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db deutsche bauzeitung 10|2015
Südtirol
db deutsche bauzeitung 10|2015

Mit Weitblick

Erweiterung eines Weinguts in Völs am Schlern (I

Ein Paarhof am Hang, bestehend aus Wohnhaus und Stadel — ein ortstypisches Bild, das sich das Weingut auch nach der Erweiterung bewahrt hat. Der Neubau ersetzt den »Vorgängerstadel« an der selben Stelle und mit unwesentlich größerer Kubatur, was das Hof-Ensemble aber sehr gut verträgt.

11. Oktober 2015 - Ulrike Kunkel
Kommt man Anfang August aus dem brütend heißen Bozener Talkessel ins Eisacktal hinauf Richtung Völs am Schlern zum Weingut »Bessererhof«, versteht man die Bedeutung des Worts Sommerfrische sofort; es überrascht nicht, dass für den deutschsprachigen Raum die besonders frühe Verwendung des Begriffs gerade von hier überliefert ist, wo die Bewohner den heißen Talkessel in den Sommermonaten gen Ritten, St. Konstantin oder eben Völs verlassen: immer noch warm, geht ein angenehmes Lüftchen und die Nächte bringen verlässlich Kühle. Zusammen mit den besonderen Böden, ist es genau diese Kombination, die dem Bessererhof, dem südlichsten Weingut im Eisacktal, seine besonderen Weine beschert.

Das ortstypische Paarhof-Ensemble liegt in imposanter Hanglage inmitten von Weinreben und Apfelplantagen. Mit einer Produktion von 40 000 Flaschen pro Jahr und neun unterschiedlichen Sorten gehört das Weingut zu den mittleren Betrieben Südtirols. Umso erstaunlicher, dass bis zur Einweihung des neuen Wirtschaftsgebäudes mit der Ernte 2014 die gesamte Weinverarbeitung einschließlich kleinerer Verkostungen und der anfallenden Verwaltungs- und Büroarbeit recht beengt im Keller des Wohnhauses der Familie und im Haus selber untergebracht waren. Der Wunsch nach einem gesonderten, großzügigen Produktionskeller entstand, und die Bauherren beauftragten den Architekten Theodor Gallmetzer, von dem sie u. a. den »Weinraum Kobler« in Margreid (s. db 9/11, S. 30) kannten, mit der Planung.

Architektonische und landschaftliche Bezüge

Das neben dem Wohnhaus gelegene, ehemalige Wirtschaftsgebäude aus den 60er Jahren erwies sich als ungeeignet, um es den heutigen Anforderungen anzupassen und entsprechend umzubauen; also entschied man sich für einen Abriss und anschließenden Neubau mit sehr ähnlichen Proportionen an derselben Stelle. Zum einen war es eine Auflage der Gemeinde, das charakteristische Erscheinungsbild als Paarhof zu erhalten, zum anderen auch das Anliegen des Architekten: »Ich wollte ein Gebäude realisieren, das sich nicht zwanghaft vom Bestand und vom Vorgängerbau abhebt, aber auch nicht anbiedernd auftritt. Mein Ziel war es, eine zurückhaltende, dabei aber eigenständige und eindeutig zeitgenössische Sprache zu finden, die ortstypische Architektur-Merkmale aufnimmt, sie aber nicht einfach kopiert.« Und so formuliert und interpretiert das neue Wirtschaftsgebäude gewohnte Architektur-Elemente und Materialien geschickt neu und komplettiert dadurch das Hof-Ensemble.

Als ortstypisch lassen sich im Wesentlichen vier Merkmale ausmachen: die Gliederung des Baukörpers in zwei Bereiche, die ihrerseits in unterschiedlichen Materialien ausgeführt sind – der untere gemauert, der obere in Holz. Außerdem springt das obere Geschoss des zum Haus gehörenden »Stadels« hervor und besitzt einen Balkon. Gallmetzer nimmt die klassische Zweiteilung und die wechselnden Materialien auf, verwendet aber Beton für den Sockel und Streckmetall aus Corten-Stahl als Bekleidung für den in Holzkonstruktion errichteten Aufbau; dieser kragt aus, und die schlanke Balkonkonstruktion ist gleichzeitig seitliche Erschließung, die den Zugang zum Gebäude im ersten Stock ermöglicht. Auf einen zentralen Eingang wurde bewusst verzichtet. Über die großen Glasfenster und -türen werden dem Besucher von dem Erschließungsbalkon aus zudem Einblicke in das Gebäude gewährt, auch wenn die Besitzer nicht vor Ort sind: eine offene und einladende Geste.

Die leichte Rosafärbung des Betonsockels überrascht nur im ersten Moment; beim Blick hinauf zu den Felswänden der Dolomiten wird der Bezug klar: Der mit Eisenoxidpigmenten gefärbte Beton lehnt sich an das Porphyr-Gestein der Berge an. Unterstützt wird die Verwandtschaft noch durch die grobe Körnung und die raue, zerklüftete Oberfläche der vorbetonierten Sichtbetonschale, von der nach der Trocknung mit einem Hochdruck-Wasserstrahl mit ca. 2 000 Bar rund 1,5 cm wieder abgetragen wurden – Gesteinsverwitterung im Zeitraffer. Doch es gibt sogar noch einen weiteren Bezug: Die Textur des Betons erinnert an die Weinstein-Ablagerungen in den Fässern. ›

Wein-Unterwelt

Das Herzstück des Gebäudes ist in gewisser Weise aber der Keller. Schließlich findet hier die Weinproduktion und -lagerung statt. Ein Treppensystem, das um die Hauptmauer herum gebaut ist, erschließt jede Ebene (Lager, Weinproduktion, Anlieferung/Verkostung). Den eigentlichen Weinkeller, der genau genommen im EG liegt, betritt man über eine Art Kanzel; von hier aus lässt sich der große Raum mit seinen Stahl- und einigen Holzfässern wunderbar überblicken. Treppe und Innenwände sind in glattem Sichtbeton ausgeführt und haben dieselbe Pigmentierung wie die Außenwand. Die Deckenleuchten sind sehr sauber in den Beton eingelassen, die Epoxidharzbeschichtung des Bodens ermöglicht ihn hygienisch einwandfrei zu halten. Der Keller schiebt sich in den Hang hinein, wobei ein schönes Detail die Aussparung in der hinteren Wand ist, wodurch der Blick auf den Fels freigegeben wird. Ursprünglich war diese Wand sogar gar nicht vorgesehen, sondern der Fels sollte die Rückwand bilden. Die Tragkraft erwies sich allerdings als nicht ausreichend.

Durch die konstante Temperatur des umgebenden Erdreichs von ca. 12 °C und die zweischalige Betonkonstruktion liegt die Raumtemperatur sommers wie winters um die 15 °C und ist damit optimal für die Weinproduktion. Mit Flaschen- und Weinlager sowie Technikräumen und einem Raum für eine eventuelle Schnapsbrennerei liegt der weitaus größere Teil des Gebäudes unterirdisch. Nur gut 1 000 der insgesamt 4 000 m³ schauen aus der Erde heraus; etwas mehr als beim Vorgängerbau, was das Ensemble aber nicht aus dem Gleichgewicht bringt.

Weinverkostung mit Ausblick

Taucht man aus der Wein-Unterwelt wieder auf, wird man im talseitig gelegenen, angenehm proportionierten Verkostungsraum mit dem grandiosen Blick über das Eisacktal belohnt. Auf dem vorgelagerten, großzügigen Balkon schwebt man über den Weinbergen. Einziger Wermutstropfen ist die nicht unerhebliche Geräuschkulisse der Brennerautobahn, die dem Tal schon ziemlich zusetzt und die sich nur schwerlich ausblenden lässt. Im Verkostungsraum selber bestimmen warme, natürliche Materialien und Farben die Atmosphäre. Zunächst fallen die erlesenen Tischlermöbel auf. Barhocker, Theken und bewegliche Korpora, die sich je nach Bedarf frei anordnen lassen, wurden nach den Entwürfen des Architekten aus Eiche gefertigt. Erst dann entdeckt man den individuellen Fußboden: handwerklich gefertigte, gegossene, dann geschliffene Fliesen wieder aus demselben Beton. Im rötlich-braunen Lehmputz der Wände glitzern feine Glasbeimischungen und über allem schwebt die hölzerne Lamellendecke aus Nussbaum, Eiche und Birke, in die Beleuchtung und Belüftung integriert sind und die akustisch wirksam ist. Ein kleines Labor und das nun endlich adäquate Büro der Winzerin mit einem inszenierten Ausblick nach Schlern und zu den Weinreben der Familie hinauf schließen sich an. In beiden Räumen wurde ein heller, glatt abgezogener Lehmputz verwendet.

Doch selbst ein Besuch der sanitären Anlagen lohnt: Die Wände aus gehobelten Fichtenbrettern sind im Vorraum mit der »Lege« (Rückständen) aus den Weinfässern gestrichen und erhalten davon ihre satte rote Farbe. Von dem kleinen Vorraum aus gelangt man auch zur Anlieferung und zur Abladestation der Trauben auf der Rückseite des Gebäudes. Die Trauben werden hier von den Kämmen befreit und über Schläuche direkt in die darunter liegenden Stahlfässer gefüllt.

Der Erweiterungsbau des Weinguts Bessererhof besticht durch seine gelungene Einbettung in die Landschaft und die überzeugende Interpretation der ortstypischen Bautradition. Die bemerkenswerte Entwurfssorgfalt und die Verarbeitungsqualität der Materialien sind eine Freude.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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