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TEC21 2018|51-52
Sgraffito – gestern, heute, morgen
TEC21 2018|51-52
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Häuser sollen kommunizieren»

Das Haus Sura in Davos überrascht mit einer ausdrucksvollen Sgraffitofassade. Der Entwurf und die Umsetzung stammen von ­Mazina Schmidlin-Könz. Im Gespräch erzählt die Künstlerin von der speziellen Zusammenarbeit und der Qualität des Unvorhergesehenen.

21. Dezember 2018 - Tina Cieslik
Hoch am Sonnenhang über Davos, direkt am Waldrand, steht trutzig das Haus Sura. Neben den benachbarten Hotelpalästen wirkt es trotz seiner fünf Geschosse nicht besonders mächtig, aber mächtig besonders: Umlaufende Sgraffiti zieren die grauen Fassaden. Mysteriöse Inschriften und archaische Ornamente, Formen und Muster scheinen eine geheimnisvolle Botschaft auszusenden.

Das Innere ist profaner, die Baugeschichte hingegen ist es nicht: Als Spekulationsobjekt mit vier identischen Ferienwohnungen kam der von einer Generalunternehmung geplante Bau 2010 auf den Markt. Die heutige Bauherrschaft kaufte statt einer Wohnung gleich das ganze Projekt und liess es zu einem Ferienhaus nach eigenem Gusto abändern. Neben Wellness- und Fitnessräumen beherbergt der 2014 fertig gestellte Bau Suiten und ­Einzelzimmer, die als Ganzes oder individuell gemietet werden können.

Für die Architektur zeichnet der Küssnachter Architekt Robert Arnold verantwortlich (vgl. «‹Das Spontane ist die Qualität›»). Mit der Gestaltung der Fassade beaufragte er die Künstlerin Mazina Schmidlin-Könz aus der Architekten- und Künstlerdynastie Könz (vgl. Kasten unten). Sie entschied sich, die Fassade in traditioneller Sgraffitotechnik auszuführen (vgl. «Kratzen für die Ewigkeit»), setzte aber auf eine individuelle Auslegung der bekannten Motive. Das Ergebnis ist ein Bau, der zugleich zeitgenössisch und wie aus der Zeit gefallen wirkt.

TEC21: Frau Schmidlin-Könz, bei der Fassaden­gestaltung des Hauses Sura in Davos haben Sie tra­ditionelles Sgraffitohandwerk angewendet, die Gestaltung jedoch ist zeitgenössisch. Was waren Ihre Überlegungen dazu?
Mazina Schmidlin-Könz: Für mich war von Anfang an klar, dass ich an diesem Ort gern ein Sgraf­fito realisieren möchte. Aber ich wollte eine Neuinterpretation, kein Abmalen bekannter Motive mit dem Zirkel. Dazu kam die Farbe, eine Reminiszenz an den Ort mit seinem grauen Kalkstein und den orangen Färbungen der Eiseneinsprenkel. So wächst der Bau quasi aus dem Fels heraus. Der Architekt war sehr offen und akzeptierte meine Ideen. Und er half mir, auch die Bauherrschaft davon zu überzeugen.

TEC21: Wie liefen Planung und Ausführung konkret ab?
Mazina Schmidlin-Könz: Ich habe zunächst eine Fassadenabwicklung des Architekten erhalten, darauf beruhte mein erster Entwurf. Anschliessend fertigte ich einige Modelle, weitere Fassadenentwürfe und Fassadenmusterplatten an. Für die definitive Ausführung wurde die Fassaden in 14 jeweils etwa 60 m² grosse Abschnitte eingeteilt, die Fläche, die etwa einem Tageswerk entspricht. Zu diesen 14 Abschnitten kamen die Sonderflächen wie Laibungen bei den Terrassen oder beim Keller dazu, die wir ganz zum Schluss bear­beitet haben. Meine zwei Mitarbeiterinnen und ich arbeiteten von oben nach unten.
Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit mit einem handwerklich versierten Gipser, der den Verputz auftragen muss. Wir verwendeten einen verglätteten hydraulischen Kalkputz mit kleinem Zementanteil. Der auf den Grundputz aufgetragene Deckputz wird zweilagig 3 bis 4 mm oder einlagig 6 mm dick auf­getragen. Man darf ihn nicht verdichten, damit die nachfolgenden Lasuren gut eindringen können.
Sgraffito ist eine Al-fresco-Technik: Wenn der Putz noch nass, aber schon etwas angetrocknet ist, wird er mit Sumpfkalk überstrichen. Der Sumpfkalk kann mit Wasser mehr oder weniger verdünnt werden und erzeugt so weisse Flächen mit einem unterschiedlichen Deckungsgrad. Zudem habe ich zusätz­liche Schichten mit pigmentiertem Sinterwasser aufgetragen, um die Fassade farbig gestalten zu können. Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Sumpfkalk- und Sinterschichten stark verdünnt, also fast farblos sind, der Deckungsgrad und die Farbigkeit folglich erst beim Trocknen sichtbar werden. Beim Auftragen dieser Schichten kann man die Gestaltung deshalb noch nicht erkennen. Erst nach dem Abbinden des Deckputzes ist die Farbigkeit vollständig sichtbar. Um diese Schichten gestalterisch kontrollieren zu können, sind vorgängig Muster und eigentliche individuelle Rezepte zu erstellen. Nach dem Auf­tragen kann der noch feuchte Putz auch bei den nicht gestrichenen Flächen gekratzt werden. Korrekturen können nach dem Kratzen keine mehr angebracht werden. Wir haben die gesamte Fassade freihändig mit einem Nagel bearbeitet. Und auch das Wetter muss mitspielen: Es darf nicht regnen oder zu kalt sein, sonst trocknet die Fassade mehrere Tage nicht. Bei weniger als 4 °C bindet der Putz nicht mehr ab.

TEC21: Was sind typische Schwierigkeiten oder Fehler bei der Herstellung von Sgraffiti?
Mazina Schmidlin-Könz: Man benötigt einen ausreichend grossen Zeitraum, um die Arbeiten ausführen zu können. Zudem muss der Putz mit der traditionellen Sumpfkalktechnik ausgeführt werden. Moderne kunststoffvergütete und dünn aufgetragene Putze eignen sich nicht. Und selber hergestellte Putzmischungen würden zudem das Problem der Produktehaftung erzeugen.

TEC21: Auf welche Grundlagen haben Sie sich bei den Motiven bezogen? Beim Sgraffito an den historischen Engadinerhäusern gibt es ja fast eine Art Formen­katalog für die einzelnen Bauteile.
Mazina Schmidlin-Könz: Ich habe die traditionellen Motive wie Schrift, Ornamentik und geometrische Formen neu interpretiert. Sgraffito ist faszinierend, weil es so lebendig ist. Es gibt durch die Kratztechnik eine Tiefenwirkung, die weit über jene des reinen Farbbauftrags hinausgeht, ein Spiel mit Licht und Schatten. Für dieses Haus wollte ich aber eher eine Art Hülle erzeugen. Ich bin auch Textilgestalterin, was man beim Haus Sura auch sieht. Die Fassade wirkt sehr textil.
Mein Entwurf diente bei der Ausführung als Basis, aber so, wie ich ihn umsetzte, gab es darin spontane Elemente. Ich wollte nicht einfach den Plan kopieren, und manche Entscheidungen hingen auch davon ab, welche Erfahrungen ich vor Ort machte. Mit dieser potenziellen Ungenauigkeit hatten die Bauherrschaft und die Behörden allerdings Mühe.
Für mich muss Sgraffito spontan sein. Eine Kopie der historischen Motive ist der falsche Weg – auch wenn viele Handwerker so arbeiten. Unser Farb- und Formempfinden hat sich weiterentwickelt. In der Malerei versuchen wir ja auch nicht, eine bessere Mona Lisa zu malen. Wir müssen versuchen, wieder mehr Gefühl zu zeigen. Das funktioniert aber nur, wenn man den Mut hat, sich von seiner Entwurfszeichnung zu lösen. Man erkennt das gut, wenn man die gezeichneten Entwürfe mit der realisierten Fassade vergleicht: Es gibt eine Ähnlichkeit, sie ist aber kein identisches Abbild. Man muss die Freiheit haben, den Moment einfliessen zu lassen. Und vor Ort ausprobieren können, wie das Material reagiert.

TEC21: Wie ist die Resonanz auf den Bau?
Mazina Schmidlin-Könz: Unterdessen sehr positiv. Wenn ich vor Ort bin und höre, was die Leute sagen, die vorbeilaufen – der Bau wird immer angeschaut. Und das ist es ja, was Häuser machen sollten: mit den Menschen kommunizieren. Architekten haben heute Angst vor der Kunst. Sie sollten mehr Mut haben, mit Künstlern zusammenzuarbeiten. Früher gab es in dieser Hinsicht mehr Freiheiten: Die Hausbesitzer kannten die Sgraffitokünstler und vertrauten ihnen. Heutzu­tage geht es leider meist zuerst ums Geld, dann um die Absicherung und dann erst ums Projekt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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