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TEC21 2013|44
Unterwegs in der Dichte
TEC21 2013|44
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Mit dem Achter über die grenze fahren

Das Tramnetz der Region Basel ist seit Langem kaum verändert worden. Nun wird die Tramlinie 8 nach Weil am Rhein (D) verlängert. Der Ausbau erfolgt in einem Gebiet mit dichtem Verkehr. Anwohner, Gewerbe-, Industrie- und Logistikunternehmen mussten in den Planungsprozess einbezogen werden.

25. Oktober 2013 - Michael Bont
Der grenzüberschreitende Tramverkehr in Basel ist keine Erfindung der jüngsten Zeit. Zwischen 1900 und 1919 begannen Trams aus Basel, in das benachbarte Ausland nach St-Louis (F), Huningue (F), Lörrach (D) und zurück zu fahren. Der Betrieb war immer von den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der Schweiz zu Frankreich und Deutschland abhängig. So fuhren während der beiden Weltkriege keine Trams über die Grenze. In der Zeit dazwischen war Basel das unbestrittene Zentrum der Region. Die umliegenden elsässischen und badischen Gemeinden waren auf eine schnelle, verlässliche und günstige Anbindung an die Metropole am Rhein angewiesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit dem Wirtschaftswunder entflochten sich die Beziehungen langsam. Die Gemeinden in Frankreich und Deutschland entwickelten mehr Selbstbewusstsein und emanzipierten sich vom Zentrum Basel. Der Fokus der Verkehrsentwicklung lag auf der eigenen Gemeinde. Gleichzeitig kamen Schienen und Bauten in ein kritisches Alter und mussten kostspielig erneuert oder an neues Rollmaterial angepasst werden. Die dazu nötigen Mittel waren jedoch nicht zurückgestellt worden. Die Euphorie für das Auto tat ein Übriges: Fortan verkehrten Busse von den Dörfern in die florierenden Zentren von St-Louis und Lörrach.

Grenzüberschreitender Netzausbau, um Verkehr zu bewältigen

Mittlerweile hat ein Umdenken stattgefunden. Der Regio-Gedanke und das Bewusstsein für den Umweltschutz wachsen. Der Kanton Basel-Stadt versteht sich als Teil eines trinationalen Wirtschafts- und Lebensraums. Von dieser internationalen Verflechtung profitiert die ganze Nordwestschweiz, wirtschaftlich und kulturell. Einerseits arbeiten viele Elsässer und Deutsche in Basel, andererseits verbringen viele Basler ihre Freizeit im Elsass und in Südbaden. Der vereinfachte Grenzverkehr in Europa mit den Abkommen von Schengen und Dublin erleichterte und intensivierte die internationale Verflechtung.

Die Region Nordwestschweiz besteht heute aus der Kernstadt Basel und einer trinationalen Agglomeration. Die wachsende Bevölkerung in der Agglomeration führte dazu, dass der Anteil des Verkehrs zwischen Kernstadt und Agglomeration am gesamten Verkehr gestiegen ist. Das Tramnetz dagegen wurde seit den 1930er-Jahren kaum noch erweitert und entspricht deshalb nicht mehr der sozioökonomischen Realität. Während es im Süden und im Osten Teile des angrenzenden Kantons Basel-Landschaft erschliesst, endet es im Norden und Westen an der nahe gelegenen Landesgrenze. Erhebungen des Kantons Basel-Stadt haben ergeben, dass der Modal Split[1] zwischen Basel und dem schweizerischen Teil der Agglomeration zwar bei rund 37 % öV-Anteil liegt. Im Verkehr mit den südbadischen Agglomerationsgemeinden liegt der Modal Split jedoch lediglich bei etwa 17 % und bei 12 % zwischen Frankreich und der Schweiz. Die Herausforderung besteht darin, das Verkehrswachstum möglichst ökologisch zu bewältigen, das heisst zu einem hohen Prozentsatz auf den öffentlichen Verkehr zu lenken. Politik und Verwaltung des Kantons sehen das grösste Potenzial dafür im grenzüberschreitenden Netzausbau. Richtung Deutschland ist dieser Ausbau mit der Verlängerung der Tramlinie 8 bereits in vollem Gang. Um die zentrumsnahe Agglomeration an die Kernstadt anzubinden, wurde dem Tram gegenüber der S-Bahn der Vorzug gegeben. Die Tramnetzplanung sucht aber Anknüpfungspunkte mit dem übergeordneten Regio-S-Bahn-Netz[2].

