Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 12|2011
Redaktionslieblinge
db deutsche bauzeitung 12|2011

Umwölkte Felsen

Grand Theater in Qingdao (CN)

Ikonische Kulturbauten sind gemeinhin nicht unbedingt das, was man vom Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner erwartet. Dass das Büro auch diese Spielart der Architektur beherrscht, beweist das Ende 2010 fertiggestellte Grand Theater in der ostchinesischen Millionenstadt Qingdao. Beispielhaft gelang es hier, eine vom genius loci inspirierte Metaphorik in eine markante architektonische Form zu bringen.

5. Dezember 2011 - Ulrike Kunkel
Die Umgebung der Stadt Qingdao gehört zu den bekanntesten Landschaften Chinas. Die schnell wachsende Metropole am Gelben Meer, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein deutscher Kolonial-Handelsstützpunkt und Hauptstadt des »Deutschen Schutzgebiets Kiautschou« war, ist ein beliebtes Seebad und der nahe gelegene Berg Laoshan gehört zu den heiligen Bergen Chinas. Seinen mystisch-geheimnisvollen Charakter verdankt er wesentlich einer klimatischen Besonderheit: Wegen der Nähe zum Meer nämlich sind seine Gipfel oft in Wolken gehüllt und genau so ist der Berg durch zahlreiche Abbildungen ins kollektive Gedächtnis des Land eingegangen.

Von dieser auf den Ort bezogenen landschaftlichen Charakteristik ließen sich gmp beim Entwurf des als Grand Theater bezeichneten Gebäudekomplexes leiten. Aus dem Bild umwölkter bzw. von Wolken durchzogener Berggipfel generierten sie eine metaphorisch aufgeladene und zugleich funktional überzeugende architektonische Form, die Identifikationspotenzial bietet und einen hohen Wiedererkennungswert besitzt.

Das aus einem internationalen, 2004 durchgeführten Wettbewerb hervorgegangene Grand Theater von Qingdao umfasst ein Opernhaus, einen Konzert- sowie einen Multifunktionssaal, außerdem ein Medienzentrum und ein Hotel mit Restaurant. Um das umfangreiche Programm zu bewältigen, entschlossen sich die Architekten, den Komplex in vier Baukörper mit jeweils rautenförmigem Grundriss zu gliedern. Zwei annähernd gleich große Volumen nehmen die Oper respektive den Konzert- und Multifunktionssaal auf. Zwei deutlich kleinere Körper beherbergen das Medienzentrum und das Hotel. Zusammengehalten wird der Komplex auf struktureller Ebene durch einen gemeinsamen Sockelbereich sowie durch eine zwischen den Volumen aufgespannte und über sie hinausragende Dachzone. Auf der gestalterischen Ebene dient diesem Zweck ein aus der Region stammender hellgrauer Granitstein, der hier als Fassadenbekleidung und als Bodenbelag im Außenraum sowie in den Foyers Verwendung findet.

Inszenierung des Landschaftlichen

Als Solitär inmitten eines neu geschaffenen Grünzugs gelegen, der sich vom Ufer des Gelben Meers bis zum Fuß des Laoshan erstreckt, thematisiert der Entwurf für das Grand Theater die landschaftlichen Reize der Stadt, die sich aus dem Gegensatz von Meer und Berg ergeben. Dies gelingt v. a. durch die Anlage des 4,5 m hohen Gebäudesockel auf dem gleichsam wie auf einem Hochplateau die einzelnen Baukörper platziert sind. Zwischen den Volumen ergibt sich so ein über breite Freitreppen erschlossener, überaus großzügig dimensionierter »Terrassenraum«. Von dieser als Plaza bezeichneten Plattform aus, die als allgemein zugänglicher öffentlicher Platz konzipiert ist, bietet sich ein architektonisch gerahmter und inszenierter Blick auf die Naturphänomene der Umgebung. Nach Süden hin rückt das Gelbe Meer in den Fokus des Betrachters, nach Norden das Massiv des Laoshan. Der Sockel leistet aber noch weit mehr: Zum einen nimmt er sekundäre Funktionen wie Anlieferung, Umkleiden und Proberäume auf, zum anderen ermöglicht er eine ganz selbstverständlich wirkende Trennung des Publikums- und des internen Verkehrs.

Das markanteste Merkmal des Grand Theater ist freilich sein Dach. Wie eine riesige Pergola überspannt es, stützenfrei und bisweilen enorm weit auskragend, den gesamten Komplex. Abgeleitet vom Bild einer zwischen den Berggipfeln dahinziehenden Wolke, die in eine architektonische Form transferiert wurde, scheint es tatsächlich zwischen den Baukörpern des Komplexes zu schweben. Die rippenartig gegliederte Struktur des nach dem Prinzip eines Flächentragwerks konstruierten Fächerdachs – im Kern ein mit Naturstein ummantelter Stahl-Leichtbau – verschleiert dabei erfolgreich seine wahre Dimension. Immerhin beträgt seine Dicke an der Vorderkante bereits 4 m und wächst an den Stellen, an denen 60 m überspannt werden müssen, auf bis zu 7 m an.

Nichts weniger als eine selbstverliebte konstruktive Spielerei, dient das »Wolkendach« neben seinen ideellen Werten recht handfesten Zwecken: Es beschirmt die darunter liegende Plaza und spendet dabei den v. a. in der Sommerzeit willkommenen luftigen Schatten, durch den die Aufenthaltsqualität der Besucherterrasse sichergestellt wird.

Genau damit leistet es auch einen Beitrag zum Energiekonzept des Komplexes. Klimaschutz ist mittlerweile in China nicht weniger gefragt als im Westen und die entsprechende Bilanz des Neubaus ist schon deshalb günstig, weil die solide gedämmten Fassaden relativ wenige Öffnungen besitzen und der Sonneneintrag entsprechend gering ausfällt. Eine Solarthermie-Anlage auf den Dachflächen der Baukörper tut ein Übriges, um dem ökologischen Anspruch der Bauherrschaft gerecht zu werden.

Gross aber nicht monumental

Die Dimensionen des Grand Theater sind – v. a. aus mitteleuropäischer Perspektive betrachtet – gewaltig. Aber einmal abgesehen von der Tatsache, dass Größe relativ ist und in China eine andere Maßstäblichkeit gilt als hierzulande, gelang es gmp, mit architektonischen Mitteln jeden Eindruck von kalter Monumentalität zu vermeiden. Dazu leistet die sorgfältige, oft fast filigrane Detaillierung des Gebäudes einen wesentlichen Beitrag. Die leicht geneigten Außenwände mit ihrem abgetreppten, horizontal geschichteten Steinkleid, die vielfach abgerundeten Ecken und Kanten der Baukörper, die Feingliedrigkeit des Dachfächers, die fast demonstrative Anti-Monumentalität bestimmter architektonischer Elemente wie etwa der gläsernen Geländerbrüstungen und nicht zuletzt das ausgefeilte Beleuchtungskonzept – im Zusammenspiel nehmen sie dem Gebäude alles vermeintlich Schwere und Bedrohliche. Hinzu kommt, dass die Architekten in den Foyerbereichen und bei der Erschließung der Hauptsäle auf repräsentative, Ehrfurcht heischende Gesten verzichteten. Ganz im Gegensatz zur Großzügigkeit der Plaza sind hier die räumlichen Dimensionen, nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen, in erster Linie von funktionaler Notwendigkeit bestimmt.

Herzstück des »Felsenmassivs«

Die Herzstücke des Komplexes sind die beiden großen Säle für musikalische Darbietungen, das Operntheater und der Konzertsaal. Sie beherrschen jeweils einen der Hauptbaukörper und setzen sich gestalterisch deutlich voneinander ab. Eines ist ihnen freilich gemeinsam: Die Innen- und Außenhüllen der Säle wurden formal in beiden Fällen gleich behandelt. Schon von der Plaza aus ist so dank der großflächig verglasten Foyers die unterschiedliche Materialisierung bzw. Farbstimmung der Säle ersichtlich. Der Opernsaal, bei dessen Bau Betonfertigteile zum Einsatz kamen, ist in dunklem Rot und in Schwarz gehalten. Das folgt klassischen (westlichen) Vorbildern, nimmt Bezug auf den emotionalen und dramatischen Charakter der Oper und weckt zugleich Assoziationen an chinesische Lackarbeiten. Typologisch betraten die Architekten hier kein Neuland. Sie schufen eine traditionelle Guckkastenbühne und einen 1 600 Personen fassenden Zuschauerraum mit zwei hufeisenförmigen Rängen.

Auch der für 1 200 Besucher ausgelegte Konzertsaal entspricht in seiner Struktur der klassischen Typologie derartiger Räume, bei der sich Konzertpodium und Zuschauerbereich gegenüberliegen. Ganz anders als das Operntheater präsentiert sich der Konzertsaal als vergleichsweise nüchterner Holzkörper. Die Inspirationsquelle für seine Ulmenholz-Vertäfelung, die Wärme und Wertigkeit zugleich ausstrahlt, war der Korpus einer Violine. Die Holzpaneele, die das Motiv der horizontalen Schichtung der Außenfassade wieder aufnehmen, prägen aber nur den unteren Bereich des Saals. In seiner oberen Zone erregen ondulierende Gipskartonbekleidungen der Wände die Aufmerksamkeit des Publikums. Effektvoll unterstützt vom Beleuchtungskonzept, verleihen sie dem Saal Dynamik und festliche Eleganz. Ob die Besucher in den gewellten Wänden das ihnen zugrunde liegende Motiv entdecken – das von der Brandung geschaffene Sandrelief am nahe gelegenen Strand, sei dahingestellt.

Versteht sich, dass bei der Gestaltung und Detaillierung der beiden Säle akustischen Belangen höchste Priorität eingeräumt wurde. Die funktionalen Aspekte drängen sich aber nie in den Vorderrund, sondern ordnen sich harmonisch in den Gesamteindruck ein. Das lässt sich beispielhaft an der von gmp eigens für dieses Projekt entwickelten Saalbestuhlung ablesen. Sie dient dem Komfort des Publikums, sorgt für eine ausgewogene Raumakustik und enthält zugleich die geräuschlos funktionierende Belüftung der Säle.

Mit dem Grand Theater in Qingdao ist es dem Büro von Gerkan, Marg und Partner in bemerkenswerterweise gelungen, einen Kulturkomplex zu schaffen, der bei aller Größe und Monumentalität, dennoch den menschlichen Maßstab wahrt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: