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TEC21 2014|10
Material und Akustik
TEC21 2014|10
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Akustikmaterialien aus dem Computer

Für die Schalldämpfung in Innenräumen braucht es nicht immer dicke Akustikplatten. Mithilfe von Computersimulationen entwickelt die Empa einfache Alternativen. Als erste Ergebnisse sind lichtdurchlässige und leichte Vorhänge mit sehr gutem Dämpfungsverhalten erhältlich.

7. März 2014 - Reto Pieren
Bitte nicht so laut! Die Dämpfung von unerwünschtem Schall, anders gesagt: Lärm, ist seit der Antike eine der wichtigsten Aufgaben der Raumakustik. In der Moderne hat sich die akustische Belästigung der Menschen akzentuiert: Verschluckten früher dicke Teppiche, Vorhänge, Polster und Ornamente die Schallwellen, so werden sie heute von Betonwänden und Fenstern reflektiert und ungedämpft in praktisch leeren Zimmern verbreitet.

Um den Schallpegel zu reduzieren, haben die Akustiker die Funktion der schweren Textilien und Möbel an spezialisierte Schallabsorptionselemente und Materialien delegiert. Um ihre Aufgabe zu erfüllen, benötigen diese Schallschlucker allerdings ein gewisses Volumen und teilweise auch Gewicht. Bei Architekten sind sie daher alles andere als beliebt.

Vorhänge gegen den Lärm Doch es gibt auch alternative Ansätze für die Schalldämpfung, wie neue Forschungsarbeiten und Entwicklungen an der Empa zeigen. Wesentliche Impulse liefert dabei die computerbasierte Modellierung der Akustikmaterialien. In einem KTI-Projekt[1] entwickelte die Empa zusammen mit der Textildesignerin Annette Douglas einen neuartigen Akustikvorhang. Neu daran ist, dass die Textilien leicht und lichtdurchlässig sind und trotzdem hervorragend Schall absorbieren. Eine solche Kombination galt unter Fachleuten bis anhin als utopisch. Die Entwicklung dieses Textils in gerade einmal zwei Jahren war nur dank der Computermodellierung möglich.

Wozu Computermodelle?

Bisher arbeiteten die Entwickler neuer Akustikmaterialien meist nach dem Trial-and-Error-Prinzip – sie erstellten viele Prototypen und massen deren akustische Eigenschaften aus. Der grosse Produktions- und Messaufwand trieb die Entwicklungskosten in die Höhe. Ausserdem liess sich bei komplexen Strukturen mit vielen freien Parametern eine Lösung nur durch Zufall finden – das Risiko, dass eine innovative Entwicklung scheitert, war gross.

Deshalb setzt die Technik heute bei der Dimensionierung und Entwicklung von Materialien für akustische Anwendungen auf Rechenmodelle. Der Computer simuliert das akustische Verhalten der Strukturen und erlaubt es, virtuell tausende Varianten eines Materials effizient zu konstruieren und auf ihre Funktionstüchtigkeit hin zu testen. In einem Optimierungsprozess kann man so umfangreiche Parameterstudien durchführen und die Wirkungsweise eines Materials besser erkennen. Dabei ist es schwierig, für die Kommunikation zwischen Hersteller und Designer des Materials und dem abstrakten Rechenmodell geeignete Designparameter, also eine gemeinsame Sprache, zu finden. Meist verwendet man mechanische und geometrische Parameter; für poröse Materialien werden dabei Poren bis in den Mikrometerbereich simuliert. Da das Computermodell nur ein abstraktes Abbild der Realität darstellt, ist es wichtig, das Modell mit punktuellen Messungen an realen Materialproben zu validieren und gegebenenfalls zu verfeinern.

Simulieren geht über Probieren

Die Modellierung des schallabsorbierenden Vorhangs geht von der Analogie von mechanischen, akustischen und elektrischen Vorgängen aus. Die mechanischen und akustischen Strukturen wurden für das Modell in ein elektrisches Netzwerk übersetzt (Kasten S. 25).

Der Durchtritt von Schall durch ein Textil entspricht in erster Linie dem Durchströmen von Luft durch das Textil. Im elektrischen Modell werden die diesen Luftströmen entgegengesetzen Strömungswiderstände als elektrische Widerstände im Stromkreis dargestellt. Vereinfacht betrachtet ergeben kleine Poren im Textil einen hohen Durchströmwiderstand für die Luft, was einem hohen elektrischen (ohmschen) Widerstand im Modell entspricht. Sind unterschiedliche Gewebe in einem Vorhangaufbau kombiniert, ist für jedes einzelne der entsprechende Widerstand ins Netzwerk einzusetzen.

Der auftreffende Schall regt den Vorhang aber auch zum mechanischen Mitschwingen an. Ähnlich einer Lautsprechermembran wird der Schall auf der Gegenseite wieder ungedämpft abgestrahlt. Das System des bei Schallanregung schwingenden Vorhangs verhält sich frequenzabhängig und wird in der Simulation durch eine elektrische Spule abgebildet. Die ersten Simulationen haben gezeigt, dass das Mitschwingen des Vorhangs bei leichten Textilien nicht vernachlässigbar ist.

Weitere Aspekte des Vorhangs lassen sich in ähnlicher Weise abbilden und ins Modell einbauen. Dieses elektrische Netzwerk wurde dann in eine Software implementiert. Dabei berücksichtigt das vollständige Modell sowohl den makroskopischen Aufbau des Vorhangs als auch die mikroskopische Struktur der Gewebe. Die Simulationsrechnungen haben denn auch gezeigt, dass für eine optimale Schalldämpfung die Mikroporen im Gewebe bezüglich Grösse, Form, Art und Menge optimiert werden müssen. Aus diesen Anforderungen entwickelten die Forscher an der Empa für die Textilfachleute eine Art «Rezept», einen Bauplan des angestrebten akustischen Gewebes. Dieser Bauplan wurde in ein echtes Gewebe umgesetzt, und dabei entstand eine 3-D-Gewebekonstruktion aus bis zu fünf unterschiedlichen Garnarten, die inzwischen im Handel erhältlich ist.[2]

Schall und Materie: die Grundlagen

Das Verständnis der Wirkungsweise akustischer Materialien – und in der Folge die Entwicklung neuer Produkte – erlebt gegenwärtig dank der Computermodellierung einen Quantensprung. Nichtakustiker könnten angesichts einer sich abzeichnenden neuen Generation von Akustikmaterialien die Übersicht verlieren. Für das Verständnis der Tragweite der neuen Entwicklungen in der Akustik kann deshalb eine kurze Rekapitulation der physikalischen Grundlagen hilfreich sein. Bei der Interaktion von Schall und Material treten drei physikalische Phänomene gleichzeitig auf: Reflexion, Transmission und Absorption.

Reflexion: Beim Rückwurf des Schalls wird je nach Frequenzbereich und Modellvorstellung zwischen spiegelnder oder streuender Reflexion unterschieden. Dabei sind die Grösse des Reflektors und dessen Oberflächenstruktur wichtige Parameter. Massgebend ist die Strukturtiefe im Vergleich zur interessierenden Wellenlänge. Die Schallreflexion ist in der Akustik von Räumen von zentraler Bedeutung.

Transmission: Unter Transmission versteht man die Übertragung von Schall durch Materialien. Trifft Luftschall auf feste Materialien, wird das Bauteil in Schwingung versetzt. Diese Schwingung führt auf der Rückseite – ähnlich einer Lautsprechermembran – dazu, dass Luftschall abgestrahlt wird. Das Bauteil ist eine Art «Damm» zwischen zwei Lufträumen; die akustische Wirkung wird entsprechend als Schalldämmung bezeichnet. Für monolithische Trennbauteile ist die Schalldämmung wesentlich durch die flächenbezogene Masse gegeben. Die Schwingung des Bauteils gehorcht dem newtonschen Bewegungsgesetz, und daraus folgt in erster Näherung: je grösser die Masse, desto grösser die Dämmwirkung. Durch mehrschichtige Aufbauten mit mechanischer Entkopplung lässt sich die Schalldämmung in bestimmten Frequenzbereichen erhöhen. Die Akustik fokussiert heute auf die Entwicklung von Prognosemodellen für die Schalldämmung von komplexen Wand- und Deckenaufbauten.

Dämpfung: Nicht zu verwechseln mit der Dämmung ist die Dämpfung von Schallwellen. Bei der Dämpfung oder Absorption wird ein Teil der Schallenergie in Wärme umgewandelt. Dämmung und Dämpfung unterscheiden sich phänomenologisch und energetisch voneinander. Ein Absorber (Dämpfer), der 90 % der Schallenergie in Wärme umwandelt, ist ein «guter» Absorber. Wenn hingegen bei der Transmission immer noch 10 % der Energie ein Bauteil (Damm) passieren, kann von Dämmung eigentlich nicht die Rede sein. Auch alltägliche Trennbauteile dürfen höchstens einen Bruchteil eines Promilles der einfallenden Schallenergie übertragen.

Welcher Absorber für welchen Schall?

Die Justierung der Schallabsorption ist für die Raumakustik entscheidend. Tiefe Frequenzen werden meist mit Membranabsorbern (Plattenresonatoren) oder Helmholtz-Absorbern gedämpft. Erstere sind schallharte, frei schwingenden Membranen, die nach dem Masse-Feder-Prinzip funktionieren. Letztere bestehen aus einem Luftvolumen, das über einen dünnen, akustisch bedämpften Hals an den Raum angeschlossen ist. Das Prinzip des Helmholtz-Absorbers ist auch im Mitteltonbereich wirksam, häufig in Form von perforierten oder geschlitzten Holzverkleidungen.

Für die Absorption von mittleren und hohen Frequenzen eignen sich poröse oder mikroperforierte Materialien am besten. Hier kommt es vor allem darauf an, dass der Schall ins Material eindringen kann. Bewährt haben sich u. a. Schaumstoffe, Akustikputz, Textilien oder (thermische) Dämmstoffe wie Glas- oder Steinwolle. Wie wirksam diese Absorber sind, hängt von ihrer Dicke und Mikrostruktur sowie ihrem Abstand von der Raumbegrenzungsfläche (Wand) ab. Indem man unterschiedliche Materialien auf geeignete Weise übereinanderschichtet, kann man die Absorption effizienter gestalten und über ein breiteres Spektrum auslegen.


Anmerkungen:
[01] KTI-Projekt Nr. 10675.1 PFIW-IW.Projektpartner: Empa Akustik/Lärmminderung, www.empa.ch/akustik Annette Douglas Textiles, textile design, www.douglas-textiles.ch Weisbrod-Zürrer AG, weaving company, www.weisbrod.ch
[02] Erhältlich beispielsweise bei Pfister (www.pfister.ch/de/aufmass_vorhaenge_akustik.html)
[03] «Silent Space» von Annette Douglas Textiles AG. www.douglas-textiles.ch

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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