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TEC21 2015|22
Der letzte Corbusier
TEC21 2015|22
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Sonderbarer Solitär

Vor 50 Jahren starb Le Corbusier. Sein Zürcher Ausstellungspavillon Centre Le Corbusier / Museum Heidi Weber wurde zwei Jahre nach seinem Tod eingeweiht. Der Bau ist so komplex wie seine Entstehungsgeschichte.

29. Mai 2015 - Tina Cieslik, Markus Stucki
Nicht weniger als eine Synthese von Architektur und Kunst hatte Le Corbusier (1887–1965) beim Entwurf im Sinn, einen Hybrid aus Ausstellungsbau und Wohnhaus (vgl. «Schöpferisches Destillat», S. 26), einen Prototyp seiner patentierten Stahlkonstruktion – kurz: ein gebautes Manifest. Es sollte sein Gesamtwerk verkörpern: die Überlegungen zu Raum und Proportion, Konstruktion und Farbgestaltung, zu Innenausbau und Möbeln, aber auch seine Kunst in Form von Collagen, Lithografien und Skulpturen.

Die Initiative für den Bau ging von der Zürcher Innenarchitektin und Galeristin Heidi Weber aus (Kasten S. 24). 1960 kam Le Corbusier zu einer ihrer Ausstellungen nach Zürich.[1] Bei einem Spaziergang durch den städtischen Park am Zürichhorn präsentierte sie ihm ihre Vision eines Ausstellungspavillons an diesem Ort. Kein Le-Corbusier-Mausoleum sollte es werden, sondern ein lebendiges Haus, gewidmet der Vermittlung von Werk und Ideen des Meisters.

Le Corbusier zeigte sich jedoch zunächst ab­lehnend: «Non, je ne ferai plus rien pour les Suisses. Les Suisses n’ont jamais été chic avec moi.»[2] Heidi Weber vermochte aber zunächst ihn zu überzeugen und dann auch die Stadt Zürich, die nach einigen Anlaufschwierigkeiten das Grundstück für 50 Jahre im Baurecht zur Verfügung stellte. Von 1961 bis 1967 entstand unter der langjährigen Bauleitung des Zürcher Architekten Willy Boesiger ein konstruktiv und funktional be­sonderer Bau, der weit über die Schweizer Grenzen strahlte – Le Corbusiers letztes geplantes und sein einziges in Stahl und Glas realisiertes Projekt.

Duale Funktion, dialektische Konstruktion

Das strukturelle Konzept, die Trennung in ein zweiteiliges, schützendes Stahldach und einen separaten Baukörper, hatte Le Corbusier bereits rund zwölf Jahre vorher angedacht – beim Entwurf des (nicht realisierten) «Pavillon des expositions temporaires pour la synthèse des arts majeurs» an der Porte Maillot in Paris.[3] Auch die Dimensionen seines Zürcher maison-musée beruhen auf dem Masssystem «Modulor», das Le Corbusier 1942 bis 1955 aufbauend auf den menschlichen Proportionen entwickelt hatte. (Das verwendete Rastermass von 226×226×226 cm entspricht der Körpergrösse eines 183 cm grossen Menschen mit ausgestrecktem Arm). Dieses Raster übertrug er sowohl auf die Ausstellungs- als auch auf die Wohnräume. Der 22.6×11.3 m grosse zweigeschossige Pavillon ist eine geometrische Demonstration, präzise und abstrakt, weit entfernt von Le Corbusiers restlichem Spätwerk, das von organischen Formen geprägt ist.

Auffallend ist die Unterteilung in ein wetterschützendes Stahldach (parapluies-parasols) auf sechs Stützen und die daruntergeschobenen Raumkuben (corps de logis), die keine Berührung mit dem Dach aufweisen. Die Tragstruktur entwickelte der Architekt gemeinsam mit dem Ingenieur Louis Fruitet (vgl. «Schirm und Skelett», S. 29). Untergeschoss und Erschliessungen (Rampe und Treppe) sind aus Stahlbeton, die Kuben aus Stahlprofilen, Glas und emaillierten Wandpaneelen. Der Bauprozess entsprach dieser Konstruktionsweise: Zuerst wurde das vorgefertigte gefaltete Stahldach auf das Untergeschoss gestellt, danach die Raumkuben autonom montiert. Diese von Le Corbusier patentierte Montage[4] kam hier erstmals zur Anwendung und bedingte eine kostenintensive Trockenbauweise: Die Winkelprofile mit über 20000 Edelstahlschrauben mussten sichtbar bleiben, um die Zerlegbarkeit des Systems zu demonstrieren. Der Innenraum wirkt trotz dem engen Stützenraster offen und bietet differenzierte Durch- und Ausblicke. Die sorgfältige Farbgebung und Materialisierung mit Holzpaneelen im Innern schaffen einen vielfältigen Hintergrund für Le Corbusiers Kunst.

1965, kurz vor seinem Tod, signierte Le Corbusier die Skizzen und Pläne für den Bau. In einem Brief an James Johnson Sweeney, den damaligen Direktor des New Yorker Guggenheim-Museums, urteilte er 1961: «Dieses Haus wird das kühnste, das ich je in meinem Leben gebaut habe.»[5] Als Le Corbusier im August 1965 77-jährig beim Schwimmen am französischen Cap ­Martin ertrank, übernahmen seine langjährigen Mitarbeiter Alain Tavès und Robert Rebutato die Planung.

Rezeption gestern, heute, morgen

Während sich die Fachwelt in Bezug auf die architektonische Bewertung des Pavillons anfangs eher verhalten zeigte, besuchten im Eröffnungsjahr 1967 über 47?000 Interessierte den Bau. Seither betreute Heidi Weber eine Vielzahl von Ausstellungen und Aktivitäten zum künstlerischen Werk Le Corbusiers.

2014 lief der Baurechtsvertrag aus, die Stadt übernahm den Bau und stellte ihn unter kantonalen Denkmalschutz (vgl. «Quer in der Landschaft», S. 31). In den Sommermonaten ist das Architekturjuwel jeweils für die Öffentlichkeit zugänglich und wird mit wechselnden Ausstellungen belebt.


Anmerkungen:
[01] Originalinterview in: Rassegno 3/1980, erneut (gekürzt) abgedruckt in Heimatschutz/Patrimoine 1/2014, S. 7 f.
[02] Tatsächlich war die Beziehung zur Schweiz nicht nur eine negative. Etlichen gescheiterten Projekten wie dem Völkerbundpalast in Genf (1927), verschiedenen Über­bauungen im Zürcher Seefeld und dem Direktionsgebäude der Schweizerischen Rentenanstalt (1933), ebenfalls in Zürich, stehen die Ehren­doktorwürden der Universität Zürich (1934) und der ETH Zürich (1955) gegenüber oder der Auftrag für das Schweizer Studentenwohnheim in der Pariser Cité Universitaire (1931–1933). Vgl. Schweizer Ingenieur und Architekt 11/1988, S. 313 f.
[03] Catherine Dumont d’Ayot/Tim Benton, Le Corbusiers Pavillon für Zürich, Zürich 2013, S. 30 ff., s. Buchhinweis S. 28
[04] A.a.O., S. 50 f., 54–55.
[05] Brief an James Johnston Sweeney, 27. September 1961, in: Jean Jenger, Le Corbusier. Choix des lettres, Basel 2002, S. 472–475. Vgl. Dumont d’Ayot/Benton, 2013, S. 18.
[06] Dumont d’Ayot/Benton, 2013, S. 21.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

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