Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2018|09
Kunst und Architektur
db deutsche bauzeitung 2018|09

Vielfältiges Kontinuum

»Musée d’arts de Nantes« (F)

Stanton Williams restaurierten und erweiterten das »Musée d’arts de Nantes« mit größter Sorgfalt. Dabei gelang es ihnen, Freiflächen, Kunstwerke, Bestand und Neubauten zu einer Einheit zu verknüpfen, deren Reiz gerade in ihrer Vielfalt liegt. Für den Besucher entsteht so ein Zugewinn an Kunstgenuss, der weit über die reine Erweiterung der Ausstellungsflächen hinausgeht.

4. September 2018 - Roland Pawlitschko
Sieben Jahre nach Baubeginn öffnete das »Musée des Beaux-Arts« in Nantes im Jahr 1900 erstmals seine Pforten. Fast genauso lang dauerte die Res­taurierung und Erweiterung des Museums, ehe es vor gut einem Jahr als »Musée d’arts de Nantes« wiedereröffnet wurde. Von außen hat sich das Palais im ­Beaux-Arts-Stil kaum verändert. Allein der kleine Ehrenhof zur Rue Georges Clemenceau zeigt sich sichtlich neu gestaltet: Statt der einzelnen Treppen, die einst zu den drei Eingängen führten – wie Landungsbrücken zu einem Schiff – laden nun breite Sitzstufen zum Verweilen ein. Hinzu kommen zwei Glaskuben, in denen sich ein Aufzug bzw. temporäre Kunstinstallationen befinden, sowie eine Freiraumgestaltung mit parkettartig verlegten Pflastersteinen, die die Straße in einen einladenden Vorplatz verwandeln. Angesichts der langen Bauarbeiten am Museum und der zugleich nahezu unveränderten Fassaden ist klar: Das Entrée stellt nur einen kleinen Teil der Umbau­maßnahmen dar. Dass auch die Chapelle de l’Oratoire aus dem 17. Jahrhundert und ein schmaler Neubau an dieser Straße sowie ein weiteres neues Gebäude an der rückwärtigen Rue Gambetta ebenfalls Teil des Museums sind, offenbart sich dem Besucher erst nach und nach bei seinem Ausstellungsrundgang.

Durchgängig

In der Eingangshalle weist das Nebeneinander aus jahrhundertealten Marmorfiguren, einer bunten Pop-Art-Leuchtskulptur und zeitgenössischen ­Gemälden auf eine Besonderheit des Kunstmuseums hin: Es widmet sich nicht nur einer einzigen Epoche, sondern zeigt Exponate der bildenden Kunst vom 13. Jahrhundert bis heute. Diese große Bandbreite und eine von Anfang an rege Sammlungstätigkeit haben dazu geführt, dass das Haus in den letzten Jahrzehnten aus allen Nähten zu platzen begann. Da es zudem sowohl hinsichtlich seiner Haustechnik als auch museumspädagogisch in die Jahre gekommen war (z. B. gab es weder einen Vortragssaal noch Räume für Seminare oder Workshops), erwies sich eine umfassende Modernisierung und Erweiterung als unumgänglich. Den hierfür 2009 ausgelobten Wettbewerb gewann das im Museumsbau erfahrene Londoner Architekturbüro Stanton Williams mit einem Entwurf, der die vielfältigen Kunstwerke ebenso zelebriert wie die Vielfalt der Wege, Räume, Materialien und Lichtstimmungen. Die Architektur drängt sich dabei nirgendwo in den Vordergrund. Sie sorgt vielmehr dafür, die unterschiedlichen Bereiche durch eine einheitliche Gestaltungssprache zusammenzubinden.

Dreh- und Angelpunkt des Musée d’arts ist der zentrale Patio. Als neutraler weißer Innenhof bietet er Platz für temporäre Ausstellungen, während sich um ihn herum im EG die ständige Sammlung des 13. bis 18. Jahrhunderts und im OG jene des 19. und 20. Jahrhunderts entwickeln. Da die filigranen Stuckarbeiten und Malereien der Wand- und Deckenflächen bereits einer früheren Renovierung zum Opfer fielen, entspricht sein heutiges Erscheinungsbild in etwa dem vor der Modernisierung. Ort eines massiven baulichen Eingriffs war der Patio dennoch: er wurde aufgegraben und – wie der Rest des Palais – komplett neu unterkellert.

Der Weg ins UG führt über zwei Treppen zunächst in eine Zwischenebene mit Schließfächern und von dort schließlich ganz nach unten. Dort befinden sich neben einem Auditorium mit 150 Sitzplätzen auch der museumspädagogische Bereich, Garderoben, Toiletten und ein weiterer Wechselausstellungsraum (Salle Blanche). Letzterer dient aufgrund seiner Lage im Westteil des ­Palais gleichsam als unterirdisches Bindeglied zum »Cube«, dem Museumsneubau zeitgenössischer Kunst an der rückwärtigen Rue Gambetta.

Empfängt das Museum den Besucher im Palais mit den beiden äußerst sorgfältig restaurierten Räumen der Eingangshalle und des prachtvollen Haupttreppenhauses, so vermittelt das UG fast den Eindruck, sich in einem Neubau zu befinden: Im Zuge der Bauarbeiten an der neuen Bodenplatte wurden sämtliche Fundamente freigelegt, weshalb sich das UG heute deutlich vom Rest des Bestands abhebt. In den öffentlichen Bereichen entstanden elegante Räumlichkeiten mit Sockeln und Rippendecken aus Sichtbeton sowie Eichenholz-Wandbekleidungen, deren zurückhaltend natürliche Farb- und Formensprache perfekt mit den freigelegten Bruchsteinfundamenten harmoniert.

Ein weiterer Bereich massiver Umbaumaßnahmen ist das Dach. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um eine höhengestaffelte Landschaft aus unterschiedlich geneigten Glasflächen verschiedener Abmessungen (insgesamt 3 500 m²), die die natürliche Belichtung aller Ausstellungsräume des OGs sowie des Patios und des Haupttreppenhauses ermöglichen. Der elegante Stahl-Dachstuhl des Bestands blieb unangetastet, während Dachdeckungen und Verglasungen ausgetauscht und um ein automatisch steuerbares Verschattungssystem mit Textilbahnen ergänzt wurden.

Hiermit lässt sich die bisher unkontrolliert einfallende Tageslichtmenge erstmals präzise regulieren und nach Bedarf auch Kunstlicht zuschalten. Was die Besucher davon wahrnehmen, ist das sinnliche Schattenspiel der historischen Dachkonstruktion, das sich bei Sonnenschein schemenhaft an den Glasdecken abzeichnet.

Bei der technischen Ausstattung des Palais setzten die Architekten auf möglichst »passive« Maßnahmen: Neben der intensiven Tageslichtnutzung sorgen LEDs und innen wärmegedämmte Außenwände für Energieeffizienz. Hinzu kommt der Ansatz, bei der Raumtemperatur und -feuchte keine fest einzuhaltenden Werte zu definieren, sondern größere, sich langsam verändernde ­saisonale Schwankungen zuzulassen.

Durchscheinend

Wer auf dem Rundgang durch das Palais in der Kunstsammlung des 20. Jahrhunderts angelangt ist, dem bietet sich die Möglichkeit, die Tour im nordwestlich benachbarten Cube fortzusetzen. Der Weg dorthin führt über eine breite Brücke, die dank geschlossener Seitenwände und eines Oberlichts als Ausstellungsraum erscheint – damit sich die Besucher dennoch orientieren können, ordneten die Architekten direkt neben der Brücke ein schmales Fenster mit Blick auf die dem Museum angegliederte Kapelle an. Wie die anderen Ebenen ist auch das teilweise zweigeschossige 1. OG des Museumsneubaus als neu­traler White Cube konzipiert, der mit nicht tragenden Trennwänden eine ­flexible Bespielung der Flächen gewährleistet.

Die Brücke führt aber auch in einen lichtdurchfluteten Treppenraum, der sich in seiner Erhabenheit, wenn auch auf völlig andere Art und Weise, auf die Haupttreppe des Palais bezieht. Maßgeblich für diese Wirkung ist die Südfassade mit ihrer filigranen Stahlkonstruktion und der außen mit dünnen Platten aus portugiesischem Marmor versehenen Verglasung, deren Farbton und horizontale Fugenabstände mit der sandgelben Natursteinfassade (Tuffeau nantais) des Palais korrespondieren. Während des Tags sorgen die Platten für ein weiches, warmes Licht im Innenraum, während sie von außen den Eindruck einer massiven Wand erzeugen. Am Abend, bei beleuchtetem Innenraum, kehrt sich das Bild um. Dann beginnt die Fassade zu glühen, sodass sie in Richtung des begrünten Innenhofs eher als Lichtinstallation denn als Treppenhaus erscheint.

Im EG des Cube gelangen die Besucher in den neuen Skulpturenhof und von dort über einen verglasten Treppenraum in die Kapelle. Die Chapelle de l’Oratoire dient schon seit Längerem als Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und blieb, abgesehen von der neuen Erschließung, von den Um­baumaßnahmen unberührt. Den südlichen Abschluss des Skulpturenhofs bildet das für Besucher nicht zugängliche Archivgebäude, das neben Werkstätten v. a. Lagerräume beherbergt und daher an seiner Natursteinfassade nur wenige Öffnungen aufweist.

Der Weg wieder zurück zur Eingangshalle im Palais führt entweder über den Garderobenbereich im UG oder über die Brücke im OG – eine Verbindung im EG ist nicht möglich, weil sich zwischen Cube und Palais der Anlieferungsbereich befindet.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum der Rundgang durch das Musée d’arts de Nantes so spannend ist. Zunächst sind da die erstklassigen Exponate aus dem 13. bis 21. Jahrhundert – von Künstlern wie Perugino, Gustave Courbet, ­Claude Monet, Auguste Rodin, Wassily Kandinsky oder Anish Kapoor. Dann gibt es den erfrischenden Ansatz, Werke verschiedener Entstehungszeiten gezielt nebeneinander zu stellen, um oftmals irritierende, neue Querbezüge zu schaffen. Eine Rolle spielt auch das Miteinander der Gebäude aus vier ­Jahrhunderten. Wesentlich ist, dass die Architekten nicht nur für die Gebäudeplanung und die Freiraumgestaltung am Haupteingang zuständig waren, sondern auch die Gelegenheit hatten, den Großteil der Möblierung, der Einbauelemente in den Ausstellungsräumen, das grafische Erscheinungsbild sowie die Signaletik des Museums zu entwerfen. Auf diese Weise wird der Museumsbesuch zu einem ganzheitlichen Erlebnis.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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