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db deutsche bauzeitung 06|2012
Potenzial Farbe
db deutsche bauzeitung 06|2012

Leicht und leuchtend

Konferenz- und Veranstaltungszentrum in Cartagena (E)

Farbe wirkt direkt, emotional, das ist bekannt. In medial überreizten Zeiten wie diesen ist der heftige Griff in den Farbtopf deshalb besonders populär. Wenn farbige Architektur dann noch so spielerisch leicht und klug inszeniert wird wie bei diesem multifunktionalen Gebäude in Südspanien, ist ihr Erfolg garantiert – eigentlich. Doch bei einem Besuch vor Ort bleiben Fragen offen.

11. Juni 2012 - Christoph Gunßer
Einen Stimmungsaufheller wie »El Batel« hat die Region Murcia dringend nötig. Nach einem Jahrzehnt des Booms mit den landesweit höchsten Wachstumsraten herrscht Katerstimmung, am sichtbarsten im Immobiliensektor: Leerstände, verwaiste Baustellen, Spekulationsruinen, wohin man blickt. Von den jungen Leuten ist derzeit die Hälfte arbeitslos, und gerade die Qualifizierteren wandern ab.

Mit dem Konferenz- und Veranstaltungszentrum am Hafen von Cartagena setzen Stadt und Region auf eine Gegenbewegung, auf »Qualitätstourismus«. Doch um die zahlungskräftige Kongress-Klientel buhlen gegenwärtig viele Standorte in Spanien. Um hier mithalten zu können, hat man gerade einen neuen internationalen Flughafen zwischen Murcia und Cartagena aus dem Boden gestampft, der den Nachbarn in Alicante und Almeria Gäste abjagen soll.

Der Erfolg dieser Bemühungen ist bisher zweifelhaft. Im März eröffnete Königin Sofia El Batel mit großem Gefolge, doch das Programm des Zentrums liest sich bislang bescheiden. Genug Platz also, die ungewöhnliche Architektur an der heißen Hafenpromenade genauer zu betrachten.

Container und Lampion: die Gebäudehülle

Was andernorts gern als »Palast« repräsentiert, kommt hier zunächst als schlichter Container daher: lang und schmal und v. a. niedrig. Eingeschossig nimmt das Entree den Maßstab des benachbarten Museumsbaus auf, ehe es gen Osten zum Auditorium in die Höhe und, wie man erst drinnen merkt, in die Tiefe wächst. Überhaupt: Die äußere Klarheit und Reduziertheit einer Fabrikhalle lässt den inneren Reichtum an räumlichen Situationen und farbiger Sinnlichkeit zunächst nicht ahnen. Als Determinanten ihres Entwurfs nennen die Architekten die strikte Geradlinigkeit der Hafenmole und die ruhige Horizontalität des Meeres. Offensichtlich ist zudem der Bezug zum nahegelegenen Containerumschlagplatz im Hafen.

Die beiden 210 m langen Hauptfronten sind als ein Meter tiefe Doppelfassaden ausgeführt, deren einheitliche Haut aus einer Art semitransparenten Stülpschalung besteht. Gedrungen V-förmige Profile aus Methacrylat (Acrylglas) außen und Polycarbonat innen werden von simplen Metallprofilen, wie sie aus dem Gewächshausbau bekannt sind, gehalten. Das UV-stabile Acrylglas und das brandhemmende Polycarbonat sind dabei äußerlich nicht zu unterscheiden. Beiden sind 1 mm breite Pigmentstreifen in phosphoreszierendem Orange, Gelb, Blau und Grün eingelegt, welche gemeinsam mit Längsrillen eine je nach Standpunkt des Betrachters variable Brechung des Lichts bewirken. Die filigrane Stahlkonstruktion im Scheibenzwischenraum ist so nur verschwommen erkennbar.

Die Hoffnung war, auf diese Weise auch die Verschmutzung zu überspielen, denn: »Cartagena ist eine sehr schmutzige Stadt«, wie Architekt José Selgas sagt. »Wenn es regnet, regnet es Saharastaub.« Dies gelingt zumindest besser als bei einer Glasfassade, die auch aus Kostengründen ausschied – sie wäre doppelt so teuer gewesen. Mit 150 Euro/m² ist diese Wandkonstruktion unschlagbar günstig, auch weil in Cartagena Europas größte Fabrik für Polycarbonat steht (die Gegend ist voll von riesigen Kunststoff-Gewächshäusern). Das Material ist nach Auskunft des Architekten ebenso dauerhaft und noch bruchfester als Glas und bestand alle Härtetests. U. a. ließ man Skater in voller Fahrt auf die Fassade prallen.

Da die Temperaturen in Cartagena im Mittel bei 20 °C liegen und kaum einmal unter 10 °C fallen, hat die Wand bauphysikalisch jedoch weit weniger Funktionen als in Mitteleuropa. So ist die aus 5,2 m langen und 22 cm breiten Profilen bestehende Stülpschalung »durchlüftet« und entlässt die eingefangene Wärme gleich wieder nach draußen, zumeist ohne künstliche Klimatisierung, wie Architekt Selgas betont. Bei dieser Low Tech-Planung waren wiederum der Staub und die Vögel zu beachten, die bei breiteren Fugen in den Zwischenraum eingedrungen wären. Die Reinigung der Fassade wird indes ein Dauerthema bleiben. Eine Heizung hat das Gebäude übrigens nicht, allein die in den Böden unsichtbar verlegte Klimaanlage vermag Temperaturspitzen auszugleichen.

Mit Einbruch der Dämmerung lassen weiße LED-Strahler am Fuße der Fassade den kantigen Container zum weithin leuchtenden Lampion werden. Schemenhaft ist dann auch das Innere des Gebäudes zu erkennen. An dessen rückwärtigem, höheren Teil und auf den Dachterrassen glimmen gelbe und weiße Röhren aus Acrylglas auf, die dort die Verkleidung und den Sonnenschutz bilden.

Drittes Fassadenelement sind großformatige knallorangefarbene ETFE-Luftkissenelemente (mit 15 x 60 m die größten bislang gefertigten), die in der östlichen Einkerbung des Baukörpers hängen und v. a. das Foyer des Auditoriums prägen.

Tagheller Plastik-Pop: das Innere

Die Uferpromenade, deren Ende El Batel bildet, setzt sich im Inneren des Gebäudes fort. Zwei bis 100 m lange Rampen führen hinauf zu einem Ausstellungsbereich und hinab zu den vier Sälen. Unmittelbar am Eingang geht es über eine Rolltreppe hinauf zum Restaurant und zur Verwaltung. Dank der durchlässigen Hülle und gläserner Brüstungen ist es im gesamten Inneren taghell, auch die Konferenzsäle lassen sich durch indirekten Lichteinfall über die Decken ohne Kunstlicht nutzen.

Nicht nur in der Horizontalen, auch vertikal gerät hier vieles in Bewegung: Die Wände, aus denselben V-Profilen wie die Fassade opak gefertigt, hier aber vertikal gereiht, schwingen leicht ein- und auswärts, bis sie für die breiten Eingänge der großen Säle zurückweichen. Wild und scharfkantig wie Wunden sind immer wieder Öffnungen ausgesägt, an denen hinter der milchigen »Haut« das orangene »Fleisch« des Gebäudes hervortritt – Ticketverkauf, Empfang sind die Funktionen dieser im ruhigen Fluss der Räume plötzlich beunruhigenden Störungen. Doch es kommt noch extremer: Der zuvor eher niedrige, von weißen geschlitzten Metallblechen gedeckte Verkehrsraum weitet sich im Foyer des Auditoriums spektakulär nach oben, wo eine Kaskade leichter Stahltreppen zu den oberen Rängen führt.

Warm und kalt, fast psychedelisch: das Farbkonzept

Strahlend orange sind die ETFE-Wände und auch die Stufen dieses Foyers gehalten, »um die Besucher hierher zu locken«, wie José Selgas sagt. »Mit Orange verbinden die Menschen Wärme und Geborgenheit, so dass sie sich hier gern aufhalten.« Die hier einfallende Abendsonne verstärkt diesen Effekt noch. Eigentlich herrscht aber permanenter Sonnenuntergang. Ein positiver Nebenaspekt von Orange sei, dass der Schmutz darauf nicht so sichtbar sei wie auf den weißen (!) Gummiböden im übrigen Foyer, merkt der Architekt an.

Umso krasser der Kontrast, sobald man das anschließende Auditorium betritt, das felsartig verschalte Betonwände abschirmen: Hier sind die Polycarbonat-Wände wie die 1500 Sitze tiefblau gefärbt, eine Spiegelfolie hinter den Kunststoffplatten führt zu unsteten Lichtreflexen. Der Betrachter wähnt sich auf einem Tauchgang (oder in einem Eisblock?). Tatsächlich liegt das Auditorium unter der Wasserlinie in einem Betontrog. Das Blau strahlt Ruhe aus, Konzentration, doch unwillkürlich fröstelt es einen auch. Neutrale Helle verströmt allein die Tageslichtdecke – aus Polycarbonatplatten. Offenbar leidet die Akustik nicht unter den »billigen« Oberflächen. Sie könne es mit Räumen aus feinsten Hölzern aufnehmen, heißt es.

Diese, so stark von Farben dominierten Räume sind sicher überaus einprägsam. Wie die vielen teils legendären Designer-Sitzmöbel aus der Pop-Ära, die locker über das Gebäude verteilt sind, wird El Batel mit diesen fast psychedelischen Raum-Erfahrungen verbunden bleiben – als eine populäre »Marke«. Ob ihre Intensität den Menschen auf Dauer guttut, sei dahingestellt. Menschen halten sich ja nie länger als einige Stunden darin auf.

Auch im Außenraum tauchte der Kontrast Warm-Kalt schon auf: Die Uferpromenade ist um das Gebäude mit warmen Holzdielen belegt, aus denen Palmen und Felsbrocken herausragen, die beim Aushub der Baugrube auftauchten. Vor 100 Jahren, ehe die Hafenmole errichtet wurde, lag hier ein beliebter Strand, von dem der Name »El Batel« (der Kahn) herrührt. Und auf assoziative Weise lässt sich das fein modellierte Innenleben des Zentrums lesen als eine Reminiszenz an diesen Strand, der von einer harten Hülle überformt wurde.

Dass hier 18 500 m² flexible Nutzfläche geboten werden, sieht man dem äußerlich so bescheiden auftretenden Gebäude nicht an. Mit 34,5 Mio. Euro (1865 Euro/m²) wurde es in zehn Jahren Planungs- und Bauzeit zwar teurer als prognostiziert, doch immer noch sehr kostengünstig, zumal im Vergleich zu ähnlich großen Werken bekannter Stars wie Calatrava oder Foster. Das Büro von José Selgas und Lucia Cano ist klein, 8–10 Leute sitzen in ihrem originellen halboffenen Büro-Rohr am Rande von Madrid. Eben haben sie ein weiteres Konferenzzentrum in Placencia vollendet und sich um den Bau eines anderen in Bochum beworben. Keines sieht auch nur annähernd so aus wie El Batel, und so darf man gespannt sein, was selgascano mit ihrer experimentellen Denkart noch entwerfen werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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