Zeitschrift

TEC21 2013|31-32
Station im Tunnel
TEC21 2013|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Elektronisch warn­en

In den letzten Jahren haben elektronische Warnsysteme zur Reduktion der Risiken durch Naturgefahren beigetragen. Sie sind kostengünstiger und schneller realisierbar als bauliche Massnahmen wie Steinschlagnetze, Dämme und Galerien; zudem erfordern sie geringere Eingriffe in die Landschaft.[1] Wo welche Bauart am besten eingesetzt werden kann, zeigt der folgende Überblick über die verschiedenen Systeme und ihre Funktionsweisen, der im Rahmen einer Dissertation am Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos erarbeitet wurde.[2]

Warnsysteme liefern vor einem Schadenereignis Warninformationen und ermöglichen dadurch, das potenzielle Schadenausmass zu minimieren.[3] Dabei sollen lokale Systeme dafür sorgen, dass sich keine Personen, Tiere oder mobilen Objekte im Gefahrenbereich aufhalten. Das erste automatische Warnsystem in der Schweiz war die im Jahr 1937 von der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS) installierte Lawinenmeldeanlage Mahnkinn an der Lötschberg-Südrampe im Kanton Wallis (Abb. 01). Heute sind zahlreiche Systeme zur lokalen Warnung vor Murgängen, Steinschlag und Bergstürzen, Schneelawinen und spontanen Flutwellen aus Gletscherseen in Betrieb. Moderne Warnsysteme bestehen aus drei technischen Hauptelementen – Monitoring, Dateninterpretation und Ausgabe der Warninformation –, sie beziehen aber auch menschliche Entscheidungen ein. Trotz ihrer Vielfältigkeit lassen sich die derzeit eingesetzten Systeme zwei Typen zuordnen, nämlich Grenzwert- und Analysesystemen (Abb. 04). Beide Typen besitzen ein jeweils charakteristisches Systemdesign, das durch die Wahl der Monitoringparameter vorgegeben ist. Oft sind beide Typen in einer Anlage kombiniert.

In diesem Artikel werden charakteristische Systemkomponenten und aktuelle Technologien für beide Typen mit ihren Einsatzmöglichkeiten und Vor- und Nachteilen erläutert. In einem zweiten Schritt entwickeln die Autoren derzeit eine Methode zur Bewertung der Zuverlässigkeit dieser Warnsysteme, damit sie sich mit altbewährten Massnahmen wie Schutznetzen und Dämmen vergleichen lassen und als Standardmassnahme in das Integrale Risikomanagementkonzept des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BABS) eingebunden werden können.

Monitoring

Die Monitoringeinheit von Warnsystemen besteht aus mehreren gleich- oder verschiedenartigen Sensoren. Die Sensoren erfassen spezifische Parameter der Natur und übersetzen sie in elektronische Signale, die die Grundlage für einen späteren Warnentscheid bilden.

In entlegenen Gebieten ist die Energieversorgung oft nur mit grösserem Aufwand sicherzustellen, daher werden hier bevorzugt autarke und wartungsarme Energiequellen wie Solarzellen oder Batterien eingesetzt. Die Stromversorgungseinheit, der Datenlogger und die Sensoren sind im Feld meist über Kabel verbunden. In seltenen Fällen kommunizieren die Sensoren und der Logger über Funk (Abb. 04).

Analyse- und Grenzwertsysteme unterscheiden sich in der Art der Sensoren in der Monitoringeinheit und folglich in der Wahl der Parameter, die überwacht werden. Sensoren von Analysesystemen registrieren indirekte Veränderungen in der Umgebung vor dem Ereignis und zugehörige Prozesse, die das eigentliche Ereignis einleiten – etwa das langsame, kontinuierliche Öffnen einer Kluft im Berg, bevor es zu einem Felssturz kommt (Abb. 02). Sensoren von Grenzwertsystemen erfassen direkte dynamische Parameter, die durch den Prozess selbst erzeugt werden und nur während eines Ereignisses auftreten, bei einem Murgang etwa die ansteigenden Pegelhöhen im Gerinne und die Erschütterungen im Boden.

