsam genutzt und verwaltet werden. Aber ist das noch möglich?

Eine Idee geht um. Sie ist Jahrhunderte alt, Jahrtausende. Ein Gespenst in neuem Outfit? Nein: Diese Idee wird in der täglichen Praxis von Millionen Menschen umgesetzt, auf österreichischen Almwiesen oder im südamerikanischen Regenwald, im urbanen öffentlichen Raum oder im Internet. Und sie eint neuerdings unterschiedliche Gruppen in der Debatte über eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung, über eine gerechtere Gesellschaft, an der alle partizipieren können. Manche sprechen bereits von einer „Bewegung der Bewegungen“.

Die Rede ist von Rückgewinnung, Ausbau und Stärkung der Commons, auf Deutsch Gemeingüter oder Allmende genannt. Damit sind sowohl natürliche Ressourcen gemeint (wie Weiden, Wald, Wiesen, Wellen, Wasser, Schnee, Auen, Teiche, Moore, Meeresboden, Kanäle, Artenvielfalt, Energieträger, Fotosynthese, Stabilität des Klimas, Ozonschicht etc.), als auch kulturelle und soziale Ressourcen (Märchen, Sprachen, Stille, Schreiben, Lesen, Forschungsergebnisse, Tänze, Musik, Wikipedia, Datenbanken, DNA, Gehsteige, Parks, Plätze, Wegefreiheit, Bauernmärkte, Festivals, soziale Netze).

Die nimmersatten Kapitalgesellschaften verschlingen diese Gemeingüter (und nennen es „Wachstum“), der Staat ist meist ein schlechter Hüter (weil zu sehr an die mächtigen Unternehmen gebunden), also sollen, so eine der Grundforderungen in der Debatte, die gemeinsamen Ressourcen durch das Commoning verwaltet werden, von den Nutzern oder Betroffenen selbst, ohne Staat und ohne Markt, jenseits des binären Weltbildes von Privat oder Öffentlich. Es geht um einen geregelten Gebrauch der Commons, der künftigen Generationen nichts nimmt, um die Gewährung vorübergehender Nutzungsrechte statt um schranken- und zeitlose Verfügung. Gemeingüter sind so gesehen auch eine Form der sozialen Beziehung. Oder anders herum gesagt: Jedes Common ist ein Produkt von Commoning, auch wenn es sich um einen Rohstoff handelt, weil er eben durch eine bestimmte soziale Praxis erst zum Gemeingut wird. Die Weide, der Fischgrund und die Demokratie sind ja nie ein für alle Mal ein Common, sondern immer nur solange sie als solche (re)produziert werden, solange sich also Menschen finden, die sich darum kümmern.

Fangen wir etwas früher an. Am Beginn der Geschichte gab es überall Gemeingüter. Die Menschen streiften durch die Welt und verfügten als Stammesgemeinschaften über Territorien. Vor rund 10.000 Jahren entstanden Landwirtschaft, feste Siedlungen und das Privateigentum. Herrscher oder militärische Eroberer erteilten bestimmten Leuten Besitztitel an Grund und Boden. Trotzdem blieb ein großer Teil des Landes in Europa Gemeingut. Im Römischen Reich wurden Gewässer, Küstenlinien, wild lebende Tiere und der Luftraum sogar ausdrücklich als res communes gewertet, als allen zur Verfügung stehende Ressourcen.

Im Mittelalter erhoben Könige und Lehnsherren Rechtsansprüche auf Flüsse, Wälder und Wildtiere, wobei diese Ansprüche regelmäßig zurückgewiesen wurden. Die berühmte Magna Charta, die zu unterzeichnen sich der englische König mit dem bezeichnenden Namen Johann Ohneland 1215 genötigt sah, schrieb Wälder und Fischereizonen als res communes fest. Aus dieser Zeit stammen auch die Geschichten des ersten Helden des Commons, des heute noch beliebten Robin Hood, der sich dafür einsetzte, dass das einfache Volk weiterhin im Wald jagen und Holz sammeln und in den Gewässern fischen darf, auch wenn das alles dem König gehört. Im 15. und 16. Jahrhundert stieg die Bedeutung des internationalen Handels für englische Wolle, und die wirtschaftliche Elite versuchte eine Effizenzsteigerung, indem sie bis dahin gemeinschaftlich bewirtschaftete Flächen zusammenlegte und einzäunte, privatisierte. Ab dem 18. und 19. Jahrhundert wurde die „Einhegung der Allmende“ zunehmend parlamentarisch verfügt.

Der Prozess der Einhegung ist noch im Gange, nur geht es heute neben Wald, Land und Wasser auch um moderne Kulturtechnologien, z. B. um Rundfunkfrequenzen oder genetische und digitale Codes. Ein dramatischer Strukturwandel ist im Gange. Noch ist es vielen nicht bewusst, dass sich etwa hinter der Patentierungsflut auf Nanobestandteile von Materie die Möglichkeit verbirgt, die Kontrolle über mehrere Wissenschaftszweige durchzusetzen. „Es scheint das Schicksal der Commons zu sein: Erst wenn sie oder ihre Surrogate verschwunden sind, werden wir uns ihrer Notwendigkeit bewusst“, schreibt Commons-Expertin Silke Helfrich (sie betreut die ausgezeichnete Webseite www.commonsblog.wordpress.com).

Die Wiederentdeckung der Gemeingüter geschieht nicht von ungefähr zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Auseinandersetzung darüber, welche Güter öffentlich und welche privat sind, wer von ihnen profitiert und wer ausgesperrt bleibt, steuert auf einen neuen Höhepunkt zu. Klimawandel, Finanzkrise, der Cross-Border-Leasing-Betrug, der Kampf um die Bodenschätze in der Arktis, Landgrabbing in Afrika oder Umweltkatastrophen wie die von BP verursachte Ölpest im Golf von Mexiko haben viele für das Thema sensibel gemacht.

Dass die Commonsdebatte für einige Zeit von der Denkfläche verschwunden war, liegt unter anderem an einem missverständlichen, doch leider berühmt gewordenen Aufsatz Garret Hardins aus dem Jahr 1969. In der „Tragedy of the Commons“ („Die Tragödie der Allmende“) meinte der Biologe, wenn Menschen ein Stück Land gemeinsam nutzen, werde es unweigerlich übernutzt – die Menschen seien immer bestrebt, kurzfristig ihren materiellen Nutzen zu maximieren, und die Gemeinschaftsgüter seien daher zur Selbstzerstörung verurteilt. Diese These wurde von vielen unbesehen übernommen. Ein genauerer Blick zeigt, dass Hardins Beispiel kein Gemeingut betrifft, sondern ein Niemandsland. Und dass erfolgreiche Gemeingüter sehr wohl klar definierte Grenzen und Regeln haben und seit Hunderten von Jahren funktionieren. „Für Hardin ist die Allmende ein Schlaraffenland, das leergefressen wird. Für seine Kritiker sind Gemeingüter eher ein Picknick, zu dem jeder etwas beiträgt und wo sich jeder in Maßen bedient“, beschreibt der Journalist Bernhard Pötter die Auseinandersetzung mit einer passenden Metapher.

„Gruppen, die regelmäßig miteinander kommunizieren können, sind in der Lage, fast optimale Ergebnisse zu erzielen, anstatt die Ressourcen zu übernutzen“, stellt die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom, die seit Jahrzehnten die Allmende erforscht, fest. Die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an Ostrom im Herbst 2009 war ein wichtiger Anstoß für das Comeback der Commonsdebatte. Ostrom hat viele Gemeingütersysteme von den Philippinen bis zu den Schweizer Almen studiert, und dabei vor allem untersucht, wie Menschen in diesen Projekten miteinander kooperieren. Sie kam zu dem Ergebnis, dass für eine angemessene und nachhaltige Bewirtschaftung von lokalen Allmende-Ressourcen in vielen Fällen eine institutionalisierte lokale Kooperation der Betroffenen sowohl staatlicher Kontrolle als auch Privatisierungen überlegen ist. Für erfolgreiche Lösungen von lokalen Allmende-Problemen zählt Ostrom folgende Prinzipien auf: klar definierte Grenzen und einen wirksamen Ausschluss von externen Nichtberechtigten. Regeln bezüglich der Aneignung und der Bereitstellung der Allmende-Ressourcen müssen den lokalen Bedingungen angepasst sein. Die Nutzer können an Vereinbarungen zur Änderung der Regeln teilnehmen, sodass eine bessere Anpassung an sich ändernde Bedingungen ermöglicht wird.

Überwachung der Einhaltung der Regeln.
Abgestufte Sanktionsmöglichkeiten bei Regelverstößen.
Mechanismen zur Konfliktlösung.
Die Selbstbestimmung der Gemeinde wird durch übergeordnete Regierungsstellen anerkannt.

Ist dieser „Commonismus“ der lang ersehnte Dritte Weg zwischen der Unantastbarkeit des Privateigentums im Kapitalismus und der staatlichen Bevormundung im Sozialismus? Der große Praxistest steht noch aus. Die lokalen Beispiele machen Mut (wo z.B. Stadtbewohner die bereits privatisierte Wasserversorgung wieder in die eigene Hand nehmen oder sich ländliche Gemeinden auf nachhaltige Weise energieautark machen), die Ideen für globale Commons- Bestimmungen (wie z.B. das „Sky Trust“-System für eine gerechtere Regelung des Emissionshandels) müssen erst politisch durchgesetzt werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Hintergrund

Ansprechpartner:in für diese Seite: Martina Frühwirthfruehwirth[at]azw.at

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