Zeitschrift

TEC21 2014|03-04
Neubau Messe Basel
TEC21 2014|03-04
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Ein Gigant breitet sich aus

Der Neubau der Messe Basel polarisiert. Architektonische Ideale kollidierten mit städtebaulichen Zwängen, lokale Planungs- und Ausführungsstandards mit den Terminplänen internationaler Aussteller. Vor der wirtschaftlichen Bedeutung der Messe blieb die Arbeitskultur auf der Strecke.

17. Januar 2014 - Tina Cieslik
Im Februar 2013 erreichte die Messe Basel ­einen weiteren Meilenstein ihrer knapp hundertjährigen Geschichte: Mit der Eröffnung der neuen Halle 1 von Herzog & de Meuron ist erneut eine Etappe in der Entwicklung des Standorts im Zentrum von Kleinbasel ab­geschlossen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts finden hier Messen statt, 1917 erstmals die Basler Muster­messe muba. Die internationale Uhren- und Schmuckmesse Baselworld, ehemals integriert in die muba, machte sich Anfang der 1970er-Jahre selbstständig. Begleitet wurde die Expansionspolitik jeweils von Hallenneubauten oder -erweiterungen, beginnend bei der ursprünglichen Halle 1 des Stadtzürcher Baumeisters Hermann Herter (1924–26) bis zur aktuellen Halle 1 von Herzog & de ­Meuron (vgl. Abb. S. 72 und S. 73, oben).

Die zunehmende Bedeutung der Baselworld und die Entstehung von konkurrenzierenden Messeplätzen, vorwiegend in Asien, machten gemäss der Betreiberfirma MCH Group einen Neubau nötig. Das börsenkotierte Unternehmen befindet sich zu 49 % im Besitz der Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Zürich sowie der Stadt Zürich. Um im internationalen Wettbewerb der Aussteller für Luxusmarken mithalten zu können, galt es, mehr und vor allem hochwertigere Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen. 2004 vergab die Bauherrschaft das Projekt als Direktauftrag an Herzog & de Meuron – man wünschte sich von dem lokalen Büro mit dem globalen Anspruch «einen Bau mit Ausstrahlungskraft».

Ein liegender Riese

Die Architekten entwarfen einen 230 × 106 m grossen dreistöckigen Riegel entlang des Riehenrings, der nordseitig an die bestehende Halle von Theo Hotz (Halle 1, 1998–1999; vgl. Abb. S. 72) andockt. Der Begriff «dreistöckig» führt hier allerdings in die Irre – die Geschosse sind zwischen 8 m und 10 m hoch. Weichen mussten dem ­Neubau der historische Kopfbau der Halle (1924–1926, Hermann Herter) und die ehemalige Halle 3 («Rosentalhalle») der Architekten Suter & Suter auf dem Südteil des Areals. Im Innern entstand so im 1. Obergeschoss eine durchgehende Messehalle mit einer Länge von über 400 m. Die einzelnen Ebenen sind – ähnlich wie beim SBB-Stellwerk der gleichen Architekten (1994 –1998) – leicht gegeneinander verschoben. Eine Fassade aus ­gewellten Aluminiumbändern umschliesst den Bau komplett und kaschiert mangels architektonischer ­Referenzgrössen wie Fenstern oder Geländern die Dimensionen des Volumens. Im Herbst 2008 wurde das Projekt aufgrund zu hoher Kosten überarbeitet und dabei auf 217 × 90 × 32 m redimensioniert, als Totalunternehmerin kam die HSR Real Estate AG mit an Bord.

Erschlossen wird der neue Hallenkomplex heute beim Messeplatz durch die Foyers Nord und Süd.

Die beiden Obergeschosse der neuen Halle überbrücken den Platz, auf dem nach wie vor die Trams Richtung Riehen und Badischer Bahnhof verkehren. Eine zentral an­geordnete kreisförmige Öffnung bringt Tageslicht in den in «City Lounge» umbenannten Platz. Die neue ­Halle 1 ist über Passerellen mit den Hallen 2, 3 und 4 sowie mit dem Kongresszentrum verbunden.

Das 430 Millionen Franken teure Gebäude wurde von Juni 2010 bis Februar 2013 in drei Phasen erstellt, unterbrochen jeweils durch mehrmonatige Pausen während der Messen Swissbau und Baselworld. Die kurze Bauzeit – der Bau sollte rechtzeitig zur Baselworld im April 2013 fertiggestellt sein – und der hohe Grad an Handarbeit (vgl. «Haute Couture», S. 82, und «Ein­geschriebenes Tragwerk», S. 84) schlugen sich in vielen Sonderlösungen (vgl. «Luxus brennt anders», S. 90, und Kasten «Gebäudetechnik», S. 72) und in teils prekären Arbeitsbedingungen nieder. 22 Monate lang arbeiteten im Dreischichtbetrieb täglich bis zu 1300 Arbeiter auf der Baustelle. Im August 2012 machte die Basler Zeitung «TagesWoche» Fälle von Lohndumping, Subunternehmerketten und nicht bezahlten Löhnen publik. Nachdem sich sowohl die Messe als auch die Regierung von Basel-Stadt als Hauptaktionärin des Unternehmens ­zunächst als nicht zuständig erklärten, übernahmen Bauherrschaft und Totalunternehmung im Dezember 2012 die Aussenstände. Ende April 2013 konnte die ­Baselworld als erste Messe im Neubau pünktlich stattfinden.

