Zeitschrift

TEC21 2015|49
Gebäudebetrieb zwischen Anspruch und Wirklichkeit
TEC21 2015|49
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Einfahren, justieren und optimieren

Muss die Inbetriebnahme von Gebäuden besser kontrolliert und länger betreut werden? Fünf ausgewählte Beispiele veranschaulichen, wie ein Performance Gap mit technischen, organisatorischen, kommunikativen und sozialen Massnahmen überbrückt werden kann.

4. Dezember 2015 - Paul Knüsel
Die Leistungen eines Gebäudes im Betriebszustand lassen sich unterschiedlich erfassen. Physikalische Parameter zum Raumklima, Schallschutz, zur Belichtung oder Energieeffizienz sind einheitlich messbar; Komfort, Wohlbefinden oder Aufenthaltsqualität spiegeln sich dagegen in den Nutzerangaben wieder. Im optimalen Fall ergänzen sich die objektiven und subjektiven Befunde zum plausiblen Gesamturteil, wie gut ein Gebäude effektiv funktioniert. Solche Erhebungen sind von handfestem Vorteil: Hoher Komfort am Arbeitsplatz sorgt für zufriedene, leistungsbereite Arbeitnehmer. Trotzdem befassen sich nur wenige ausserhalb der Forschung mit der Qualität kommerziell genutzter Bauten.[1] Ein analoges Dilemma scheint die Bilanz bei Energieeffizienzanstrengungen zu trüben. Oft werden höhere Baukosten für eine verbesserte energetische Performance in Kauf genommen; beim Nachweis des erhofften Zusatznutzens im Gebäudebetrieb wird dagegen häufig gespart.

Dass die Qualitätssicherung in der Praxis auf wachsendes Interesse stösst, ist auch eine Folge verkürzter Innovationszyklen im Gebäudebereich[2]: Das verlangte Plus an Raumkomfort und Energieeffizienz verursacht vielfach einen höheren technischen Ausstattungsgrad und den Einsatz von Technologien und Baustoffen, deren Funktionalität langfristig nicht erprobt ist. Die fünf im folgenden beschriebenen Gebäude zeigen das grosse Verbesserungspotenzial, wenn sich Bauherrschaften, Architekten und Fachplaner gemeinsam um eine umfassende Nachbetreuung kümmern.

FHS St. Gallen: zwei Jahre Nachbetreuung

Seit Semesterbeginn 2013/2014 gehen über 3000 Studierende im neuen Zentrum der Fachhochschule St. Gallen, unmittelbar neben dem Hauptbahnhof, ein und aus. Die 19 000 m² grosse Nutzfläche wird unter anderem von Vorlesungssälen, Seminarräumen sowie einer mehr­geschossigen Mediathek belegt. Wahrzeichen ist der 65 m hohe Turm, in dem Dozentenschaft und Verwaltung ihre Büros eingerichtet haben, und der aus einem fünfgeschossigen Sockel ragt (vgl. TEC21 7-8/2014). Planung und Ausführung des Fachhochschulzentrums dauerten zehn Jahre. Mindestens zwei weitere Jahre Zeit nahm sich die Bauherrschaft, das kantonale Hochbauamt, um die Nachbetreuung der Gebäudetechnik sicherzustellen. Seit der Eröffnung wurden deshalb nicht nur Garantiefälle behoben, sondern auch ein Optimierungs- und Nachjustierungsprogramm inklusive Erfolgskontrolle durchgeführt.

Ein hybrides System aus Geothermie und Erdgas versorgt das FHS-Zentrum mit Wärme. 30 Erdsonden liefern die Grundwärme für die zentrale 244-kW-Sole-Wasser-Wärmepumpe; bei Bedarf schaltet sich ein 540-kW-Gas-Brennwertkessel zu. Aufgrund der anwesenden Personen und des IT-Geräteparks sind die Räume zeitweise auch an kalten Tagen abzukühlen. Dazu trägt ebenfalls eine kombinierte Anlagegruppe bei. Als primäre Kältesenke wird das Erdsondenfeld genutzt; die Abwärme wird in einem Geocooling-Kreislauf abtransportiert. Zusatzbedarf und Leistungsspitzen decken Kältemaschinen ab, die mit Strom betrieben sind. Das gegenseitige Zusammenspiel im Alltagsbetrieb wurde allerdings unerwartet gestört: Der integrierte Frostalarm brachte den erdgekoppelten Kühlkreislauf wiederholt zum Stillstand, obwohl dies nicht erforderlich war. Die Geocooling-Blockade löste wiederum den Einsatz der Kältemaschine aus, weshalb der effektive Stromkonsum höher war als der berechnete Bedarf. Erst ein zusätzlicher Temperaturregler brachte die Einsatzbedingungen im bivalenten Kühlsystem wieder ins energieeffiziente Gleichgewicht.

Nach der ersten Heizsaison fiel zudem auf, dass auch für die Raumheizung mehr Wärme bereit gestellt werden musste, als im Minergienachweis für das FHS-Zentralgebäude berechnet worden war. Tatsächlich war dies auf fünf weitere betriebliche und technische Gründe zurückzuführen: Entgegen der definierten Normnutzung (werktags von 8 bis 22 Uhr) finden jeweils auch am Samstag Kurse statt. Zudem wird ein behagliches Unterrichtsklima im realen Alltag mit 22 °C warmen Räumen gleichgesetzt; in den Büros liegt die Wunschtemperatur oft bei 23 °C. Demgegenüber beträgt der Planungswert nur 20 °C. Und im Vergleich zur Planungskalkulation gehen die Nutzer im Alltag auch mit den Storen anders um: Der Blendschutz erhält im Winter so viel Vorrang, dass die externe Wärmeeinstrahlung effektiv geringer ausfallen kann als geplant. Die Heizgrenze in gut gedämmten Gebäuden ist derweil grundsätzlich schwierig zu bestimmen; im FHS-Gebäude schalteten sich die Heizgruppen unnötigerweise auch an einzelnen kühlen Sommertagen ein. Und zu guter Letzt liefen sämtliche 16 Lüftungsanlagen nach Inbetriebnahme mit höchster Austauschrate. Aufgrund der in der Planung üblichen Annahme: Die Räume sind maximal belegt.

Solche Lücken zwischen Planung und Betrieb von haustechnischen Anlagen und Einzelkomponenten sind oft saisonal und betriebsbedingten Bedürfnissen zuzuschreiben. Daher ist zur Optimierung meistens ein Mix aus organisatorischen und technischen Massnahmen erforderlich. Die automatische Steuerung des Sonnenschutzes kennt nun ein Winterszenario, um die Solargewinne nicht weiter zu verringern. Die Heizgruppen sind von Mai bis September Off gestellt. Und die Lüftungsanlagen sind raumspezifisch an die Belegung angepasst und laufen bei geringem Bedarf mit leicht reduziertem Volumenstrom.

Ein Knackpunkt im FHS-Gebäudetechniksystem war das Laden der Energiespeicher, weil dafür eine bivalente Wärmeerzeugungsanlage mit unterschiedlichen Lastprognosen zuständig ist. Wärmepumpe und Gaskessel brachten sich gegenseitig aus dem Takt und verursachten ein abwechselndes Stop-and-Go. Nun hat die Speichersteuerung eine klare Prioritätsstrategie erhalten: Meldet das System von irgendwoher Heizwärmebedarf, schaltet zuerst die Wärmepumpe ein. Und erst ab einer definierten Temperaturschwelle im Heizungsvorlauf liefert der Gaskessel zusätzliche Energie nach. Dank der Nachbetreuung ist der fossile Versorgungsanteil von 30 % auf unter 15 % gesunken.

