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hochparterre 11|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
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Leuchtende Städte

In den Neunzigerjahren hielt der Plan Lumière Einzug in die Schweiz. Die Aufregung hat sich gelegt. Zeit für eine Zwischenbilanz. Ein Blick nach Zürich, Luzern, Winterthur und Burgdorf.

8. November 2010 - Roderick Hönig
In den Neunzigerjahren grassierte in der Schweiz erstmals ein unbekanntes Fieber, das Lichtfieber: Zuerst erfasste es die Städte Basel, Zürich und Lausanne, später auch kleinere Orte und Gemeinden wie Frauenfeld oder Gruyère. Allen Infizierten gemeinsam war, dass sie um ihr Bild in der Nacht besorgt waren oder nach einer übergeordneten Handhabe für private Beleuchtungsprojekte suchten. Die meisten schielten damals nach Frankreich oder Deutschland, wo Plans Lumières, Lichtpläne, schon seit geraumer Zeit versuchten, den allgemeinen und unkoordinierten Lichterwildwuchs gesamtstädtisch zu regeln und aktiv zu gestalten.

2010 scheint das Lichtfieber mehr oder weniger geheilt. «Grundsätzlich gibt es zwei Auslöser für einen Plan Lumière: Bei den grösseren Städten geht es ums Standortmarketing. Hier wirkt die nationale und internationale Städtekonkurrenz», erklärt Christian Blum, der beim Büro Feddersen & Klostermann das Dossier Plan Lumière betreut. Zürich, Basel oder auch Winterthur gehören dazu.

Bei kleineren Gemeinden geht es in erster Linie darum, für die immer häufiger werdenden privaten Beleuchtungsprojekte eine allgemeine Bewilligungsgrundlage herzustellen. Die Basis liefert der Plan, das gesamtstädtische Lichtkonzept gibts gratis mit dazu. Als Beispiel dient Burgdorf, das im Rahmen einer Aufwertung der Altstadt auch seine Lichtsituation untersucht hat. In der Folge beauftragte es Feddersen & Klostermann zusammen mit Wiederkehr und Partner, ein kleines Konzept inklusive Pilotprojekt auszuarbeiten. Auch St. Moritz braucht eine planerische Handhabe im Umgang mit öffentlichen und privaten Lichtinstallationen, vor allem in der Weihnachtszeit. Ein wichtiges Ziel des Kurorts ist deshalb, den teilweise bis in den März hinein leuchtenden privaten Rentierschlitten- Blinkstern-und Lichterbaum-Wildwuchs einzudämmen.

Top-down und Bottom-up

Kleine Gemeinden und grosse Städte unterscheiden sich im Vorgehen: Zürich und Basel haben zuerst umfangreiche und detaillierte Lichtpläne fürs ganze Stadtgebiet ausgearbeitet, dann sind sie an die Umsetzung einzelner Projekte gegangen. Nennen wir es das «Top-down»-Modell. Bei kleineren Gemeinden hingegen macht die Unterteilung in Planung und Ausführung wenig Sinn, meint Lichtplaner Blum: «In Burgdorf haben wir zuerst eine kleine Lichtskizze nur für die Oberstadt erstellt und dann am konkreten Fall Kronenplatz eine Diskussion lanciert. Mittels einer Bemusterung haben wir vor Ort Behörden, das Elektrizitätswerk, Hausbesitzer, Nachbarn und Anrainer involviert und informiert.» Dieser pragmatische Weg zeigt direkt und einfach Chancen und Probleme auf. Weitere Projekte werden fortlaufend bei Bau- und Sanierungsarbeiten umgesetzt — Voraussetzung dafür ist, dass in der Verwaltung alle das Anliegen verinnerlicht haben, was durchaus seine Zeit braucht. Eine Bemusterung hat aber noch andere Vorteile: Sie weckt bei Laien Verständnis für die doch eher komplexe Materie.

