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zur Zeitschrift: dérive
Herausgeber:in: Christoph Laimer

Die grüne Nachkriegsmoderne 1

Der Katalog

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Dieser Park ist – im Vorhinein geplant – der im positiven Sinne verstandene Rest der 1964 gezeigten Wiener Internationale Gartenschau, kurz »WIG 64«.

Die unterschiedliche Rezeption der WIG 64 bringt der Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos, treffend in seinem Vorwort auf den Punkt: »Als wir im Museum über dieses Projekt diskutierten, zeigte sich, dass das Kürzel ›WIG 64‹ sehr unterschiedliche Assoziationen auslöst – entweder starke oder gar keine. Das hängt mit unterschiedlichen Erinnerungen zusammen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht in Wien aufgewachsen sind, verbinden keine persönlichen Erinnerungen mit der Gartenschau im heutigen Donaupark oder wissen gar nicht, dass im heute eher diffusen Gelände zwischen Donauturm, UNO- Zentrum und Donau City ein für Wiens Nachkriegsgeschichte wichtiges Ereignis stattfand. Menschen aus Wiener Familien, die seit zwei oder drei Generationen hier leben, reagieren dagegen sehr unmittelbar auf die Nennung der WIG 64, hat diese ›Garten- Weltausstellung‹ doch einen Platz in ihrer Erinnerung – sei es, weil Eltern und Großeltern davon erzählt haben, sei es, weil sie als Kinder mit dem Sessellift über Blumenbeete geschwebt sind oder zum ersten Mal eine legendäre Hollywood-Schaukel mit eigenen Augen gesehen haben.«

Die WIG 64 gehört – hier ist Wolfgang Kos zu folgen – zu jenen Großveranstaltungen der Ära des Wiederaufbaus und der Modernisierung, die noch von einem ungebrochenen Fortschrittsdenken geprägt war: »vergleichbar der Wiedereröffnung der Staatsoper und der Eröffnung der Opernpassage im Jahr 1955.«

Zahlreiche Autorinnen und Autoren widmen sich im Ausstellungskatalog in unterschiedlichen, relativ kurzen Beiträgen der Gartenschau und dem Donaupark, wobei die weitgehend in Vergessenheit geratene und teils verdrängte Vorgeschichte des Areals nicht ausgeblendet wird.

Die Schweizerin Annemarie Bucher spannt im ersten Text einen kurzweiligen Bogen vom Beginn von Gartenausstellungen im 19. Jahrhundert zu den mitteleuropäischen Gartenschauen im 20. Jahrhundert und stellt damit die WIG 64 in einen planerischen und gartenhistorischen Kontext. Martina Nußbaumer geht in ihrem Beitrag auf die Wiener Stadtplanung in den 1950er- und 1960er-Jahren ein, die noch stark von einer Funktionstrennung bzw. großräumigen Entmischung von Funktionen geprägt war, und setzt die WIG 64 in Bezug zum damals weit verbreiteten »Begehren der Nachkriegszeit nach Ordnung, Planbarkeit und Kontrollierbarkeit«. Mit der Geschichte des WIG 64/Donaupark-Areals vor 1964 beschäftigt sich Ulrike Krippner. Zu nennen sind hier die damals so wahrgenommenen »Un-Orte« Militär-schießstätte, städtische Mülldeponie und informelle Siedlungen. In einem Interview mit drei (ehemaligen) BewohnerInnen der Siedlung Bruckhaufen, die auch heute noch am Rande des Donauparks liegt, kommt eine individuelle Note in den Ausstellungskatalog.

Ulrike Krippner gibt einen groben Überblick auf die handelnden Personen bei der Gestaltung und die wichtigsten Teile des WIG-Geländes. Auf die Spuren der Berichterstattung zur WIG 64 in den Medien begibt sich Nicole Theresa Raab. Die Autorin schafft es im Text, den enormen Werbeaufwand für die Gartenschau deutlich zu machen.

Im Beitrag »Der Donauturm als Attraktion und Attrappe« fokussiert Andreas Nierhaus auf die Kritik am Sinn, an den Kosten und der Ausführung des Aussichtsturmes, der in 150 Meter Höhe eine neue Sicht auf Wien ermöglichte. Just 50 Jahre nach Eröffnung des Turms verlor der Donauturm sein Alleinstellungsmerkmal: Nur wenige hundert Meter entfernt wurde Anfang 2014 im DC Tower (am Rande des einstigen WIG-Geländes) in 207 Metern Höhe eine Aussichtsterrasse eröffnet, von der aus man auf den degradierten Donauturm hinunterblicken kann.

Nicole Theresa Raab widmet sich im anschließenden Beitrag der Frage, wieweit die USA in den 1960er-Jahren Einfluss auf die österreichischen Gärtnerei-Großbetriebe und somit auf den Privatgarten hatten. Einen pointierten kulturhistorischen Beitrag über ?die Hollywood-Schaukel, die auf dem WIG 64 Gelände als Sitzmöbel weit verbreitet war, liefert Peter Payer. Lilli Lic ?ka skizziert in aller Kürze die Entwicklung des Geländes – als Donaupark – in der Zeit nach 1964. In einem Interview mit einer Landschaftsarchitektin und einem Landschaftsarchitekten, die beide in den letzten Jahren im Donaupark aktiv tätig waren, wird über die einstigen und heutigen Qualitäten des Donauparks sowie die Notwendigkeiten für die Zukunft diskutiert. Es folgt ein kurzer Text von Helmut Neundlinger zur gegenwärtigen Nutzung des Donauparks. Abgeschlossen wird die Publikation mit dem Katalogteil.

Die Ausstellung und der Katalog sollen – so die Einleitung – die Gartenschau in den Kontext der planerischen Utopien nach 1945 stellen und nach den Intentionen und den konkreten städtebaulichen und soziokulturellen Auswirkungen dieses Großprojekts fragen. Dies gelingt in weiten Teilen. Ein Wermutstropfen bleibt: Auf die Diskussion über das »Soll und Ist« bei den hard facts der WIG 64 – hier sind vor allem die Besucherzahlen und die massive Kostenüberschreitung zu nennen – wird nicht eingegangen. Sie hätte unter anderem gezeigt, dass massive Kostenüberschreitungen bei Gartenschauen kein junges Phänomen sind. Leider wird im Katalogteil die Mär übernommen, der nationale, extrem kurz angesetzte Ideenwettbewerb für österreichische Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten hätte für die Stadtverwaltung »kein zufriedenstellendes Ergebnis« gebracht. Das Studium des Juryprotokolls lässt erahnen, dass der damalige Wiener Stadtgartendirektor die Gesamtplanung eher aus Eigennutz übernahm. Erst relativ spät kam – wie Ulrike Krippner richtig festhält – Kritik am »Amtsprojekt« WIG 64 auf.

Hoch anzurechnen ist den HerausgeberInnen und AusstellungsmacherInnen, dass sie sich dem Thema der Grünflächen nach 1945 am Beispiel des Donauparks angenommen haben. Dass die Ausstellung und der Katalog nicht den Raum haben, um weitere Details zur Gartenschau zu präsentieren, ist ein Wermutstropfen. Hilfreich für die Forschung zur »grünen Nachkriegsmoderne« ist neben den zahlreichen Fotos jedenfalls die Auflistung aller beteiligten Gartenarchitektinnen (sic!) und Gartenarchitekten, ArchitektInnen sowie KünstlerInnen. Spätestens zum Jubiläum »50 Jahre Wiener Internationale Gartenschau 1974 [sic!]« wird man auf diese wieder zurückgreifen.


Die grüne Nachkriegsmoderne 2
Die Ausstellung

Ein Park, ein Raum. Aus Anlass ihres 50-jährigen Geburtstags wird der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 eine Ausstellung im Wien Museum gewidmet. Die Geschichte und Gegenwart der WIG 64, welche mit dem Donaupark einen der größten Parks Wiens hinterlassen hat, wurde in einem Raum verdichtet. Aufgrund der Vielfältigkeit der Exponate und Medien erschließt sich jedoch selbst in diesem kleinen Raum die vielschichtige Vergangenheit eines der größten Freiräume Wiens. Die Runde im Uhrzeigersinn führt vom Gestern ins Heute. In einem Pult präsentierte Exponate aus dem Archiv des Wien Museums und des Gartenbaumuseums ergänzen die historischen Informationen mit sehr persönlichen Eindrücken. Originaldokumente – wie die Brettldorfer Zeitung – zeigen die Situation der BewohnerInnen des Brettldorfes, einer informellen Siedlung, welche sich nach 1945 in direkter Nachbarschaft einer Müllhalde befand. Das ausgestellte Typoskript der Ansprache des damaligen Bundespräsidenten Schärf zeigt, wie selbst diese für damalige Zeiten nüchterne Parkgestaltung auf einer Müllhalde für den Vergleich mit dem religiösen Ideal des Paradieses in Gebrauch genommen werden konnte. Die WIG 64-Bierdeckel und der Donauturmkugelschreiber vermitteln die bis heute angewandten Strategien der Vermarktung von Großprojekten. In der Mitte des Raumes geben Originalmöblierungen wie die Bogenleuchte von Carl Auböck einen Eindruck der durch diese Gartenschau vermittelten Modernität. Die bespannten Metallgartenmöbel, welche sich seit kurzem auch wieder in den Katalogen der Gartenmöbelhersteller präsentieren, verweisen auf die derzeitige Aktualisierung des Designs der 60er Jahre. Die gezeigten Filmdokumente verbinden auf intelligente Weise die Zeitabschnitte. Sie reichen von Werbefilmen über Found-Footage-Aufnahmen damaliger BesucherInnen bis zu einer extra für die Ausstellung produzierten Dokumentation der gegenwärtigen Nutzungen. Dieser Film bietet ausgewählte Einblicke in den Alltag im Park. Die nach 1964 vorgenommenen Adaptierungen, z.B. im Bereich der Sportangebote, werden so sichtbar. Deutlich wird, dass der bestehende Park aufgrund seiner Größe unterschiedlichste NutzerInnen, vom 90-jährigen Schachspieler bis zum mit Langzeitarbeitslosen Tennis spielenden Investmentbanker Raum zur Begegnung bietet. Welche Veränderungen der Park auch in den 50 Jahren seines Bestehens durchlaufen hat und noch werden wird, ob die zukünftigen Veränderungen geplant – wie mittels Parkpflegewerken in aktuelleren Beispielen der Bundesgartenschauen in Deutschland (München, Berlin, Potsdam) – oder als Stückwerk erfolgen werden, ist noch offen und wird den BesucherInnen als offen stehende Frage präsentiert. Die NutzerInnen werden ihren Raum im Park finden und die BesucherInnen der Ausstellung werden angeregt aus dem Raum im Museum auch wieder den Donaupark zu besuchen und dort selbst im Raum tätig zu werden.


Ulrike Krippner, Lilli Licka, Martina Nußbaumer (Hg.)
WIG 64. Die grüne Nachkriegsmoderne Wien
Metroverlag, 2014
160 Seiten, 24 Euro

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Für den Beitrag verantwortlich: dérive

Ansprechpartner:in für diese Seite: Christoph Laimermail[at]derive.at

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