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TEC21 2011|10
Licht und Farbe
TEC21 2011|10
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Untrennbar verbunden

Der kombinierte Einsatz von verschiedenen Leuchtmitteln und farbigen Oberflächen verspricht interessante Phänomene bezüglich Farbtonverschiebungen und Wahrnehmung. Er ist aber komplex und schwer planbar. An der Zürcher Hochschule der Künste betreibt ein Team Grundlagenforschung und entwickelt Instrumente für die gestalterische Ausbildung und Praxis.

4. März 2011 - Ralf Michel
Die Entwicklung von Entwurfsinstrumenten oder -methoden hat bisher kaum der Tatsache Rechnung getragen, wie stark Farbe und Licht sich gegenseitig beeinflussen. Der Grund dürften die komplexen Zusammenhänge sein, mit denen sich konfrontiert sieht, wer in die Materie der gegenseitig voneinander abhängigen Verbindung einsteigt. In «Bemerkungen über die Farben» schrieb der Philosoph und Architekt Ludwig Wittgenstein Mitte des 20. Jahrhunderts: «Man sagt zwar ‹In der Nacht sind alle Katzen grau›, aber das heisst eigentlich: Wir können ihre Farben nicht unterscheiden, und sie könnten auch grau sein.»[1] Wittgenstein hinterfragte jene Gewissheiten, die als festgeschrieben galten. Seine berufliche Tätigkeit mag ihm jene Einsicht in Bezug auf die Farben eröffnet haben. Und so schien er aus Erfahrung zu wissen, dass die Farbtheorien und vor allem zugehörige Farbsysteme den gestalterischen Alltag zwar erleichtern, sich aber nicht ausreichend mit der Beziehung zwischen Farbe und Licht befassen.

Wechselwirkungen von Körper- und Lichtfarben

Seit der Erfindung der Glühlampe vor etwa 130 Jahren bedeutet die LED-Entwicklung den grössten Umbruch in der Beleuchtungstechnologie. Derzeit werden leistungsstarke LED als Lichtquellen für allgemeine und architektonische Beleuchtung immer mehr eingesetzt und ersetzen damit hergebrachte Lichtquellen. Eine Vergleichsstudie der Universität Pittsburgh aus dem Jahr 2009 belegt das hohe Entwicklungspotenzial der LED, die im Bereich öffentlicher Beleuchtungen die Natriumdampf-Hochdrucklampen und Halogen-Metalldampflampen in absehbarer Zeit vollständig verdrängen wird.[2] Dabei basiert der Trend zum steigenden Einsatz von LED nicht nur auf wirtschaftlichen Interessen der Hersteller, sondern geht durchaus auf eindeutige Vorteile der Technologie zurück: LED sind klein, robust und haben eine lange Lebensdauer. Bei «weissem» Licht sind sie etwa so effizient wie Halogenlampen, also effizienter als Glühlampen, und mit den neusten Entwicklungen der LED-Tubes ähnlich effizient wie Leuchtstoffröhren. LED können ohne zusätzliche Filter kräftige, satte Farben abstrahlen, zudem sind sie ohne Farbveränderungen dimmbar.

Wenn also erstens Farben nur in Abhängigkeit vom Licht betrachtet werden können und zweitens den LED ein derartiges Potenzial zugeschrieben wird, dann muss der Einsatz von Farben unter Einwirkung von LED-Beleuchtungen besonders betrachtet werden. Das ist vor allem wichtig, weil mit dieser Lichtquelle Dynamiken erzeugt werden können, die mit anderen Leuchtmitteln nicht oder nur mit grossem Aufwand möglich sind. Der kalkulierte Einsatz verschiedener Spektren etwa führt automatisch zu der Frage, welcher Art die Wechselwirkungen mit den Körperfarben im Raum sein werden. Daher ist vor allem interessant, wie die Lichtwirkung beim kombinierten Einsatz von LED-Licht und farbigen Oberflächen im architektonischen, szenografischen und innenarchitektonischen Kontext berechenbarer werden kann. Dazu gilt es zu prüfen, in welcher Art sich farbige Oberflächen unter verschiedenen Lichtquellen verändern – ein einfacher, aber wirkungsvoller phänomenologischer Ansatz, der sich insbesondere zu Studien im Bereich der Wahrnehmungspsychologie abgrenzt. Im Kern dieser Untersuchungen geht es um die Phänomene der Farbtonverschiebungen und um unterschiedliche Sättigungs- und Helligkeitsgrade. Dies sind alles bisher nicht in gegenseitiger Abhängigkeit systematisch beschriebene Parameter, die aber für Entwurfsentscheidungen relevant sind. In der gestalterischen Praxis nähert man sich diesen Phänomenen über die Simulationen in virtuellen Modellen oder auf der Basis von Erfahrungswerten. Beide Vorgehensweisen offenbaren ihre Nachteile schnell: Der Simulation im virtuellen Raum mangelt es an der unmittelbar sinnlichen Übertragbarkeit ins Reale. Entwurfsentscheidungen auf der Basis von Erfahrung bergen grosse Fehlerquellen, insbesondere beim Einsatz neuer Technologien, wie der LED-Beleuchtung, weil es erstens kaum individuelle Erfahrungen gibt und zweitens die technischen Entwicklungen in diesem Feld derart rasant sind, dass sie ständig neue Möglichkeiten generieren.