«Wichtig ist aber bei einem solchen -Verfahren, dass im Anschluss die weiteren Lichtprojekte von den Behörden beharrlich verfolgt und koordiniert werden. Sonst bleibt es beim reinen Aha-Effekt», meint Blum.

In Winterthur ging man einen anderen Weg: Das Konzept «Stadtlicht Winterthur » des deutschen Lichtplaners Uwe Knappschneider setzt die Leitplanken und definiert die Gestaltungsbereiche und -objekte innerhalb des Stadtgebiets. Das Konzept ist aber kein Realisierungsprogramm. In einer ersten Phase wurden offene Wettbewerbe zu vier Pilotprojekten durchgeführt. Bewährt sich das Vorgehen, werden weitere Wettbewerbspakete geschnürt, so Lorenz Schmid, Projektleiter der Stadt Winterthur.

Grosses portemonnaie, ppp und Contracting

Für Lichtpläne gibt es drei Finanzierungsmodelle, die frei miteinander kombiniert werden. Etabliert hat sich vor allem eines: Eine Stadt spricht einen Gesamtkredit für Planung und Ausführung. In Zürich beispielsweise bewilligten Parlament und Regierung in mehreren Schritten rund zehn Millionen Franken. Damit werden bis 2013 rund 35 Projekte realisiert. Basel hat acht Millionen für Konzept und Umsetzung von «B-leuchtet» gesprochen, ebenso viel haben die Luzerner zur Verfügung gestellt. Zürich kombiniert das Gesamtkredit- mit dem Public-Private-Partnership-Modell. Denn, weil der Plan Lumière» in erster Linie Stadträume sichtbar machen will, müssen teilweise auch private Gebäudefassaden angeleuchtet werden. «Die Beteiligung von Privaten ist sehr wichtig. Doch die Partnerschaften laufen zuweilen etwas harzig und sind für uns nicht immer wie gewünscht steuerbar, nicht zuletzt, weil in umfangreichen Verträgen Rechte und Pflichten bis ins Detail festgelegt werden müssen», resümiert Stephan Bleuel, Verantwortlicher des Plan Lumière im Amt für Städtebau. 295 000 Franken haben die Zürcher Behörden für das Konzept und die Beratung, aber auch für Muster und einen Teil der Installation und Projektoren, beispielsweise am Utoquai, ausgegeben. Die Stadt zahlt auch den Strom und stellt den öffentlichen Raum den Privaten kostenlos zur Verfügung. Sechs von sieben Eigentümern haben im Gegenzug zusammen 230 000 Franken für die Beleuchtung von rund 300 Metern Fassadenabwicklung bezahlt.

«Auslöser für unser Engagement war die Kongresshaus-Pleite: Nachdem das tolle Projekt bachab geschickt wurde, wollten wir als halböffentliche Institution ein Zeichen der Solidarität setzen. Überzeugt hat uns zudem die technisch ausgefeilte und energetisch effiziente Lösung, die die Zimmer unserer Gäste im Dunkeln lässt, das Haus aber erleuchtet», sagt dazu Beat Sigg, Direktor des Hotels «Eden au Lac» am Utoquai. Das Projekt zeigt aber auch gut die Grenzen des PPP-Modells: Weil ein Hausbesitzer noch zuwarten wollte, leuchten nur sechs von sieben Häusern. Diese «Zahnlücke» beeinträchtigt das Gesamtkonzept deutlich. Von bis anhin sechs PPP-Projekten wurden in Zürich fünf abgeschlossen. Mit einer Contracting-Lösung, einer Art Leasing inklusive Betrieb und Unterhalt, wird das Beleuchtungskonzept in Luzern realisiert. Der Luzerner Energiedienstleister «ewl» finanziert die gesamte Anlage vor und ist verantwortlich für Betrieb und Unterhalt in den nächsten 25 Jahren. Die Stadt Luzern bezahlt unter dem Strich zwar etwas mehr für diese Lösung, dafür muss sie nicht einmalig tief in die Tasche greifen, sondern kann die Gesamtkosten von rund acht Millionen in jährlichen Raten abzahlen.

Rechtliche Grundlagen

Die Umsetzung jedes Plan Lumière erschwert, dass er eine unverbindliche Empfehlung ist. Regulieren können die Behörden durch die Bewilligungspflicht einer Anlage. Meistens erlaubt der Plan Lumière aber gar keine Lichtinstallationen mehr ausserhalb des von ihm bezeichneten Gebiets. Eingebürgert hat sich der aufwendige Weg des direkten Verhandelns. Das heisst, das Plan-Lumière-Team versucht, Laden- und Hausbesitzer für eine gemeinsame Lösung zu gewinnen. «Viele Hausbesitzer erlauben die Installation von Leuchten an der eigenen Fassade problemlos, geht es aber ums Geld, winken die meisten ab. Beleuchtung ist für sie Aufgabe der Stadt», meint Christian Blum.

Vorreiter Luzern

Einzigartig in der Schweiz ist die Schaufenster- Lösung in Luzern. «Weil die Altstadt Kernelement unseres Konzepts und auch ein wichtiges Wohnquartier ist, basiert unser Plan darauf, dass sie auch einmal schlafen geht», erklärt Mario Rechsteiner, dessen Firma art light die Projektleitung innehatte. Er unterscheidet in Luzern zwischen szenografischem Abend- und funktionalem Nachtprogramm. Wer aber Gassen und Plätze bis 23 Uhr inszenieren und danach wieder ins Fast-Dunkel zurückfallen lassen will, kommt um die Schaufensterbeleuchtung nicht herum. «Bei einigen Uhren- und Bijouterieläden haben wir bis zu 40 000 Lux gemessen. Damit kann man ganze Gassen erhellen», schmunzelt Ueli Habegger, ehemaliger Denkmalpfleger der Stadt. Er hat sich zusammen mit Rechsteiner für eine Reduktion der Intensität der Schaufensterbeleuchtung in der Altstadt stark gemacht. Das Engagement führte zu einer Verordnung, die der Grosse Gemeinderat 2008 verabschiedet hat. Neu dürfen in einem Abstand von 1,5 Metern vom Schaufenster nur noch maximal 80 Lux sowie eine maximale mittlere Beleuchtungsstärke von 110 Candela gemessen werden. Bestehende Schaufenster müssen nicht angepasst werden. Doch weil kommerzielles Licht neu bewilligungspflichtig ist und weil Schaufensterbeleuchtungen soweiso im Schnitt alle sechs bis sieben Jahre erneuert werden, löst sich das Problem von selbst: Nach einer Schaufenster-Generation sind alle an den Plan Lumière angepasst, also dunkler. Der Luzerner Plan Lumière hat im September den internationalen «City People Light Award» 2010 verliehen bekommen.

Energie sparen?

Eines der wichtigen politischen Verkaufsargumente eines Plan Lumière ist, dass er beim Energiesparen hilft. Mit modernen Lampen und Reflektoren könne man das Licht dorthin lenken, wo es gebraucht wird, steht im Konzept Stadtlicht Winterthur. Damit könnten auch Wartungszyklen verlängert, Leuchtenstandorte verringert und die Energieeffizienz erhöht werden, so die Winterthurer. Um 20 Prozent versprach der ehemalige Luzerner Finanzdirektor Franz Müller den Energieverbrauch mit dem Plan zu senken. Auch Genf rechnet vor, dass, wenn man alle veralteten Leuchten im öffentlichen Raum durch effizientere ersetzen würde, man den städtischen Energieverbrauch um 20 Prozent und damit das Globalbudget der Stadt um 16 Prozent senken könnte. Das klingt gut, doch sind diese Zahlen kritisch zu hinterfragen, denn szenografische Beleuchtung macht nur einen Bruchteil der Grundbeleuchtung aus. In Zürich betrug der jährliche Energieverbrauch gesamthaft rund 3,1 Millionen Megawattstunden (MWh), davon entfallen 22 000 MWh auf die öffentliche Beleuchtung.

Reine Plan-Lumière-Beleuchtungen verbrauchten aber rund 70 MWh, also nur 0,03 Prozent des Gesamtverbrauchs. Wer also den Hebel nur bei der szenografischen Beleuchtung ansetzt, kann den Gesamtverbrauch nicht senken. «Doch die Grundbeleuchtung, bei der Sparen einschenken würde, ist eines der letzten Tabus», sagt Christian Blum. Allerdings spürt der Lichtplaner ein Umdenken bei den städtischen Werken und der Polizei. Denn einerseits adaptiert sich das Auge automatisch an die Lichtverhältnisse, wenn das Gesamtniveau gesenkt wird. Andererseits hat die Lichtausbeute neuerer Autoscheinwerfer deutlich zugenommen. St. Gallen will deshalb die Betriebsdauer der Strassenbeleuchtung anpassen. Die Stadt will sie künftig bereits ab 22 statt erst ab 24 Uhr reduzieren.

Grosse Bedeutung für die Energieeinsparung haben Sendeprogramme, also Steuerungen, die bestimmen, wann eine Lampe wie hell leuchtet. Auch in Zürich werden die Strassenlampen künftig zwischen 1 und 5 Uhr in der Helligkeit zurückgenommen. Das sind begrüssenswerte Engagements. Doch solange Verkehrspolizei, städtische Werke und grosse Teile der Bevölkerung die Quantität des Lichts in direkter Relation zur Sicherheit setzen, ist der Hebel zum Energiesparen begrenzt.

Weniger Licht ist oft mehr

Und nun? Der Plan Lumière ist in der Schweiz als Planungsinstrument etabliert. Grosse Unterschiede im gestalterischen Ansatz gibt es nicht: Die Lichtplaner zeichnen in erster Linie Ortsbilder nach, die sich nachts in die Erinnerung brennen sollen. Dazu akzentuieren sie Verkehrsachsen, reagieren auf topografische Eigenheiten und verteilen die einzelnen Lichtprojekte dezentral über den Stadtraum.

Im Ausland finden sich mehr auch künstlerische Ansätze, etwa Lichtpläne, die nur die Stadteingänge markieren, oder solche, die sich am Biorhythmus orientieren. Hierzulande hat sich für die Szenografie warmweisses Licht eingebürgert. Es gibt die Materialien des beleuchteten Objekts am besten wieder. Farbiges Licht gilt als Festlicht, zumindest in der Deutschschweiz. Eine grosse Rolle spielt die technische Entwicklung, allen voran der LED. Doch beim Heilsbringer LED braucht es oft mehr Leuchten, was — wenn man genau rechnet — nicht weniger Energie braucht. Zweitens ist der Austausch eines LED-Moduls in gleicher Qualität noch nicht gewährleistet — was bei einer Fassadenbeleuchtung auffällt.
Allgemein ist auch eine Tendenz zu weniger Licht festzustellen. Grund dafür ist, dass das Grundlicht oft sehr hoch, ja zu hoch ist.

«Bei einzelnen Projekten in Zürich haben wir die geplante Beleuchtung reduziert oder gar weggelassen, obwohl sie Teil des Plan Lumière war», erklärt Stephan Bleuel. «Die Beleuchtungsnormen verlangen eigentlich immer zu viel Licht, doch nicht nur helle Orte definieren eine Stadt, sondern auch dunkle», doppelt Christian Blum nach. Von der «Gnade der Verschattung» spricht der Denkmalpfleger Ueli Habegger und meint damit nicht nur, dass schlechte Architektur nachts nicht inszeniert werden muss, sondern auch, dass weniger oft mehr ist. In diesem Sinne verstehen die Spezialisten auch Weihnachtsbeleuchtungen oder Lichtfestivals. Sie ergänzen die Lichtpläne. Solche Veranstaltungen sensibilisieren und zeigen die Unterschiede zwischen Alltags- und Festbeleuchtung auf. Sie lassen Tests zu, die dann vielleicht wieder im Gesamtkonzept wirksam werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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