DIe Tramverlängerung als Teil des Agglomerationsprogramms

Das Projekt der Tramverlängerung der Linie 8 von Kleinhünigen nach Weil am Rhein ist so organisiert, dass sämtliche strategischen Entscheide zwischen Basel-Stadt und Weil am Rhein partnerschaftlich im Rahmen der Projektleitung (technisch) respektive der Projektsteuerung (politisch) gefällt werden; die eigentlichen Projektarbeiten erfolgen jedoch territorial getrennt in den beiden Abschnitten Basel und Weil am Rhein. Die Teilprojekte werden in regelmässigen Koordinationssitzungen unter der Federführung des Kantons Basel-Stadt aufeinander abgestimmt. Den Grundstein für das Projekt legte im Jahr 2005 der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt mit dem öV-Programm 2006 bis 2009[3], das als strategisches Ziel diverse grenzüberschreitende Tramverlängerungen nach Frankreich und Deutschland festsetzte. Eine Nutzwertanalyse[4] beurteilte die Verlängerung der Linie 8 als positiv. Der Bund nahm daraufhin das Vorhaben in die Liste der dringlichen Agglomerationsverkehrsprojekte auf, die durch den Infrastrukturfonds gefördert werden. Bedingung dafür war; Baubeginn vor Ende 2008. So entstand Termindruck, und man gab viele Arbeiten parallel in Auftrag, um das Dossier für das Plangenehmigungsverfahren Ende September 2007 einreichen zu können. Parallel zum Plangenehmigungsverfahren wurden im Sommer 2008 die ersten Baumeisterarbeiten ausgeschrieben. Das Planungsrecht wurde im Oktober 2008 erlangt. Nur so konnte der Baubeginn am 6. Dezember 2008 mit der Aufrichte des ersten Fahrleitungsmasts in der Kleinhüningeranlage gefeiert werden.

Welchen Weg nimmt das Tram 8?

Die Verlängerung der Tramlinie 8 um 2.8 km wird ab der Gärtnerstrasse in Basel Kleinhünigen über die neu gebaute Gärtnerstrassenbrücke (Abb. 05), die Kleinhüningeranlage und die Hiltalingerstrasse zum Zoll Weil am Rhein/Friedlingen geführt. Die Gleise werden auf diesem Abschnitt auf der Fahrbahn mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) geführt. Um einen flüssigen Trambetrieb zu gewährleisten, muss Kleinhünigen daher vom Verkehr entlastet werden. Insbesondere soll die Kleinhüningeranlage ab Inbetriebnahme des Trams für den Schwerverkehr gesperrt werden. Deshalb werden vor der ersten der drei neu gebauten Hiltalingerbrücken zwei Rampen auf die Südquaistrasse gebaut. Sie leiten den Schwerverkehr und auch einen gewissen Anteil des MIV ab Zoll in Richtung Schweiz und von der Schweiz in Richtung Zoll. Vertreter der Quartierbevölkerung von Kleinhüningen wurden eng in die Projektentwicklung einbezogen. So konnte man das Projekt massgeblich verbessern und gut auf die Bedürfnisse des Quartiers abstimmen.

Ab der Grenze wird das Tram am Rheincenter vorbei durch die Hauptstrasse von Weil-Friedlingen fahren, die Autobahnbrücke unterqueren und beim Bahnhof Weil am Rhein enden. Auf der deutschen Seite werden die Gleise mehrheitlich auf einer separaten Spur als Rasengleis geführt. Parallel zur bestehenden Friedensbrücke wird derzeit beim Bahnhof in Weil eine neue Trambrücke mit direkten Abgängen zu den Bahnsteigen der Regio-S-Bahn gebaut. Die Inbetriebnahme der verlängerten Tramlinie ist auf den Fahrplanwechsel 2014/2015 vorgesehen. Am Anfang ist ein 15-Minuten-Takt geplant, das heisst, jedes zweite Tram fährt in Kleinhünigen weiter nach Deutschland.

Für den öffentlichen Verkehr gestalten

Im Rahmen des Projekts wurden drei Wettbewerbe durchgeführt und so gestalterisch ansprechende Lösungen für eine Brücke, eine Tramwartehalle und eine Zollanlage gefunden. Hier zeigte sich, dass sich mit dem «Werkzeug» Wettbewerb ganz unterschiedliche Ziele erreichen lassen.

Die Möglichkeit, die Gärtnerstrassenbrücke (Abb. 5) vom verkehrstechnischen Umfeld abzugrenzen, bot die Chance, eine Totalunternehmer-Submission als Gesamtprojektwettbewerb durchzuführen. Diverse sowohl städtebaulich als auch technisch unterschiedliche Lösungen konnten in einer hohen Reife miteinander verglichen werden. Umgesetzt wurde die asymmetrische Spannbetonbrücke (C30/37) von Implenia Bau mit der Ingenieurgemeinschaft Synaxis Bauingenieure, Preisig Bauingenieure, Höltschi & Schurter und Architekt Eduard Imhof. Ihre Spannweite beträgt 36 m und ist auf den alten Widerlagern der früheren Brücke fundiert. Um die Auflagerkräfte beim rechtsufrigen Widerlager zu reduzieren, ist rund 10 m hinter dem linksufrigen Widerlager eine Zugpfahlreihe angeordnet. Die Brücke wurde 2012 eröffnet.[5]

Ein Architekturwettbewerb fand unter der Federführung der Basler Verkehrs-Betriebe statt, um diverse vorgegebene Nutzungen wie Wartehalle, Kiosk und Diensträume in einem neuen Betriebsgebäude zu vereinen. Im März 2011 entschied sich die Jury für das Projekt «auf der Mauer» von Rüdisühli Ibach Architekten. Die Konstruktion besteht aus einem massiven Sockel und vorfabrizierten Holzelementen für Wand und Dach. Die Anlage ist seit Ende 2012 in Betrieb (Abb. 04).

Schliesslich bot sich im Architekturwettbewerb zum neuen Zollgebäude (Abb. 01) an der Landesgrenze ein passendes Gefäss, um unterschiedlichste Anforderungen der Behörden und Nutzer beider Länder wie Zoll, Grenzwache und Bundesämter gebührend zu berücksichtigen. Die Jury befand im Jahr 2011, dass dies Zickenheiner Architekten und Jauslin   Stebler am besten gelungen sei. Durch die Verknüpfung von Mittelkabine und Dach tritt die Zollstation als kompakter Solitär in Erscheinung. Das Dach ist auf acht Stützen abgestellt. Die Tragstruktur besteht aus zwei Hauptträgern aus Stahl und Sekundärträgern aus Brettschichtholz in Querrichtung. Für die Stabilität in Querrichtung sind zwei zusätzliche Stahlrahmen im Baukörper integriert. Die Stützen sind in Köcherfundamenten eingespannt, die von einem umlaufenden Frostriegel eingefasst sind. Am 12. September 2013 wurde die neue Grenz- und Zollanlage – vorerst nur in Richtung Schweiz – in Betrieb genommen. Reisende nach Deutschland müssen noch bis spätestens Anfang Dezember diesen Jahres die provisorische Anlage benutzen.

Stark frequentierter Betonkreisel

Als besonders herausfordernd innerhalb des Gesamtprojekts entpuppte sich die Projektierung und Realisierung des neu zu erstellenden Kreisels beim Rheincenter, rund 300 m nördlich des Zolls in Weil am Rhein (Abb. 06 und 07). Der bestehende Knoten in der Verbindung von Hafen, Gewerbegebiet, Einkaufszentrum und Hauptstrasse zeichnete sich durch eine generell hohe Verkehrsbelastung mit einem starken Lkw-Anteil aus. Zudem müssen über 400 Schwerlastverkehre pro Jahr den Knoten passieren. Neu führt nun auch noch das Tramtrassee mit sehr engen Gleisbögen (R = 22 m) durch den Knoten.

Aufgrund dieser grossen Belastungen des MIV hat sich die Stadt Weil am Rhein entschieden, einen Betonkreisel mit Tramdurchfahrt zu projektieren. Beton hat den Vorteil, dass er härter und dauerhafter ist als Asphalt. Da es sich für Deutschland um eine wenig bekannte Lösung handelte – es gibt im ganzen Land nur eine Handvoll Referenzprojekte dafür –, wurde ein Schweizer Unternehmen mit der Ausführungsplanung beauftragt. Parallel dazu gaben die Stadtwerke Weil am Rhein den Basler Verkehrs-Betrieben den Auftrag, die Planung und den Bau der Gleisanlagen im Abschnitt Weil am Rhein auszuführen. Zusammen mit dem Planer des Betonkreisels galt es nun ebenfalls ein speziell auf diese Verhältnisse ausgelegtes und angepasstes Gleisoberbausystem zu evaluieren. Es handelt sich dabei um einen Schienentrog mit durchgehend elastisch gelagerten und eingebetteten Schienen. Dieses spurhalterlose System[6] besticht vor allem durch die völlige Entkoppelung der Schienen vom Beton des Kreisels (C30/37). Der spätere Wechsel der verschlissenen Schienen in dem geschlossenen Schienentrog ist ohne Betonaufbruch möglich. Das System hat sich vor allem auch in Bereichen mit schwerem querenden MIV als langlebig und robust erwiesen.

Tram 8 als Teil der GEsamtstrategie

Die Verlängerung der Tramlinie 8 ist eine grosse Herausforderung für alle Beteiligten: Gebaut wird in einem Gebiet, das von dichtem Verkehr beherrscht wird. Entlang dem Bauperimeter gibt es viele Anwohner und viele Gewerbe-, Industrie- und Logistikunternehmen. Zudem überquert das Projekt die Grenze zu Deutschland. Es hat sich positiv auf den Projektverlauf ausgewirkt, dass alle potenziell Betroffenen frühzeitig und kontinuierlich in das Projekt einbezogen wurden. Derzeit wird die Verlängerung der Tramlinie 3 nach Frankreich als weiteres grenzüberschreitendes Projekt geplant. Sie soll via Bourgfelden-Grenze nach St-Louis führen.

Bei aller Nähe der betroffenen Gemeinden bestehen doch erhebliche kulturelle Unterschiede, wie sich auch in der Zusammenarbeit mit Weil am Rhein gezeigt hat, sei es zum Beispiel bezüglich anderer Aufsichtsbehörden oder der Sitzungskultur. Diese Unterschiede sind zu respektieren und in der Arbeit zu berücksichtigen, um ein grenzüberschreitendes Projekt rasch vorantreiben zu können. Ein weiterer Faktor sind die unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedinungen. Ein intensiver Austausch hilft mit, den Einfluss all dieser Faktoren rechtzeitig zu erkennen und einzuplanen.

Diese Erkenntnisse werden aber auch kommende Ausbauvorhaben beeinflussen, zum Beispiel «Tramnetz Region Basel 2020» (vgl. Kasten) im schweizerischen Teil der Agglomeration. Wichtig wird es sein, die Betroffenen frühzeitig einzubinden. Denn sie sind später die Kundinnen und Kunden, die das neue Transportsystem nutzen sollen.


Anmerkungen:
[01] Modal Split: Aufeilung von Verkehrsleistungen, Wegzeiten oder Anzahl Wegen auf verschiedene Verkehrsträger bzw. Verkehrsmittel.
[02] Weitere Informationen zum Herzstück Regio-S-Bahn Basel: www.herzstueck-basel.ch
[03] öV-Programm 2006–2009, Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, verabschiedet 27. September 2005.
[04] Nutzwertanalyse der Firma Intraplan Consult, München.
[05] Seit Juli 2013 ist an der Gärtnerstrasse die erste Basler Tramhaltestelle fertiggestellt, die den Anforderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) entspricht. Das BehiG sieht vor, dass Menschen mit einer Behinderung alle öffentlichen Einrichtungen selbstständig benützen können. Für den öffentlichen Verkehr bedeutet dies, dass die Türen von Trams und Bussen auf der gleichen Höhe wie die Kanten der Haltestellen liegen müssen, damit sie kein Hindernis für Rollstühle oder Rollatoren sind. Natürlich wird damit auch das Einsteigen mit einem Kinderwagen oder für betagte Mit menschen einfacher.
[06] Um den Abstand von 1 m zwischen den Schienen eines Gleises zu garantieren, werden in Basel alle 2 m Spurstangen angeordnet. In dem neu gewählten System gibt es keine Spurstangen. Jede Schiene ist separat in den Stahltrog eingelassen, gerichtet, fixiert und dann ausgegossen worden.
[07] Vortrag von Dr. Jörg Jermann beim Trinationalen Bahnkongress Basel am 16. Mai 2013.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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