Forschung im led-colour-lab

«Es ist nicht sinnvoll, über eine Farbe zu sprechen, die von farbigem Licht ausgeht, ohne über das Material zu sprechen, das es beleuchtet, und den visuellen Kontext, in dem es gesehen wird», sagt der amerikanische Künstler James Turrell.[3] Seine Installationen verknüpfen Licht und Farbe zu einer unzertrennlichen Einheit. Verändert sich die Lichtsituation oder das Farbmaterial auch nur minimal, entstehen andere Farbempfindungen. Um die Art solcher Farbtonverschiebungen zu erfassen, müssen sie sowohl visuell beurteilt als auch messtechnisch erfasst werden können. Das haben die Zürcher Forscher in ihrem Projekt LED-ColourLab exemplarisch anhand einer eingeschränkten Farbpalette geleistet (Abb. 4). Für die Untersuchung von farbigen Oberflächen unter verschiedenen Lichtquellen ist die Verwendung einer Farbbemusterungskabine sehr nützlich. Eine solche Anlage kann mit verschiedenen, genormten Lichtarten ausgestattet werden, z. B. Tageslicht, Glühlampenlicht oder Kunstlicht. Die eingesetzten Lichtquellen werden anhand ihrer Beleuchtungsstärke (E), ihrer Farbtemperatur (°K) und ihrer Lichtfarbe (x/y) genau charakterisiert (vgl. Abb. 5). Für die LED wird zusätzlich noch die Einstellung der einzelnen LED-Leuchten angegeben. Der «Schwerpunkt» des jeweiligen Lichtspektrums ergibt die Farbtemperatur °K, die mit einem Chromameter gemessen werden kann. Das Tageslicht in der Umgebung der Kabine, in der die Farbtafeln mit den NCS-Referenzwerten abgeglichen wurden, war dabei mit einer Beleuchtungsstärke von 200 – 300 lx, einer Farbtemperatur von ca. 5000 °K und einer Lichtfarbe x = 0.34 / y = 0.34 charakterisiert. Damit ähnelt es der kalten Leuchtstoffröhre, die laut Hersteller einen hohen Farbwiedergabeindex[4] im Vergleich zum Tageslicht (ca. 95) hat.

Lichtfarbsimulation für den Entwurf

Ursprünglich sollten in dieser Forschung feine Unterschiede in der Pigmentierung von Farben untersucht werden, beispielsweise die Wirkung von natürlichen im Vergleich zu synthetischen Pigmenten oder von anorganischen verglichen mit organischen Pigmenten. Die ersten Messungen zeigten jedoch, dass feine Farbunterschiede von den starken Lichtbanden der LED oder der Leuchtstoffröhren völlig überlagert werden und nicht mehr sichtbar waren. Die Forscher führten fortan die für den gestalterischen Alltag relevanteren Vergleiche zwischen Mischfarben und Pigmenten mit charakteristischem Lichtabsorptionsverhalten durch. So konnten sie die Farbtonverschiebungen sichtbar machen und mithilfe der Remissionskurven[5] belegen.

Im ersten Forschungsprojekt ging es darum, Farben zu beschreiben, die durch die Kombination einer Körperfarbe und einer farbigen LED-Beleuchtung entstehen. Dabei ergibt sich eine Intensität der Sättigung, die mit keinem der bekannten Malfarben-Systeme (wie z. B. RAL oder NCS) erfasst werden kann. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass man im Rahmen einer verwendeten Farbsystematik die Veränderungen der Farben rein rechnerisch vorhersagen könnte. Verlockend ist ein rechnerisches Modell, das vor allem zur Simulation am Bildschirm verwendet und damit in Entwurfs- und Simulationswerkzeuge integriert werden könnte. Im laufenden Forschungsprojekt «Farbe & Licht» sind dazu erste Anwendungen in einem spielerischen Kontext entwickelt worden, die derzeit getestet werden. Die tatsächliche Wirkung der Farben vor allem in komplexen Mischlichtsituationen in Architektur, Szenografie und Design kann allerdings durch ein bildschirmbasiertes Verfahren nicht wirklichkeitsnah abgebildet werden. Hierzu muss vielmehr eine Methode gefunden werden, mit der die Vorteile von virtueller Umgebung und Realität in einer Augmented-Reality-Anwendung vereint werden können. Damit sind die ersten Schritte zur Entwicklung einer Farb-Licht-Lehre für die gestalterische Praxis und für die Ausbildung getan. Als nächstes sollen diese Ergebnisse publiziert[6] und in Lehrmaterialien und Methoden für die Ausbildung umgesetzt werden.

Ralf Michel, dipl. Designer, Senior Researcher am Institut für Design und Kunstforschung an der HGK Basel
Anmerkungen
[1] Ludwig Wittgenstein, Werkausgabe Band 8, Abschnitt 196, S. 82, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1984
[2] Life Cycle Assessment of Streetlight Technologies. Douglas Hartley/Cassie Jurgens/Eric Zatcoff. Advisors: Dr. Melissa Bilec/Dr. Joe Marriott. Mascaro Center for Sustainable Innovation, University of Pittsburgh, Pittsburgh, PA. July 30, 2009
[3] James Turrell, Oslo International Colour Conference: «Colour between Art and Science». October 8-11, 1998, Oslo, Norway. Transcript of lecture, Proceedings, S. 98
[4] Mit der fotometrischen Grösse lässt sich die Qualität der Farbwiedergabe von Lichtquellen gleicher, korrelierender Farbtemperatur beschreiben
[5] Eine Remissionskurve entsteht, indem auf einer Fläche in horizontaler Richtung die Wellenlängen, in vertikaler Richtung die gemessenen Strahlungsintensitäten eingetragen werden. Für die Wellenlängen ist eine Nanometer-Skala von links (kurze Wellen) nach rechts (lange Wellen) gebräuchlich.
[6] Die multimediale Publikation «FARBE UND LICHT – Materialien zur Farb-Licht-Lehre» (Buch/DVD) erscheint im Juni 2011 im Niggli-Verlag, ISBN 3-7212-0779-3, Fr. 68.–

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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