Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 03|2011
Bauen für Tiere
db deutsche bauzeitung 03|2011

Eisbärenanlage in München

Man möchte ein Eisbär sein ...

Wenn Eisbären schon nicht durch den kalten Norden toben können, dann bietet ihnen zumindest die neue, vergrößerte Anlage im Tierpark Hellabrunn ein erträglicheres Zuhause als manch anderes Gehege in deutschen Zoos. Oder glaubt dies nur der Besucher? Kulissenarchitektur und andere gestalterische Mittel täuschen ihn über die Tatsache hinweg, dass kein Gehege groß und abwechslungsreich genug sein kann für einen Eisbären. Dennoch gibt es, wie in München, viele Möglichkeiten, damit sich die Tiere in ihrem kleinen Revier wohl fühlen.

2. März 2011 - Roland Pawlitschko
Eisbären leben in einsamen arktischen Regionen wie in Alaska, Grönland, Kanada oder Sibirien. Sie sind Einzelgänger, jagen vorwiegend Robben und Fische und durchstreifen hierzu Gebiete von einigen tausend Quadratkilometern Größe. In der kargen Vegetation der Tundra und Taiga oder auf Eisschollen sind sie ebenso zuhause wie im oder unter Wasser – kilometerlange Strecken legen sie oft auch schwimmend zurück. Welche Auswirkungen dieses Bewegungsprofil auf ein artgerechtes Eisbärengehege hat, fragen sich längst nicht mehr nur Biologen und Zoodirektoren, sondern – spätestens seit Knut und Flocke – auch immer mehr Zoobesucher.

Klasse statt Masse

Noch bis vorletztes Jahr gab sich die 1975 eröffnete Eisbärenanlage im 100 Jahre alten Münchener Tierpark Hellabrunn als eine in polygonale Betonmassen gegossene Fels- und Wasserlandschaft, die in ihrer Kantigkeit an die kristalline Struktur der Eisberge in der Arktis und Antarktis erinnern sollte. Die abstrakt-moderne Anlage des Architekturbüros Peter Lanz trennte Eisbären und Menschen in Hellabrunn erstmals nicht durch Gitterstäbe oder Gräben, sondern nur durch Glasscheiben, und war bis zuletzt weder baulich noch tierschutzrechtlich zu beanstanden. Die glatten Betonflächen wirkten auf die Besucher dennoch künstlich und steril und ließen sie für die Tiere v. a. Mitleid empfinden. Dass das Eisbärengehege als Teil des »Polariums« für Eisbären, Pinguine, Robben und Seelöwen nun nach Plänen des selben Büros grundlegend umgestaltet und in seiner Fläche verdreifacht wurde, hat einerseits mit den veränderten Ansprüchen und Sehgewohnheiten der Menschen zu tun. Andererseits sieht sich der »Geo-Zoo« Hellabrunn (dort werden Tiere gemäß ihrer geografischen Verbreitung gruppiert) aber auch immer mehr dem Leitspruch »Klasse statt Masse« verpflichtet – wovon letztlich alle profitieren: Weniger Tiere in einem artgerechteren Lebensumfeld bedeuten u. a. auch intensivere Erlebnisse für die Besucher.

Neue Polarlandschaft – neue Zuchterfolge?