Ausstellungskiste mit Tarnkappe

Bereits zu Beginn der Planungen wurde das Projekt kontrovers beurteilt: Zum einen betraf die Kritik das Volumen des Baukörpers im ansonsten eher kleinteiligen Quartier, zum anderen die städtebauliche Setzung und den Umgang mit dem öffentlichen Raum. Auch die Direktvergabe an das Büro Herzog & de Meuron und der Verzicht auf einen Studienwettbewerb wurden bemängelt. Tatsächlich sind der Bau und seine Geschichte weit ­vielschichtiger, als diese knappe Auslegeordnung vermuten lässt.

In architektonischer Hinsicht kann Entwarnung gegeben werden. Vor allem die lebendig wirkende Aluminiumfassade und die Verschiebung der drei Geschosse gegeneinander lassen den Koloss erstaunlich leicht wirken, fast scheint er auf dem Glassockel des Erdgeschosses zu schweben (vgl. «Virtuos und unverträglich», S. 76). Sowohl Fassade als auch Tragwerk suggerieren ein Idealbild: Die vielen Einzelteile der ­futuristischen Fassade sind zwar am Computer geplant, aber in Handarbeit hergestellt und montiert worden.

Und das Tragwerk baut eigentlich auf einem Quader auf, um den herum die formgebende Konstruktion erstellt ist (vgl. «Haute Couture», S. 82, und «Eingeschriebenes Tragwerk», S. 84).

Städtebaulich ist die Sache weniger klar: Darf ein öffentlicher Platz von einem privaten Unternehmen überbaut werden? Immerhin bildet der Messeplatz einen Knotenpunkt im öffentlichen Verkehr zwischen Grossbasel auf der linken Uferseite und Kleinbasel, der Gemeinde Riehen und dem Badischen Bahnhof auf der rechten. Zwar deutet die neue Bezeichnung «City ­Lounge» – ob gelungen oder nicht – die Hoffnung an, den Platz auch ausserhalb der Messezeiten zu beleben. Auch die Architekten hegen diesen Wunsch (vgl. Kasten unten). Tatsache ist aber, dass der Neubau die Sichtachse entlang der Clarastrasse durch eine Wand aus Aluminium unterbricht und das Gebiet in ein Basel vor und eines hinter der Messe teilt.

Eine städtebauliche Projektstudie hätte hier womöglich Klärung gebracht – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Messe nun doch den Abriss und die Neuüberbauung des muba-Parkings plant. Das Parking soll ins UG verschoben werden, oberirdisch sind Wohnungen und ein Hotel angedacht. Pikant: Im Vorfeld der Planungen für die jetzige Halle 1 stand der Abriss des Parkings inklusive eines Ersatzbaus entlang der Riehenstrasse als stadtverträgliche Alternative zum heutigen Neubau bereits zur Debatte. Damals wehrte sich die MCH Group aus Kostengründen vehement gegen dieses Ansinnen. Fünf Jahre später, nach Fertigstellung des Prestigebaus der Halle 1, beauftragte sie die drei Basler Büros Herzog & de Meuron, Buchner Bründler und Morger   Dettli mit der Testplanung. Bis zum Sommer 2013 sollten Ergebnisse vorliegen, bisher drang allerdings noch kein Entscheid an die Öffentlichkeit.

Was bringt die Messe der Stadt?

Die Entwicklung des Standorts ist noch nicht abgeschlossen. Daher stellt sich weniger die Frage nach der Qualität der Architektur als die nach dem Grund dieser Funktion an diesem Ort: Ergibt ein Messeplatz von dieser Grösse überhaupt Sinn mitten in einer Stadt?

Den Grundsatzentscheid dazu fällten die Baslerinnen und Basler bereits 1993, als sie die Verlegung der Hallen an den Flughafen ablehnten. Auch beim konkreten Projekt, das 2008 zur Abstimmung kam, stimmten rund zwei Drittel der Stimm­bürger für einen Ausbau – verständlich, führt man sich die Wertschöpfung der Messe, die für das Baselbiet mit jährlich 210 Millionen Franken beziffert wird, die über 70 Millionen Franken an Steuereinnahmen für die beiden Basler Kantone und die mit der Messe verknüpften 2500 Arbeitsplätze vor Augen.

Angesichts dieser Bedeutung sollte bei der Planung keine Salamitaktik zum Zug kommen. Stattdessen müsste eine sorgfältige Entwicklung nicht nur möglich, sondern selbstverständlich sein. Dazu kommt, dass die «Messe in der Stadt» von Stadt und Unternehmen aktiv vermarktet und als Alleinstellungsmerkmal gefördert wird. Umso mehr müsste den Beteiligten daran gelegen sein, dass das benachbarte Quartier mit seinen städtischen Qualitäten erhalten bleibt und nicht irgendwann die «Messe in einem Rest von Stadt» steht.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: