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TEC21 2011|10
Licht und Farbe
TEC21 2011|10
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Storybook für das Licht»

Die LED -Lichttechnik und deren dynamische Steuerungsmöglichkeiten machen derzeit immense Fortschritte. Die scheinbare Reife des Produkts verleitet Bauherrschaften dazu, dieses in ihren Projekten einsetzen zu wollen. Das bringt Architektinnen und Architekten in die Verlegenheit, mit einem neuen Medium zu arbeiten, zu dem es kaum Erfahrungswerte gibt. Ein Lichtplaner, der die Planungs- und die Bauseite kennt, kann in dieser Situation als Übersetzer fungieren.

4. März 2011 - Katinka Corts-Münzner
TEC21: Herr Moggio, Sie haben nach Ihrer Ausbildung zum Elektroplaner Architektur studiert. Heute leiten Sie bei Ernst Basler Partner die Abteilung Lichtarchitektur und arbeiten dort an repräsentativen Beleuchtungsprojekten. Wieso haben Sie sich auf Licht fokussiert?

Walter Moggio: Ich habe das Studium wegen des Lichts gemacht mit dem Ziel, mich
später mit der Architektur des Lichts zu befassen – als Lichtarchitekt. Ich wollte die Architektursprache erlernen, Farben und Proportionen verstehen und gute Architektur erkennen können, um sie mit Licht zu unterstützen. Die Ausbildung kommt mir heute sehr zugute, denn ich kann auf Plänen schnell Räume erfassen und dem Architekten oder der Architektin vermitteln, dass ich die Absicht dahinter und das architektonische Konzept verstanden habe. Als Lichtarchitekt verstehe ich mich als Dolmetscher zwischen Elektroingenieuren und Architekten.

TEC21: Die Lichtplanung erhält immer mehr Gewicht in der Architektur, sodass spezialisiertes Fachwissen notwendig ist. Dabei kommen die Lichtspezialisten aus ganz verschiedenen Berufsgattungen. Prägt der fachliche Hintergrund das gestaltete Licht?

W. M.: Auf jeden Fall. Es ist jedoch die Frage, ob diese Vielfalt eine Chance oder ein Fluch ist. In den letzten Jahren sind viele neu in den jungen Beruf der Lichtplanung eingestiegen, vielleicht, weil er spannend scheint und en vogue ist. Vom LED-Hersteller und Elektriker über die Einrichterin, den Messebauer bis zur Szenografin: Alle nennen sich Lichtplaner, -designer oder -gestalter. Die Erfahrung zeigt, dass ein Lichtarchitekt u.a. ein breites Schnittstellenwissen und vor allem eine fundierte Gestaltungskompetenz mitbringen muss. Zudem ist nebst dem Umgang mit Kunstlicht auch ein grosses Wissen zum Tageslicht gefragt. Wer überlegt und mit einer gewissen Verantwortung an eine Beleuchtungsaufgabe herangeht, merkt schnell, dass sich Lichtarchitekturwissen wie Wein verhält: Es reift mit der Zeit. Ich habe schon viel Erfahrung mit farbigem Licht und grossen Respekt vor diesem Thema. Der Weg zur bunten Lichtfarbe sollte erst dann beschritten werden, wenn man das unbunte Licht sowie Lichtrichtung und -art versteht und anzuwenden weiss.

TEC21: Kann nicht gerade eine gewisse Unerfahrenheit – oder auch Vorbehaltlosigkeit – kreative Ideen und neue, ungewöhnliche Konzepte unterstützen?

W. M.: Wenn man ganz unbelastet Konzepte entwickelt, entstehen womöglich sehr kreative
Ansätze. Viele Planerteams präsentieren Zauberkonzepte in Form von 3-D-Visualisierungen, die aber so nicht oder nur mit viel Aufwand umgesetzt werden können. Menschen glauben an diese meist effekthascherischen virtuellen Bilder, die grosse Erwartungen bei Auftraggebern wecken. Vergleicht man die Visualisierung mit der Realität, zeigt sich gerade in der Lichtstimmung meist ein anderes Bild. Die Verantwortung muss darin liegen, ein Bild zu generieren, das auch der Realität entspricht.