Anders als im Jahr 1975 gibt es in Hellabrunn heute statt sieben nur noch zwei Eisbären (Giovanna, ein vierjähriges Weibchen und Yoghi, ein zehnjähriges Männchen) – und die Hoffnung auf eine erfolgreiche Eisbärenzucht. Nicht zuletzt deshalb gliedert sich das langgestreckte Gehege unmittelbar an der Isar-Hangkante in drei Bereiche, die sich durch Tore auf vielfältige Weise koppeln oder trennen lassen, je nachdem wie viele Bären und Bärenjunge dort gerade leben. Auf der Südseite befindet sich die neu eingerichtete Taiga- und Tundralandschaft mit Naturboden, Birken und Fichten sowie einem Bachlauf mit flachen Uferbereichen. In der Mitte, an einem schmalen Durchgang zur neuen Polarlandschaft im Norden, liegt das neue »Mutter-Kind-Haus« mit zwei Wurfhöhlen. Die Polarlandschaft selbst entspricht in Größe und Grundkonzeption dem alten Polarium – dessen Schrägen sind auf den zweiten Blick an einigen Stellen noch erkennbar. Abgesehen davon präsentiert sich das Gelände aber in einem völlig neuen Erscheinungsbild. Durch die Bekleidung der alten Betonrückwände und Nebengebäude, der neuen Felsenhöhle (mit verglastem Tauchbecken) und des Mutter-Kind-Hauses mit Abgüssen von Nagelfluh-Felsstrukturen entstand eine verblüffend natürlich wirkende Kunstlandschaft. Sie nimmt auf die geologische Situation an der Isar-Hangkante Bezug, denn dort ist das feste Nagelfluh-Gestein verbreitet. Vielleicht wäre es theoretisch sogar möglich gewesen, den nur wenige Meter entfernten, echten Nagelfluh zu verwenden. Dagegen hätten allerdings nicht nur sicherheitstechnische Unwägbarkeiten gesprochen, sondern auch die Tatsache, dass sich dieser außerhalb des Tierparkgeländes und zudem in einem Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet befindet. Eine herkömmliche Natursteinbekleidung kam ebenfalls nicht in Frage. Sie hätte auf Besucher ebenso künstlich gewirkt wie die alten Betonwände.

Mehr als eine Theaterkulisse

Dass die Nagelfluh-Kulisse bei näherer Betrachtung und selbst bei Berührung vollkommen authentisch wirkt, liegt an einem Herstellungsverfahren, das ein auf künstliche Landschaften spezialisiertes Unternehmen eigens für dieses Projekt perfektionierte. Auf Grundlage präziser CAD- und Ton-Modelle der Architekten wurde mithilfe von Silikonabformpasten zunächst ein rund 50 m² großes Stück einer Felswand bei Salzburg abgeformt. Resultat waren unregelmäßige, etwa 1 x 1,5 m große Formen, die sich als wiederverwendbare und biegsame Schalung zur Herstellung von dünnen, mit verschiedenen sandfarbenen Zuschlagstoffen versehenen Glasfaserbeton-Paneelen einsetzen ließen. Mit diesen Paneelen entstand vor Ort eine Art Flickenteppich von insgesamt 1200 m² Größe. Hohlräume im Bereich der Verankerungen zu Betonwänden wurden mit einer 12 cm dicken Schicht aus Leichtbeton hinterfüllt, Fugen und offene Übergänge (etwa zu Mauerkronen) mit Skulpturmörtel geschlossen und entsprechend nachmodelliert. Für täuschend echte Unregelmäßigkeiten und Verwitterungsspuren erhielten die Wandoberflächen eine für Flora und Fauna unbedenkliche Farbschicht aus mineralischen Farben. Diese wurden wie bei Illusionsmalereien mit Wisch- und Sprühtechniken aufgetragen und enthalten die gleichen Zuschlagstoffe wie der Glasfaserbeton selbst. Dadurch ließ sich sicherstellen, dass sie eine dauerhafte Verbindung zum Glasfaserbeton eingehen und die Paneele letztlich genauso verwittern wie der in Bayern gern auch als »Herrgottsbeton« bezeichnete echte Nagelfluh. Auf ganz ähnliche Weise entstanden auch die drei großen »Findlinge« in der neuen Polarlandschaft, mit denen heute Teile der alten Betonplattformen überdeckt werden. Zunächst verschweißten die Kunstlandschaftsspezialisten 10 mm dicke Edelstahlstäbe zu einer Modellfelsenform. Darauf folgten eine Schicht Streckmetall, von Hand modellierter Glasfaserbeton, die Hinterfüllung der Hohlräume mit Leichtbeton und wiederum entsprechend sorgfältige Farbaufträge.

