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Metamorphose 04/11
Die Achtziger
Metamorphose 04/11
zur Zeitschrift: Metamorphose
Fokus: Die Achtziger

„Daß die Architekturdiskussion der späten siebziger und achtziger Jahre keine Fachdiskussion blieb, […] hängt auch mit der neugewonnenen Fiktionalität des Bauens zusammen. Die Architektur wurde wieder aussagekräftig; das Bauwerk selbst wurde zum Medium. Die Architektur wurde darstellerisch aufgeladen.“ (Heinrich Klotz, 1996 [1])


Keine leichte, inzwischen aber eine häufige Aufgabe: die Modernisierung von Gebäuden der Jahre 1980–89. Gestalterisch stellt sich dabei die Frage, mit welcher Haltung man heute an Bauten der Postmoderne und des Dekonstruktivismus herangehen soll. Denkmalpflegerisch geht es darum, Werke zu bewahren, die viel zu jung sind, um bei einer breiten Mehrheit Ansehen zu genießen. Und technisch bereitet vor allem der Wärmeschutz handfeste Probleme.

Sie haben ein kritisches Alter: Gebäude aus den Achtzigerjahren blicken jetzt auf eine Standzeit von 22 bis 31 Jahren zurück – das ist genau jenes Alter, in dem Bauwerke besonders gefährdet sind. Da die ersten größeren Sanierungsmaßnahmen anstehen, gilt es zu entscheiden, wie man dabei mit der vorgefundenen Architektur umgehen soll. Die Geschichte zeigt immer wieder: Es ist der Baustil der Elterngeneration, der meist besonders geringgeschätzt wird. Für Gebäude früherer Epochen können sich in der Regel weit mehr Menschen erwärmen als für die Werke der unmittelbaren Vorgängergeneration. Während die Fünfzigerjahre bereits eine gewisse Nostalgie auslösen und die Sechziger und Siebziger zumindest bei Architekten, Fotografen, Designern und Künstlern zahlreiche Anhänger haben, ja bisweilen sogar Kultstatus genießen, können sich nur wenige für die Achtziger begeistern – vor allem das Attribut „postmodern“ ist heute eher Schimpfwort als Hommage. Bei einer Modernisierung werden entsprechende Gebäude daher regelmäßig stark überformt, sodass manches unter die Räder kommt, das in einigen Jahren vielleicht doch als erhaltenswert gelten würde.

Gleichzeitig sind die Bauten der Achtzigerjahre zu jung, um schon in nennenswerter Zahl Denkmalschutz zu genießen. Zwar gilt der Mauerfall von 1989 als historische Zäsur, die es erlaubt, die Jahre davor als abgeschlossene Epoche zu betrachten; auch reicht der zeitliche Abstand inzwischen aus, um die Werke der Vorwendejahre denkmalpflegerisch unter die Lupe zu nehmen. Dennoch hat die Architektur jener Zeit es bisher nur vereinzelt in die Denkmallisten geschafft: Bayerns jüngstes geschütztes Bauwerk etwa ist die Hypo-Vereinsbank in München von 1981, Baden-Württembergs jüngstes Baudenkmal, die Stuttgarter Staatgalerie, stammt aus dem Jahr 1984. Solange die Denkmalpflege den Gebäudebestand der Achtzigerjahre noch nicht umfassend bewertet hat, kommt es bei Sanierungen also vor allem auf den Architekten an, der einschätzen muss, ob es sich lohnt, ein Bauwerk möglichst in seinem originalen Erscheinungsbild zu bewahren.

Natürlich ist aus diesem Jahrzehnt auch viel Alltägliches, viel Durchschnittliches erhalten, das völlig unstrittig eine robuste Behandlung verträgt. Bei Modernisierung oder Instandsetzung weisen die Bauten der Achtziger aber ein paar besondere Tücken auf. Im Unterschied zu den Hinterlassenschaften des Bauwirtschaftsfunktionalismus der Sechziger und frühen Siebziger erhielten sie in der Regel eine bessere Ausstattung mit edleren Materialien. Granitverkleidungen und weiße Marmorböden etwa sind häufig in gutem Zustand – wirken auf viele Betrachter gestalterisch aber stark angestaubt. Was tun mit diesen materiell hochwertigen, aber ästhetisch als unbefriedigend empfundenen Bauteilen? Über die Jahre retten, bis der Zeitgeschmack sich wieder gewandelt hat?

Auch aus ökologischer Sicht bereiten die Gebäude Kopfzerbrechen. Ihre Dämmwerte sind für heutige Verhältnisse unzureichend, allerdings erscheint eine energetische Sanierung häufig wirtschaftlich nicht rentabel, denn die Bauwerke warten dank der Wärmeschutzverordnung von 1982 doch mit einem gewissen Mindest-Dämmstandard auf. Das energetische Einsparpotenzial ist daher oft zu gering, um sich zu „rechnen“. Die Bauten der Achtzigerjahre befinden sich also in vielerlei Hinsicht in einem kritischen Zwischenstadium.

Sicher ist, dass sie uns in den kommenden Jahren vermehrt beschäftigen werden. Doch was heißt „vermehrt“ genau? Welchen Anteil am heute vorhandenen Gebäudestand nehmen sie eigentlich ein? Hat nicht die Bauproduktion im Laufe des Jahrzehnts nach dem Boom der Sechziger- und Siebzigerjahre sehr stark nachgelassen? Während in der alten Bundesrepublik 1980 beispielsweise noch 218.000 Wohngebäude entstanden, sank die Zahl im Jahr 1989 auf 132.000 – ein Einbruch um mehr als ein Drittel. Dennoch stammen rund acht Prozent aller heutigen Wohngebäude Westdeutschlands aus den Achtzigern. Und diese acht Prozent gilt es nun – wie die Kultur-, Verwaltungs-, Schul- und sonstigen Gebäude des Jahrzehnts – durch ihr kritisches Alter zu begleiten.

Christian Schönwetter


Anmerkungen:
[1] Klotz, Heinrich: Architektur – Texte zur Geschichte, Theorie und Kritik des Bauens. Ostfildern-Ruit 1996, S. 282

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26-29 | Postmoderne Dekonstruktion: Zur Architektur der Achtzigerjahre
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34-37 | 02 Alles bleibt anders: Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt am Main
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