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anthos 2011/3
Siedlungsrand
anthos 2011/3
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Öffentliche Anlagen am Rand

Innere und äussere Ränder sind oftmals die öffentlichen Anlagen der Zukunft. Es gilt, diese bereits frühzeitig in eine städtische Entwicklung mit einzubeziehen.

27. September 2011 - André Schmid
Wenn von Siedlungsrändern die Rede ist, ist auch der Gedanke an die bestehenden, viel zu grossen Bauzonen in den Agglomerationen nicht weit. Laut Bundesamt für Raumentwicklung ARE ergeben sich die Herausforderungen der Raumplanung in erster Linie aus dem Trend weiterer Siedlungsausdehnung hin zu gesichtslosen, schlecht strukturierten Siedlungen. Eine Feststellung, die mittlerweile zum Allgemeinplatz geworden ist. Was nun?

Drang zum Rand

Als Biologe habe ich gelernt, dass Randlagen oft ökologisch interessant und artenreich sind: beispielsweise Säume entlang von Waldrändern, Mangrovengebiete entlang tropischer Küsten oder Wege begleitende Ruderalvegetation. Aus dieser Optik heraus müssten eigentlich die Siedlungsränder aufgefaltet und vervielfältigt werden, ähnlich der Bronchien in unserer Lunge oder der grafischen Darstellung der «Küstenlinie» der Mandelbrot-Menge, um die Vorstädte interessant zu machen. Aber natürlich besteht der Wald nicht nur als Waldrandsaum allein. So beruhen landschaftliche und städtische Qualitäten auch auf Konstanz und Wiedererkennungswert.

Doch es ist eindeutig, dass mit der Steigerung der Mobilität und mit der Errungenschaft des Liberalismus die Randlagen erst richtig attraktiv geworden sind. Jeder will am Rand wohnen und wenn dieser bereits wieder verbaut wurde, geht’s ein Stückchen weiter hinaus. Um diesen Drang nach Randlage zu befriedigen, müssten also weitere Ränder möglichst Vielen zur Verfügung gestellt werden.

Konzepte für mehr Rand

Siedlungsränder gibt’s ja nicht nur im abgelegenen Tösstal oder äussersten Thurgau. Auch die Swiss Re und das Baur au Lac profitiert von einer Randlage und zwar mitten in der Innenstadt am Ufer des Zürichsees. Bereits die Gartenstadtbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts entwarf Randlinien vergrössernde Siedlungsmuster in den äusseren Bereichen der Städte, damit jeder von den Vorteilen der neu geschaffenen Grüngürtel profitieren konnte. So hat auch Frederick Law Olmsted beim Central Park in New York attraktive Ränder für bürgerliche Wohnlagen geschaffen.

Genauso wie Arturo Soria y Mata, der bei der Idee der Bandstadt neben einer zentralen Verkehrsachse gleich zwei Bänder mit Parkanlagen links und rechts des Siedlungsbandes vorschlug.

Auch wenn ländlich geprägte Gebiete aus Ressourcen schonenden Gründen erhalten bleiben müssen, sollten künftig neben einer baulichen Verdichtung des bestehenden Siedlungsraums auch Ränder und Löcher, die den Siedlungsteppich auflockern, gepflegt oder neu geschaffen werden. So können Ränder in einem städtischen Transformationsprozess neu tragende Funktionen des öffentlichen städtischen Lebens übernehmen. Beispiele solcher umgewidmeter Gebiete im Grossraum Zürich sind: das Seeufer, die Flächen entlang des grossen Gleisfelds im Westen der Stadt, die Ufer der Limmat ab dem Platzspitz flussabwärts, die Ufer der Sihl und der Glatt, der Einschluss des Gewerbegebiets Binz in einer ehemaligen Lehmgrube, die Waldränder am Üetli- und Zürichberg, aber auch Zwischengebiete wie die Stettbacher Wiese zwischen Schwamendingen und Dübendorf, die durch den Aushub des S-Bahn erst in der heutigen Form entstanden ist. Diesen Gebieten ist gemeinsam, dass sie bis vor kurzem oder in vergangener Zeit weitab vom städtischen Geschehen lagen, bis die sich ausweitende Stadt sie sich einverleibte.

Freier Rand für alle

Gerade weil diese Ränder so attraktiv sind, sollte die Gesellschaft ein lebhaftes Interesse zeigen, sie allgemein zugänglich zu machen und möglichst nicht zu privatisieren. Dies ist ein altes Thema an allen wichtigen Gewässern der Schweiz, und das raumplanerische Postulat, solche Ufer öffentlich zugänglich zu machen, wurde bis heute nicht eingelöst. Vielleicht sollten nun vorausschauend unbeachtete Ränder in den Agglomerationen und im periurbanen Raum durch planerische Massnahmen gesichert werden. Die bereits realisierten landschaftsarchitektonischen Interventionen entlang der Limmat wie das Lettenareal und die Wipkingeranlage oder der Opfikerpark an der Glatt sind nur der Anfang. Es sollte weitergehen: Auf der Waid am Käferberg, beim Schlierener Berg, an den Rändern des Üetlibergs im Reppischtal, an den Hängen der Lägern im Furttal...

Leider haben es gerade die Landgemeinden oft versäumt, diesen Gebieten Beachtung zu schenken und überlassen attraktive Parzellen bis direkt an den Waldrand privaten Besitzern. Ist dies bereits geschehen, so müsste es möglich sein, den angrenzenden Wald als Parkwald auszuscheiden, wie dies die Stadt Zürich an den Hängen des Zürichbergs ansatzweise praktiziert. Umgekehrt haben es die Städte mit ihren industriellen Konversionsflächen meist versäumt, die neu entstandenen Öffnungen innerhalb des Stadtkörpers auch als neue attraktive Randlagen zu sehen. Der Zürcher Gleisbogen und der Pfingstweidpark in Zürich West gehören zu den wenigen Freiräumen, die bei der kooperativen Verwertung der Grundstücke übrig blieben. Genauso hat Berlin die einmalige Chance versäumt, den ehemaligen Mauerstreifen als Park auszuscheiden, der mitten durch die Stadt hätte führen können. Der reichlich genutzte und beliebte Mauerpark von Gustav Lange an der Bernauerstrasse ist leider nur Zeugnis einer verpassten Chance.

Unter diesen Vorzeichen müsste die «Nordküste» Zürichs in Affoltern und Seebach planerisch entschiedener in die Hände genommen werden. Es genügt nicht, nur Quartierpläne zu schaffen, Bauzonen zu revidieren und Siedlungstrenngürtel zu sichern, weil sonst weiter Einfamilienhäuser und Wohnblocks unvermittelt und ohne gesellschaftlichen Gewinn an Kulturland oder Wald grenzen werden.

Städte und Gemeinden müssen über ihre Grenzen hinaus weiter denken, damit ihre Ränder in einer übergeordneten Optik als die neuen öffentlichen Flächen der Zukunft gestaltet werden können. Dort sind auch konkrete landschaftsarchitektonische Antworten gefragt.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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