Zeitschrift

werk, bauen + wohnen 12-12
Wunderkammern
werk, bauen + wohnen 12-12
zur Zeitschrift: werk, bauen + wohnen
Fremdes, Skurriles, kunsthandwerkliche Kostbarkeiten und auch Werke der Kunst sammelten die Fürsten der Renaissance in ihren Wunderkammer und schufen in den scheinbar ungeordneten Schatzräumen ein dreidimensionales Abbild der damaligen Welt. Es sind mannigfaltige Gründe, die das Thema der Wunderkammer heute wieder attraktiv erscheinen lassen: das Spielerische, das Nebeneinander von Gegensätzlichem, das vermeintliche Chaos, das enzyklopädische Moment, die überbordende Fülle, die Anti-Spezialisierung; aber auch der Reiz des Abseitigen, Exotischen und die Betörung durch die Szenografie, das Bühnen- und Theaterhafte.

Was in den Anfängen der Wunderkammer nur dem ordnenden Blick des meist fürstlichen Stifters unterlag, wurde seit der Aufklärung einer gattungsspezifischen Ordnung unterworfen und in der Moderne wissenschaftlich seziert. Heute jedoch, in einer Welt mit grenzenlos online verfügbaren Geheimnissen, soll der Kunstbetrachter wieder lernen zu staunen und sich zu wundern – so wie die neu entdeckte Zielgruppe der Kinder. Doch: Müssen wir, bevor wir staunen können, nicht erst einmal das Sehen wieder erlernen, um in einer Ausstellung Betrachter zu bleiben und nicht bloss Besucher zu sein? Gerade die Wunderkammer bietet hier eine Sehschule; der panoramische Blick verführt zu Staunen und Anschauung.

Im vorliegenden Heft erklärt ein Essay zur Raumfindung der Wunderkammer die ihr zu Grunde liegende dreidimensionale Ordnung und ihre Erschliessung durch den perspektivischen Blick. Als räumliche Erweiterung eines Romans des türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk versteht sich sein Museum der Unschuld in Istanbul, dessen Schaukästen mit den Wunderkammern viel gemein haben. Die ausgestellten Objekte und ihre Geschichte sind allesamt Konstruktionen des Literatur-Nobelpreisträgers.

Konstruktion und Produktion von Kunst finden im sanktgallischen Sitterwerk ideale Bedingungen: In bester Wunderkammer-Tradition hält es neben der berühmten Giesserei auch ein Materialarchiv und eine scheinbar ungeordnete Bibliothek an einem besonderen Ort bereit. So offenbart sich ausserhalb der Museen die Aktualität des Themas. Das einprägsamste Modell einer Wunderkammer bietet heute jedoch zweifellos das Internet. Seine Verfügbarkeit und Fülle sowie das Nebeneinander von Ordnung und Unordnung sind überwältigend und niemandem käme es mehr in den Sinn, im Netz den Blick über das Ganze gewinnen zu wollen. In der Wunderkammer des Internets ist die Welt zu Gast im trauten Heim.

Dort gesellt sich das Füllhorn der Bilder neben die Ansammlungen des Alltags, die privaten Archive der Erinnerung. Wir zeigen zwei Architektenhäuser, die als Spiegel und Futteral zugleich die Welt und die Persönlichkeit ihrer Besitzer repräsentieren: das Haus von Sir John Soane in London und die private Wohnung Helle und Gmür in Zürich.
Die Redaktion

Mathias Müller, Daniel Niggli
Im Schwammraum: Hommage an das Sir John Soane's Museum in London

Gabriele Bessler
Raumfindung Wunderkammer: Ein Weltmodell aus dem 16. Jahrhundert

Frank Boehm
Die Zukunft der Vergangenheit: Rem Koolhaas/OMA und die Geschichte

Olaf Bartels
Die Stadt und die Dinge: Orhan Pamuks „Museum der Unschuld“ in Instanbul von Ihsan Bilgin und Sunder-Plassmann Architekten

Annette Spiro
Take your pleasure seriously! Eine Architektenwohnung als Wunderkammer

Barbara Basting
Denken, Erfinden, Giessen: Besuch in einer Wunderkammer der Kunst

Forum
Orte: Christoph Schreiber
Material: Holz schweissen
Wettbewerb: Stadion Zürich
Zum werk-material: Verwaltungsgebäude in Genf von Group8 und
Bürogebäude in Vevey von Personeni Raffaele Schärer Architectes
Innenarchitektur: Methoden der Lichtplanung im Entwurfsprozess
Umbauten: Inneninstandsetzung der reformierten Kirche Rheinfelden durch Daniel Studer
Bücher: «Urban Reset» von Angelus Eisinger und Jörg Seifert
Ausstellung: Die Rolle des Architekten in München
Nachruf: Zum Tod des Architekten Fritz Haller
bauen rechnen: Entwicklungen im öffentlichen Raum
bauen rechten: Bundesinventare
Service: Ausstellungen | Veranstaltungen | Neuerscheinungen | Produkte
Neumitglieder BSA 2012
Jahresinhaltsverzeichnis

werk-material
Group8, Genève: Bâtiment administratif Avenue de France, Genève
Personei Raffaele Schärer, Lausanne: Office de l’Assurance Invalidité pour le Canton de Vaud, Vevey

teilen auf

Weiterführende Links:
Verlag Werk AG

Tools: