Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 04|2006
Kunststoff-Konstrukte
db deutsche bauzeitung 04|2006, Foto: Panton Design
db deutsche bauzeitung 04|2006, Foto: Panton Design

Aus einem Guss

Die Entwicklung des Panton-Stuhls

Anhand des Panton-Stuhls, einem der bekanntesten Kunststoffmöbel der Designgeschichte, vollziehen wir einige Stationen der Entwicklungsgeschichte des Kunststoffs nach. Der formal und konstruktiv gewagte Entwurf, der 1968 in Serie ging und das Ergebnis einer langjährigen Entwicklungsarbeit ist, steht beispielhaft für die Möglichkeiten von Kunststoff. Ein mehrfacher Wechsel des Materials und der Herstellungstechnik machten jeweils eine formale Modifikation des Stuhls notwendig. Parallel zur Geschichte des Panton-Stuhls betrachten wir Anwendungsbeispiele von Kunststoff in der Architektur.

9. April 2006 - Mathias Remmele
Als der Panton-Stuhl Ende der sechziger Jahre endlich auf den Markt kam, erregte er beim Publikum sogleich eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Dieser Stuhl war einfach anders. Statt Beinen hatte er diese nie gesehene, konvex gebogene, lange Schleppe, die dem Boden zu entwachsen schien. Darüber wölbte sich, in kühnem Schwung und bedenklich weit auskragend, eine körpergerecht geformte Sitzschale, die sich ohne Unterbrechung und wie durch einen plötzlichen Richtungswechsel aus der Schleppe heraus entwickelte. Abgesehen von dieser konstruktiven Besonderheit überzeugte der Stuhl auch in ästhetischer Hinsicht: durch seinen skulpturalen Charakter, durch seine sanft fließenden Konturen, die Eleganz und Dynamik ausstrahlten und Assoziationen an den weiblichen Körper provozierten. Seinen heutigen Status als eine der bekanntesten Design-Ikonen des 20. Jahrhunderts aber verdankt der vom dänischen Designer Verner Panton (1926-1998) entworfene und nach ihm benannte Stuhl nicht allein seinen extravaganten formalen Qualitäten. Was ihn Ende der sechziger Jahre so spektakulär erscheinen ließ und ihn heute in designhistorischer Perspektive bedeutsam macht, ist etwas anderes: Der Panton-Stuhl war der erste aus einem Stück gefertigte Kunststoffstuhl der Möbelgeschichte, er nutzte die Möglichkeiten dieses Materials konsequent und bis an die Grenze des seinerzeit technisch Realisierbaren. Mit ihm erfüllte sich, wovon schon Generationen von Designern geträumt hatten: der Stuhl aus einem Guss. Er ist darüber hinaus ein Symbol für den Siegeszug von Kunststoffmaterialien in der Möbelindustrie, der 1950 mit den Schalenstühlen von Charles und Ray Eames begann, in den sechziger Jahren seinen ersten Höhepunkt erreichte, in den siebziger Jahren nach der Ölkrise schwere Rückschläge erlitt und seit den Neunzigern einen bis heute anhaltenden neuen Boom erlebt.

Entwurf und Entwicklung Der Panton-Stuhl ist das Ergebnis eines langjährigen Entwurfs- und Entwicklungsprozesses. Bereits Mitte der fünfziger Jahre hat sich Panton nachweislich mit der Idee eines freischwingenden Stuhls aus einem einzigen Material befasst - vorläufig auf der Ebene der Entwurfszeichnung und ohne eine präzise Vorstellung bezüglich des Materials. Kurze Zeit später beschäftigte er sich im Zusammenhang mit seiner ersten eigenen Möbelkollektion intensiv mit den damals neuen Kunststoffmaterialien und den gestalterischen Möglichkeiten, die sie dem Designer boten. Die Faszination dieser Werkstoffgruppe lag für Panton in der scheinbar unbegrenzten Modellierbarkeit des Materials und in ihrer Tauglichkeit für die Entwicklung industrieller Serienprodukte. Um 1960 konkretisierte sich seine mittlerweile formal modifizierte Stuhlidee in einem nicht gebrauchsfähigen 1:1 Modell aus tiefgezogenem Polystyron. Es diente dem Designer bei seiner Suche nach einem Produzenten, der an die Realisierbarkeit seines Entwurfs glaubte und bereit war, die finanziellen Risiken der noch notwendigen Entwicklungsarbeiten zu tragen. Es sollte Jahre dauern, bis Panton in Willi Fehlbaum einen industriellen Partner fand, der reges Interesse an seinem Entwurf zeigte. Der Basler Unternehmer, der damals Möbel der amerikanischen Firma Herman Miller (vor allem Charles und Ray Eames und George Nelson) in Lizenz produzierte, und entsprechend über große Erfahrungen im Umgang mit glasfaserverstärktem Polyester verfügte, entschloss sich Mitte der sechziger Jahre die Produktion des Stuhls zu wagen.

Während einer intensiven Arbeitsphase entstanden zwischen 1965 und 67 in enger Kooperation zwischen Panton und der Entwicklungsabteilung von Herman Miller/Vitra in Weil am Rhein in kurzer Folge etwa zehn Versuchsmodelle des Stuhls aus handlaminiertem, glasfaserverstärktem Polyester. Am Ende dieser Versuchsreihe, deren Ziel es war, die Vorstellungen des Designers mit den Möglichkeiten des Materials und den produktionstechnischen Erfordernissen in Einklang zu bringen, hatte der Panton-Stuhl seine Form gefunden. 1967 konnte er in einer kleinen Vor-Serie (ca. 100 - 150 Stück) aus kalt gepresstem, glasfaserverstärktem Polyester hergestellt werden. Im Januar 1968 folgte dann sein erster großer Auftritt auf der Kölner Möbelmesse.

Ein Stuhl in vier Versionen Pantons formal und konstruktiv gewagte Stuhlidee hatte sich also realisieren lassen. Trotz dieses Erfolgs bestand jedoch kein Grund, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben. Das Verfahren, in dem die erste Version des Stuhls hergestellt wurde, war aufwändig und teuer. Der Stuhlrohling musste nach dem Pressen in Handarbeit gespachtelt, geschliffen und lackiert werden. Die Produktion größerer Stückzahlen, mit der sich die bald abzeichnende Nachfrage hätte befriedigen lassen, konnte so nicht bewältigt werden. Panton selbst störte neben dem erheblichen Gewicht des Stuhls seine nicht ganz ebenmäßige Oberflächenstruktur.

Eine Lösung der Probleme suchte man im Wechsel des Materials. Der von der Firma Bayer produzierte und unter dem Markenname „Baydur“ vertriebene Duroplast-Werkstoff Polyurethan-Hartschaum schien geeignet, die Herstellung des Panton-Stuhls wesentlich zu vereinfachen. Nach einer Testphase begann 1968 die eigentliche Serienfertigung des Stuhls aus diesem Material. Das hierbei angewandte Gussverfahren erlaubte zwar die rationelle Produktion größerer Stückzahlen, eine preistreibende handwerkliche Nachbearbeitung - der aufgeschäumte Rohling musste wiederum geschliffen, gespachtelt und lackiert werden - ließ sich jedoch nicht vermeiden. Rein ästhetisch aber überzeugte die zweite Version des Panton-Stuhls: Das Material erlaubte eine schlanke Linienführung, die fein modellierten Kanten und die je nach konstruktiver Belastung unterschiedlichen Wandstärken unterstützten den skulpturalen Charakter des Stuhls, der auch durch die Lichtreflexe auf der völlig ebenmäßigen, glänzend lackierten Oberfläche betont wurde. Es war ein Zeichen für die Innovationsfreude des Unternehmens und für die Hartnäckigkeit des Designers, der ein wohlfeiles Industrieprodukt wünschte, dass man weiter an einer Optimierung der Stuhlherstellung arbeitete. Zwei Jahre nach dem Beginn der Serienfertigung glaubte man, den perfekten Werkstoff für den Stuhl gefunden zu haben. Das von der Firma BASF entwickelte Thermoplast Polystyrol (vertrieben unter dem Markenname „Luran-S“) versprach beste Materialeigenschaften und ließ sich im rationellen Spritzgussverfahren verarbeiten. Der aus einem bereits gefärbten Plastikgranulat hergestellte Stuhl benötigte nach dem Entgraten (Lösen aus der Form) keine weitere Behandlung. Der Wechsel des Materials und der Herstellungstechnik verlangte allerdings eine erhebliche formale Modifikation des Stuhls. Da damals im Spritzguss nur eine durchgehende Wandstärke möglich war, mussten seine konstruktiv kritischen Partien verstärkt werden. Der Stuhl erhielt eine deutlich breitere seitliche Kante, vor allem aber wurde der Übergang von Fuß und Sitzfläche, der besonders hohen Belastungen ausgesetzt ist, durch an der Unterseite eingezogene Rippen versteift. Sie sind das auffälligste Merkmal der dritten, zwischen 1971 und 79 gefertigten Version des Stuhls.

Das Material Polystyrol erwies sich bald als weit weniger alterungs- und witterungsbeständig als ursprünglich angenommen. Um 1974 kam es bei den Stühlen vereinzelt zu Brüchen. Zwar versuchte man seit 1975, durch eine nochmalige Verstärkung des Materials die Probleme in den Griff zu bekommen, doch das Vertrauen in den Werkstoff war nachhaltig und zu Recht erschüttert. Ende der siebziger Jahre häuften sich die Reklamationen über gebrochene Stühle und dem Hersteller drohte durch das einstige Vorzeigeprodukt ein ernsthafter Imageschaden. Sinkende Verkaufszahlen, die nicht zuletzt auf ein gewandeltes Image der Kunststoffmöbel zurückzuführen waren, die jetzt als billig und unökologisch galten, führten 1979 schließlich zur Einstellung der Produktion.

Als Panton 1983 wieder einen Hersteller für seinen Stuhl gefunden hatte, griff man erneut auf den relativ arbeitsintensiven, dafür aber bewährten Werkstoff Polyurethan-Hartschaum (PU) zurück. Formal unterscheidet sich diese zweite PU-Variante des Stuhls, abgesehen von der in die Schleppe eingeprägten Signatur Verner Pantons, kaum von der zwischen 1968 und 71 produzierten Version.

Gegen Ende der neunziger Jahre gaben technische Fortschritte in der Kunststoffverarbeitung - insbesondere eine Verfeinerung der Spritzgusstechnik, in der jetzt auch unterschiedliche Wandstärken realisiert werden können - Anlass, eine nochmalige Weiterentwicklung des Stuhls zu bedenken. In Zusammenarbeit mit Panton entstand so die vierte und letzte vom Designer autorisierte Version seines Stuhls aus glasfaserverstärktem Polypropylen. Sowohl herstellungstechnisch als auch formal knüpft die Polypropylen-Variante des Stuhls an die von 1971-79 produzierte Version aus Polystyrol an. Ein wesentlicher Unterschied ist aber die matte Oberfläche, die der Kratzempfindlichkeit des relativ weichen Materials geschuldet ist. Mit diesem Modell, das Vitra 1999 auf den Markt brachte, konnte - mehr als 30 Jahre nach Beginn der Serienfertigung - erstmals eines der wesentlichen Ziele des Designers verwirklicht werden: der Kunststoffstuhl als preiswertes Industrieprodukt.

Kunststoffbauten I

Französisches Schneckenhaus
Das von Ionel Schein und Yan Magnat 1956 als Musterbau für die Exposition des Arts Menager in Paris konzipierte „Schneckenhaus“ sollte auf einer Fläche von 90 m die Tauglichkeit verschiedener Kunststoffe für den Bau von Einfamilienhäusern demonstrieren. Das eingeschossige Gebäude bestand nicht nur konstruktiv aus glasfaserverstärktem Polyester, sondern war auch mit Einbaumöbeln aus diesem Material ausgestattet.

Monsanto-House
Das von einem Architekten- und Ingenieur-Team am Massachusetts Institute of Technology 1957 entwickelte Monsanto-House ist als Prototyp eines „House of the Future“ konzipiert worden. Zur angestrebten Serienfertigung ist es aus Kostengründen nicht gekommen, obwohl die aus schalenförmig gekrümmten Sandwich-Elemente (Wände aus glasfaserverstärktem Polyester und Dämmung aus Polyurethan-Hartschaum mit Einlagen aus Papierwaben) erhebliches Aufsehen erregten. Das Monsanto-House demonstrierte mit seinen weit auskragenden Waben die konstruktive Leistungsfähigkeit des Kunststoffs und nahm mit seinen abgerundeten Formen die Soft-Edge-Ästhetik der siebziger Jahre vorweg. Das Muster-Wohnhaus gehörte bis zu seinem Abriss 1967 zu den Attraktionen des Disneyland Parks.

Kunststoff-Kugelhaus
Das von Egon Brütsch 1960 konstruierte Kunststoff-Kugelhaus entwickelt sich über einer Grundfläche von nur 13 m und ist als Gartenlaube bzw. Mini-Wochenendhaus konzipiert. Die vertikal gegliederte Schale besteht aus einer äußeren Schicht aus glasfaserverstärktem Polyester, einer Dämmung aus Polystyrol- und Polyurethan-Schaum sowie aus einer textilen Bespannung im Innern.

Überdachung Tankstelle Thun
Für die Überdachung einer Tankstelle in Thun entwickelte der Schweizer Architekt und Ingenieur Heinz Isler 1960 eine wabenartig aufgebaute Sandwichplatte aus glasfaserverstärktem Polyester. Das 14 m x 22 m x 0,5 m messende, auf acht Stahlstützen ruhende Dach überzeugte durch seine Lichtdurchlässigkeit und sein geringes Gewicht.

Kunststoffbauten II

Fg 2000
Bei dem 1968 erstmals realisierten fg 2000 handelt es sich um ein von Wolfgang Feierbach entwickeltes und hergestelltes Bausystem für Einfamilienhäuser. Die formal zurückhaltende, modular aufgebaute Konstruktion besteht aus aufeinander abgestimmten, in Sandwich-Bauweise hergestellten Wand- und Dachelementen, aus denen sich ein zwar relativ konventionelles, aber dafür effizientes und rationelles Rahmentragwerk bilden lässt. Das fg 2000 gehört zu den ausgereiften und auch kommerziell erfolgreichen Kunststoffhäusern.

Rondo
Das von den Schweizer Architekten Casoni & Casoni 1969 für die Serienproduktion konzipierte Wochenendhaus Rondo greift die bei den frühen Kunststoffhäusern beliebte Pillenform auf. Die auf Stahlstützen stehende Konstruktion besteht aus doppelwandigen Schalen aus glasfaserverstärktem Polyesterharz, die mit Polyurethan-Hartschaum gedämmt sind.

Busstation Hoofdoorp
Die bei Amsterdam gelegene, 2003 von NIO architecten aus Rotterdam entworfene Station ist ein monolithischer Baukörper, der mit seiner Form Blickachsen und den Wegverlauf der Wartenden aufnimmt. Das Gebäude ist ausschließlich aus Polystyrol-Schaum errichtet, das einen massiven Kern bildet und mit mattem Polyesterharz witterungsbeständig laminiert ist;
eine Technik, die der Surfbrettfertigung entlehnt wurde. Die Station ist derzeit das größte Gebäude aus Kunststoff.

Prada Shop
Für die Innengestaltung des Prada Shops in Los Angeles (2004) entwickelte die Architektengruppe OMA eine neue Substanz namens foam. Sie besteht aus gegossenem Polyurethan (PUR-Schaum). Das Erscheinungsbild dieses steifen Schaums ist normalem Spülmittelschaum nachempfunden. Hunderte von Prototypen waren notwendig, um ein befriedigendes Ergebnis, das auch die Anforderungen des Brandschutzes erfüllt, zu erzielen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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