TEC21: Wie nähern Sie sich Projekten an?

W. M.: Erfolgsversprechend ist, wenn Architektinnen und Architekten mit ihrer Geschichte zum Gebäude zu mir kommen. Während sie mir die von ihnen erdachten Räume inhaltlich und atmosphärisch beschreiben, übersetze ich die Geschichte in Lichträume und erarbeite das Storybook für das Licht. Und das hat nichts mit Leuchten, Lichtmenge, mit Berechnung oder Farbe zu tun, sondern schöpft nur aus den bisherigen Erfahrungen und der kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeiten. Wir klären dann die Frage, ob Licht zum Sehen, Hinsehen oder Ansehen geschaffen werden soll. Das Licht zum Sehen ermöglicht die Nutzung des Raumes, das Licht zum Hinsehen hebt Objekte oder Raumteile hervor, und das Licht zum Ansehen steht ohne einen quantitativen Anspruch selbst im Zentrum der Betrachtung – wie früher eine Kerze oder heute ein farbiger LED-Punkt. Wir müssen überlegen, ob das Licht körperhaft in Form auffälliger Leuchten oder immateriell und indirekt eingebracht werden soll. Für die Bearbeitung eines Projekts ist es auch wichtig zu klären, ob Licht den Blick lenken darf oder soll. Das geschieht beim Einsatz von bewegtem und auch farbigem Licht. Wenn es zudem noch hohe Helligkeitskontraste oder einen hohen Farbsättigungsgrad aufweist, fällt es noch mehr ins Blickfeld.

TEC21: Heisst das, dass Sie in Ihren Projekten selten mit bunten Lichtfarben arbeiten?

W. M.: Ich nutze zunächst einmal das unbunte Licht und versuche, die Anzahl an Weisstönen auszuschöpfen. Ein sehr wichtiges Kriterium für die Wahl der Beleuchtung ist, wie die Haut oder die Oberfläche im jeweiligen Licht wahrgenommen wird. Grün zum Beispiel gilt in der Farblehre als beruhigend, aber grünes Licht lässt menschliche Haut grau und ungesund erscheinen. Sobald man farbiges Licht oder farbige Oberflächen einplant, muss man sich bewusst sein, welche Wirkungen es auf Mensch und Umgebung haben wird. Mit dem Einzug von farbigem LED und medialen Fassaden im Aussenbereich wird zunehmend auch der urbane Raum (zu) farbig. Auch hier sollte eigentlich weniger mehr sein. Farbe muss den Entwurf oder die Nutzung unterstützen, zum reinen Selbstzweck darf man sie nicht in die Hand nehmen. Ich entscheide mich wegen der emotionalen Prägung des Lichtes im Zweifelsfall eher gegen Farbe und arbeite mit abgestimmten Weisstönen.

TEC21: Wobei da doch erschwerend hinzukommt, dass Farbe und Licht von jedem Einzelnen anders wahrgenommen werden.

W. M.: Das ist wahr. Eine Tapasbar in Spanien mag trotz einer nüchternen tageslichtweissen Beleuchtung gemütlich erscheinen, weil es draussen warm ist. In den nordischen Ländern hingegen findet man kaum Kaltweisslicht, weil dort in den Innenräumen Wärme gesucht wird. Wir Mitteleuropäer finden meist warm- und neutralweisses Licht besser als kaltweisses. Sozusagen ein Mechanismus unseres Körpers als Kompensation des hiesigen Klimas. Man muss überhaupt wissen, was mit unbunten und bunten Farben assoziiert wird. In vielen früheren Kulturen wurden Licht und Farbe zur Heilung von Krankheiten eingesetzt.[1] Farben oder Lichtniveaus können körperlich etwas bewirken und Emotionen wecken – so wie das Abendrot oder wie die blaue Stunde kurz nach dem Sonnenuntergang und vor dem Sonnenaufgang. Blaues Licht zum Beispiel wurde früher mit Ferne und Unendlichkeit verbunden, dann weckte es lange Zeit negative Assoziationen, weil es als ‹Drögelerlicht› galt. Unter blauem Licht sind Venen nicht sichtbar, deshalb waren lange Zeit viele Unterführungen und gedeckte Unterstände blau beleuchtet, um das Drogenmilieu zu vertreiben. Heute wird es wieder gern zur Beleuchtung eingesetzt, was zeigt, dass sich Assoziationen zu Farben wandeln.

TEC21: Sie unterrichten an der Hochschule Luzern (HSLU) das Fach Tages- und Kunstlicht. Wie behandeln Sie das Thema Lichtfarbe?

W. M.: Farbe, Lichtart und Lichtrichtung sowie Sehkomfort werden in der Klaviatur der quantitativen Lichtplanung berücksichtigt und finden einen Platz in der Lehre. Im Unterricht werden Grundlagenwissen und technisches Verständnis für qualitative Lichtplanung vermittelt. Bei Licht-Farb-Projekten muss zum Beispiel immer zwischen Körperfarben, die angestrahlt werden, und farbigem Licht unterschieden werden. Die Lichtfarbe wird beim Mischen immer heller (additive Farbmischung) und nicht, wie Körperfarben, dunkler (subtraktive Farbmischung) (Abb. 3). Wer gleichzeitig mit Körper- und Lichtfarben arbeiten möchte, sollte diese Körperfarben mit neutralweissem oder dem gleichfarbigen Licht anstrahlen. Auch das Wissen und die Möglichkeiten verschiedener Leuchtmittel ist wichtig. LED ist Teil des Grundlagenwissens und wird in der Anwendung diskutiert.

TEC21: LED bieten viele neue Möglichkeiten. Beeinflussen diese Ihre Entscheidung, mit welchem Licht Sie arbeiten möchten?

W. M.: Es ist nicht so, dass LED meine 15 Jahre Konzepterfahrung auf einmal neu schreiben. Meine Euphorie hält sich bis heute in Grenzen, da die visuelle Wahrnehmung des Menschen und die integralen lichttechnischen Werte in dieser Diskussion vernachlässigt werden. Der grosse LED-Enthusiasmus darf uns aber nicht zu sehr von der eigentlichen Lichtverantwortung ablenken. LED sind interessante und zukunftsweisende Lichtquellen, aber ich ordne sie zu den restlichen. Sie erzeugen unvergleichbar schöne, gesättigte Farben, und ich nutze sie für Aufgaben, bei denen mir ihr Einsatz sinnvoll erscheint – also wenn Farbe, Kompaktheit oder kleine, brillante Licht-Portionierung gefragt sind. Bisher verwende ich LED eher für Lichtkunst und als dekoratives Licht. Aufgrund ihrer mittleren Lichtausbeute und unzureichender Leuchtenfamilien können keine anspruchsvollen Lichtprojekte damit behandelt werden.
LED hat nach wie vor lichttechnische Lücken u.a. im Sehkomfortbereich und in der Farbkonstanz, abgesehen vom 3- bis 4fachen Anschaffungspreis für qualitativ hochwertige Produkte. Einzig die Lebensdauer ist interessant, sofern die theoretischen Vorhersagen zutreffen. Das Glühlampenverbot hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können, denn so werden LED und Energiesparlampen als scheinbar nachhaltige Alternative angepriesen. Für die Industrie ist das lukrativ, denn die Hersteller verdienen an einem solchen Leuchtmittel das 10- bis 20fache gegenüber einer Glühlampe. Wenn man jeden Tag von diesem Produkt hört, bekommt man irgendwann ein schlechtes Gewissen, ein Energieverschwender zu sein. Und es ist zudem ein gutes Marketingtool, wenn man von sich behaupten kann, das ganze Geschäft nur mit LED ausgerüstet zu haben.
Viele Projekte, die ich sehe, bringen Menschen zum Staunen, auch wenn sie nicht nachhaltig sind. Darauf bin ich aber nicht aus, sondern auf etwas, das langfristig Freude macht. Eine Lichtlösung muss nicht billig sein, aber ich möchte nachhaltig günstige Konzepte machen.
In der professionellen Lichtplanung ist der LED-Einsatz nach wie vor eine Kompromisslösung – und das Potenzial des Leuchtmittels ist noch lange nicht ausgeschöpft.

