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TEC21 2011|13
Kraftwerk Rheinfelden
TEC21 2011|13
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Raum für Nase und Co.

Die Bewilligung des neuen Kraftwerks Rheinfelden verpflichtet die Betreiber zu einer ganzen Reihe von ökologischen Ausgleichsmassnahmen als Kompensation für die damit verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft. Die wichtigste und in dieser Grösse einmalige ist der Bau eines naturnahen Umgehungsgewässers im Bereich des alten Oberwasserkanals, das ursprünglich im Rhein heimischen Fischen Laichgründe und Lebensraum bieten wird.

25. März 2011 - Claudia Carle
Das Kraftwerk Rheinfelden ist eines von elf Flusskraftwerken, die sich am Hochrhein zwischen Bodensee und Basel aneinanderreihen. Sie haben den einst wild strömenden Fluss in eine Kette von träge dahinfliessenden Stauabschnitten verwandelt. Die ehemals im Hochrhein lebenden, strömungsliebenden Fischarten wie Barbe, Nase oder Äsche (Abb. 1) sind entsprechend stark zurückgegangen. Diesen auch Kieslaicher genannten Arten fehlen flache Kiesufer, lockere, bei Hochwasser immer wieder umgelagerte Kiesbänke und Stromschnellen als Laichgründe bzw. Lebensraum der Jungfische. Auch die über lange Distanzen wandernden Arten wie Lachs oder Meerforelle sind verschwunden, weil sie Staustufen ohne Fischtreppen – von denen es vor allem im Oberrhein zwischen Basel und Strassburg noch einige gibt – nicht überwinden können. Mit dem Bau eines naturnahen Umgehungsgewässers wird ein kleines Stück des verloren gegangenen Lebensraumes wiederhergestellt. Es soll in erster Linie der Fortpflanzung der Kieslaicher dienen, aber auch die Wanderung von Fischen ermöglichen.

Vorversuche am hydraulischen Mo dell

Ein Umgehungsgewässer in dieser Grössenordnung sei noch nirgends realisiert worden, erläutert Paul Lehmann vom mit der Planung beauftragten deutschen Ingenieurbüro Dr. Rolf- Jürgen Gebler. Daher habe man zunächst nach natürlichen Gewässern gesucht, die als Vorbild dienen konnten. Fündig wurde man beim oberen Abschnitt des sogenannten Restrheins zwischen Märkt und Breisach in Baden-Württemberg, wo Barben und Nasen laichen. Die von den Fischen genutzten Strukturen wie beispielsweise Stromschnellen wurden vor Ort detailliert analysiert und dann in einem hydraulischen Modell im Massstab 1: 22 an der Universität Karlsruhe nachgebaut, damit im Detail untersucht werden konnte, mit welcher Gestaltung man die diversen Anforderungen am besten erfüllt (Abb. 4). Die Erkenntnisse aus den Modellversuchen flossen dann zunächst in die Planung von drei kleineren naturnahen Umgehungsgewässern an Aare (Kraftwerke Ruppoldingen [Abb. 2 und 5] und Rupperswil- Auenstein) und Hochrhein (Kraftwerk Albbruck-Dogern) ein, bevor das Umgehungsgewässer in Rheinfelden in Angriff genommen wurde. Dieses wird derzeit am rechten Rheinufer im Bereich des Oberwasserkanals des alten Kraftwerks gebaut.

Ab flussregelung im Einlaufbereich

Der Einlaufbereich des Umgehungsgewässers wird rund 200 m oberhalb der Wehranlage des neuen Kraftwerks beginnen und durch aufgeschüttete Inseln in drei Arme unterteilt (vgl. Übersichtsplan S. 26 / 27). Zwei davon führen zu einem ungeregelten Einlauf, der von einer Doppelreihe Blocksteinen gebildet wird. Der dritte Arm mündet in einen mit zwei Schützen regelbaren Einlauf. Im Normalfall sollen 10 bis 16 m³/s in das Umgehungsgewässer gelangen. Die Abflussdynamik orientiert sich dabei nicht am Rhein, sondern an Zuflüssen, die eine ähnliche Grössenordnung wie das Umgehungsgewässer aufweisen, da dies den Ansprüchen der Kieslaicher an ihren Laichplatz besser entspricht. Ausserhalb der Laichzeit sind auch zeitweise höhere Abflüsse von bis zu 35 m³/s vorgesehen, um Ablagerungen von Feinpartikeln in der Flusssohle wegzuspülen und den Porenraum wieder durchlässiger zu machen. Denn im künstlich angelegten Umgehungsgewässer wird das Sohlmaterial nicht wie bei natürlichen Flüssen von Zeit zu Zeit umgelagert. Wie der Einlaufbereich gestaltet sein muss, damit der Minimalabfluss von 10 m³/s nicht unterschritten wird und der Maximalabfluss von 35 m³/s erreicht werden kann, wurde am hydraulischen Modell untersucht und wird dann nach der Umsetzung in die Praxis in einem Probebetrieb verifiziert bzw. eingeregelt. Mit einem Gefälle von 0.8 % hat das Umgehungsgewässer den Charakter eines Gebirgsflusses.

Leitströmung weist den Fischen den Weg

Das eigentliche Umgehungsgewässer beginnt unterhalb der Wehrbrücke des neuen Kraftwerks und mündet im Bereich des alten Maschinenhauses in den Rhein. Den Übergang bildet dort eine in das Rheinbett hineinreichende Halbinsel mit einer Blocksteinrampe. Diese sogenannte Sohlengleite mit einem Gefälle von 1:30 wird in aufgelöster Riegelbauweise gestaltet. Je nach Wasserstand des Rheins wird hier ein Höhenunterschied von bis zu 3 m überwunden. Dadurch wird gewährleistet, dass auch bei hohen Abflüssen im Rhein die Laichgebiete des Umgehungsgewässers nicht eingestaut werden. Eine Rinne in der Mitte der Sohlengleite lässt eine Leitströmung entstehen, die den Fischen den Weg zum Umgehungsgewässer weist. Je weiter sie in den Hauptstrom hineinreicht, desto mehr flussaufwärts ziehende Fische werden erreicht. Daher hat man die Gestaltung zuvor am hydraulischen Modell in Karlsruhe optimiert. Trotzdem wird die Leitströmung nicht über die gesamte Rheinbreite reichen. Für die an der Mündung des Umgehungsgewässers vorbeiziehenden Fische wurden daher zwei weitere Fischpässe – ein Raugerinne-Beckenpass am Stauwehr und ein Schlitzpass am neuen Maschinenhaus – gebaut.

Vielfältige Strukturen für Laich und Jungfische

Das Umgehungsgewässer, das ca. 900 m lang und 50 m breit ist, wird mit vielfältigen Sohl-, Ufer- und Strömungsstrukturen gestaltet, um die Ansprüche der verschiedenen Fischarten an ihre Laichgewässer und die wiederum anderen Ansprüche der Jungfische zu erfüllen. Für Laich und Jungfische strömungsliebender Fische sind in den ersten Wochen flache Ufer, flach abfallende Kiesbänke und kleine Buchten mit geringer Strömung die besten Lebensräume. Mit zunehmendem Alter und zunehmender Körpergrösse suchen sie tiefere und schneller fliessende Bereiche auf. Entsprechend wurde die Flusssohle als Abfolge von kiesigen Stromschnellen, ruhigeren Tiefwasserzonen, überströmten Kiesbänken und Kiesinseln gestaltet. Zwischen diesen Strukturen schlängelt sich ein durchgehender, mindestens 80 cm tiefer Gewässerlauf hindurch, der Ober- und Unterwasser für wandernde Fische und auch alle anderen Wasserlebewesen miteinander verbinden wird. Auf der in Fliessrichtung linken Seite bleibt die alte Kanalmauer als Grenze zum Hauptstrom bestehen, wird aber teilweise in der Höhe abgetragen, sodass sie 50 cm über den Wasserspiegel des Umgehungsgewässers ragen wird. Sie wird auf beiden Seiten angeschüttet, um auf der Seite des Umgehungsgewässers flache Kiesufer zu schaffen, die der natürlichen Sukzession überlassen werden. Zum Hauptstrom hin, wo sich die Reste des sogenannten Gwilds, einer biologisch wertvollen Felslandschaft (vgl. «Potenzial besser nutzen», S. 24), befinden, wird die Aufschüttung naturnah gestaltet. Für sämtliche Aufschüttungen im Sohl- und Uferbereich wird das bei der Eintiefung des Rheins unterhalb des Wehrs ausgebrochene Material verwendet (vgl. Luftaufnahme, Seite 19 unten).

Pavillon statt Uferzug ang für Besucher

Am rechten Ufer werden sich steile mit flachen Böschungsbereichen und mit Ufereinbuchtungen als Stillwasserbereiche abwechseln. Entlang des Ufers wird ein abgestufter Gehölzsaum mit Auenwaldcharakter entstehen. Die Bepflanzung soll gleichzeitig die Zugänglichkeit für Erholungsuchende und Besucher erschweren. Für diese wird stattdessen ein Rad- und Fussweg in der Uferböschung angelegt sowie im mittleren Abschnitt ein Aussichtspavillon eingerichtet, von dem aus sich das Umgehungsgewässer überblicken lässt. Ausserdem werden dort Schautafeln über das naturnahe Umgehungsgewässer, die Geschichte des Kraftwerks Rheinfelden und die Wasserkraftnutzung allgemein informieren. Im Frühjahr 2012 soll das rund 4 Mio. Euro teure Projekt fertiggestellt sein. Ein Monitoringkonzept sieht vor, die Funktionsfähigkeit des Umgehungsgewässers und die Entwicklung von Flora und Fauna während zwölf Jahren zu überwachen. «Beim vor zehn Jahren fertiggestellten Umgehungsgewässer beim Kraftwerk Ruppoldingen haben sich die strömungsliebenden Fische schon kurz nach der Inbetriebnahme eingestellt», berichtet Lehmann. Da dieser Gruppe eine Indikatorfunktion für die Naturnähe eines Flusses zukommt, zeigt deren Anwesenheit auch eine allgemeine Verbesserung des Lebensraumes für die Flora und Fauna des Flusses an.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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