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Metamorphose 03/12
Farbe planen!
Metamorphose 03/12
zur Zeitschrift: Metamorphose
Fokus: Buntes Grauen

„Jede gute städtische Hausfarbe ist immer so, als habe man sie aus dem Hausinneren heraus durch die Mauer hindurch nach außen hin filtriert.“
(Heinrich Tessenow, 1925 [1])


An farbiger Architektur scheiden sich schnell die Geister. Je kräftiger ein Ton, desto kräftiger meist auch der Wind, der dem Planer entgegenbläst. Gut, wenn er seine Farbwahl dann fundiert begründen kann. Gerade im Gebäudebestand finden sich genügend Anknüpfungspunkte gegen eine nur beliebige Buntheit.

Architektur und Farbe? Ein heikles Thema. Viele Planer scheuen die Farbe wie der Teufel das Weihwasser und üben äußerste Zurückhaltung, was die farbige Gestaltung ihrer Bauwerke angeht. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass mit dem Anstreichen einer Oberfläche deren Purheit, ihr echter Charakter verloren gehe; ihm hafte das Stigma des Übertünchens, des Kaschierens an. Diese Haltung hat ihre Wurzeln tief in der Geschichte der Moderne; selbst Heinrich Tessenow schrieb schon 1925 über das Verhältnis von Farbe und Bauwerk: „Streng genommen dürften die Hausfarben nie angepinselt werden, sondern müssten sie – wenigstens größtenteils – die natürlichen Farben der gewählten Baustoffe sein. Besondere großflächige Hausanstriche sind immer nur soweit nötig, wie – je nach baumeisterlicher Beurteilung – unsolide gebaut wird.“[1] Sobald Farbe verwendet wird, argwöhnt der baulich geschulte Betrachter also, dass sich dahinter etwas Minderwertiges verberge. Er setzt daher lieber auf reine, unbeschichtete Materialien und deren unverdächtige Eigenfarbigkeit: Beton- oder Stahlgrau, Holzbraun, Ziegelrot, Glasgrün.

Außerdem steht, wer sich auf deckende Anstriche einlässt, stets vor der schwierigen Frage, für welchen Farbton er sich entscheiden soll. Wie aus der zunächst einmal unendlichen Zahl an möglichen Tönen eine sinnvolle Auswahl treffen, die nicht beliebig erscheint? Was beim Neubau tatsächlich eine Herausforderung ist, gestaltet sich beim Bauen im Bestand etwas einfacher. Hier bietet das Vorhandene viele Hinweise, was möglich ist und was nicht. Häufig bringt die vorgefundene Bausubstanz bereits eine Farbigkeit mit, auf die man aufbauen und reagieren kann, sei es mit Fortschreiben, sei es mit einem gezielten Kontrast. In dieser Ausgabe geht die Redaktion der Frage nach, wie sich nachvollziehbare, gut begründete Farbkonzepte für ältere Gebäude entwickeln lassen.

Einer der denkbaren Ansatzpunkte ist ein genauerer Blick auf die traditionelle Baukultur vor Ort. Welche Farben herrschten über Jahrhunderte in der Region vor? Norddeutsche Backsteinstädte zeigen andere farbliche Schwerpunkte als vom Schiefer geprägte Orte an der Mosel oder holzbaudominierte Dörfer in den Alpen. Für die Farbgebung einer Gebäudehülle finden sich Anregungen, wenn man auf den überlieferten Farbenkanon eines Ortes achtet, auf das „Lokal-Kolorit“ im eigentlichen Sinne des Wortes.

Auch ein Blick in die einzelnen Epochen der Baugeschichte ist aufschlussreich. Wenn es etwa darum geht, Räume eines Gründerzeithauses umzubauen oder instand zu setzen, bietet es sich häufig an, auf die typischen gedeckten Töne der Entstehungszeit zuzugreifen, während beispielsweise bei einer Fünfzigerjahre-Architektur eher Pastellvarianten von Rot, Gelb und Blau naheliegen.

Wie sich die vorgefundene Farbigkeit eines Bauwerks weiterentwickeln lässt, zeigt idealtypisch das Quartierszentrum Dorflinde im Zürcher Stadtteil Oerlikon (Seite 22–27). Das Ensemble von 1978 trug einen ockerfarbenen Anstrich auf grobkörnigem Putz. Im Zuge der Instandsetzung wurde auf die Spitzen des Putzes eine Farbe getupft, die Goldpigmente enthält. Sie passt gut zum ursprünglichen Ocker, das nach wie vor sichtbar ist, verleiht diesem aber eine etwas noblere Note und leistet damit einen Beitrag, die im Quartier ehemals umstrittene Siebzigerjahre-Architektur aufzuwerten.

Bei der 1930 eingeweihten Milchbuck-Schule in Zürich-Unterstrass fanden sich in den Erschließungszonen Altanstriche in vier kräftigen Farben. Diese wurden für die Klassenzimmer mit Weiß abgetönt, sodass sich im Zusammenspiel nun ein harmonischer Farbklang ergibt. Die Farbintensität der Räume nimmt also ab, je höher ihre Nutzungsintensität ist. Während etwa die Farbpracht des Treppenhauses in den wenigen Minuten, in denen man sich dort aufhält, recht belebend wirkt, würde sie Schüler und Lehrer in den Klassenräumen, in denen diese mehrere Stunden täglich verbringen, wahrscheinlich schnell erschlagen (Seite 28–33).

Die neuen Farben im Städtischen Museum Braunschweig basieren auf zwei Grundlagen: zum einen auf schriftlichen Quellen über das 1906 fertiggestellte Gebäude, zum anderen auf Resten, die unter einem weißen Dispersionsanstrich aus den Siebzigerjahren auftauchten. Die Ausstellungsräume zeigen sich nun wieder in alten Farben statt in Weiß. Zwar ist der jeweilige Ton nicht für alle Säle exakt nachgewiesen, insgesamt ist der Farbenkanon aber historisch belegt und die nachempfundene Farbigkeit der Räume damit schlüssig (Seite 46–49).

Egal ob die vorgefundenen Töne nun verfeinert werden wie in Oerlikon, als Inspiration für einen neuen Farbklang dienen wie in Unterstrass oder den Ausgangspunkt einer wiederhergestellten Farbigkeit markieren wie in Braunschweig – durch gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema Farbe sind in allen drei Fällen einleuchtende, in sich stimmige Konzepte entstanden. Von Beliebigkeit keine Spur.

Christian Schönwetter


Anmerkungen:
[1] Heinrich Tessenow: „Die äussere Farbe unserer Häuser“, in: Heinrich Tessenow: Geschriebenes, Braunschweig 1982, S.48–51

Bestandsaufnahme
06-09 | Auferstanden aus Ruinen: Klosterkirche St. Francesc, Santpedor (ES)
10-15 | Projekte
16 | Bücher
17 | Termine

18-19 | Buntes Grauen: Wie sich Beliebigkeit bei der Farbwahl vermeiden lässt
20-21 | Lokalkolorit: Farben mit Ortsbezug
22-27 | 01 Vorhandenes verfeinert: Quartierszentrum in Zürich-Oerlikon
28-33 | 02 Subtile Virtuosität: Schulhaus in Zürich-Unterstrass
34-41 | 03 Bildung mal drei: Hochschulgebäude in Luzern
42-45 | 04 Tautes Heim, Glück zu zwei'n: Ferienhaus in Berlin
46-49 | 05 Verlorenes wiedergewonnen: Museum in Braunschweig

Technik
50-55 | Energetische Sanierung – Schicht im Schacht: Sanieren und Nachrüsten von Schornsteinen
56-60 | Technik aktuell – Trockene Socken: Gebäudesockel – richtig geplant und ausgeführt
62-65 | Historische Baustoffe – Von Kalk-Kasein zu Dispersion: Farbigkeit und Anstriche in Innenräumen

Produkte
66-67 | Putz und Farbe
68-69 | Boden
70-71 | Elektro und Licht
72-73 | Neuheiten

Rubriken
74-75 | Verkannte Perlen – Mit allen Mitteln: Das Kongresszentrum in Bad Gastein verkommt zur Ruine
76 | Vorschau
76 | Impressum
76 | Bildnachweis

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