Auch die Hydraulik der verschiedenen Heiz­kreislaufgruppen wurde einem Optimierungscheck unterzogen. Anlass war eine Beeinträchtigung des Behaglichkeitsniveaus in einzelnen Räumen, weil die Sollwerttemperaturen nicht erreicht werden konnten. Der Grund war ein ungenügender Abgleich im Vorlauf respektive der angeschlossenen Pumpen und Ventile. Auch hier war der entscheidende Eingriff, die Einstellungen an die effektiven Gegebenheiten anzupassen.

Bei solchen Optimierungs- und Nachjustierungsleistungen ist anfangs nicht immer eindeutig ersichtlich, ob eine korrekte, bedarfsgerechte Einstellung der Anlagen bereits ab Inbetriebnahme erwartet werden darf. Um Leistungseinbussen oder Funktionsstörungen nachträglich aufzudecken, ist daher ein Monitoringsystem hilfreich, das detaillierte Betriebsdaten für die Auswertung dokumentiert und zur Plausibilisierung des Anlagenbetriebs bereithalten kann. Zudem ist genügend Zeit für die Abschlussphase komplexer Bauvorhaben zu resevieren. Für Nachbetreuung und Erfolgskontrolle hat das Hochbauamt des Kantons St. Gallen sogar dasjenige Planungsbüro beigezogen, das bereits für Planung und Fachbauleitung verantwortlich war.

Toni-Areal: Jedes Feedback wird geprüft

Das Toni-Areal in Zürich-West hat sich vom Milchverarbeitungsbetrieb über eine Industriebrache zur «Künstlerstadt» verwandelt (vgl. TEC21 39/2014). 5000 Studierende, Lehrpersonen und weitere Schulangestellte bevölkern seit letztem Herbst diesen Gebäudekomplex täglich, dessen rund 9 ha grosse Nutzfläche mit etwa 1800 Ausbildungsräumen und 100 Wohneinheiten belegt ist. Hauptmieter sind nun die Zürcher Hochschule der Künste und die Zürcher Hochschule der Angewandten Wissenschaften. Weiterhin gleicht der Betrieb einer brummenden Multifunktionsmaschine. Rege wird die neue Umgebung kommentiert. Grundsätzlich schätzen die aktuellen Nutzer Ausstrahlung und Angebot; Räume, Innenklima und Akustik werden aber auch kritisch beäugt. Einzelne teilen durchaus mit, was nicht passt: Warum ist die Raumluft stickig? Oder wieso fröstelt man während des Unterrichts? Solche Hinweise hat die Betriebsabteilung des Toni-Areals im ersten Jahr mehrfach erhalten. «In neuen Gebäuden ist mit solchen Rückmeldungen zu rechnen. Relativ zur Objektgrösse hält sich die Kritik jedoch im Rahmen», sagt Urs Stoll, FM-Verantwortlicher der Allreal Toni AG, Besitzerin und zuständig für den Betrieb. In der Fachliteratur liegt die durchschnittliche Unzufriedenen-Quote bei 10 %.

Im Toni-Areal werden die Beschwerden ernst genommen: Auf dem ZHDK-Onlineportal ist eine Feedbackwand aufgeschaltet. Und ein Ticketingsystem sammelt positive und negative Stimmen. Gemäss Allreal-Vertreter Stoll wird jede subjektive Beanstandung baulich und technisch überprüft und mit den vertraglichen Miet- und Komfortbedingungen verglichen. In einem Fall war die Raumtemperatur anscheinend zu gering. Der Sensor zeigte jedoch einen Wert von 22 °C an, was der Nutzungsnorm entspricht. Allerdings wurde die klimatische Wahrnehmung gestört. «Raumhohe Fenster können unbehaglich empfundene, interne Konvektionsströme verursachen», erklärt Stoll. Ein anderes Mal wurde die zu geringe Raumluftfeuchte in einem Musikzimmer mit Flügel beanstandet. Hier stellte sich heraus, dass in der Bestellung die Zahl der Befeuchtungsanlagen aus Kostengründen reduziert worden war.

Die Nutzungsvielfalt und die Belegungsfrequenz bedingen, dass das Klima vieler Räume individuell und spezifisch zu regulieren ist. Grundsätzlich besteht die Gebäudetechnik aus bewährten Komponenten: 93 Lüftungsanlagen wechseln die Raumluft bedarfsgerecht aus. Bei erhöhter Abwärme sorgen Kühldecken und drei Kältemaschinen für angenehme Temperaturen. Die Heizanlage verbindet den zentralen Fernwärmeanschluss mit den Heizkörpern oder der Bodenheizung in den einzelnen Räumen. Und raumspezifische Befeuchtungsanlagen schützen empfindliche Musikinstrumente und Kunstgegenstände. Ein integrales Gebäudeleitsystem koordiniert und kontrolliert die Funktionen und meldet allfällige Störungen.

Im ersten Betriebsjahr «waren das Nachjustieren und das Beheben von Kinderkrankheiten ein Alltagsjob», so Urs Stoll. Und weil die klimatischen Bedingungen noch nicht überall so sind, wie sie sein sollten, werden weitere Nachbesserungen folgen. Gesamthaft ist der Optimierungsaufwand gemäss Stoll bislang überschaubar. Auch die hohen bau- und raumakustischen Anforderungen sind erfüllt. Die wichtigsten Knackpunkte wurden vorab in einem Mock-Up-Raummodul überprüft. Und nachträgliche Schallmessungen deckten auf, welche Schwachstellen noch auszubessern sind. Im nächsten Sommer findet die Abnahme für die 2-Jahres-Garantie statt; bis dann werden weitere Erfahrungswerte im Toni-Areal gesammelt. Erst wenn sich ein stabiler Nutzungsfahrplan eingespielt hat, «kann der Betrieb der HLK-Gewerke und der Gebäudeautomation bedarfsgerecht optimiert werden», so Stoll.

Das Einfahren der technischen Systeme braucht im derart vielfältig genutzten Gebäude seine Zeit. Zur Qualitätssicherung wurde eigens eine mehrmonative «Implementierungsphase» definiert. Damit ist die geordnete Übergabe der Verantwortlichen zwischen Bau und Betrieb gemeint. Zudem unterstützt die Generalunternehmung mit ihrem Fachwissen die nun aktiv gewordene Betriebsorganisation.

MFH Habsburg: Hausbewohner helfen mit

TEC21: Welche Kluft ist zwischen Planung und Betrieb im Wohnhaus Habsburgstrasse aufgetreten?
Koni Osterwalder: Da der Gesamtverbrauch in Echtzeit gemessen wird, fiel auf, dass die effektiven Energiewerte zeitweise bis 50 % über dem Planungsziel lagen. Dies einerseits, weil die Einstellungen der Gebäudetechnik bei Inbetriebnahme zu hoch gewählt wurden; andererseits aber auch, weil wir als Nutzer des Gebäudes wenig sensibilisiert sind.

Was haben Sie für die Optimierung gemacht?
Heizung, Warmwassersystem und Lüftung wurden an den effektiven Bedarf angepasst. Bei der Inbetriebnahme waren die Anlagen auf maximale Leistung eingestellt; ein bedarfsgerechtes Einfahren gehört nicht zum Standardrepertoire in der Haustechnikbranche. Wenn wir nicht aus eigenem Antrieb ein Messsystem installiert hätten, wäre dies nicht einmal aufgefallen. Was mich zusätzlich stört: Die Funktionsweise der Anlagen wurde bei der Schlüsselübergabe nicht erklärt. Offensichtlich werden die Schnittstellen zwischen Planung und Betrieb oder zwischen Technik und Nutzer zu wenig thematisiert.

