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TEC21 2018|47
Dynamik am Seeufer
TEC21 2018|47
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zwischen hartem und weichem Verbauungsgrad

Bauvorhaben an Schweizer Seeufern sind situativ unterschiedlich – hier dicht besiedelter Raum, dort schützenswerte Moore. Oft ist den Orten aber eines gemeinsam: Sie sind nicht mehr natürlich. Die Uferzone wird zur Aufgabe für Ingenieure, die sich mit den Wellen- und Windverhältnissen auseinandersetzen.

23. November 2018 - Clementine Hegner-van Rooden
Viele Schweizer Seeufer sind nicht mehr natürlich. Sie wurden in den letzten Jahr­hunderten aufgeschüttet, um für Uferpromenaden, Bahntrassen und Strassen Land zu gewinnen. Naturufer – insbesondere mit flachem Verlauf – wurden in ­harte ­Verbauungen mit Geländesprüngen umgebaut. So geschehen beispielsweise um 1880 am Zürichsee oder am Vierwaldstättersee in Brunnen um 1870. Aquatisch und ökologisch wertvolle Wasserwechselzonen gingen unwiderruflich verloren. Solche künstlich erschaffe­ne Uferzonen rückzubauen, wie es der Naturschutz verlangt, oder zu renaturieren und die aquatischen Le­bensräume der Flachwasserzonen wiederherzustellen, ist in Siedlungsgebieten oft nicht ohne Weiteres bzw. nur von der bestehenden Ufermauer her möglich. Denn mittlerweile stehen auf den Aufschüttungen Bauwerke.

Aus­serdem sind viele Seen inzwischen reguliert, und die natürlichen Prozesse haben sich grundlegend verändert. Jedes Projekt am geschützten Seeufer bedingt eine Ausnahmebewilligung. Diese einzuholen bedarf meist eines jahrelangen Planungsprozesses, der städtebau­liche oder landschaftsarchitektonische, ökologische und technische Aspekte zu berücksichtigen hat. Solche oft kontrovers diskutierten Projekte kann die öffentliche Hand nur dann angehen, wenn der Nutzungsdruck der Bevölkerung hoch ist, wenn sie als Nah­erholungsgebiete von grosser Bedeutung sind und wenn ein kompetentes Planungsteam dahintersteht.

Ähnliche Einwirkung – ungleiche Konzepte

Im naturgetreuen Zustand bildet sich am Ufer eines Flachwasserbereichs ein stabiler Seegrundverlauf aus, der sich dynamisch verändert. Harte Verbauungen stören dieses dynamische Gleichgewicht des Grundverlaufs, sodass heute an diesen Bauwerken ungewöhnlich hohe Wellen brechen und reflektieren – vergleichbar mit einer felsigen Küste. Die Bauten sind teilweise immensen Aufschlagbelastungen ausgesetzt, die vor allem in den Bauwerksfugen grosse Schäden anrichten und Kolklöcher verursachen. An vielen Orten wird der Seegrund vor den Uferbauten durch Wellenbewegungen erodiert, und es kommt zu Unterspülungen von Kon­struktionen. Zahlreiche Uferbauten sind daher instandsetzungsbedürftig und müssten umgestaltet werden. Eine diffizile Aufgabe.

In der Instandsetzung oder Renaturierung von Uferbauten verflechten sich ökologische, architektonische, politische und technische Themen. Exemplarisch zeigen dies die Seeufergestaltung im Zentrum von Brunnen (vgl. «Die Promenade am See»). und die ökologischen Aufwertungsmassnahmen am Seeufer im Moorgebiet Hopfräben (vgl. «Ein schmaler Pfad für mehr Natur»). Die beiden Standorte in der Gemeinde Ingenbohl, Kanton Schwyz, unterscheiden sich – hier der dichte Siedlungsraum, da ein schützenswertes, aber eingezwängtes Flachmoor. Dennoch sind sie landschaftlich eng verbunden. Ihre Ufer sind nach Süd-Südwesten ausgerichtet und den Wellen ausgesetzt. Die lange Streichlänge (freie Anlaufstrecke des Winds) von Süden und Westen her über den See mit starken, über Stunden konstanten Winden führt zu beachtlich hohen Wellen, und es können grosse Schwemmholzmengen auftreten.

Es ist die Aufgabe des Bauingenieurs, diese ­Prozesse im Wasser zu analysieren, daraus realistische Belastungsszenarien abzuleiten und die Bauwerke ­entsprechend zu dimensionieren – nicht nur die Trag-, sondern auch die Ermüdungssicherheit muss nachgewiesen werden (Bestimmung der Dimensionierungswellen, Risikoanalyse und daraus Ableitung sinnvoller Lastkombinationen). Neben den Nutzlasten sind Wellen und Strömungen weitaus die grössten Einwirkungen. Wellen erzeugen keine kontinuierlichen Kräfte, sondern Spitzenlasten, die durch Extremereignisse wie einen Sturm entstehen (wie bei Naturgefahren üblich unterscheidet man die Auftretenswahrscheinlichkeit – 30-, 100-, 300-jährliches Wellenereignis und Extremereignis). Strömungen wirken hingegen ständig und belasten Bauwerke dauerhaft.

Die Bauten im und am Wasser müssen beiden dynamischen Belastungen langfristig standhalten (vgl. «Wellen als Belastung», Kasten unten). Nur so können wirtschaftliche Bauwerke entstehen, die den hohen gestalterischen, ökologischen und technischen Anforderungen am See­ufer gerecht werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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