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werk, bauen + wohnen 12-10
Nachgefragt
werk, bauen + wohnen 12-10
zur Zeitschrift: werk, bauen + wohnen
Nachgefragt
In der Regel verändert sich die Wahrnehmung der Dinge mit der zeitlichen Distanz, die wir zu ihnen gewinnen. Gebäude, die wir in der Kindheit als riesig erlebt haben, erscheinen Jahrzehnte später nicht mehr so gross. Dies ist nicht nur eine Frage des Massstabs und der unterschiedlichen Augenhöhe, sondern ebenso, ja mehr noch eine Frage der viel umfassenderen subjektiven Wahrnehmung. So verändert sich die Perzeption mit dem sich wandelnden Kontext unserer Vorstellungswelt und der entsprechend modifizierten Interpretation des Wahrgenommenen. Ein Beispiel: Vasari hatte 1550 für die Gotik nur Verachtung übrig und selbst noch für Johann Georg Sulzer, dem Verfasser der "Allgemeinen Theorie der Schönen Künste" (1771-1778), mangelte es der gotischen Architektur "am Schönen, Angenehmen und Feinen", die Gebäude seien "abenteuerlich und mit tausend unnützen Zieraten überladen". Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehren sich namentlich in Frankreich und England die positiven, aus einem antiquarischen Interesse heraus begründeten Stimmen zum Mittelalter und im Speziellen zur Gotik. Mit dem jungen Goethe und Friedrich Schlegel bricht dann wenig später der wahre Enthusiasmus aus. Die Gotik wird zum deutsch-nationalen Stil erhoben und schliesslich wird – nicht unwidersprochen – auch die Fertigstellung des Kölner Doms Wirklichkeit. Mit Blick in die fernere und jüngere Vergangenheit ändert sich so in Wellen das Urteil der Nachwelt, das selbst wieder Gegenstand späterer Kritik wird.
Solchen Bewegungen wollen wir in diesem Heft nachgehen: Wir fragen nach, was heute aus bestimmten Glanzpunkten und kontrovers diskutierten Projekten von damals geworden ist. Gian-Marco Jenatsch erklärt, woran es liegen mag, dass Alison und Peter Smithsons Gebäude des Economist in London auch heute noch Bestand haben und zur eigentlichen Architekturikone avanciert sind. Wie aus dem Olympischen Dorf von 1972 in München einer der beliebtesten Wohnorte für Studenten wurde, schildert Christof Bodenbach. Matthias Benz fragt nach, wie sich die grossen Genfer Wohnsiedlungen der 1950er, 60er und 70er Jahre gehalten haben, die zur Zeit ihrer Entstehung als "Grands ensembles" zu Recht die Blicke des ganzen Landes auf sich gezogen haben. Wohin sich der Tessiner Ort Monte Carasso dank Luigi Snozzis wegweisender Ortsplanung entwickeln konnte, erkundet Jachen Könz. Vor dem Hintergrund sich häufig ändernder pädagogischer Modelle sind die Schulhäuser einem besonderen Druck ausgesetzt. Daniel Kurz hat nachgefragt, wie sich vor fünfzig Jahren massgeschneiderte Zürcher Schulhäuser heute bewähren. Schliesslich befragt Francesco Collotti Mario Botta nach den für ihn und sein reiches Schaffen prägenden Motiven und Momenten.
Nachzufragen lohnt sich meistens. Nicht zuletzt erlauben solche Erkundungen, den Blick für unsere Zeit zu schärfen, vielleicht sogar die Spreu vom Weizen zu scheiden. Der Blick zurück erklärt die Gegenwart.

Inhalt

Gian-Marco Jenatsch
Avantgarde, aber beständig. Zum Economist Building von Alison und Peter Smithson, London 1959–1964

Matthias Benz
Wohnungsbau der grossen Zahl Ein Spaziergang durch die Genfer Ensembles der 50er, 60er und 70er Jahre

Der Zauber von San Carlino: Mario Botta reflektiert sein Schaffen, ein Gespräch mit Francesco Collotti

Jachen Könz
Verdichtung in Monte Carasso Ein städtebauliches Konzept der Achtzigerjahre reüssiert

Christof Bodenbach
Olympiadorf München – erneuert und verdichtet. Studentenwohnanlage in München von der Arbeitsgemeinschaft Werner Wirsing / bogevischs buero hofmann ritzer architekten und stadtplaner, München

Daniel Kurz
Kindgerechter Funktionalismus Schulhäuser der Fünfzigerjahre in der Stadt Zürich


Orte: Urs Stahel
Einfamilienhaus in Wetzikon von Vetter Schmid Architekten
Wettbewerb: Zum Studienauftrag für die Überbauung «Matze» in Sitten
Zum werk-material: Seniorenzentrum in Thusis von der ARGE Iseppi-Kurath GmbH / Marugg / Hauser
Zum werk-material: Ersatzneubau Alterswohnungen der Stiftung Obesunne, Arlesheim BL,
von Mathias E. Frey und muellermueller Architekten
Bauten: Ferienheim in Büttenhardt SH von bernath widmer Architekten
Umbauten: Umwandlung eines Supermarkts zu fünf Wohneinheiten
Innenarchitektur: Restaurant «Stucki» in Basel durch Wyss Santos Architekten
Verluste: Robert Maillarts einzigartige Filteranlagen der Stadt St. Gallen sind zerstört
Ausstellung: Trienal de arquitectura de Lisboa
Leserbrief: Zur Besprechung «Tradition Rekonstruktion?»
bauen rechnen: Zielgruppen im Wohnungsbau: «Ältere Einzelpersonen»
bauen rechten: Die Kirche bleibt im Dorf
Ausstellungen
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werk-material
ARGE Iseppi-Kurath GmbH / Marugg / Hauser: Seniorenzentrum Compogna, Thusis, GR
Mathias E. Frey, dipl. Architekten ETH.SIA ARGE mit muellermueller. Architekten BSA, Basel: Alterswohungen, Arlesheim, BL

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