Nichts dem Zufall überlassen

Zwei Bären, die vor den Augen der Besucher zärtlich turteln, sich auf Holzhäcksel, Gras, Kies oder Kunstfelsen wälzen und mit sichtlichem Vergnügen im Wasser tauchen, sprechen klar für einen gelungenen Umbau. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der Großzügigkeit des neuen Geheges und dessen räumlicher Konzeption, die im Tieralltag vielseitige Spiel-, Frei- und Rückzugsräume ermöglicht. Andererseits haben alle beteiligten Planer von Anfang an eng mit Biologen, Tiermedizinern und Tierpflegern zusammengearbeitet, um selbst die kleinsten Details im Sinne der Eisbären zu lösen – einschlägige DIN-Normen für den Bau von Eisbärengehegen gibt es nicht. Neben Fachwissen und Erfahrungswerten der Spezialisten konnten die Architekten überdies auf die Grundsätze der »European Association of Zoos and Aquaria« (EAZA) zurückgreifen. Deren Richtlinien liefern beispielsweise Angaben zur Ausbildung von Fundamenten, die von Tieren nicht untergraben werden können, oder empfehlen den Einsatz schlichter Gussasphaltböden in den Wurfhöhlen – Gussasphalt speichert die Körperwärme der Bärenmutter besonders gut, wenn sie sich allein für mehrere Monate hierher zurückzieht, um den Nachwuchs zur Welt zu bringen und zu versorgen. Sie definieren auch Höhe und Beschaffenheit der aus einer dreifachen VSG-Verglasung bestehenden Glastrennwände zwischen Besuchern und Eisbären. So wurden die 4,50 m hohen Scheiben beidseitig mit einer für Menschen unsichtbaren, UV-Strahlung reflektierenden Beschichtung versehen, um das Gegenfliegen von Vögeln zu verhindern. Überdies mussten die erst nach baubehördlicher Zustimmung im Einzelfall zugelassenen Gläser einem Aufprall der bis zu 500 kg schweren Eisbären standhalten – der ent- sprechende Nachweis hierfür erfolgte in Form von Pendelschlagversuchen mit toten Kälbern.

Echte Erlebnisse mit falschen Felsen

Welche Rolle es nun für die Eisbären spielt, ob die Wände des Polariums aus einer minutiös inszenierten Nagelfluh-Kulisse bestehen oder aus Sichtbeton, Naturstein oder Kunststoff, lässt sich nicht abschließend klären. Nach Einschätzung der für die Bären zuständigen Biologin des Tierparks hätten sie sich in einem einfach nur erweiterten »Betonarium« wahrscheinlich ebenso wohl gefühlt wie im heutigen Polarium. Sinnlos ist die – rein funktional betrachtet – völlig überflüssige Bekleidung der Betonwände freilich dennoch nicht. Schließlich ging es beim Umbau des Betonariums nicht um substanzielle Verbesserungen für die Bären, sondern um die Adaptierung der alten Fels- und Wasserlandschaft an die neuen Sehgewohnheiten der Besucher – und die Beseitigung eines allzu sterilen Bauwerks der 1970er Jahre zugunsten einer »natürlichen« und daher als per se »richtig« empfundenen Lösung. Der Versuch einer architektonischen Lösung war dabei vonseiten der Tierpark-leitung erst gar nicht erwünscht, was in gewisser Weise einer Bankrotterklärung der zeitgenössischen Architektur gleichkommt. Dass sich dieser Gedanke aber selbst bei kritischer Betrachtung nicht durchsetzt und in Hellabrunn auch keine störenden Assoziationen an schale Outlet-Center-Inszenierungen oder Vergnügungsparks aufkommen, liegt daran, dass die Nagelfluh-Kulisse überhaupt nicht als Bauwerk wahrgenommen wird. Stattdessen betrachteten die Architekten sie als integralen und »authentischen« Teil des als harmonischer Landschaftsgarten angelegten Geo-Zoos. Doch obwohl diese Inszenierung für die Wirkung auf die Besucher entscheidend ist, stellt sie sich bescheiden in den Hintergrund. Ohne diese Haltung und ohne die perfekte Nagelfluh-Inszenierung würde das Ganze nur Erinnerungen an billige Kulissen hervorrufen und nicht – wie immer wieder von Besuchern zu hören ist – Begeisterung und das Gefühl »echter« Erlebnisse.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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