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TEC21 2014|13
Oerlikon underobsi
TEC21 2014|13
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Logistische Meisterleistung

Die neuen Gleise der Durchmesserlinie brauchen Platz. Doch im Bahnhof Zürich Oerlikon und im angrenzenden Bahneinschnitt war es schon bisher eng und voll. Schritt für Schritt wurden Ingenieurbauwerke erstellt, um die Voraussetzungen für den Fahrplanwechsel 2015 zu schaffen.

28. März 2014 - Daniela Dietsche
Im Juni 2014 wird die Durchmesserlinie Zürich auf der Nord-Süd-Achse Oerlikon–HB– Wiedikon eröffnet. Die ersten S-Bahn-Züge der Linien 2, 8 und 14 verkehren dann zwischen Zürich Oerlikon und Zürich HB durch den doppelspurigen Weinbergtunnel (vgl. TEC21 17/2012, 48/2012 und 31-32/2013). Die zwei neuen Gleise wurden im Einschnitt Oerlikon in die bestehende Gleisanlage eingeflochten. Was einfach klingt, war ein technisch komplexes und logistisch aufwendiges Unterfangen: Um sie unterzubringen, wurde der 10 bzw. 25 m breite Bahneinschnitt seit 2008 auf seiner ganzen Länge um bis zu 18 m verbreitert. Alle bestehenden Gleise und Weichen wurden umgebaut oder entfernt und in anderer Lage und Höhe neu verlegt – Fahrleitungen, Signal- und Kabelanlagen eingeschlossen. Die enge Baugrube und die hohen Sicherheitsansprüche forderten mehr als 20 Bauphasen. Der Zugverkehr hatte immer Vorrang: Pro Tag fuhren rund 800 Züge an den Bauarbeitern vorbei. Ein grosser Teil der Arbeiten konnte daher nur nachts oder an Wochenenden ausgeführt werden, wenn Gleise gesperrt werden konnten.

Neun Stockwerke für Rettung und Technik

Die Zugpassagiere, die durch den Weinberg- oder den Wipkingertunnel nach Zürich Oerlikon kommen, unterqueren das neue, neunstöckige Rettungs- und Technikgebäude (Schnitt rechts). Es beherbergt unter anderem Bahntechnikanlagen (Strom- und Bahnstromversorgung inkl. Trafostation, Sicherungs- und Telekommunikationsanlagen), die Wasser- und Löschwasserversorgung und einen Notausgang, Einsatzräume, Rettungsmittel und eine Rauchdruckanlage für einen Notfall oder Brand im Weinberg- oder Wipkingertunnel. Das rund 36 m hohe Gebäude ist flach auf Fels fundiert. Die massive Betonkonstruktion muss die grossen, auf drei Seiten anfallenden Erddrücke und gleichzeitig den Druck von aufstauendem Wasser zwischen Fels und Gebäude aufnehmen. Um die Stabilität sicherzustellen, wurde unter anderem ein Teil des Tagbautunnels als Fundamentfuss ausgebildet und monolithisch mit dem Gebäude verbunden. Die Hinterfüllung westlich des Gebäudes besteht aus mit Geotextilien bewehrter Erde. So können keine Lasten auf die grossflächige Portalwand einwirken. Um dem Umweltkonzept der Durchmesserlinie gerecht zu werden, sind in der Portalwand kleine Schlitze eingelassen, damit Fledermäuse in den Hohlräumen dahinter siedeln können.

Stützmauern lösen dichtes Grün ab

Umweltmassnahmen sind auch im Einschnitt vorgesehen, der noch vor einigen Jahren dicht bewachsen war. An Stelle der Bepflanzung stehen heute bis zu 33 m hohe Betonstützmauern. In der verbleibenden Böschung zwischen Bahnhof Zürich Oerlikon und der Regensbergbrücke wurden Steinkörbe für Eidechsen aufgebaut. Im Gesamtperimeter der Durchmesserlinie werden als Ausgleich weitere ökologische Ersatzmassnahmen wie Sandlinsen oder Wildbienen-Nisthilfen aus Holz ausgeführt (vgl. TEC21 48/2012). Die 670 m lange, teilweise überhängende Stützmauer auf der Ostseite ist als Nagelwand mit Spritzbeton, Vorsatzschale und hinten liegender Entwässerung konstruiert. Um Setzungen zu vermeiden, wurden zu Baubeginn zahlreiche Häuser nahe der Stützmauer unterfangen. Die Nagelwand mit nicht vorgespannten Ankern wurde in Etappen von oben nach unten gebaut, die Vorsatzschale von unten nach oben mit Grossflächenschalungen betoniert.

Die Strecke zwischen Bahnhof und Tunnelportalen ist auf beiden Seiten von Wohnhäusern gesäumt. Vor Baubeginn führte die Bauherrschaft Gebäudeaufnahmen zur Beweissicherung durch. Derzeit werden sie erneut vermessen. Insgesamt sind keine grossen Schäden zu beklagen; wo notwendig, werden die Gebäude nun instand gesetzt. Ferner misst ein Überwachungssystem halbstündlich Bewegungen der Betriebsgleise und Gebäude. Werden die festgelegten Grenzwerte überschritten, bekommen die verantwortlichen Ingenieure eine Nachricht per SMS und E-Mail, damit sie notwendige Massnahmen einleiten können.

Anwohner vor Lärm schützen

Im Quartier überstiegen die Lärmwerte die Grenzwerte schon vor Baubeginn – die Situation wird nun im Rahmen der Erweiterungsarbeiten verbessert. Auf den Stützmauern auf beiden Seiten des Bahneinschnitts entstanden auf 700 m Länge rund 4 m hohe Lärmschutzwände aus Glas und Stahl. Auf der Gleisebene wurden und werden an allen seitlichen Stützmauern 1 bis 2 m hohe schallabsorbierende Lavabetonelemente und auf den Stützmauern zwischen den Gleisen 1.10 m hohe schallabsorbierende Alu-Elemente montiert, die den Lärm nah an der Quelle – beim Berührungspunkt Rad und Schiene – dämpfen. Aufgrund des nicht unerheblichen Lärms während der Bauarbeiten wurden Schallschutzmatten montiert. Die Bauherrschaft stand zudem ständig in Kontakt mit den Anwohnern und Hausbesitzern. Frühzeitige Information über aussergewöhnlich laute Arbeiten mindert die Lärmbelastung zumindest gefühlsmässig.

Die naheliegende Alternative zu den aufwendigen Konstruktionen im Einschnitt – ein geschlossener Deckel – wurde schon früh im Planungsprozess verworfen. Ausschlaggebend waren finanzielle Gründe hinsichtlich Bau und Unterhalt und die Tatsache, dass er einen weiteren langfristigen Ausbau eingeschränkt hätte. Jetzt wären noch Ausbauten sowohl in die Höhe (Brücken oder Überwerfungen) als auch in die Tiefe (Untertunnelung oder Unterquerungsbauwerke) möglich. Beides wäre durch eine Überdeckung verunmöglicht oder zumindest stark erschwert worden.

Brücken und Unterquerungsbauwerk

Der Birchsteg und die Regensbergbrücke verbinden die Quartiere nördlich und südlich des Bahneinschnitts in Zürich-Nord. Da der Bahneinschnitt verbreitert wurde, mussten beide Brücken rückgebaut und verlängert neu erstellt werden. Ausserdem musste die Abstützung der Regensbergbrücke im Gleisfeld neu positioniert werden. Der neue Birchsteg, eine Fuss- und Radwegbrücke, führt als Balkentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 42 m stützenfrei über den Einschnitt. Der Überbau besteht aus einem vorgespannten, nach unten geöffneten Trogquerschnitt. Auf seiner Westseite ist der Querschnitt monolithisch mit einem 6 × 13 m grossen Widerlager verbunden. Die dadurch entstehende Einspannwirkung erlaubt es, die Brücke in dieser Schlankheit ohne Mittelstütze auszuführen. Beim Widerlager Ost ist die Brücke gelenkig und in Längsrichtung verschieblich gelagert. Die neue Regensbergbrücke dient weiterhin dem Strassenverkehr, ist jedoch auch für eine zukünftige Tramlinie ausgelegt. Das 46 m lange Bauwerk ist als integrale, zweifeldrige Rahmenbrücke mit vorgespanntem Plattenbalkenquerschnitt ausgebildet. Die Brücke wurde konventionell mittels Lehrgerüst gebaut, nachdem die alte Stahlbrücke aus dem Jahr 1908 in drei Teilen mit einem grossen Kran herausgehoben worden war. Der motorisierte Verkehr wurde während einem Jahr umgeleitet. Fussgänger und Radfahrer benutzten einen provisorischen Steg.

Die Mittelstütze der Brücke steht auf der Seitenwand des Unterquerungsbauwerks für den Zugverkehr. Dieses 510 m lange Bauwerk bauten die SBB, damit die Züge vom Hauptbahnhof Zürich kreuzungsfrei Richtung Flughafen und Ostschweiz fahren können. Denn allein mehr Platz für die Gleise aus dem Weinbergtunnel hätte nicht gereicht, um die Kapazität zu erhöhen. Der Weinbergtunnel unterquert im Bereich Oerlikon ein Gleis der Wipkingerlinie und kommt in zwei eingleisigen Tunnelausfahrten an die Oberfläche.

Ein Portal liegt direkt an der Stützmauer auf der Ostseite, das zweite in Verlängerung des Wipkingertunnels ungefähr auf Höhe des Käferbergtunnelportals. Durch den Käferbergtunnel gelangen die Passagiere nach Zürich Hardbrücke bzw. nach Altstetten.

Passagen unter dem Bahnhof

Zürich Oerlikon ist der siebtgrösste Bahnhof der Schweiz, gemessen an der Zahl der ein- und aussteigenden Personen pro Werktag. Praktisch alle Züge, die Zürich Richtung Norden und (Nord-)Osten verlassen, müssen ihn passieren. Trotzdem war sein Ausbau nicht immer Teil der Durchmesserlinie: Deren Perimeter endete bis 2009 an der westlichen Perronkante. Ursprünglich war geplant, den Bahnhof erst zu erweitern, wenn die Arbeiten an der Durchmesserlinie abgeschlossen wären – als Teil der vierten Teilergänzung der Zürcher S-Bahn. Im Lauf der Zeit ergaben sich Synergien, die die SBB, der Kanton Zürich, der ZVV und die Stadt Zürich nutzen wollten.

Hauptschlagader des neuen Bahnhofs Zürich Oerlikon wird die Personenunterführung Mitte. Mit einer Breite von 12.50 m wird sie auch den weiter wachsenden Passantenströmen gerecht. Je zwei Treppen und ein Lift führen von den Perrons in die Unterführung. Die Aufzüge sind analog denen in der Passage Sihlquai am Hauptbahnhof dimensioniert, das heisst 1 t Nutzlast und Platz für 13 Personen. Die Verkaufsfläche wird von 150 m² auf 2300 m² erhöht, damit ist der Geschäftsanteil vergleichbar mit dem im Bahnhof Bern. Westlich neben der Personenunterführung der SBB wird die Quartierverbindung der Stadt Zürich für den Fuss- und Veloverkehr gebaut. Sie verbindet ab 2016 das Zentrum von Oerlikon mit Neu-Oerlikon. Fussgänger und Velofahrer werden in dem rund 16 m breiten Raum getrennt geführt. Radfahrer können den Bahnhof kreuzen, ohne abzusteigen – dank einer befahrbaren Velorampe mit einer Steigung von 6 %. Eine unterirdische Abstellanlage für rund 370 Velos ermöglicht schnelles Umsteigen. Die Passagiere gelangen über eine Treppe aus der Passage auf die Perrons. Zwei Kopfbauten verbinden die Personenunterführung und die Quartierverbindung.

Über Hilfsbrücken fahren

Die beiden Unterführungen werden in Etappen in einer 70 m breiten Baugrube parallel zum Gleis erstellt. Der Kopfbau auf der Nordseite ist im Rohbau fertiggestellt, das neu erstellte Gleis 8 nahmen die SBB im August 2013 in Betrieb. Hier verkehren im Endausbau die meisten Züge und auch alle S-Bahnen, die aus Richtung Hardbrücke zum Flughafen oder nach Seebach und Opfikon fahren. Das neue Gleis 7 ist im Bau, es wird ab dem 7. April 2014 genutzt werden. Von dort fahren vorwiegend Züge vom Flughafen bzw. der (Nord-)Ostschweiz nach Zürich. In den folgenden Phasen werden immer zwei Gleise ausser Betrieb genommen, um in der offenen Baugrube den nächsten Teil der Unterführungen zu erstellen. Sie wird mit einer Rühlwand mit Holzausfachung gesichert, dem sogenannten Berliner Verbau, die Stirnseiten mit Nagelwänden. Die Bauphasen dauern jeweils rund sechs Monate. In dieser Zeit werden die Baugruben ausgehoben, die Personenunterführungen in Stahlbeton gebaut, Abdichtungen aufgebracht, Wiederauffüllungen erstellt, die Gleise neu gelegt (einschliesslich Signalen, Fahrleitung, Kabel) und die Perrons mit ihrer gesamten Ausstattung neu erstellt.

Die Züge aus und in Richtung Wallisellen, die auf Gleis 1 oder 2 verkehren, haben keine Möglichkeit, das Gleis nach dem Bahnhof zu wechseln. Eine Sperrung ist daher hier nicht realisierbar. Voraussichtlich ab November 2014 kommt deshalb eine technisch und logistisch anspruchsvolle Lösung zum Einsatz: Hilfsbrückenketten aus je fünf aneinander gehängten Brücken mit einer Gesamtlänge von 80 m pro Gleis. Fundiert werden diese auf Mikropfahltürmen, die bis in 16 m Tiefe unter der Baugrube gegründet sind. Um das Risiko eines hydraulischen Grundbruchs zu minimieren, werden die Pfähle vollständig unter Wasser gebohrt und betoniert. Um die Hilfsbrückenketten zu erstellen, sind sechs Intensivbauwochenenden mit 60-Stunden-Betrieb vorgesehen. Während 15 Monaten sollen die Züge über die Hilfsbrücken verkehren. In diesem Bereich erfolgt der Bau der Personenunterführung somit nicht neben, sondern unter den in Betrieb stehenden Gleisen. Der Bahnverkehr im Bahnhof Zürich Oerlikon und im gesamten Raum Zürich darf durch die Arbeiten nicht beeinträchtigt werden. Die Gleisanlagen und Baugruben werden rund um die Uhr überwacht, um kleinste Verschiebungen feststellen zu können. Das Überwachungssystem ist in einem engen Raster entlang der Baugruben eingerichtet.

Hinter den Messungen steht ein dreistufiges Alarmsystem. Entsprechend dem Alarmwert werden Massnahmen eingeleitet – bis hin zur Sperrung.

Sichtbeton prägt die neue Umgebung

Östlich des Bahnhofs im Gebiet Seebach und Leutschenbach entstehen neue Büro- und Wohngebäude (vgl. «Ein Schmetterling für Zürich-Nord» S. 22). Fusswege verbinden die öV-Haltestellen mit dem Bahnhof, ebenerdige Zugänge verkürzen die Gehdistanz zur bestehenden Personenunterführung Ost. Sie wird analog zur Personenunterführung Mitte in den sechsmonatigen Bauphasen ausgebaut.

Bis 2015 erstellen die SBB im Auftrag der Stadt Zürich zudem die neuen, breiteren Brücken über die Schaffhauserstrasse.

Insgesamt entstehen drei neue Brückentröge für je zwei Gleise. Im Widerlager unterhalb des Gleises 3 wird eine Abstellanlage für rund 300 Velos gebaut. Unter dem grossen Vorplatz zum Zugang Ost bei der Wattstrasse befindet sich eines von zwei neuen Retentionsfilterbecken im Bahnhof Zürich Oerlikon. Primär sammelt es das im Gleisbereich anfallende Schmutz- und Regenwasser.

Es wird durch einen Filterkies gereinigt und in den Vorfluter Riedgraben geleitet. In einem Havariefall wird im Becken mit einem Volumen von 1300 m³ das anfallende verschmutzte Löschwasser gesammelt. Das Ablaufen in die öffentlichen Gewässer kann so verhindert werden. Ein weiteres, kleineres Becken wurde in die Stützmauer entlang der Friesstrasse integriert. Beide Becken sind von aussen nicht sichtbar.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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