Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2019|05
Ingenieurbaukunst
db deutsche bauzeitung 2019|05

Freiheit im Raster

Akademie für Internationale Zusammenarbeit in Bonn

Die Architektur des neuen AIZ-Gebäudes sollte das Lernen nicht linear, sondern neugierig suchend, offen und reflektierend abbilden. Daraus resultiert eine schwarmartige Struktur, die von dem systemimmanenten Widerspruch aus Strenge und Freiheit des intelligenten Holzskelettbaus profitiert.

8. Mai 2019 - Uta Winterhager
Es ist ruhig in Röttgen, Einfamilienhäuser vergangener Jahrzehnte säumen den Waldrand, der das Ende des Bonner Stadtgebiets markiert. Bewusst zurückgezogen unterhält die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hier, neben dem im Regierungsviertel, ihren zweiten Bonner Standort. Eine Erweiterung erfuhr der Bestand mit dem Ende 2017 fertiggestellten Neubau der Deutschen Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) von Waechter + Waechter Architekten und den Tragwerksplanern merz kley partner. Das Angebot der AIZ ist darauf ausgerichtet, sowohl Mitarbeiter der GIZ als auch deren mitreisende Partner auf einen Einsatz im Ausland vorzubereiten. Ein vierwöchiger Intensivsprachkurs in einer von 70 Landessprachen als Einzelunterricht ist hierbei genauso möglich wie ein fünftägiges Gruppenseminar zum Projektmanagement in internationaler Zusammenarbeit sowie ein begleitendes Selbststudium mithilfe der zahlreich zur Verfügung stehenden Medien.

Für Felix Waechter bildete der Wunsch, das aktive, offene Lernkonzept als räumliche Idee weiterzudenken und maßstäblich in die Landschaft einzuschreiben, den Ausgangspunkt für den Entwurf. So überzeugte im Wettbewerb 2014 die Radikalität der »vielfach gegliederten multimodalen und kommunikationsorientierten Lern- und Seminarlandschaft«, die ihre Freiheit aus der rasterbasierten Ordnung des Tragwerks generiert.

In einer sanft modellierten Landschaft, die sich durch gerade Reihen und sorgfältig geordnete Formationen lichter Baumgruppen vom angrenzenden Wald unterscheidet, steht das zweigeschossige »Lernhaus« wie eingepflanzt. Hölzern das Tragwerk, zahlreich die Stützen. Doch ist es kein Haus im klassischen Sinne, es ist ein Cluster, ein Schwarm, eine bewegte flache Struktur. Die Ordnung wirkt zufällig – ein System der Vor- und Rücksprünge, von keiner Seite aus zu entschlüsseln. Zur Klärung der Geometrie verhilft eine Grundrisszeichnung: Sie zeigt 78 Felder, davon 56 quadratisch und 22 bei gleicher Länge schmaler. Die zweiflügelige Figur entsteht durch die Kopplung eines Clusters mit einem spiegelverkehrten Pendant. Jeweils im Zentrum der beiden Gebäudeflügel bilden zwei offengelassene Rasterfelder einen Innenhof.

Kommunikation und Bewegung

Am Haupteingang – mittig an der schmalsten Stelle der Grundrissfigur – betreten die Besucher die zweigeschossige Lobby mit Rezeption und Café. Zwei sich gegenüberliegende Treppen führen von hier ins OG. Die Organisation der Flügel und Etagen folgt einem Prinzip, das sich trotz der amorphen Grundrissfigur leicht erschließt, auch dank der Orientierungshilfe durch die beiden Innenhöfe. Als Rundweg um sie herum angeordnet ist jeweils eine offene Kommunikationszone, die dem Lernen allein oder in Gruppen dient. Untergliedert wird dieser Bereich durch die Regale der Mediathek und sogenannte Lernstationen; eine davon klärt z. B. über die angemessene soziale Distanz in verschiedenen Ländern auf. Entlang der Außenfassade sind die insgesamt 44 Seminarräume platziert. Teilweise sind sie schaltbar, in jedem Fall aber durch die Glaswände vom zentralen Bereich aus einsehbar. Sämtliches Mobiliar ist beweglich, Tische und Hocker sind leicht und handlich, sodass sie sich einfach umgruppieren lassen. Auch Garderoben, Kopierer und »Sitznischen auf Rollen« können dem Bedarf entsprechend verschoben werden.
Letztendlich ist es das Tragwerk, das die Offenheit und Flexibilität – sowohl in der Anmutung als auch in der Nutzung – ermöglicht. Konrad Merz kam als Tragwerksingenieur erst nach dem Wettbewerb hinzu. Entwurfsimmanente Entscheidungen u. a. zum Raster, der Verwendung von Holz, dem Grundriss und der Dachform waren da längst gefallen, doch nun war der Ingenieur gefragt, das räumliche Raster in eine tragende Holzkonstruktion zu übertragen.

Weiterentwickelt und überprüft

Um den Anforderungen des Raumprogramms nachzukommen, und die wirtschaftlichen Vorzüge der modularen Bauweise optimal auszunutzen, hatten die Architekten den Grundriss von vornherein so angelegt, dass lediglich zwei unterschiedliche Rasterfeldgrößen (5,25 x 5,25 m und 3,50 x 5,25 m) ausreichen sollten. Die Planer ließen im Hof der Holzbaufirma das Mock-up eines Rastersegments einschließlich Dachelement aufbauen, um mit dessen Hilfe einen hohen Vorfertigungsgrad der im eingebauten Zustand weitgehend unbekleidete Holzmodule zu erreichen. So konnten die Planer Hand in Hand mit der Holzbaufirma sämtliche Details entwickeln und 1:1 überprüfen.

Der Holzskelettbau aus BSH-Fichte wurde auf dem UG errichtet, das, wie die aussteifenden Kerne und die notwendigen Treppenhäuser, in Stahlbeton ausgeführt wurde. Für die niedrigen Sockel und Brüstungen des EGs kamen, um die Holzkonstruktion zu schützen, Betonfertigteile zum Einsatz.

Ausgehend von einem Treppenhauskern wurde der Holzbau abschnittweise errichtet, beginnend mit den Stützen des EGs. Die kreuzförmigen Stützen sowie der darauf liegende Knotenpunkt aus Stahl sind so ausgebildet, dass Rohre für die Fallrohre der Dachentwässerung verdeckt darin geführt werden können. Wo dies der Fall ist, ist ein Stützenteil demontierbar.

Nach der Montage der Unterzüge wurden die aus Transportgründen zwei- oder dreigeteilten Deckenelemente des EGs eingehängt. Durch die Rasterlochung der Dreischichtplatten (ebenfalls Fichte), die ihre Untersicht bildet, sind sie ohne zusätzliche Bekleidung auch raumakustisch wirksam.

In das anschließend errichtete Holzskelett des OGs wurden dann die entsprechend den beiden Rasterfeldgrößen vorfabrizierten Elemente der Dachkonstruktion – zwei dreieckige Holz-Hohlkasten-Modulen und eine filigrane Stahlstütze – auf der Baustelle zusammengesetzt und am Stück eingebaut. Wie die Skelettkonstruktion und die Hohlkastenelemente der Decken erfolgte auch die Montage der Dachelemente mit bereits fertigen weiß lasierten und rastergelochten Sichtholzoberflächen.

Die Trennwände zwischen den Seminarräumen aus Glas oder in Leichtbauweise, analog zu den Deckenuntersichten mit raumakustisch wirksamen gelochten Dreischichtplatten beplankt, schließen unmittelbar an die Kreuzstützen an. Da das verwendete Holz alleine nicht genügend Masse zur Regulierung des Raumklimas mitbringt, wurde der Oberboden in ge­schliffenem Terrazzo mit integrierter Temperierung realisiert. Die Leitungsführung von Zuluft, Heizung und Elektrik wiederum verläuft in einem Hohlraumboden darunter. Vorausschauend geplant, kann jedes Rasterfeld mithilfe der Regelungstechnik individuell angesteuert werden, sodass bei Änderungen der Raumaufteilung keine aufwendigen baulichen Eingriffe für die Haustechnik anfallen.

Vielfältig gefordert

Waechter + Waechter hatten den Ehrgeiz, nicht nur die in der Auslobung geforderte DGNB Zertifizierung in Bronze sondern in Gold zu erreichen, und dies mit Erfolg.

»Aus Verantwortung vor der Schöpfung«, sagt Felix Waechter, »aber auch als Werbung für nachhaltiges Bauen bei den ausländischen Gruppen, die hier geschult werden.« Wichtige Komponenten des Energiekonzepts sind u. a. auch die hohe Ausnutzung des Tageslichts, das aus den Innenhöfen und durch die gläsernen Trennwände bis in die Tiefe des Gebäudes gelangt sowie die passive Sonnenenergienutzung über die großen, dreifach verglasten Fenster und Oberlichter.

Sonnenschutz bieten im OG vertikale Lärchenholzlamellen vor den Fenstern sowie innenliegende Vorhänge und außenliegende Screens im EG. Auch in den dreieckigen Fensterflächen der Oberlichter können Rollos ausgefahren werden, die bei Nichtgebrauch in der Konstruktion verschwinden. Gerade bei solchen Details hat sich das 1:1-Modell sichtlich bewährt. Dank der Vorfertigung konnte der Holzmodulbau zwar deutlich schneller als ein konventioneller Massivbau errichtet werden, günstiger war er jedoch nicht.

Im Betrieb bestätigt die antizipierte Wirkung die Wahl von Material und Konstruktion: Das durchgängige Raster lässt das Lernhaus hierarchielos wirken, und so zeigt sich die Kunst der Gestalter nicht in der Inszenierung des Tragwerks als Spektakel, sondern in der Minimierung seiner sichtbaren sorgfältig detaillierten Elemente. Die Offenheit dieser Struktur, die es vermeidet, Grenzen zu setzen, macht neugierig. Und das kann ja nur im Sinn der Bauherrin – der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – sein.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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