Zeitschrift

TEC21 2014|34
Ingenieurpavillons
TEC21 2014|34
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Die Tragsicherheit einer Idee

Ingenieurpavillons werden im Rahmen einer spezifischen materiell-
kon­struktiven Thematik entwickelt und sind stets Träger einer Vision. Vier historische Beispiele illustrieren ihre Rolle in der Baukunst.

22. August 2014 - Thomas Ekwall
Im Ursprung des 284 m langen Lang­wieserviadukts stand ein Betonbogen, der 6 m über die grüne Wiese der Schweizer Landesausstellung 1887 spannte. Mit der pavillonartigen Brücke (Abb. S. 25 Mitte links) wollte die Firma Vigier die Tragfähigkeit ihres Zementprodukts zur Schau stellen. Der Leistungsnachweis diente nicht nur wissenschaftlichen, sondern vor allem wirtschaftlichen Zielen. Das gebaute Experiment brachte nicht nur das breite Publikum zum Staunen, sondern interessierte auch den ersten Direktor der Materialprüfanstalt – der heutigen Empa –, Prof. Ludwig Tetmajer, der sich aktiv für die Normierung des neuartigen Betons einsetzte.

25 Jahre und einige Entwicklungsschritte später entstand 1912 aus diesem Material die damals längste Eisenbahnbetonbrücke der Welt zwischen Langwies und Arosa. Solche seltenen Beispiele zeigen, dass ­Ingenieurpavillons die Keime grösserer Bauwerke in sich tragen.

Pavillon versus Prototyp

Auch bei der Ferrozementbauweise stand ein Pavillon Pate. Der Ingenieur-Unternehmer Pier Luigi Nervi (vgl. TEC21 37/2013) wollte sein frisch patentiertes Verfahren auf den Prüfstand setzen und baute 1945 eine Lagerhalle für seine eigene Firma (Abb. Mitte rechts). Fokus dieses Pavillons war nicht die reine Leistungsfähigkeit des Materials, sondern seine Verarbeitung auf der Baustelle und das Zusammenfügen der einzelnen Bauteile. Mit diesem gelungenen Experiment konnte Nervi sowohl künftige Bauherren überzeugen als auch die gleichen Prinzipien zuversichtlich im grösseren Massstab umsetzen: Die Ferrozementbauweise gipfelte 1948 im ­Palazzo delle Esposizioni in Turin, einer Halle mit über 70 m Spannweite.

Der Pavillon des Ingenieurs ist nicht mit dem Prototyp des Maschinenbauers gleichzusetzen, der als Grund­lage der Massenproduktion identischer Objekte dient. Er ist vielmehr der Träger einer Idee und der Vorstellung eines vielfältigen Einsatzgebiets. Er zeugt von der ­Tauglichkeit ihrer zugrunde liegenden materiellen und konstruktiven Prinzipien in der gebauten Umwelt.

Als Impulsgeber gelten Bauunternehmer, Tragwerksplaner und Forscher, die oft Synergien eingehen. Beispiel dafür war Julius Natterer, ehemaliger Professor am Holzbauinstitut der EPFL (Ibois) und Gründer von Bois Consult Natterer SA (BCN). Auf dem EPFL- Campus plante er den «Polydôme» (Abb. unten links), der als erste Holzrippenschale gilt. Hier wurde der ­Zusammenhang zwischen den weichen Verbindungen der Brettstapel und der Stabilität der Schale wissenschaftlich eruiert. Dieser Tragwerkstyp erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt mit dem 20 m weit auskragenden Messedach der Hannover Expo 2000. Beide Tragwerke wurden von BCN geplant.

Ingenieurpavillons sind nicht nur für ihre ­eigene Disziplin relevant, sondern greifen auch architektonische Themen auf und können dieses Gebiet demzufolge stark beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist der Glaspavillon am Broadfield House in Kingswindford (Abb. S. 25 unten rechts). Er wurde 1994 von den Ingenieuren Dewhurst MacFarlane and Partners geplant. Hier wurde erstmals eine tragende Konstruktion aus Glas ohne Metallprofile und Punkthalter ausgebildet. Diese technische Meisterleistung dient noch heute als Inspiration für die Ganzglasarchitektur.

Zeitgenössische Experimente

Blicken wir noch auf zwei unlängst realisierte Pavillons. Sie entstanden an technischen Forschungsinstituten und stehen in der Reihe vergangener Experimente: Der Holzpavillon der Ibois (vgl. unten) verfolgt das klassische Ziel des zugleich materialsparenden und leistungsfähigen Tragwerks. Ausgehend von der Idee der gekrümmten Faltung mit Brettsperrholzplatten werden die Zusammenfügung, die ästhetischen und raumbildenden Qualitäten sowie die Entwurfs- und Produktionsabläufe als gleichwertige Ziele behandelt. Das Pavillon nähert sich dem Prototyp, damit schöne Formen einfach geplant und seriell gefertigt werden können.

Das Verbundpavillon der ICD/ITKE (vgl. «Käferschale schützt Menschen», S. 30) plädiert seinerseits für den Einsatz der Bionik im Bauwesen. Mit der Biologie als Inspirationsquelle wird die Wickelbauweise mit harzgetränkten Fasern weiterentwickelt. Weil die Elemente vorgefertigt und auf der Baustelle zusammengefügt werden, entsteht erstmals ein Tragwerk, das grös­ser wurde als die Maschine, die sie hergestellt hat. Träumen ist erlaubt, sogar förderlich!


Anmerkungen:
[01] Claudio Greco: Pier Luigi Nervi. Von den ersten Patenten bis zur Ausstellungshalle in Turin. Luzern 2008.
[02] Christian Schittich: «Auf den zweiten Blick: Glaspavillon am Broadfield House in Kingswindford» in: Detail 1/2 2011, S. 6–9.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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