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TEC21 2016|07-08
Asylunterkünfte: Integration im Städtebau
TEC21 2016|07-08
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Theoretisch ist es einfach»

Der Neftenbacher Gemeinderat Urs Wuffli kritisiert die bestehenden Asylunterkünfte. Um in Zukunft genügend und vor allem menschenwürdige Unterkünfte zu gewährleisten, müssten Bauvorschriften gelockert und neue bauliche Lösungen gefunden werden.

13. Februar 2016 - Danielle Fischer
TEC21: Herr Wuffli, Sie haben Asylunterkünfte in verschiedenen Gemeinden besucht und dokumentiert. Wie war Ihr Eindruck?
Urs Wuffli: Die Gemeinden sind beim Bau der Unterkünfte von einer temporären Nutzung ausgegangen. Unterdessen haben sich viele Familien vergrössert, in einem Studio für eine Person leben zwei oder mehr Leute. Zum Teil sind die Wohnungen so eng, dass eine schulische Integration bei Kindern fast nicht möglich ist – sie haben zum Beispiel keinen Platz zum Lernen. Eine Familie bewohnt seit sechs Jahren eine Wohnung mit einem Korridor von 50 cm Breite – das ist mühsam im täglichen Gebrauch. Oder eine dreiköpfige Familie hat in ihrer Küche seit sechs Jahren nur eine Kochplatte. In Neftenbach gibt es im Moment noch bessere Lösungen. Aber alle Liegenschaften, die der Gemeinderat freigegeben hat, sind belegt, und Private können wir nicht zwingen, etwas zu vermieten.

TEC21: Wie viele neue Asylunterkünfte braucht es?
Urs Wuffli: Auf Januar 2016 hat der Bund die Aufnahmequote von 0.5 auf 0.7 % pro Tausend Einwohner erhöht. Auf den Kanton Zürich mit 1.45 Mio. Einwohnern fallen so 2900 Plätze. Für Neftenbach sind dies elf neue Leute. Hinzu kommen jene 13, die einen positiven Asylentscheid erhalten haben. Zudem wird oft vergessen, dass Gemeinden sich auch um die Unterkünfte von Leuten im Tief­lohn­segment, Rentnern mit wenig Geld und den Working Poor kümmern muss.

TEC21: Was sieht das Unterbringungskonzept vor?
Urs Wuffli: Wenn die Flüchtlinge von den Kantonen auf die Gemeinden verteilt werden, dann haben sie den Status N (Asylsuchende). Und nachher gibt es einen Asylentscheid, der lautet «vorläufig aufgenommen», oder «anerkannter Flüchtling». Das Konzept sieht vor, dass sie nach der ersten Unterkunft in eine Wohnung ziehen. Theoretisch ist das einfach, aber in der Realität funktioniert es nicht mehr. Wir haben in einem Haus Leute mit Status N, F oder B (vgl. Kasten unten), und wir haben innerhalb bestimmter Mietzins­limiten, bei einem Leerwohnungsbestand von praktisch null, keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Wenn doch einmal eine Wohnung frei wird, dann sind die Widerstände der Besitzer oft gross, diese an Asylsuchende oder Flüchtlinge zu vermieten.

TEC21: Müsste man anstelle temporärer in Zukunft permanente Unterkünfte bauen?
Urs Wuffli: Das wäre ein zukunftsweisender Weg. Das Temporäre funktioniert nicht mehr. Bisher war man der Ansicht, dass Asylanten kurzfristig auch in einfachen Verhältnissen leben können. Aber wir haben Leute, die sind als Flüchtlinge aufgenommen worden, und sie leben seit 15 Jahren in ähnlichen Unterkünften. Man sollte so bauen, dass die Menschen zumutbaren Wohnraum haben, auch wenn sie dort bleiben und Kinder bekommen.

TEC21: Wie müsste ein solcher Neubau konkret aussehen?
Urs Wuffli: Wir studieren in Neftenbach ein Projekt, bei dem die Wohnungen flexibel dem Bedarf angepasst werden können. Es gibt Schaltzimmer, um den Bedürfnissen grösserer und kleinerer Familien gerecht zu werden. Das 3.5-m-Raster der Holzrahmenkonstruktion ist breiter als die Container, die oft zu schmal und zu lang sind. Mit dem Mass lässt sich besser planen. Ein ähnlich gebautes Beispiel in Dietlikon zeigt, dass die Häuser von den Leuten besser akzeptiert werden und man weniger benutzerverursachte Schäden hat.

Wichtig ist aber auch der Kostenrahmen. Wenn man permanent baut, dann muss man die Umweltauflagen erfüllen. Das ist nicht der Fall bei Provisorien für bis zu fünf Jahren. Darum sind Billigcontainer verlockend. Doch letztendlich kommen sie teurer – da sie eine Lebensdauer von nur fünf bis zehn Jahren haben. Es ist aber einfacher, dem Stimmbürger an der Gemeindeversammlung etwas «pro rata» für fünf Jahre zu verkaufen, als ihn von einem Bau zu überzeugen, der 20 Jahre stehen bleibt.
Und nach Ablauf der fünf Jahre stellt man fest, dass das Problem mit der Unterbringung immer noch besteht – und man verlängert nochmals um fünf Jahre. Nach zehn Jahren müssen die Bauten dann dringend saniert werden. Falls die Flüchtlingsströme eines Tages abnehmen, könnte man permanente Unterkünfte an Familien in wirtschaftlich kritischen Verhältnissen und mit vielen Kindern vermieten. Es ist auch enorm schwierig, für sie Wohnraum zu finden.

TEC21: Das von Ihnen geschilderte Projekt würde die Gemeinde Neftenbach selber bauen?
Urs Wuffli: Das ist noch nicht entschieden. Wir überprüfen aber, ob ein Investor für uns bauen kann. Obschon solche Bauten nicht viel Rendite abwerfen, kann man damit auch Einnahmen generieren. Natürlich muss man zuerst investieren, aber in den nächsten zehn Jahren werden die Kosten den Gemeinden vom Kanton zurückerstattet. Das kann interessant sein für private Investoren und die Gemeinden entlasten.

TEC21: Planen Sie einen Holzbau, um von der Container­architektur weg zu kommen?
Urs Wuffli: Wir werden das Projekt so materialneutral wie möglich angehen und Varianten durchspielen. Ich bin dafür, dass man permanente Gebäude erstellt. Trotzdem lässt sich der Stimmbürger einfacher überzeugen, wenn man Holzmodule wieder abbauen und versetzen kann.

TEC21: Wie sehen die zeitlichen Rahmenbedingungen für so einen Bau aus?
Urs Wuffli: In der Schweiz haben wir – anders als in Deutschland – mit Gemeindeversammlung, Bau­ausschreibung, Baurekurs lange Prozesse. Wir haben zu wenig Zeit. Gerade haben wir eine ehemaligen Früchtehalle umgenutzt. Baubeginn war der 18. Dezember, und bezogen wurden die Räume am 12. Januar. Wir haben Zimmer und Duschen eingebaut, Laminat verlegt, die Heizung und Elektroanlagen umgebaut und komplett neu möbliert.

TEC21: In Zürich sind an der Röslistrasse 120 Männer unterirdisch in einer Zivilschutzanlage untergebracht.
Urs Wuffli: In diesem Fall muss man überirdische Tagesstrukturen anbieten. Wenn Leute an Leib und Leben bedroht sind, dann müssen wir ihnen ein Dach über dem Kopf geben, das ist klar. Wir können ihnen aber, schon von der Kapazität her, nicht versprechen, dass sie eine perfekte Wohnung erhalten.

TEC21: Was müsste sich an den Entscheidungsprozessen ändern, damit es schneller geht?
Urs Wuffli: Es braucht verschiedene Lockerungen. So zum Beispiel Sonderbauvorschriften ausserhalb der Bauzone – weil man dort für höchstens fünf Jahre einen nicht zonenkonformen Bau erstellen darf. Wenn der Kanton die Kontingente allenfalls noch erhöht und wir nicht ausserhalb der Bauzonen oder erleichtert in einer Gewerbezone bauen dürfen, wird es schwierig. Für die Umnutzung gilt dasselbe. Wenn man einen Industriepark umnutzen will, dann muss das zuerst publiziert werden, und meist werden Rekursmittel ergriffen. Ausnahmebewilligungen sind möglich, aber auch gegen die kann man Rekurs einreichen.

TEC21: Ist mehr Flexibilität gefragt?
Urs Wuffli: Wir sind ein Land, das mit seinen geordneten Abläufen gefordert, wenn nicht gar überfordert ist. Flexibiliät ist nicht unbedingt das, was uns auszeichnet, da können wir von anderen Ländern lernen. Dazu kommt, dass die meisten Leute gar keinen Kontakt zu Flüchtlingen haben, das schürt Vorurteile. Dennoch sind die meisten Flüchtlinge froh, wenn man sie in Ruhe lässt.

TEC21: Das heisst, die vielbeschworene Nutzerdurchmischung ist keine gute Idee?
Urs Wuffli: Nutzerdurchmischung ist denkbar. Aber wenn man in einen 08/15-Block Asylfamilien platziert, ist das problematisch. Ihre Gastfreundschaft ist eine andere als die unsere. Sie besuchen sich gegenseitig oft, und ihr Tagesrhythmus entspricht nicht dem des Schweizers, der morgens um sechs Uhr aufsteht. Sie sitzen abends lang zusammen. Und Leute aus anderen Kulturen sind oft lauter als Schweizer. Das birgt Konfliktpotenzial … Ob man eine Kinderkrippe da reintun will, das ist eine politische Frage. Ich glaube, das geht nicht. Da sagen manche Leute, ich schicke mein Kind nicht zu so ausländischen Männern.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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