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db deutsche bauzeitung 12|2011
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Geschützt, nicht geschlossen

Friedhofsgebäude in Erlenbach (CH)

Der Pavillon auf dem kleinen Friedhof, direkt am Zürichsee gelegen, schafft die Gratwanderung, sowohl ganz alltäglichen Anforderungen als auch der sensiblen Situation des Abschiednehmens von Verstorbenen mehr als gerecht zu werden. Trotz Kompaktheit finden Tod und Trauer hier einen fein austarierten und zeitgemäßen Rahmen.

5. Dezember 2011 - Martin Höchst
Der ehemalige Winzerort Erlenbach hat sich zur begehrten und sehr teuren Wohnstätte vor den Toren Zürichs gewandelt. 15 S-Bahn-Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, am sonnenverwöhnten Ufer des Zürichsees, eroberten in den letzten Jahren zunehmend Wohngebiete die steil ansteigenden ehemaligen Weinhänge. Das eher dörfliche Zentrum des Orts wird durch die stark befahrene Hauptstraße durchtrennt. Zwischen ihr und dem herrlichen Seeufer liegt neben der reformierten Kirche auch der kleine Friedhof der mittlerweile knapp 6 000 Einwohner zählenden Gemeinde. Das neugotische Gotteshaus markiert den Haupteingang des konfessionslosen Friedhofs und schließt gleichzeitig die gepflegte Anlage nach Norden zwischen Seeufer und Seestraße ab. Mit reichlich Grün bestanden, staffeln sich die Gräberfelder bis zum befestigten Seeufer mit kleinem Bootshafen hinab. Als zurückgenommenes Pendant zur Kirche erstreckt sich seit 2010 ein neuer eingeschossiger Baukörper entlang der Grundstücksgrenze im Süden. Ein Wandsegment des abgerissenen Vorgängerbaus aus den frühen 70er Jahren entlang der Seestraße blieb erhalten und wurde in die vor Verkehrslärm und Blicken schützende Friedhofsmauer integriert. Da das vormalige Aufbahrungs- und Infrastrukturgebäude aus den frühen 70er Jahren stark renovierungsbedürftig war und funktionelle Mängel aufwies, schrieb die Gemeinde 2007 einen begrenzt offenen Wettbewerb mit sechs ausgewählten Zuladungen aus. Zu dem bis dahin zur Verfügung stehenden Raumprogramm – Infrastrukturräumen für Friedhofsbesucher, Gärtner und Bestatter und zwei Aufbahrungsräumen – kam eine weitere Nutzung hinzu: Ein Aufenthaltsraum soll es Trauernden ermöglichen, über längere Zeit in der Nähe ihrer Verstorbenen zu verweilen oder mit anderen Hinterbliebenen zusammen zu sein.

Ordnende Zurückhaltung

Das vorgeschlagene Konzept der Architekten Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler aus Zürich überzeugte die Jury auch durch die Kompaktheit des Baukörpers und dessen sorgsame Setzung auf dem am Wasser gelegenen Friedhof. Ausrichtung und Proportion des 2010 fertiggestellten Gebäudes orientieren sich an der Struktur und Lage des Areals und unterstützten das Vorgefundene ordnend. So ist der Eingang zu den öffentlich frequentierten Räumen, der sich durch eine Nische an der westlichen Längsseite zu erkennen gibt, bereits vom gegenüberliegenden Friedhofs-Haupteingang zu sehen. Zur Seestraße und an der vom Friedhof abgewandten Seite liegen die Anlieferungen der Gärtner- und Bestatterräume, welche in einen Fußweg hinunter zum Seeufer münden. Spaziergänger, aber auch Badende, können so etwas abseits des Friedhofsgeschehens an den See und den kleinen Bootshafen gelangen. Knicke der Außenkante des realisierten langgestreckten Bauvolumens weiten den Blick auf den See oder verengen eine Anlieferung zu einem Weg.

Leichtbeton und farbiges Licht

Trotz gegensätzlicher Materialien strahlt das Gebäude Homogenität und Ruhe aus, was u. a. von der betonten horizontalen Schichtung herrührt. Zwischen dem hangaufwärts eingegrabenen Sockel und einem Flachdach mit ungewöhnlich hoher Attika, beides aus Sichtbeton, schließt ein raumhohes Band aus dunklem Glas die Seiten. An dreien von ihnen folgen unsichtbar gehaltene Scheiben unterschiedlicher Breite und Farbe bündig der parallelen Außenkante von Boden und Decke. An der Schmalseite zum See hin tritt die tragend wirkende Glasfassade knapp 5 m zurück. Deren vermeintlich statische Rolle – den Großteil der Lasten tragen die von außen nicht sichtbaren Innenwände – übernehmen zwei kräftige, ornamental perforierte Betonscheiben, die so einen geschützten Außenraum definieren. Das Zusammenspiel aus verunklärter Lastabtragung und skulpturaler Formensprache verleiht dem Gebäudeäußeren die abstrakte Wirkung eines würdevollen aber doch nahbaren Objekts. Um eine derartige Klarheit zu erzielen, entwickelten die Architekten die minimierten Fassadenanschlüsse des Gebäudes konsequent durch. Dank dieser Arbeit sieht man der Gebäudehülle die unterschiedlichen Anforderungen an Temperierung, Belüftung usw. dahinter nicht an. Auch der Einsatz des Betons ist deutlich differenzierter als der eher raue Eindruck vermuten lässt: Die Attika und Teile des Sockels wurden aus Leichtbeton, die perforierten Wandsegmente aus glasfaserverstärktem Beton gegossen.

Beim Betreten des Gebäudes umfängt den Nutzer, gleich ob Gärtner, Bestatter oder Trauernden, farbiges Licht. Betonoberflächen von tragenden Innenwänden und Böden sind je nach Raum in warme bis kühle Farben getaucht. Auch der Grad der Transparenz des Isolierglases variiert von durchlässig bis opak, und wurde auf das jeweilige Diskretionsbedürfnis der Räume abgestimmt. So ist es den Architekten gelungen, jedem Bereich eine angemessene Stimmung zu verleihen, die von hygienisch rein und abgeschlossen (Bestatter) bis wärmend mit Bezug zum See (Aufenthaltsbereich) reicht. Ungefärbtes zenitales Licht hingegen erhellt die beiden Aufbahrungsräume im Zentrum des Gebäudes. Dass deren Holzbekleidung von Dacheinschnitt über Wände bis hin zum Aufbahrungssockel wie aus einem Guss wirken, ist kein Zufall. »Der ausführende Tischler hat keine Mühe gescheut, einen geeigneten Walnussbaum in der Schweiz zu finden, um sämtliche edel gemaserten Oberflächen aus einem Stamm herstellen zu können«, so die Projektarchitektin Regula Zwicky. Neben dem wärmenden Charakter des Holzes sollen Nischen für persönliche Dinge des Aufgebahrten und Sitzbänke für die Besucher die Aneignung des Raums erleichtern. Bereits im Vorraum zeichnet sich die Besonderheit der Aufbahrungsräume als hölzerner Wandabschnitt mit bündiger Tür zwischen Sichtbeton ab. Die Abwärme aus der Entlüftung der beiden Räume kommt mittels Wärmepumpe der Fußbodenheizung zugute. Im angrenzenden Aufenthaltsraum, der dreiseitig verglast ist, treffen schließlich alle Gestaltungselemente und Materialien aufeinander: eine Wand, die Decke und die Küchenzeile in Holz, der Boden aus geschliffenem Beton, Gläser in warmen Farbtönen mit unterschiedlichen Transparenzen und der Freibereich mit Blick auf den See gerahmt von den expressiven Wandscheiben – geradezu opulent im Vergleich zu den anderen monofunktionalen Bereichen. Die Bandbreite der Gestaltungsmittel, so scheint es jedoch, steht stellvertretend für die komplexen Anforderungen an den Raum: Beim Auf- und Innehalten der Trauernden treffen unterschiedliche Bedürfnisse nach Ruhe, Schutz oder Geborgenheit aber auch nach Austausch und Neuorientierung aufeinander. Es scheint gelungen: Die Qualitäten des Gebäudes würden von den Nutzern nach anfänglicher Skepsis angenommen und geschätzt, so eine Friedhofsgärtnerin vor Ort. Mittlerweile halten immer wieder Erlenbacher ihre Trauerfeiern im kleinen Kreis auf der Terrasse des Pavillons am See ab, statt sich in den beiden großen Kirchen vor Ort etwas verlassen vorzukommen.

Nach Jahrzehnten des Vermeidens und Ausblendens entwickelt sich zunehmend ein Bewusstsein für die Wichtigkeit von Tod und Trauer in der Gesellschaft. Dieser Vervollständigung des Lebens gilt es konfessionsübergreifend gültige, sinnliche und ästhetisch angemessene Räume zu bieten. In Erlenbach auf dem Friedhof am See wurde das wegweisend umgesetzt

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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