Sie haben am Novatlantis-Bauforum an der ETH Zürich skizziert, wie die Schnittstellen reibungsloser werden könnten. Was muss die Planung dafür leisten?
Die Phase der Inbetriebnahme sollte zwei Jahre dauern, um eine Optimierung der Anlagen vorzunehmen. Von den Planern würde ich mir wünschen, dass eine integrale Planung von HLK-Gewerken und Elektrizität vorgenommen wird; statt die Anlagen autonom zu betrachten. Doch es geht nicht nur um technische Fragen. Sobald ein Haus bewohnt wird, bestimmen soziale Aspekte die Betriebsper­formance mit: Wie interagiert der Nutzer mit der Technik? Oder welche Anreize erhält ein Bewohner, weniger Energie zu konsumieren? Diese Schnittstellen prägen den effektiven Energiekonsum im Alltag.

TEC21: Wie lassen sich Wohnungsmieter für ein ökologisches Verhalten gewinnen?
Ich will niemanden erziehen und verlange von den Mietern auch nicht, sich für etwas zu verpflichten, was ihnen selbst widerstrebt. Sobald sich eine Optimierung spürbar auf die Nebenkosten auswirkt, sollte eigentlich ein Anreiz dazu vorhanden sein. Die Kosteneinsparnis ist allerdings nicht das wichtigste Argument. Wir zeigen daher auf, wie der persönliche Wohnkomfort maximiert werden kann. Ein internes Onlineportal visualisiert den Zusammenhang
zwischen Behaglichkeit und Verbrauch, so dass jeder Mieter seine persönliche Abwägung treffen kann.

Wird ein energieeffizientes Wohnhaus bestellt, soll sich dies im Betrieb zeigen. Sie bemängeln, dass sich darum sozial und technisch niemand wirklich kümmert. Was können Vermieter dafür tun?
Weil die Performance eines Wohnhauses letztlich vom Engagement der Hausbewohner beeinflusst wird, muss der Vermieter den Dialog mit den Nutzern suchen. Zusammen mit einem Hausbewohner wurde daher ein Monitoringsystem mit Feedbackfunktion realisiert. Dieses hat die interne Diskussion über den Ressourcenkonsum lanciert. Darüber hinaus braucht es aber strukturelle Anreizmodelle, beispielsweise ein Betriebsenergielabel oder ein energieverbrauchsabhängiges Honorar für professionelle Hausverwaltungen.

EBP: gutmütige Büro- und Bürgerhäuser

Den Auftakt zur Mühlebachstrasse im Zürcher Seefeldquartier bildet eine grossbürgerliche Gebäudezeile. Von 1923 bis 1926 erbaut, sind die Merkmale der Bürgerhäuser wie Erker, Sockel und Mansardendach bis heute erhalten geblieben. Allerdings begann vor etwa 50 Jahren ein Wandel von der Wohn- zur Büronutzung. Inzwischen arbeiten über 200 Spezialisten aus Planung, Beratung, Bau, Informatik und Kommunikation an der Mühlebachstrasse 9–17; die Gebäude sind nun im Besitz von Ernst Basler und Partner AG (EBP), einer international tätigen Ingenieur- und Beratungsfirma. Die Erneuerung des Geschäftssitzes wurde 1994 in Angriff genommen; Umbau und punktuelle Erweiterung folgten in Etappen. Dabei geht es darum, den klimatisch gutmütigen Charakter der Gebäudehülle zu erhalten. Gleichzeitig soll die ökonomische Bewirtschaftung mit einem ökologischen Gebäudebetrieb verbunden und den Mitarbeitern möglichst leistungsfördernde Bedingungen und hoher Arbeitsplatzkomfort angeboten werden. Die bauliche und technische Sanierung dient auch als internes Erfahrungs- und Forschungsfeld.

Tatsächlich sind die Anforderungen an die Behaglichkeit gestiegen: Wurden die Büro- und Serverräume am EBP-Sitz anfänglich über eine Fensterlüftung natürlich gekühlt, ist seit 2012 ein aktives Kühlsystem mit Erdsonden in Betrieb. Forscher der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) hatten zuvor bei einer Befragung der Mitarbeiter vor Ort herausgefunden, dass ein zu hohes Temperaturniveau im Sommer – zu Recht – beanstandet wird. Die ZHAW befasst sich im Rahmen eines KTI-Projekts mit der «Qualität von nachhaltigen Bauten»[3]; eine vergleichbare Qualitätsanalyse fand an über 20 Bürobauten statt.

Die Ergebnisse der ZHAW-Studie begünstigten weitere betriebliche Verbesserungen am EBP-Geschäftssitz: Weil die geringen Einflussmöglichkeiten am ursprünglichen Haustechniksystem bemängelt wurden, lässt sich nun individuell auf das erneuerte Gebäudeautomations- und Leitsystem zugreifen. Ein internes Betriebsportal stellt dazu den aktuellen Anlagemodus visuell verständlich dar und vergleicht die raumklimatischen Echtzeitdaten mit den Sollwerten. Die bisherige Gebäudeautomation ist erst 15 Jahre alt; aber auch technisch reif für den Austausch gewesen. Mehrere Steuerungskomponenten sind bereits ausgefallen, so dass manuelle Thermostatknöpfe an die Heizradiatoren als verlässlicher Ersatz angebracht wurden. Insofern hat ein Gebäudetechniksystem folgende Qualitätsfaktoren zu erfüllen: «Es braucht zuverlässige Komponenten, eine einfach verständliche Steuerung sowie ein funktionierendes Zusammenspiel mit den baulichen und architektonischen Gegebenheiten», sagt Heinz Richter, Leiter des EBP-Geschäftsbereichs Energie+Technik und Verantwortlicher für die Liegenschaften Mühlebachstrasse.

Der Umbau der Bürohäuser soll aber nicht nur den Energiebedarf reduzieren, sondern letztendlich auch die fossilfreie Versorgung ermöglichen. Das bisher Erreichte demonstriert beispielhaft, wie rasant der technische Fortschritt diesbezüglich geworden ist. Anfänglich betrieb man die Gebäudeheizung exklusiv mit Erdgas. Vor 15 Jahren ist ein Blockheizkraftwerk installiert worden, um Wärme und Strom mit höherer Gesamtenergieeffizienz zu erzeugen. Und vor 5 Jahren folgte der Einbau von 18 Erdsonden, anlässlich der Erneuerung von Haus Mühlebachstrasse 17. Der Untergrund deckt nun den energetischen Grundbedarf für das an eine Wärmepumpe gekoppelte Heiz- und Kühlsystem ab. Auf die Gasheizung wird nur noch bei Spitzenlast zugegriffen; das Abschalten dieser Anlage steht demnächst an.

Monte-Rosa-Hütte: 80 %-Inselversorgung

«Ein autarkes Bauwerk im hochalpinen Raum» war das Geburtstagsgeschenk der ETH Zürich zum eigenen 150-Jahre-Jubiläum. Der Schweizerische Alpenclub (SAC) hat dadurch die viel beachtete neue Monte Rosa Hütte in den Walliser Alpen erhalten (vgl. TEC21 41/2009). Die Eröffnung fand im Herbst 2009 statt; ab Frühjahr 2010 begann der hochalpine Hotelleriebetrieb mit 120 Schlafplätzen und höchstem Komfort. Die sechsgeschossige Unterkunft auf 2883 m ü. M. erfüllt das Minergie-P-Zertifikat; der Wärmebedarf ist äusserst gering. Über die grossflächigen Fensterbänder wird die Sonnenenergie passiv genutzt; den Zusatzbedarf deckt eine 56 m² grosse thermische Solarkollektorfläche. Sie ist unterhalb der Hütte montiert und versorgt vor allem das Warmwassersystem. Die Lüftungsanlage verteilt derweil die Raumwärme im Innenbereich.

Lüftung, Beleuchtung und Abwasserkläranlage sind jedoch auf Strom angewiesen, der vorwiegend vor Ort erzeugt wird. Das Produktionssystem besteht aus der 110 m² grossen PV-Anlage (16 kWp) an der Südfassade, dem Biodiesel-Blockheizkraftwerk (18 kWth/10 kWel) und einer Bleibatterie (Kapazität: 255 kWhel). Ein automatisiertes Gebäudeleitsystem steuert Be­triebs­zeiten, Lastmanagement und Speicherbewirtschaftung. Der Algorithmus folgte ursprünglich dem Plan, den Energiebedarf zwei bis drei Tage im Voraus abzuschätzen und die Prognosen des Wetterdiensts und der Reservationen im Buchungsportal zu berücksichtigen. Zudem sollte das Inselversorgungssystem den Energiebedarf zu 90 % aus lokalen Quellen abdecken; davon ausgenommen ist die Küche. Die «externe» Quelle, per Helikopter angelieferter Biodiesel, war für Notfälle und temporäre Lastspitzen reserviert. Die Planung rechnete mit regem Beherbergungsbetrieb: In der ­bewarteten Zeit, von März bis April und Juni bis September, wurden 6500 Übernachtungs- und 2000 Tagesgäste erwartet.

Die geschätzten Besuchsfrequenzen trafen für die vorletzte Bergsaison (2014) tatsächlich ein. Davor lag der Zuspruch deutlich über den Erwartungen: Im Eröffnungsjahr stieg die Belegung auf 163 %, worauf der interne Deckungsgrad zeitweise unter 50 % sank. Am stärksten wirkte sich dies auf das Abwassersystem aus: Der Bioreaktor war überfordert; die Kläranlage lief fast ununterbrochen und bezog mehr Strom als geplant. Dazu kamen weitere, zu optimistische Annahmen; vor allem Kleingeräte wie Reinigungsmaschine, Handyladestation oder Kühlgeräte verbrauchten effektiv mehr Strom als in der Betriebsprognose. Dagegen hielt sich der Wärmebedarf im bescheidenen Rahmen. Lokal wird bei starker Belegung mehr erzeugt, als für das Beheizen der SAC-Hütte erforderlich ist. Die Lüftungsanlage führt Abwärme nach aussen ab. Überschüsse der thermischen Solaranlage landen in der Frischwasserkaverne.

Das Institut für dynamische Systeme und Regelungstechnik am Maschinenbaudepartement der ETH Zürich führte eine mehrjährige Überwachungsphase und eine Projektoptimierung durch. Zum einen wurden die Energieerträge erhöht: Am Hang sind zusätzliche PV-Module (8 kWp) installiert; zudem wurde die Schaltung der Gleichstrommodule verbessert und die Batterieladestation ersetzt. Zum anderen verbraucht die Kläranlage ohne Qualitätseinbusse weniger. Seit der Bergsaison 2015 werden 80 % des Strombedarfs selbst produziert, inklusive Küchenbetrieb.

Das vorausschauende Energiemanagement wurde allerdings durch ein statisches Versorgungsmodell ersetzt, weil die Besucherzahlen konstant hoch sind und die Kläranlage kontinuierlich im Einsatz ist:
Das Blockheizkraftwerk läuft spätestens jeden dritten Tag an, um die Batterie zu laden. Für nicht bewartete Betriebszeiten reicht die vor Ort produzierte und
gespeicherte Energie, sogar ganz. Der Notschlafraum ist im Winter beheizt.

Sechs Jahre nach Eröffnung der Monte-Rosa-Hütte hat sich eine Inselversorgung etabliert, die die Energieproduktion aus elektrischer und thermischer Solaranlage und Blockheizkraftwerk kombiniert; vergleichbare Varianten werden inzwischen auch in anderen hochalpinen Schutzhütten in Frankreich und Österreich eingesetzt.


Anmerkungen:
[01] Nutzerzufriedenheit in Bürogebäuden, Empfehlungen für Planung und Betrieb; Wagner, Höfker, Lützkendorf, Fraunhofer Irb Stuttgart 2015.
[02] ICT for a Low Carbon Economy; Smart Buildings; European Commission, 2009.
[03] Qualität von nachhaltigen Bürogebäuden, Leitfaden ZHAW 2015; www.nachhaltigebueros.ch.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: