Zeitschrift

db deutsche Bauzeitung 2018|11
Architektur der Stille
db deutsche Bauzeitung 2018|11

Licht, Luft und Holz

Bergkapelle bei Kendlbruck (A)

Diese Bergkapelle im Salzburger Lungau ist ein Statement – für konstruktive Klarheit, für die Ausdrucksmöglichkeiten eines archaisch anmutenden Raums und für den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Zugleich macht der Strickbau das Material Holz auf eine Weise spürbar, die unwillkürlich zum Nachdenken über das menschliche Sein in der Natur anregt.

5. November 2018 - Roland Pawlitschko
Allein der Weg zu dieser Bergkapelle ist schon ein Ereignis. Von Ramingstein bis dorthin sind es Luftlinie zwar nur 4 km, allerdings liegen zwischen den beiden Punkten 900 Höhenmeter, die sich nur in einer zwei bis drei Stunden langen Wanderung oder im Auto auf einer serpentinenreichen, 14 km langen Forststraße zurücklegen lassen – vorausgesetzt man verfügt über den Schlüssel für die Schranke im Tal.

Der Forstweg führt zu einem 200 ha großen Waldgrundstück, das Johann Müllners Familie seit vielen Generationen bewirtschaftet. Die Familie lebt seit jeher im Tal, hat aber vor 150 Jahren in 1 850 m Höhe ein Steinhaus errichtet, das seitdem als Alm dient. Der Standort von Haus und daneben in Holz ­gebauter Scheune direkt unterhalb eines Bergrückens ist klug gewählt, sind die Gebäude in einer kleinen, von Felsen flankierten Senke doch vor heftigen Winden und winterlichen Schneestürmen geschützt, während sich zugleich der Blick auf ein atemberaubendes Alpenpanorama eröffnet. Nutznießer dieses Ausblicks sind vereinzelte Wanderer und Tourenskigeher sowie allsommerlich die in den Wiesen rund um die Häuser grasenden Jungkühe eines benachbarten Bauern. Seit Mai letzten Jahres steht etwas oberhalb dieses Ensembles eine stets offene Bergkapelle, deren Bauherr Johann Müllner ist.

Diese Kapelle hat keinen Namen. Und sie ist, obwohl gesegnet, kein konsekrierter Gottesdienstraum im kirchlichen Sinn. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass sie keine spirituelle oder architektonische Bedeutung als ­Sakralraum hätte. Dass das Gegenteil der Fall ist, hat mit ihrer Geschichte zu tun, und mit den Menschen, die sie geformt haben.

Nutzung lokaler Ressourcen

Am Anfang stehen die Jugendfreunde Johann Müllner und Hannes Sampl, die sich vor einigen Jahren nach langer Zeit zufällig wiederbegegnet sind. Der eine studierte Holz- und Naturfasertechnik und hatte als Waldbauer kürzlich den elterlichen Hof übernommen, der andere begann nach einer Ausbildung zum Möbeltischler sowie einem Architekturstudium gerade mit dem postgradualen Lehrgang »überholz« an der Kunstuniversität Linz. Das Gespräch fiel schnell auf die Idee einer Kapelle, die Müllner gewissermaßen als Ersatz für die in den 60er Jahren wegen eines Straßenneubaus abgebrochene Hofkapelle errichten wollte. Als Baugrundstück hatten die beiden von Anfang an nicht etwa den Hof als vielmehr die Alm im Sinn – jenen Ort, der im Wortsinn über eine natürliche Erhabenheit verfügt. Sampl, der aus dem Projekt schließlich seine Abschlussarbeit machte, war begeistert, nicht zuletzt wegen der zwei einzigen Vorgaben, die zur Umsetzung der Idee im Raum standen: Erstens sollten sowohl das Baumaterial als auch sämtliche Ressourcen, wie z. B. Arbeitsmittel und -leistungen, im lokalen Umfeld verfügbar sein. Zweitens musste der Bau in Selbstbauweise realisiert werden können – aus eigenem Holz und gemeinsam mit der Familie und Freunden.

Es spielt keine Rolle, ob die Besucher, die den Weg zur Kapelle gefunden haben, von diesen Geschichten wissen oder nicht. Was sie dort so oder so sofort spüren, ist jene unprätentiöse Dezidiertheit, von der schon die Idee geprägt war. Ziel war ja kein opulenter Kirchenraum, der für wirtschaftliche und religiöse Potenz stehen sollte. Ja, es ging noch nicht einmal darum, die Kapelle allein dem christlichen Glauben zu widmen. Vielmehr sollte sie einen zwanglosen und in jeder Hinsicht stillen Andachtsraum für alle bieten, Raum der Kontemplation, des In-sich-Gehens und des Zu-sich-selbst-Findens. Dieses jedem Glauben innewohnende Streben nach Ursprünglichkeit und Reinheit widerspiegelt der fensterlose, ungedämmte Neubau ohne außen angebrachte religiöse Symbole nicht zuletzt in seiner einfachen Konstruktion.

Gleiche Holzbalken für Boden, Wand und Dach

Über einem schlichten Sockel aus unweit des Bauplatzes gefundenen Natursteinen und einer umlaufend leicht zurückspringenden Lärchenholzschwelle erhebt sich die 3,24 m breite und 5,52 m lange Kapelle als reiner Holzbau. Wände, Boden und die Dachkonstruktion bestehen aus unbehandelten, sägerauen einheitlich 12 x 12 cm großen Fichtenholzbalken mit doppelter Nut-Feder-Verkämmung, die ohne zusätzliche Verbindungsmittel – wie z. B. Leim, Metallnägel oder -schrauben – zu einem Blockbau »verstrickt« wurden.

Mittels Schwalbenschwanzverzinkung übereck verbunden, bilden die Balken vier verwindungssteife Wände. Für zusätzliche Stabilität sorgen 16 mm dicke, vertikale Lärchenholzdübel, die immer zwei Balken miteinander verbinden. Ins abgebundene, aber noch feuchte Holz eingebracht, quollen die trockenen Dübel auf und sorgten dadurch für eine noch festere Verbindung. Zur Ausbildung des 63° steilen Satteldachs wurden die längsgerichteten Balken dann von Lage zu Lage jeweils um die halbe Balkenbreite nach innen versetzt, bis sie schließlich zwei geschlossene, abgetreppte Dachflächen ausbildeten. Den Witterungsschutz für das Dach übernehmen zweilagig auf eine Unterkonstruktion genagelte Lärchenholzschindeln.

Genaue Ausrichtung nach Osten

Zwischen den äußeren Holzlamellen im Giebeldreieck und der um 84 cm zurückversetzten Außenwand entsteht an der westlichen Eingangsseite ein leicht erhöhter Vorraum. Dieser kann von Wanderern als Rastplatz genutzt werden, v. a. aber bietet er Kapellenbesuchern die Möglichkeit, vor Eintritt ins Gebäudeinnere noch einmal kurz innezuhalten und im Schutz der Seitenwände die Berglandschaft wirken zu lassen. Wer nun durch Anheben eines runden Holzgriffs die schlichte Holztür öffnet, findet sich in einem vollkommen leeren Raum wieder, der nur aus geschichteten Holzbalken und Licht besteht. Die östliche Außenwand ist in gleißend helles Licht getaucht, das durch eine weitere Schicht aus Holzlamellen im äußeren Giebeldreieck auf den Boden fällt – ebenso wie eine sanfte Brise würziger Bergluft, die den Raum durchströmt und im Winter auch Schnee in den Raum weht. Die Lamellen werden – vom Eingang aus betrachtet – von einem massiven, ebenfalls um 84 cm eingerückten Giebeldreieck verdeckt, sodass hier ein dem Vorraum ganz ähnlicher Zwischenbereich entsteht. In dieses Giebeldreieck ist ein Kreuz einge­arbeitet, durch das dank der genauen Ausrichtung der Kapelle jedes Jahr am 15. August bei Sonnenaufgang direktes Sonnenlicht eintritt. Dieser Tag, das Fest Mariä Himmelfahrt, hat für die Familie eine besondere Bedeutung und wird daher alljährlich feierlich begangen. Als Kreuzform wurde bewusst nicht das an die Kreuzigung Jesu erinnernde lateinische Kreuz gewählt, sondern ein griechisches Kreuz, eines der einfachsten und ältesten Symbole religiösen Glaubens.

Spiritualität und Geborgenheit

Auch wer nicht selbst wahrgenommen hat, dass dieser Standort von einem Radiästheten als Kraftplatz identifiziert wurde, spürt doch die von diesem Raum ausgehende Spiritualität, die kraftvolle Stille, die Reduzierung auf das Sein in der Natur – das leise Rauschen der Bäume ist zu hören, sanfte Windstöße bewegen die Luft und halten das fantastische Landschaftsbild vor der Tür in der Vorstellung präsent. Das Gefühl von Entrücktheit bei gleichzeitiger Geborgenheit ist beim Verlassen der Kapelle fast noch stärker als beim Betreten, denn der Kontrast zum reduzierten Innern könnte kaum größer sein. Der Blick auf den umliegenden Wald rückt die Wirkung der im Umkreis von wenigen Kilometern geschlagenen Bäume ins Bewusstsein, als befinde man sich im Innern des Waldes, im Innern der Bäume gar. Das macht nicht der Raum allein, sondern auch die Tatsache, dass alles unmittelbar aus dem Umfeld stammt.

Wie geplant, haben Müllner, Sampl sowie einige Familienmitglieder und Freunde die Kapelle gemeinschaftlich und unentgeltlich errichtet. Genauso sorgfältig wie den Bauplatz haben sie die Bäume ausgewählt und in der saftarmen Zeit im November bei abnehmendem Mond gefällt und anschließend bearbeitet. Die Frage, was die Kapelle kostete, können weder Sampl noch Müllner beantworten. Nicht weil sie diese für unangebracht halten, sondern schlicht weil eine solche Summe kaum berechenbar ist, wenn sämtliche Ressourcen und Arbeitsleistungen selbst eingesetzt werden. Das Teuerste am ganzen Bau, sagt Müllner scherzhaft, sei am Ende wohl die Verpflegung der Helfer gewesen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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