TEC21: Aber ist es nicht so, dass Architektinnen und Architekten heute immer mehr mit Bauherrschaften konfrontiert sind, die fortschrittlich sein wollen und ganz selbstverständlich vom Einsatz von LED-Leuchten oder Lichtfarbkonzepten ausgehen?

W. M.: Das kann ich mir gut vorstellen. Jedoch spielen die momentan noch sehr hohen Anschaffungskosten den Architekten in die Hände. LED amortisieren sich mit den aktuellen Strompreisen nicht in einer Umbaugeneration. Zudem definiert der Investor bekanntlich die günstige Nachhaltigkeit anders als der zukünftige Betreiber. Ich bin davon überzeugt, dass man heute wenige lichtsensible Aufgaben mit LED lösen kann. Der Weg zum farbigen Licht ist jedoch mit dem Einzug der LED wesentlich einfacher geworden.

TEC21: Was empfehlen Sie Planenden für den Umgang mit den neuen Beleuchtungs- und
Steuerungsmöglichkeiten und mit den Beleuchtungswünschen der Bauherrschaften?

W. M.: Zunächst einmal eine überlegte Annäherung an das Thema, jenseits von Extremen. In den 1970er-Jahren schien es nicht möglich, dass ein Innenraum nicht bunt war. Es folgte eine Sättigung, gefolgt von einer Farbabstinenz bis Mitte der 1980er-Jahre – die Gestalterinnen und Gestalter schienen nur noch Schwarz- und Weisstöne und keine farbigen mehr anrühren zu wollen. In den letzten Jahren wurden entweder Erdfarben der Le-Corbusier-Palette oder Interieurs wie zu Zeiten der 1970er-Jahre wieder beliebt. Im Gegenzug wuchs aber auch bei Bauherrschaften der Wunsch nach farbigem Licht im Raum.
Lichtplaner kommen leider oft erst sehr spät zum Planungsteam, obwohl gerade das Tageslicht mit Öffnungen, Geometrien und Ausrichtung zu tun hat – entscheidende Punkte bei einem Entwurf. Bevor das Kunstlichtkonzept erarbeitet wird, muss die Nutzung des kostenlosen Tageslichts optimiert werden. Schon im Wettbewerbsstadium wird definiert, wo und wie viel Tageslicht in das Gebäude eingetragen wird und wie man sich davor schützen will.
Je weiter die Planung voranschreitet, desto kleiner wird der mögliche Einfluss. Wenn frühzeitig gemeinsam, begleitend, überlegt und geplant wird, kann ein echter Mehrwert für das Objekt geschaffen werden. Das vorsichtige Herantasten an Körperfarben (Abb. 3) kann sonst mit einem relativ grobmotorischen Griff zu farbigem Licht schnell zerstört werden.
Anmerkung
[1] Alexander Wunsch: Die Geschichte der Lichttherapie. Aus: Farbe Licht Gesundheit, Die gestalterischen und therapeutischen Wirkungen von Licht und Farbe für die Märkte der Zukunft. Verlag Farbe und Gesundheit, Frammersbach, 2006. ISBN 3-939946-00-1

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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