Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 03|2015
Putz
db deutsche bauzeitung 03|2015

Eine Ode ans Handwerk

Staatliche Musikinstrumentenbauschule in Mittenwald

Der neue Lehrsaaltrakt der Musikinstrumentenbauschule zeigt mit seinen markanten Putzfassaden deutlich Präsenz und bezieht sich dabei gleichzeitig auf die lokale Bautradition. Insgesamt 145 Schülern der Fachbereiche Geigenbau, Zupfinstrumentenbau, Holz- und Metallblasinstrumentenbau bietet er jene Funktionalität und Atmosphäre der Geborgenheit, die sie zum Erlernen ihres traditionsreichen Handwerks benötigen.

1. März 2015 - Roland Pawlitschko
Schwer zu sagen, ob Mittenwald heute über Südbayern hinaus bekannt wäre, wenn es den Geigenbauer Matthias Klotz nicht gegeben hätte. Mit seiner hier um 1680 eröffneten Werkstatt gilt er als Begründer einer Geigenbautradition, deren Meisterschaft mit kaum einer anderen in Deutschland vergleichbar ist. Weshalb er sich nach seiner Ausbildung bei italienischen Lehrern gerade hier niederließ, liegt sicherlich an den guten Absatzmöglichkeiten entlang der durch den Ort führenden Handelsstraße, die Augsburg und Bozen verband, insbesondere aber an den Bergwäldern des Karwendel- und Wettersteingebirges. Die auf den kargen Böden langsam und gleichmäßig wachsenden Bäume lieferten nämlich schon damals nicht nur hochwertiges Bau- und Möbelholz, sondern auch ganz besondere Tonhölzer – v. a. Fichte und Bergahorn –, wie sie für den Geigenbau unerlässlich sind.

Trotz der großen Bedeutung, die der Rohstoff Holz für den Ort bis heute zweifellos hat, entschied sich das im Wettbewerb zur Erweiterung der Mittenwalder Geigenbauschule einstimmig zum Sieger gekürte Büro abp architekten für Putzfassaden. Zum einen, weil Putzfassaden für fast alle historischen und neueren Häuser Mittenwalds prägend sind, zum anderen, weil sie den neuen Lehrsaaltrakt mit Mensa möglichst selbstverständlich in den Kontext der bestehenden Schulgebäude integrieren wollten – sowohl die einfachen Nachkriegsbauten als auch das im Zuge des Wettbewerbs von den Architekten liebevoll restaurierte ehemalige Forstamt von 1910 verfügen über Putzfassaden.

Brückenschlag

Die 1858 gegründete Geigenbauschule hatte zum Zeitpunkt der Wettbewerbsauslobung bereits einen Komplettumzug und zahlreiche Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen am aktuellen Standort nördlich des Ortszentrums hinter sich. In den 70er Jahren waren außerdem neue Fachbereiche hinzugekommen, sodass die staatliche »Berufsfachschule für Musikinstrumentenbau Mittenwald« neben dem Geigenbau inzwischen auch Ausbildungen zum Bau von Zupfinstrumenten, Holz- und Metallblasinstrumenten anbot. Das Gelände der aus allen Nähten platzenden Schule verfügte zwar über keinerlei eigene räumliche Ressourcen mehr, erhielt aber die einmalige Chance, das weitgehend unbebaute Grundstück und das schmucke Gebäude des unmittelbar benachbarten ehemaligen Forstamts mit in den Campus einzubeziehen. Mithilfe der Um- bzw. Neubaumaßnahmen konnte die Fläche der Schule nicht nur auf rund 7 000 m² verdoppelt, sondern auch der Lehrbetrieb völlig neu geordnet werden: Das repräsentative Forstamt beherbergt nun die Schulverwaltung und eine Bibliothek; die bisher gemischt genutzten Schulgebäude wurden zum reinen Werkstatttrakt, und im dazwischen liegenden Neubau – der mit beiden Bereichen über gläserne Verbindungsgänge verbunden ist – befinden sich die Lehrsäle für den Theorieunterricht, eine Mensa sowie ein resonanzarmer Raum zur präzisen akustisch-physikalischen Vermessung der neu gebauten Instrumente.

Das Ziel der Architekten, mit dem Neubau eine unaufgeregte, aber unverkennbar zeitgenössische Brücke zwischen allen Bestandsgebäuden zu schlagen, ist unmittelbar nach Betreten des Campus am ehemaligen Forstamt spürbar. So erhebt sich das neue Gebäude aus drei traufseitig aneinandergebauten Baukörpern mit Satteldach weder arrogant über das architektonisch eher belanglose Ensemble aus Nachkriegsgebäuden, noch versucht es mit dem denkmalgeschützten Altbau in Konkurrenz zu treten. Dennoch macht der hinter einem alten Torbogen erkennbare zweigeschossige Neubau mit großflächigen Holzfenstern sofort neugierig. Während der eine Baukörper respektvoll die Bauflucht des Forstamts aufnimmt, schiebt sich ein anderer so weit in den neu entstandenen Innenhof, dass die Besucher unwillkürlich auf den an einer leicht erhöhten Terrasse platzierten Haupteingang zusteuern.

Leiser Kanon

Im Gebäudeinnern bestimmen v. a. drei Materialien das Bild: Mit Bezug auf die beiden älteren Gebäudeteile erhielten auch die Fußböden des EG Solnhofener Platten, während verputzte Wände und Decken einheitlich in zurückhaltendem Hellbeige erscheinen. Eher in den Vordergrund spielen sich dagegen die in dunkel geöltem Eichenholz gehaltenen großflächigen Türumrahmungen und Türnischen der Unterrichtsräume. Der insgesamt eher leise Farb- und Materialkanon bestimmt prinzipiell auch das OG – einziger Unterschied sind die durchgängig schwarzen Linoleumböden und das dunkle Holzparkett des Musiklehrsaals.

Kennzeichnend für die Unterrichtsräume sind ansonsten besonders die großen Schiebefenster aus Lärchenholz, deren innenseitig mit dunklen Farbpigmenten geölte Oberflächen mit den Zimmertüren harmonieren. Sie sorgen einerseits für hervorragende Tageslichtverhältnisse und wunderbare Ausblicke auf die umliegende Bergwelt, andererseits sind sie Teil einer Fassadenkomposition, die im Wesentlichen aus zwei unterschiedlichen Fenstertypen mit oder ohne weiße Putzfaschen besteht. Untergeordnete Räume zeichnen sich in der hellgrauen Putzfassade grundsätzlich durch rahmenlose, unregelmäßig gesetzte Quadratfenster ab, die mit weißen, glatt verputzten Faschen optisch hervorgehoben werden. Im Gegensatz hierzu sorgen die gleichmäßig angeordneten und außen mit einer dunklen Pigmentlasur versehenen Schiebefenster der Unterrichtsräume für warme Farbakzente. Deren breite Holzrahmen sind mit den jeweils seitlichen »Holztaschen«, in die die Fenster beim Öffnen geschoben werden, flächenbündig in die WDVS-Fassade eingebaut. Anstatt die Rahmen allerdings mit umlaufenden Silikonfugen in die Putzfläche einzupassen, entwickelten die Architekten ein elegantes Schattenfugendetail. Möglich wurde diese Lösung mit zurückversetzter und daher nicht sichtbarer Dichtebene durch die Verwendung einer monolithischen Dämmung aus formstabilen Mineralschaumplatten. Diese Platten sind nicht nur ökologisch vorteilhafter als etwa Styropor- oder Polyurethanschäume, sie ermöglichen auch einen zusätzlichen Schallschutz sowie Wandaufbauten aus Materialien mit ähnlichen bauphysikalischen Eigenschaften – Stahlbetonwände, Dämmung und Putz bestehen allesamt aus mineralischen Stoffen.

Lokale Reminiszenzen

Die leider erst bei genauem Hinsehen deutlich erkennbare unregelmäßige Oberflächenstruktur der Putzfassade (Waschlputz) – entstanden durch das Bürsten des noch nicht trockenen Putzes – hätte zwar auch auf jedem anderen WDVS-Fassadensystem aufgebracht werden können, vor dem Hintergrund des dahinter gewählten Wandaufbaus zeugt sie hier allerdings von einer Haltung, die einerseits Bezüge zur regionalen Baukunst sucht und andererseits auf dezente Weise das Handwerkliche in den Vordergrund rückt. Von der Liebe zum Detail erzählt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass viele maßgeschneiderte Einbauten, Möbel und Tische, z. B. in der Mensa oder der Bibliothek, aber auch die Schiebefenster nicht industriell, sondern nach Plänen der Architekten von einem ortsansässigen Schreiner gefertigt wurden. Dies erleichterte nicht nur die Entwicklung optimaler Anschlussdetails, sondern stellte sich zudem auch als kostengünstiger heraus. Der handwerklich geprägte Einsatz robuster, natürlicher Materialien ermöglicht einen visuell und funktional langlebigen Neubau, der so zeitlos erscheint wie viele andere Projekte von abp architekten. In diesem Fall wirkt das Konzept v. a. deshalb so überzeugend, weil es klare Parallelen zur Philosophie des Instrumentenbauens aufweist. Geht es Instrumentenbauern im Wesentlichen darum, Holz- und/oder Metallbauteile so zu formen und zu fügen, dass virtuose Musiker damit sinnliche Klangwelten erschaffen können, entwarfen und realisierten die Architekten ein Gebäude, das es den Schülern ermöglicht, sich voll und ganz auf das Erlernen des Instrumentenbaus zu konzentrieren. Dass sorgfältig ausgewählte Materialien mit viel Gefühl und handwerklicher Präzision zu einem Objekt verschmolzen werden, das in erster Linie seinen Zweck zu erfüllen hat, ist für Instrumentenbauer und Architekten ebenso selbstverständlich wie die angemessene Berücksichtigung optischer und haptischer Qualitäten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: