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TEC21 2013|25
Saaneviadukt erweitert
TEC21 2013|25
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Noch ist der Viadukt einspurig

Die 112 Jahre alte Bahnstrecke Bern–Neuenburg soll doppelspurig ausgebaut werden. Dem kurvenreichen Teilabschnitt zwischen Rosshäusern und Gümmenen kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, denn hier liegen der Rosshäuserntunnel und der Saaneviadukt. Um einen geeigneten Ausbau des denkmalgeschützten Viadukts zu finden, der die Anforderungen bezüglich Denkmalschutz, Instandsetzungsbedarf und Doppelspurigkeit erfüllt, untersuchte die Besitzerin BLS das Bauwerk, liess Vorstudien ausarbeiten und schrieb schliesslich Mitte 2012 einen Studienauftrag aus.[1]

Die Bahnstrecke Bern–Neuenburg verbindet die zwei Kantonshauptstädte und ist Teil der internationalen Verbindung Bern–Paris. Die ehemalige schweizerische Eisenbahngesellschaft Bern-Neuenburg-Bahn eröffnete diese ursprünglich einspurig angelegte Strecke am 1. Juli 1901. Elektrifiziert wurde sie in zwei Etappen zwischen 1923 und 1928, heute gehört sie zum Streckennetz der BLS Lötschbergbahn[2]. Die grösstenteils einspurig betriebene Bahnstrecke von Bern über Gümmenen, Kerzers und Ins nach Neuenburg ist eine fast gerade Linie, weshalb sie auch «die Direkte» genannt wird. Einzig der Abschnitt zwischen Rosshäusern und Gümmenen im Saanetal ist kurvenreich (Abb. 1) und hemmte letztlich den stetig wachsenden Bahnverkehr. Deshalb plant die Besitzerin BLS, die Strecke schrittweise doppelspurig mit einer Streckengeschwindigkeit von 160 km/h auszubauen. So kann sie die Kapazität für den stetig wachsenden Nah- und Fernverkehr erhöhen. Dafür wird nun in einem ersten Schritt zwischen Rosshäusern und Mauss ein neuer doppelspuriger Tunnel ausgebrochen (vgl. Kasten S. 15). Für den einspurigen, noch auf 90 km/h ausgelegten Saaneviadukt sucht man eine Lösung, die der grössten Kunstbaute der Strecke betrieblich, gestalterisch und konstruktiv gerecht wird.

Ein Denkmal von nationaler Bedeutung

Der Saaneviadukt gilt als Zeuge der industriellen und verkehrstechnischen Entwicklung im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die 112 Jahre alte Querung der insgesamt rund 700 m langen Talebene ist ein Ensemble aus einem markanten Bahndamm, Viaduktbögen aus Natursteinmauerwerk und einer Stahlfachwerkbrücke (Abb. 3 und 4). Der leicht geschwungene Damm ist 200 m lang und besteht aus Ausbruchmaterial des Rosshäuserntunnels. Seine Böschungen sind Naturschutzgebiet und gelten als Trockenstandort von nationaler Bedeutung.

Der an den Damm anschliessende 400 m lange und über 30 m hohe Viadukt hat westlich der Saane 22 Natursteinbögen, östlich in Richtung Mauss fünf. Im Vergleich mit anderen Bahnviadukten aus Mauerwerk weisen die Gewölbe eine geringe lichte Öffnung von 10 m auf. Unterbrochen werden die Viaduktabschnitte von einer Fachwerkbrücke von Wartmann & Valette aus Brugg, die eine Stützweite von 63 m aufweist. Die 7.16 m hohe und 4 m breite Kastenkonstruktion spannt als einfacher Balken über die Saane (Abb. 2). Die parallelgurtigen Hauptträger sind in neun gleiche Felder von je 7 m Breite unterteilt und mit zweifachem Strebenzug mit Pfosten ausgefacht. Das Fachwerk besteht aus Walzprofilen aus Flussstahl, wobei die Zugstreben aus Flacheisen und die Druckstreben aus zwei U-Profilen konstruiert sind. Die Fahrbahn liegt in der Höhe des Obergurts auf einer offenen Stahlkonstruktion, wodurch eine Zugüberfahrt lärmig und der Gleisunterhalt aufwendig ist. Die Querträger bestehen aus genieteten Blechbalken und übertragen die Last zur Hälfte direkt auf die Pfosten der Hauptträger; die andere Hälfte wird – was relativ selten ist – durch sekundäre, an den Obergurt vernietete und auf die Kreuzung des Streben abgestützte Pfosten aufgenommen.[3] Die Stahlbrücke dominiert örtlich den Flussbereich, bei einer Gesamtsicht des Viadukts tritt sie wegen des Uferbewuchses nur wenig in Erscheinung. Als signifikantes Element der Landschaft im Saanetal ist der gesamte Viadukt ein Denkmal von nationaler Bedeutung. Die BLS zog deshalb im Rahmen der Vorstudien zum Doppelspurausbau die eidgenössischen Kommissionen für Denkmalpflege (EKD) und Natur- und Heimatschutz (ENHK) hinzu. Diese forderten für den Ausbau des Viadukts eine konstruktive Lösung, bei der Substanz und Funktion des Bauwerks erhalten bleiben.

Aufsattelung auf den Bestand, Ersetzen der Fachwerkbrücke

Aufgrund dieser Vorgabe sowie zusätzlicher bahnbetrieblicher Randbedingungen und umfassender statischer und materialtechnologischer Zustandsbeurteilungen des Bestands (vgl. Kasten S. 16) entwickelte die Bauherrschaft mehrere Varianten für einen Doppelspurausbau. Schliesslich entschied sie sich für jene, worin beide Gleise symmetrisch über den Bestand mittels einer Dammanschüttung resp. eines aufgesetzten Stahlbetontrogs geführt werden und die bestehende Fachwerkbrücke ersetzt wird. Die beigezogenen Kommissionen EDK und ENHK bestätigten diese technische und gestalterische Bestvariante im Grundsatz und empfahlen, insbesondere für die Ausbildung der neuen Brückenkonstruktion über die Saane ein ordentliches Vergabeverfahren durchzuführen. Die BLS schrieb sodann 2012 einen Studienauftrag mit Präqualifikation für Teams aus den Disziplinen Bauingenieurwesen / Brückenbau (Federführung), Gestaltung und Geotechnik aus.[4]

Einschränkende Rahmenbedingungen für den Studienauftrag

Die dem Studienauftrag vorgelegte Variante beruhte also auf dem Konzept, den bestehenden Viadukt unter Nutzung und Beibehaltung des Damms und der Hausteinbögen auf eine Doppelspurlinie auszubauen. Dabei würde auf dem Viadukt kein Spurwechsel notwendig sein. Die vertikale Linienführung war auf die Anschlussstellen und die Ausrundungsradien für eine Ausbaugeschwindigkeit von 160 km/h auszulegen. Dabei konnte man die Gleislage um höchstens 1.40 m anheben. Die horizontale Linienführung war für diese Ausbaugeschwindigkeit vorgegeben und musste übernommen werden, damit die Anschlusspunkte beim Tunnel Rosshäusern und beim Bahnhof Gümmenen gewährleistet sind. Die Gleise verliefen aufgrund der Radien für eine Geschwindigkeit von 160 km/h im Bereich der Saanequerung und dem Anschluss Seite Mauss mit dem zweiten kürzeren Viaduktabschnitt allerdings asymmetrisch zur heutigen Brückenachse – die Lasteinwirkung verändert sich dadurch, und die Anforderungen an die Steifigkeit steigen. Folglich lag es nahe, ein neues Tragwerk über die Saane und eine seitliche Erweiterung der Hausteinbogen Seite Mauss zu erstellen. Für die neue Konstruktion durften keine Pfeiler im Flusslauf erstellt werden, und die bestehenden Widerlagerstandorte waren zu übernehmen. Verstärkungen der Widerlager oder Auflager der neuen Konstruktion durften ausserdem die lichte Flussbreite nicht reduzieren. Falls die Teilnehmenden die Stahlfachwerkträger beibehalten wollten, war die Machbarkeit entsprechend nachzuweisen. Des Weiteren sollte die Realisierung grundsätzlich unter Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs erfolgen. Zulässig war eine einmalige Vollsperrung der Strecke von maximal vier Wochen. Das öffentliche Strassennetz konnte für die Baulogistik grundsätzlich genutzt werden, und es war möglich, die Bahnlinie für den An- und Abtransport zu nutzen. Die an den Viadukt angrenzenden Flächen konnten Installationen aufnehmen, wobei die temporär verstellten Bereiche möglichst klein zu halten waren, da es sich um Kulturland mit entsprechendem Ertragsausfall handelt.

Diese vielen Rahmenbedingungen waren für die Ausarbeitung des Studienauftrags sehr einschränkend. Dennoch waren die eingegangenen Lösungsvorschläge überraschend und erfreulich vielfältig (vgl. «Die Preisträger», S. 24, und «Weitere Projekte», S. 26).


Anmerkungen:
[01] Der Artikel basiert auf dem Beurteilungsbericht «Doppelspurausbau Mauss–Gümmenen: Saaneviadukt. Studienauftrag im selektiven Verfahren», April 2013, BLS Netz und dem Beitrag zum Gutachten der EKD und der ENHK von Eugen Brühwiler und Alix Grandjean, Oktober 2006.
[02] Im Juni 1997 fusionierte die Bern-Neuenburg-Bahn zusammen mit der Spiez-Erlenbach-Zweisimmen-Bahn, der Gürbetal-Bern-Schwarzenburg-Bahn und der Berner Alpenbahngesellschaft BLS (Bern–Lötschberg–Simplon) zur BLS Lötschbergbahn.
[03] Schweizerische Bauzeitung, Albin Beyeler, «Die neue Bern-Neuenburg Bahn: Direkte Linie», Vol. 39, 4. Januar 1902, S. 7.
[04] Auszuarbeiten war ein reduziertes Vorprojekt nach SIA 103:2003 (exkl. Kostenschätzung) für den Doppelspurausbau des Saaneviadukts zwischen Mauss und Gümmenen.
[05] Zustandsbericht Ingenieurbüro Emch   Berger, Bern, Saaneviadukt Gümmenen – Zustandserfassung, 6. 2. 2006.
[06] Prof. Dr. Eugen Brühwiler, EPFL-MCS-Bericht Nr. 230805.1, BLS: Doppelspurausbau Rosshäusern–Gümmenen, Saaneviadukt Gümmenen, Verformungen – Interpretationen d

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