Je nach Naturgefahrenprozess können verschiedene Parameter überwacht werden (Abb. 05). Neben direkten und indirekten Monitoringparametern gibt es solche, die sowohl die Funktion eines direkten als auch eines indirekten Parameters übernehmen können.

Die Überwachung des Seepegels in einem Gletschersee ist beispielsweise ein indirekter Parameter und Input für ein Analysesystem, das das verfügbare Wasservolumen einer Flutwelle ermittelt. Kommt es durch das Ausbrechen einer Flutwelle plötzlich zu einem Absinken des Pegels, ist der Seepegel ein direkter Monitoringparameter, und das System mutiert zu einem Grenzwertsystem (Abb. 03). Da sich mit dem Zustand des Parameters auch die Systemklasse ändert, ist der Übergang zwischen den Systemtypen oft fliessend.

Dateninterpretation

Der Datenlogger bildet die Schnittstelle der Bereiche Monitoring und Dateninterpretation. Er steuert die Sensoren, liest die von ihnen erfassten Daten aus und dient ausserdem als Zwischenspeicher und Interpretationstool für diese Daten, initiiert deren Übertragung oder die Ausgabe von Warninformationen. Im Bereich Dateninterpretation unterscheiden sich die Komponenten von Grenzwert- und Analysesystemen deutlich.

Grenzwertsysteme müssen die Warnung schnell und zuverlässig übermitteln, denn die Sensoren erfassen Parameter, die sich durch das stattfindende Ereignis verändern. Die Überschreitung von Grenzwerten, die im Datenlogger vor Ort gespeichert sind, löst automatisch eine Warnung aus. Je nachdem, wie schnell der Naturgefahrenprozess verläuft und wie weit entfernt sich die gefährdeten Objekte befinden, liegt die Warnzeit typischerweise zwischen Sekunden und Stunden.

Bei Analysesystemen hingegen können die Daten zusätzlich von einem Experten beurteilt werden, da das Messen von Parametern vor dem Ereignis ausreichend Warnzeit bietet. Die Warnung wird daher erst auf dem Datenserver im Büro der Experten generiert, z. B. durch die automatische Interpretation von Webcambildern oder die Analyse der Messdaten von mehreren Niederschlagsstationen in einem Gebiet. Der Server gibt die Warnung an die zuständigen Experten in unterschiedlichen Gefahrenstufen (z. B. Vorwarnung, Hauptwarnung, Alarm) aus, die er anhand vorgegebener Grenzwerte berechnet. Die Experten führen dann detaillierte Analysen der verfügbaren Messdaten durch und bewerten diese mithilfe von Modellen. Bei Bedarf definieren sie indirekte Parameter neu als direkte Parameter und verkürzen die Messintervalle.

Unabhängig vom Systemtyp werden die Messdaten auf einem Server gespeichert und von Kontrollsystemen analysiert. Diese überwachen die Sensoren und andere Systemkomponenten und geben zusätzlich Warnungen aus, falls Komponenten nicht funktionieren oder Daten nicht plausibel sind.

Die Übertragung erfolgt über kurze Distanzen häufig per Kabel. Damit sie zuverlässig funktionieren und weniger schadenanfällig sind, werden die Kabel durch zusätzliche Massnahmen (Zäune, Rohre etc.) geschützt. Zur Überbrückung grösserer Distanzen können Informationen auf Sicht über Funk versendet werden. Internet und Mobilfunknetze von privaten Anbietern haben heute eine gute Netzabdeckung, sind aber häufig mit Verzögerungen behaftet. Sofern sie ohne Redundanz genutzt werden, sollten diese Kanäle nur zur Informationsübermittlung innerhalb der weniger zeitkritischen Analysesysteme zum Einsatz kommen.

Informationsausgabe

Die Ausgabe der Warninformation unterscheidet sich bei Analyse- und Grenzwertsystemen grundlegend. Bei Analysesystemen werden die Massnahmen durch die Experten initiiert. Meist gehen diese anhand eines vorher festgelegten Schemas vor, das genau vorgibt, wann welche Massnahmen (z. B. Evakuierung, Aufgebot von Einsatzkräften) zu ergreifen sind. Bei Grenzwertsystemen wird die Warninformation automatisch ausgegeben. Die kurze Warnzeit erfordert eine schnelle Implementierung; hierfür werden beispielsweise optische oder akustische Signale ausgelöst. Im Schienenverkehr wird gegebenenfalls ein Streckenabschnitt gesperrt.

Einsatzmöglichkeiten

Analysesysteme werden eingesetzt, wenn sich im Zusammenhang mit dem Naturgefahrenprozess über eine längere Zeit eindeutige Indikatoren beobachten lassen. Sie haben sich als effiziente Massnahmen zur Überwachung von kontinuierlichen Felsbewegungen erwiesen. Bei grösseren Felsinstabilitäten kommt es vor dem eigentlichen Ereignis meist zu einer beschleunigten Bewegung der Felspartien, aus der sich der Absturzzeitpunkt ermitteln lässt. Die erhöhte Warnzeit erlaubt den Experten, die Situation ausführlich zu analysieren und gezielte Massnahmen einzuleiten.

Grenzwertsysteme kommen für die Detektion spontaner Prozesse zum Einsatz, die nur während des bereits stattfindenden Ereignisses eindeutige Parameter liefern. Sie bieten dadurch eine kurze Warnzeit, funktionieren aber autonom und generieren eine minimale Anzahl an Fehlalarmen. Sie werden hauptsächlich zur Sperrung von Strassen oder Gleisen an Lawinenzügen, Wildbächen oder an eindeutigen Felsinstabilitäten installiert und warnen Personen auf Baustellen, Strassen und Gleisen vor Steinschlag.

Zwittersysteme überwachen sowohl indirekte als auch direkte Monitoringparameter von meist spontanen Prozessen wie Murgängen oder Ausbrüchen aus Gletscherseen. Überschreitet eine indirekte Veränderung den Grenzwert, erreicht die zuständigen Experten wie bei den Analysesystemen eine Warnung. Eine Grenzwertüberschreitung von direkten Prozessparametern leitet wie bei einem Grenzwertsystem automatische Massnahmen ein. Zwittersysteme verlängern die Vorwarnzeit von spontanen Ereignissen und verringern Fehlalarme. Andererseits werden Zwittersysteme auch bei kontinuierlichen Prozessen eingesetzt, damit bei unerwarteten spontanen Ereignissen trotzdem eine schnelle Reaktion möglich ist.

Neben der Bestimmung der Monitoringparameter und der daraus resultierenden Warnzeit spielen bei der Wahl des richtigen Systemtyps auch andere Faktoren eine entscheidende Rolle. So müssen räumliche Gegebenheiten, Zugänglichkeit des Geländes, die Erreichbarkeit der gefährdeten Personen, Vorwarnzeiten, das mögliche Schadenausmass und auch der vertretbare finanzielle Aufwand in die Planung mit einbezogen werden.


Anmerkungen:
[01] D. Hattenberger, A. Wöllik, «Naturgefahren – Mess- und Frühwarnsysteme: Einzelne rechtliche Aspekte» in: Baurechtliche Blätter: bbl 11 (3), Springer-Verlag 2008, S. 89–101
[02] Die Autoren bedanken sich beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS für die finanzielle undbei Dr. Michael Bründl vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF sowie Prof. Dr. Daniel Straub von der Engineering Risk Analysis Group der Technischen Universität München für die fachliche Unterstützung.
[03] R. Schmidt, Warnsysteme in Wildbacheinzugsgebieten. Dissertation am Institut für Alpine Naturgefahren und Forstliches Ingenieurwesen, Universität für Bodenkultur, Wien 2002.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: